Kurzbeschreibung

Im Rückblick auf ein halbes Jahrhundert der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und dem Staat Israel beschreibt eine Journalistin den langen und schwierigen Weg zur Versöhnung zwischen Deutschen und Juden nach dem Holocaust.

50 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen Israel und Deutschland (2015)

Quelle

Der lange Weg zur Aussöhnung: 50 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen Israel und Deutschland

Im Jahr 1965 kam es offiziell zur Aufnahme der deutsch-israelischen Beziehungen. Diese haben mittlerweile einen langen Weg hinter sich. Wer am Tag der Deutschen Einheit zum Empfang des deutschen Botschafters in Israel kommt, findet heute kaum Platz. Vielen Führungskräften hier gilt Deutschland heute politisch und wirtschaftlich, wissenschaftlich und technologisch als zweitwichtigster Partner nach den USA. Es gibt mittlerweile auch über 100 Städte-und Kreispartnerschaften sowie sehr enge kulturelle und gesellschaftliche Verbindungen. 2015 gehörte Deutschland neben Italien zu den beliebtesten Urlaubszielen. In Berlin leben mittlerweile über 20.000 Israelis. Die deutsche Hauptstadt ist Teil der israelischen Diaspora geworden. Niemand hätte diese Entwicklung nach der Staatsgründung 1948 für möglich gehalten, als in der Knesset beschlossen wurde, jedem Deutschen die Einreise nach Israel und jedem Israeli die Reise nach Deutschland zu verbieten. In den neuen Pässen, auf die jeder Bürger des jungen Staates stolz war, stand bis 1956 der Vermerk: „Gilt für alle Länder der Welt mit Ausnahme Deutschlands“. Mit dem Land, das für den Holocaust verantwortlich war, wollte man nie wieder etwas zu tun haben.

Der Wiedergutmachungsvertrag

Doch nationale israelische Interessen, eine deutsche Moral- und Realpolitik vor dem Hintergrund weltpolitischer Entwicklungen sowie eine Reihe bilateraler Verträge führten schließlich doch zur Annäherung. Grundstein war das im September 1952 in Luxemburg vom israelischen Ministerpräsidenten David Ben Gurion und deutschen Kanzler Konrad Adenauer (CDU) unterzeichnete „Wiedergutmachungsabkommen“. Beide Regierungschefs hatten sich gegen massive Widerstände im jeweiligen Kabinett, Parlament und bei der Bevölkerung durchgesetzt. Die Deutschen, die noch nichts vom bevorstehenden Wirtschaftswunder ahnten, sahen ihr Land in Trümmern liegen und wollten alles andere als an ihre Verbrechen erinnert werden und die Israelis wollten kein Geld als Entschädigung für den millionenfachen Mord an ihren Verwandten annehmen. Auch nicht für ihre erlittenen physischen oder seelischen Wunden. Hinzu kam das irreführende deutsche Wort „Wiedergutmachung“– als ob die Ermordeten wieder zum Leben erweckt hätten werden können.

Da die „Wiedergutmachung“ aber vor allem in Sachwerten eintraf, bahnten sich – trotz aller Widerstände – auch zwischen den Menschen die ersten Nachkriegsbeziehungen an. Die Israelis trafen notgedrungen mit den angereisten deutschen Fachleuten zusammen, die sie mit Kfz-Teilen, Lokomotiven und Schiffen vertraut machen sollten. Auch gab es unter den Jeckes, also jenen aus Deutschland stammenden Juden, die sprachlich und kulturell ihrer einstigen Heimat verbunden geblieben waren, so manche, die sich bereitwillig auf einen Dialog mit diesen Besuchern einließen. Sie gelten als die eigentlichen Brückenbauer der deutsch-israelischen Beziehungen. Es waren auch ehemalige deutsche und österreichische Staatsbürger, die nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen 1965 als erste israelische Botschafter nach Bonn gingen. Deutschland ist im übrigen bis heute der einzige Posten, den ein israelischer Diplomat ablehnen darf.

Doch nicht nur die Nazi-Vergangenheit sei damals für die Mehrheit der israelischen Bevölkerung die größte Hemmschwelle für Kontakte mit den Deutschen gewesen, sagt der ehemalige israelische Botschafter Avi Primor, sondern ihr Umgang mit ihr in der Gegenwart. „Die Deutschen verschleierten ihre Identität, wollten sich nicht mit der Vergangenheit auseinandersetzen. Mit Heuchlern, die vorgaben, nichts gewusst zu haben, wollte man keinen Dialog führen.“

Heute tut jeder deutsche Politiker seine Scham über den Massenmord kund, wenn er Israel besucht. Die Verantwortung für die Shoah sei „Teil der deutschen Identität“ – wie es Bundespräsident Horst Köhler 2005 während seines Israel-Besuchs formulierte. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wiederum sprach am 18. März 2008 in ihrer historischen Rede – auf Deutsch – vor der Knesset von der „besonderen historischen Verantwortung“ Deutschlands für die Sicherheit Israels, die „niemals verhandelbar“ und „Teil der Staatsräson“ ihres Landes geworden sei. Im Juni diesen Jahren hatte man das Bundestagspräsidium mit militärischen Ehren vor der Jerusalemer Knesset begrüßt. Als Norbert Lammert (CDU) dann im Plenum seine Rede hielt, ebenfalls auf Deutsch und umrahmt von Sätzen auf Hebräisch, saßen Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und Staatspräsident Reuven Rivlin im Plenum. Für seine biblischen Sprachbemühungen erntete er sogar Applaus. Gemeinsam mit seinem israelischen Amtskollegen unterschrieb Lammert eine Vereinbarung über ein parlamentarisches Forum, auf dem sich die Abgeordneten beider Staaten jedes Jahr über aktuelle Themen austauschen sollen.

