Quelle
Staatliche Plankommission der Deutschen Demokratischen Republik
I. Gesamteinschätzung der Entwicklung des Lebensstandards in der DDR und in Westdeutschland
Unter Lebensstandard ist das Niveau der materiellen und kulturellen Lebenshaltung der Bevölkerung zu verstehen. Der Lebensstandard der Bevölkerung und seine Entwicklung werden durch ein System statistischer Kennziffern charakterisiert. Im vorliegenden Bericht erscheinen insbesondere Kennziffern, die die Entwicklung der materiellen und kulturellen Lebenshaltung der Bevölkerung in der Deutschen Demokratischen Republik und in der Bundesrepublik von 1950 bis 1955 vergleichend beurteilen. Die Auswahl der Kennziffern ist wesentlich von der Möglichkeit einer Vergleichbarkeit der einzelnen Kennziffern der westdeutschen Statistik mit den entsprechenden Angaben der Statistik der DDR abhängig. Aus diesem Grunde ist eine Vollständigkeit der Angaben für alle Jahre und in den einzelnen Gruppierungen nicht in jedem Falle möglich. Beim Vergleich und bei der Beurteilung der statistischen Zahlenreihen ist daher stets auf die methodischen Hinweise zu den einzelnen Tabellen zu achten.
Im folgenden wird zu den einzelnen Kennziffern eine kurze Einschätzung gegeben:
1) Die Entwicklung der Löhne der Industriearbeiter
Die durchschnittlichen Brutto-Stunden-Löhne der Industriearbeiter in der DDR liegen sowohl in der sozialistischen Industrie als auch in der gesamten Industrie über den Löhnen der Industriearbeiter in Westdeutschland. Die Bruttowochenverdienste sind in allen Industriezweigen, mit Ausnahme der Industriezweige Zellstoff und Papier und Polygraphie höher als in Westdeutschland.
2) Die Entwicklung der Wochenarbeitszeit in Westdeutschland
Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit der männlichen Industriearbeiter hat im Jahre 1955 die 50-Stundengrenze überschritten. Vergleicht man die Länge der Wochenarbeitszeit mit der Arbeitszeit im Jahre 1938, so hat die Wochenarbeitszeit aller Industriearbeiter in Westdeutschland bereits 1954/55 die Wochenarbeitszeit des Jahres 1938 überschritten.
Dagegen weicht die durchschnittliche Wochenarbeitszeit in der DDR nicht von der 48-Stundenwoche ab.
3) Die Entwicklung der steuerlichen Belastung der Bevölkerung
In der Einkommensgruppe (Brutto) der Lohn- und Gehaltsempfänger
380,-- DM (Steuerklasse II und III)
und 760,-- DM (Steuerklasse I, II und III) pro Monat
sind die Lohnsteuerabzüge in der DDR höher als in Westdeutschland. Die Lohnsteuer pro Kopf der Bevölkerung liegt jedoch in der DDR seit 1951 unter derjenigen Westdeutschlands. 1954 betrug die Lohnsteuer pro Kopf in der DDR 65,-- DM und in Westdeutschland 88,-- DM.
Dagegen liegen die Verbrauchsabgaben pro Kopf der Bevölkerung in der DDR höher als in Westdeutschland.
4) Die Entwicklung der Einzelhandelspreise
Die Einzelhandelspreise insgesamt liegen in der DDR über dem Niveau Westdeutschlands. Eine Ausnahme bilden die Preise für Brenn- und Heizstoffe, sowie für die rationierten Lebensmittel (Fleisch und Fleischwaren, Fette, Zucker und Zuckerwaren, Eier, Vollmilch und Kartoffeln).
Diese rationierten und im Preis gegenüber Westdeutschland wesentlich niedriger liegenden Waren machen in der DDR einen erheblichen %-Satz im Warenbereitstellungsplan aus. […]
5) Entwicklung der Lebenshaltungskosten einer 4-köpfigen Arbeiterfamilie
Der gesamte Lebenshaltungskostenindex, bezogen auf die Preise von 1936, liegt in der DDR über dem Index Westdeutschlands. Die Entwicklung in den einzelnen Warenhauptgruppen ist jedoch unterschiedlich. Die Ausgaben in der DDR für die Warengruppe „Ernährung“, „Genußmittel“, „Bekleidung und Reparaturen“ und „Hausrat“ liegen über den Ausgaben einer westdeutschen 4-köpfigen Arbeiterfamilie zum Ankauf der gleichen Warenmenge.
