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Ausstellung DHM: Deutscher Kolonialismus Kontinente in Ketten
Krieg und Kokosnüsse: Das Deutsche Historische Museum in Berlin zeigt die bislang größte Ausstellung zur Kolonialgeschichte.
Ein Offizier mit überlängtem Körperbau präsentiert stolz Orden und Troddeln auf seiner Brust. Er stützt sich auf einen Säbel, als wäre das sein drittes Bein. Daneben reitet ein Kamerad, der einen fast genauso pompösen Helm trägt, auf einem viel zu kleinen Pferd. Wohin wohl, in eine Schlacht gegen Windmühlen? Selbstzufrieden hat ein Missionar, der an ein schwarz bemaltes Räuchermännchen erinnert, die Hände über seinem Bauch gefaltet. So haben afrikanische Künstler vor hundert Jahren die Europäer gesehen, die gekommen waren, um dem Kontinent die Zivilisation zu bringen: als Mischung aus Karikatur und Herrenreitern.
Die kleine Sammlung von Holzskulpturen steht am Beginn der Ausstellung „Deutscher Kolonialismus“ im Deutschen Historischen Museum (DHM). Schon mehrfach hat sich das Haus mit den ehemaligen deutschen Kolonien beschäftigt, mit Tsingtao, Deutsch-Südwestafrika oder Samoa. Aber noch nie so umfassend. Das Unternehmen, das rund 500 Exponate auf 1000 Quadratmetern versammelt, ist nicht nur die bislang größte Ausstellung zum Thema, sondern auch eine geschichtspolitische Setzung. Kolonien besaß Deutschland nur von 1884 bis 1918, sie galten bis vor Kurzem als Fußnote der Nationalgeschichte.
Aber jetzt kehrt die Kolonialgeschichte mit Macht zurück. Selbst der neueste „Tarzan“-Film verweist auf die Berliner Konferenz von 1884/85, bei der die Ausbeutung des Kongo beschlossen worden war. Afrikanische Aktivisten verlangen Entschädigung, Afrodeutsche fordern die Umbenennung von Straßen, bis hin zur Mohrenstraße in Berlin. Seitdem beschlossen wurde, dass schräg gegenüber vom DHM im Humboldt-Forum Kunst außereuropäischer Kulturen gezeigt werden soll, hat eine Diskussion darüber begonnen, wem die nach Europa geschafften Artefakte gehören und wie man sie angemessen präsentieren kann.
War die Vernichtung der Herero ein Völkermord?
Deutschland wollte sich mit seinen Kolonien einen „Platz an der Sonne“ (Kaiser Wilhelm II.) sichern, inzwischen ist daraus eine zweite Geschichte geworden, die nicht vergehen will. Selbst in der Tagespolitik. Nach der Armenien-Resolution des Bundestages hatte der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan verlangt, die Deutschen sollten Rechenschaft über die Verbrechen an den Herero ablegen. Beim Aufstand des Hirtenvolkes in Südwestafrika waren 1904 bis zu 100 000 Menschen ums Leben gekommen. Die Bundesregierung weigert sich bis heute, von einem Völkermord zu sprechen. Doch die Ausstellung, die von Heike Hartmann und Sebastian Gottschalk gemeinsam mit den Gastkuratoren Memory Biwa und Flower Manase Msuya aus Namibia gestaltet wurde, zeigt, dass es genau das war: ein Genozid.
Auf den Postkarten, die Kolonialsoldaten nach Deutschland schickten, wirkt der Feldzug gegen die Herero wie ein pittoreskes Abenteuer. Truppeneinschiffung, ein Fahnenappell in Lüderitzbucht, eine von Hereros besetzte Kirche „nach der Befreiung“. Ein Bild zeigt einen im lässigen Kontrapost dastehenden Afrikaner mit Militärmütze, die Unterzeile lautet: „Samuel Maharero, der feige Oberhäuptling der Hereros“. Nachdem sein Volk in der Schlacht am Waterberg vernichtend geschlagen worden war, gelang dem Rebellen die Flucht ins heutige Botswana. Das deutsche Militär sah die Afrikaner als nicht ebenbürtigen Gegner an, eine wilhelminische Militärdoktrin erklärte die gesamte kolonisierte Bevölkerung zum Feind. Wie der Krieg wirklich aussah, ist auf dem berühmt gewordenen Foto von gefangenen Hereros zu sehen, auf dem zu Skeletten abgemagerte Leidensgestalten in Ketten gelegt sind.