Israels Staatspräsident Shimon Peres hatte am 27.Januar 2010 eine Rede im Bundestag gehalten. Er sprach das Kaddisch-Gebet für die Opfer der Shoah und erinnerte dabei auch an seinen ermordeten Großvater in Polen, den er zuletzt als elfjähriger Junge gesehen hatte. Peres betonte aber zugleich auch, dass er nun vor „Führungspersönlichkeiten und Vertretern eines anderen demokratischen Deutschlands“ stehe.

Je mehr Zeit verstreicht, desto wichtiger wird in Israel die Erinnerung an den Holocaust. So nimmt der alljährliche Holocaust-Gedenktag seit den frühen 1990er Jahren eine zentrale Stelle im Bewusstsein jüngerer Israelis ein – egal welcher Herkunft. Auch orientalische Juden identifizieren sich mit der Verfolgungsgeschichte der europäischen Juden. Aber das gewachsene Interesse junger Menschen am Holocaust geht nicht mit einer stärkeren Ablehnung Deutschlands einher. Anders als noch viele Israelis der älteren Generationen kaufen sie, ohne zu zögern, deutsche Waren, begeistern sich für deutschen Fußball und deutsche Musik.

Schon vor zehn Jahren gehörten „Tokio Hotel“ und „Rammstein“ auf einmal zu den Lieblingsbands. In der deutsch-israelischen DJ-Szene werden per Internetübertragung gemeinsame Partys gefeiert, Gastauftritte deutscher DJs in Israel und israelischer in Deutschland gehören dazu. In den Kinos wurden in den vergangenen Jahren viele deutsche Filme gezeigt, und zwar nicht etwa im Nischenprogramm. Hans Falladas Roman „Jeder stirbt für sich allein“ kam 2011 in hebräischer Übersetzung unter dem Titel „Allein in Berlin“ auf die Bestsellerliste und hielt sich dort ungewöhnlich lange.

Die Helden des Buchs sind Gegner der Nazis. So interessieren sich Israelis heute zunehmend für die Einstellung der Deutschen im Dritten Reich, auch jenseits des jüdischen Themas. Dabei spiele die Neugier eine Rolle, verstehen zu wollen, was auf der anderen Seite passiert sei, ebenso wie eine Tendenz, die im übrigen auch für andere Länder gelte, ein Gegengewicht zu den Tätern zu finden, glaubt der Historiker Moshe Zimmermann. „Solche Figuren machen es möglich, mit den Deutschen ein normales Verhältnis zu haben und ins Gespräch zu kommen.“ Seit diesem November wird nun erstmals die deutsche Wanderausstellung „Weiße Rose“ in Israel gezeigt.

Vier Flugstunden beträgt die Entfernung zwischen Israel und Deutschland. Das kann wenig sein, wenn junge Menschen überrascht feststellen, wie ähnlich sie sich im Lebensstil und in ihren Geschmäckern sind. Aber auch eine riesige Distanz, wenn es um die Lehren aus eben jener Vergangenheit geht, die für beide Seiten so identitätsstiftend sind: Denn wo die Deutschen mit Blick auf Auschwitz ein universales „Nie wieder“ rufen, heißt es bei den Israelis partikularistisch: „Das soll nie wieder UNS passieren.“

Selbstbetrachtung

Eine weitere Ungleichzeitigkeit, die das deutsch-israelische Verhältnis mittlerweile prägt, hat mit der generellen Entwicklung beider Länder im Hinblick auf die Selbstbetrachtung zu tun. Israelis haben lange den Schild einer „überaus selbstbewussten nationalen Selbstpräsentation“ (der israelische Schriftsteller Dan Bar-On) benutzt, die jetzt eine kritische und schmerzhafte Phase der Neubewertung durchläuft. Deutschland hingegen kann sein Wiedererstarken als wichtigste wirtschaftliche und politische Macht Europas feiern, nachdem es eine lange Periode internationaler und interner Kritik durchlaufen hat.

Verändert hat sich auch die Jugend. Der Austausch war einst Wegbereiter für die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen. Adenauer hatte das deutsch-französische Jugendwerk als Modell im Auge. Bis heute melden sich junge Deutsche zum Freiwilligendienst bei Aktion Sühnezeichen, der auch als Ersatzdienst für die Wehrpflicht anerkannt wurde – solange es diese noch gab. Insgesamt aber ist es heute schwieriger geworden, deutsche Teilnehmer für den organisierten Jugendaustausch zu gewinnen. Grund dafür sind veränderte Lebensverhältnisse, andere Interessen. Hinzu kommt die multiethnische Zusammensetzung der deutschen Gesellschaft: Jugendliche mit Migrationshintergrund sind am Holocaust und einer Israel-Reise weniger interessiert. Dafür gibt es jetzt Programme für israelische Freiwillige, die sich in Deutschland engagieren wollen.

Quelle: Gisela Dachs, „Der lange Weg zur Aussöhnung: 50 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen Israel und Deutschland“, Das Parlament, Nr. 50–51, 7. Dezember 2015. Online verfügbar unter: https://www.das-parlament.de/2015/50_51/im_blickpunkt/-/398520