Für Ernährung liegen die Ausgaben (es werden für die DDR und Westdeutschland stets gleiche Warenmengen zugrunde gelegt) um 22,1% höher als in Westdeutschland, gegenüber dem Preisniveau von 1936; für Genußmittel um 16,7%; für Bekleidung und Reparaturen um 86,2 % und für Hausrat um 50,3%.
Umgekehrt ist es bei den Warenhauptgruppen und Leistungen „Wohnung“, „Heizung und Beleuchtung“, „Reinigungs- und Körperpflege“, „Bildung und Unterhaltung“ und „Verkehr“.
Bezogen auf die Preisbasis von 1936 sind in Westdeutschland die Preise für Wohnungen um 15,3% höher als in der DDR, für Heizung und Beleuchtung um 72%, Für Reinigung und Körperpflege um 7,6%, für Bildung und Unterhaltung um 28,1% und die Verkehrstarife um 2,8%.
Bei der Beurteilung des Lebenshaltungskostenindex ist zu beachten, daß die der Berechnung zugrunde liegenden Waren die z.T. erheblichen Qualitätsunterschiede unberücksichtigt lassen, die zwischen den Erzeugnissen der DDR und Westdeutschland bestehen.
6) Die Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben von Arbeiterhaushaltungen
Bestätigt wird die Entwicklung, die im Lebenshaltungskostenindex aufgezeigt wird durch die Untersuchung der Einnahmen u. Ausgaben von Arbeiterhaushaltungen in der DDR und Westdeutschland. Der Anteil der Ausgaben für Nahrungs- und Genußmittel an den Gesamteinnahmen beträgt in Westdeutschland 48,4% und in der DDR 51,5%. Bedeutend höher liegt in Westdeutschland der Anteil für Wohnungsmieten und für Bildung, Unterhaltung und Erholung. Durch den erhöhten Anteil in der DDR für Nahrungs- und Genußmittel an den Gesamtausgaben ist eine erhöhte Inanspruchnahme, ein Einkommen für Bildung, Unterhaltung und Erholung in der DDR nicht gegeben.
7) Die Entwicklung des Kostenvolumens
Die monatlichen Ausgaben zum Ankauf von Waren und Dienstleistungen einer 4-köpfigen Arbeiterfamilie - bei Zugrundelegung des Verbrauchs einer Familie in der DDR - liegen in der DDR um 23,-- höher als in Westdeutschland. Jedoch haben die Ausgaben in der DDR eine stark fallende Tendenz seit 1950, während in Westdeutschland eine steigende Tendenz besteht.
[…]
10. Die Entwicklung des Warenumsatzes und der Umsätze pro Kopf der Bevölkerung.
Gegenüber 1936 beträgt der Warenumsatz 1954 in der DDR 108% und in Westdeutschland 122% zu Preisen von 1936. Auch in den wichtigsten Warenhauptgruppen liegt der Umsatz in Westdeutschland höher.
Der Pro-Kopf-Umsatz aller Waren zu Preisen von 1936 beträgt in der DDR im Jahre 1954 584,-- DM und in Westdeutschland 600,-- DM.
Bei Nahrungs- und Genußmitteln lag der Pro-Kopf-Umsatz 1954 in der DDR über dem Westdeutschlands. Er betrug in der DDR 323,-- DM, in Westdeutschland 308,-- DM.
Nach Preisen der jeweiligen Jahre liegen die Umsätze in der DDR infolge des höheren Preisniveaus über den westdeutschen Umsätzen.
11. Die Entwicklung der Einfuhr (und „Einfuhr pro-Kopf“ der Bevölkerung) von Südfrüchten, Kaffe, Tee und Kakao
Die Pro-Kopf-Einfuhr von Südfrüchten ist in Westdeutschland ungefähr 6mal höher als in der DDR, von Kaffee 3- bis 4mal höher, von Kakao über 4mal höher, während die Pro-Kopf-Einfuhr von Tee im Jahre 1955 in der DDR höher liegt als in Westdeutschland.