Erstmal ging es um Profite
Der Zeitstrahl der Ausstellung beginnt mit einer „Mohrenmaske“, die Soldaten Kaiser Karls V. um 1555 bei einem Turnier trugen, und einer Zeichnung der brandenburgisch-preußischen Kolonie Groß Friedrichsburg im heutigen Ghana. Zwischen 10 000 und 30 000 Sklaven verkauften die Preußen von dort aus nach Amerika, als der wirtschaftliche Erfolg nachließ, gaben sie ihren Stützpunkt an die Niederländische Westindien-Kompanie ab. Die Küstenfestung geriet im Zweiten Kaiserreich zur Adresse nostalgischer Verklärung, mit Parolen wie „Unsere Zukunft liegt auf dem Wasser“. Erst einmal ging es aber um Profite. Das auspresserische Konzept des Kolonialismus veranschaulicht eine Installation, bei der der Schreibtisch von Heinrich Schnee, dem Gouverneur von Deutsch-Ostafrika, in Schieflage geraten ist. Darunter sind Stoßzähne, Holzskulpturen, Dolche, Säbel und ein Elefantenfuß als Papiereimer nach vorn gerutscht.
Unter einer ausgeblichenen, ausgebesserten Reichsflagge, die an einem Bambusspeer hängt, steht ein Maschinengewehr der Marke Maxim. Es wirkt wie eine Reminiszenz an das Maschinengewehr, mit dem das DHM vor zwei Jahren seine Ausstellung zum Ersten Weltkrieg eröffnet hatte. Auf dem Schlachtfeld von Verdun fungierte die Waffe als Maschine des Massenmordes, in Afrika diente sie vor allem der Machtdemonstration. Hermann von Wissmann, Reichskommissar und später Gouverneur von Deutsch-Ostafrika, ließ vor versammelten Einheimischen gerne ein Maschinengewehr aufbauen, dessen Salven dann Bäume zerlegten. Angst als Herrschaftsinstrument. Denn genügend Soldaten, um die Bevölkerung auf Dauer in Schach zu halten, hatten die Deutschen nicht, von einer funktionierenden Verwaltung zu schweigen.
Der deutsche Kolonialismus erstreckte sich über vier Kontinente
Mit pointierten Arrangements stellen die Kuratoren Beziehungen zwischen den Objekten her. Eine wüstengelbe Uniform mit Kappe und schweren Lederschuhen wurde einmal von einem Askari getragen. Askaris, das waren die ab 1884 in Ostafrika, Sudan und Ägypten angeworbenen afrikanischen Hilfstruppen der Besatzungsmacht. Mit seinem Bestseller „Heia Safari!“ begründete der Schutztruppen-Kommandeur Paul von Lettow-Vorbeck, der erst 1918 die Waffen niedergelegt hatte, den Mythos von der „Askaritreue“. „Wie oft sind wir geschritten / auf schmalem Negerpfad / Wie lauschten wir dem Klange, / dem altvertrauten Sange/ der Träger und Askari: Heia, heia, Safari“, sang die Bündische Jugend in der Zwischenkriegszeit.
Lettow-Vorbecks Buch steht in einem Bücherschrank neben dem Traktat „Deutsche Kolonien, eine Lebensnotwendigkeit“ von 1937. Die Geschichte des deutschen Kolonialismus erstreckt sich über vier Kontinente, das Nachleben ragt in die Gegenwart. Deshalb ist die enzyklopädische Ausstellung in viele Unterabteilungen gegliedert, die manchmal ihr Thema nur anreißen können. Sklaven-Freikäufe durch evangelische Missionare, ein gescheitertes Baumwollprojekt in Togo, die schändliche Praxis der „Völkerschauen“, bei der etwa „unsere neuen Landsleute“ aus Samoa wie Tiere vorgeführt wurden. Sehnsuchtsziel war die Südsee, wo der Schriftsteller August Engelhardt, bekannt aus Christian Krachts Roman „Imperium“, 1902 eine Kokosplantage erwarb und fortan den „Kokovorismus“ predigte, eine Ernährung ausschließlich aus Sonnenlicht und Kokosnüssen. Der Lebensreformer versprach eine „sorgenfreie Zukunft“, aber bald schon starb der erste Anhänger an Entkräftung.
Die Ausstellung endet mit den Fragmenten eines Bronzedenkmals, das einst Gouverneur Hermann von Wissmann in Daressalam ehrte. Jetzt liegt er grünspanig am Boden. Preußische Herrenmenschen, gefallene Helden.
Quelle: Christian Schröder, Ausstellung DHM: Deutscher Kolonialismus Kontinente in Ketten, Der Tagesspiegel, 16. Oktober 2016.
Online verfügbar unter: https://www.tagesspiegel.de/kultur/ausstellung-dhm-deutscher-kolonialismus-kontinente-in-ketten/14692744.html