12. Die Entwicklung der Produktion, Einfuhr und Ausfuhr von Motorrädern, Mopeds, Motorroller u. dgl. und von Fahrrädern.
War in den Jahren des 1. Fünfjahrplanes die Motorradproduktion in der DDR äußerst gering (1952 betrug die westdeutsche Produktion das 9-fache der Motorradproduktion der DDR), so erreichte in der DDR 1955 im Verhältnis zur Bevölkerungszahl die Motorradproduktion den Stand Westdeutschlands. Berücksichtigt man die Produktion, die Einfuhr und Ausfuhr von Motorrädern in der DDR und in Westdeutschland, so ist die im Verhältnis zur Bevölkerungszahl der im Jahre 1955 für die Bevölkerung bereitgestellten Motorräder in der DDR höher als in Westdeutschland.
Dagegen ist die bereitgestellte Anzahl von Motorrollern, Mopeds, Fahrrädern mit Hilfsmotor und ähnlichen Motorfahrrädern in Westdeutschland um ein vielfaches höher als in der DDR.
Ebenso wie bei den Motorrädern ist der relative Anteil der Produktion von Fahrrädern - auf die Bevölkerungszahl bezogen - in der DDR höher als in Westdeutschland. Während unter Berücksichtigung von Produktion, Ausfuhr und Einfuhr in der DDR rd. 600.000 Fahrräder 1955 auf den Markt kamen, waren es in Westdeutschland gleichfalls ungefähr 600.000.
Die auf die Bevölkerungszahl bezogene Versorgung der Bevölkerung mit Motorrädern und Fahrrädern hat also den Stand Westdeutschlands erreicht bzw. überschritten. Jedoch ist die Versorgung mit Motorrollern, Mopeds und Kleinkrafträdern in der DDR bei weitem niedriger als in Westdeutschland.
13. Die Entwicklung des Bestandes an zugelassenen Motorrädern
In Westdeutschland gibt es ungefähr 7mal mehr an zugelassenen Motorrädern als in der DDR. Bezogen auf die Bevölkerungszahl ist der Bestand an Motorrädern in Westdeutschland ungefähr 3mal so hoch wie in der DDR.
14. Entwicklung der Produktion von Rundfunk- und Fernsehempfangsgeräten.
Die Produktion von Rundfunkempfangsgeräten nimmt in Westdeutschland sowie in der DDR stetig zu. In Westdeutschland ist die Rundfunkproduktion - bezogen auf die Bevölkerungszahl - höher als in der DDR.
Die Produktion von Fernsehempfangsgeräten ist in Westdeutschland ungefähr 8mal höher als in der DDR.
15. Die Entwicklung der Zahl der Rundfunkgenehmigungen
Die Anzahl der Rundfunkgenehmigungen - bezogen auf die Bevölkerungszahl - ist in der DDR und in Westdeutschland annähernd gleich. Die Zahl der Rundfunkhörer nimmt in der DDR sowohl in Westdeutschland stetig zu.
16. Die Entwicklung der Produktion, der Einfuhr und Ausfuhr von Schuhen
Die Schuhproduktion - bezogen auf die Bevölkerungszahl - ist in der DDR ungefähr ebenso hoch wie in Westdeutschland. Der Import von Schuhen (es handelt sich hierbei um Lederschuhe) ist in der DDR ca. doppelt so groß wie in Westdeutschland.
17. Die Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben des Staatshaushalts
Die Haushaltseinnahmen pro Kopf der Bevölkerung stiegen in der DDR von 1.306,-- DM (100%) im Jahre 1951 auf 2.019,-- DM (154,6%) im Jahre 1955.
In Westdeutschland stiegen sie von 717,-- DM (100%) auf 1.013,-- DM (141%) in der gleichen Zeit.
Die Einnahmen in der DDR aus der volkseigenen Wirtschaft stiegen von 100% im Jahre 1951 auf 254% im Jahre 1955. Der Anteil an den Gesamteinnahmen stieg von 16,2% auf 35% in der gleichen Zeit.
Der Anteil der Steuern an den Gesamteinnahmen des westdeutschen Haushalts betrug 82,2% im Jahre 1951 und 71,7% im Jahre 1955.
Die Haushaltsausgaben pro-Kopf der Bevölkerung sind in der DDR ca. doppelt so hoch wie in Westdeutschland. Die Ausgaben in der DDR für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Sozialwesen sind nahezu 3mal höher.
Die Ausgaben pro-Kopf der Bevölkerung für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Sozialwesen sind in der DDR fast 1 1/2mal so hoch wie in Westdeutschland; die Ausgaben für Sozialwesen pro-Kopf der Bevölkerung über 3mal.
Für Rüstungszwecke sind in Westdeutschland 1953 27,1% der Gesamtausgaben - 242,72 Westmark pro Kopf - ausgegeben worden. In der DDR werden dagegen im Jahr 1956 höchstens 3% der Gesamtausgaben - 54,67 DM pro Kopf der Bevölkerung - für den Aufbau der Volksarmee verwandt, aber 33% für kulturelle und soziale Zwecke.
So betrug die Zahl der Schüler je Klasse in allgemeinbildenden Schulen 1953 in der DDR 28,9 Schüler, in Westdeutschland 37,5. Auf eine hauptamtliche Lehrkraft entfielen in der DDR 27,8 Schüler, dagegen in Westdeutschland 35,6 Schüler im Jahre 1953.
Im Jahre 1954 gab es auf 10.000 Einwohner in der DDR 32 Studierende, in Westdeutschland 25.
Die Anzahl der Krankenbetten auf 10.000 Einwohner steigt in der DDR von Jahr zu Jahr und fällt dagegen in Westdeutschland. Im Jahre 1953 gab es 109 Betten in der DDR und 105 Betten in Westdeutschland.
18. Entwicklung der Ausgaben für den Wohnungsbau
In der DDR wurden für den Wohnungsbau jährlich immer mehr Mittel aufgewendet, ebenso in Westdeutschland, 1950 betrugen in der DDR die Ausgaben für den Wohnungsbau 0,29 Mrd., in Westdeutschland 3,8 Mrd; 1954 betrugen die Ausgaben 0,99 Mrd. in der DDR und 9 Mrd., also das 9-fache in Westdeutschland, einschl. Bauten für die Besatzungsmacht. Pro Kopf der Bevölkerung entfielen für den Wohnungsbau in der DDR 1954 55 DM und in Westdeutschland 181 DM. Mit den aufgewandten Mitteln wurden im Jahre 1954 in der DDR pro 1.000 Einwohner 1,9 Wohnungen wieder hergestellt bzw. neu gebaut, dagegen in Westdeutschland 11 Wohnungen. Zu bemerken ist, daß die Ausgaben pro Kopf der Bevölkerung für den Wohnungsbau 1954 in Westdeutschland ungefähr 3 ½ mal höher sind als in der DDR und der neugeschaffene Wohnraum dagegen ungefähr 6mal größer ist.
19. Die Entwicklung des Sozial- und Gesundheitswesens
Die Invaliden- bzw. Witwenrenten sind in der DDR höher als in Westdeutschland (1953). Die Wohnungen sind in der DDR nicht so stark belegt wie in Westdeutschland. In Westdeutschland entfallen 4,4 Personen, in der DDR 3,6 Personen (1953) auf eine Wohnung. Auf einen Arzt entfallen in der DDR 1953 nahezu doppelt so viel Einwohner wie in Westdeutschland; auf einen Facharzt ungefähr 1 1/2mal so viel. Dagegen ist die Anzahl des mittleren medizinischen Personals auf 10.000 Einwohner in der DDR und in Westdeutschland nahezu gleich.
20. Spareinlagen der Bevölkerung
Die Spareinlagen in der DDR in den einzelnen Jahren nehmen zu. Von 2.014 Mio DM im Jahre 1952 erreichten sie 4.918,5 Mio DM im Jahre 1955. In Westdeutschland stiegen sie in der gleichen Zeit von 7.076,5 Mio DM auf 20.127,3 Mio. DM. Die Spareinlagen pro Kopf der Bevölkerung betragen in der DDR 276,-- DM und in Westdeutschland 401,-- WM.
[…]
Quelle: BArch, DE 1/11791, Bl. 3-49; abgedruckt in Dierk Hoffmann und Michael Schwartz, Hrsg., Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945, Bd. 8: 1949–1961: Deutsche Demokratische Republik. Im Zeichen des Aufbaus des Sozialismus. Baden-Baden: Nomos, 2004, Nr. 8/162.