Kurzbeschreibung

Um die Spannungen zwischen muslimischen Verbänden und der Bundesregierung abzubauen berief Innenminister Thomas de Maizière eine zweite deutsche Islamkonferenz ein. Bei deren Eröffnung forderte er aktive Integrationsmaßnahmen, um die Teilhabe der Muslime an der deutschen Gesellschaft zu fördern.

Innenminister Thomas de Maizière fordert eine Verbesserung der Teilnahme von Muslimen an der deutschen Gesellschaft (17. Mai 2010)

  • Thomas de Maizière

Quelle

„Teilhabe der Muslime in Deutschland verbessern!“: Rede von Bundesminister Dr. Thomas de Maizière, MdB, im Plenum der Deutschen Islam Konferenz am 17. Mai 2010, in Berlin

Deutschland ist religiös vielfältiger geworden. Fast fünf Prozent der deutschen Bevölkerung sind muslimisch. Die Hälfte der in Deutschland lebenden Muslime – wir sprechen hier von zwei Millionen Menschen – sind bereits deutsche Staatsbürger. Muslime sind in Deutschland heimisch geworden. Unser Land ist ihnen eine Heimat.

Mein Vorgänger hat angesichts dieser Tatsache den Satz geprägt: „Der Islam ist ein Teil Deutschlands“. Diese Zustandsbeschreibung war genauso richtig wie überfällig.

Wo möchten wir aber hin? Was möchten wir erreichen?

Was heißt eigentlich „ein Teil Deutschlands“? Im Wort „Teil“ steckt zum einen – das zeigen Wörter wie Anteilnehmen oder Teilhabe – die Zugehörigkeit zu einem größeren Ganzen. Ebenso steckt darin jedoch auch das Gegenteil: die Teilung, die Abtrennung, das Parallele. In diesen Ambivalenzen steckt unsere Arbeit.

Zugehörigkeit stärken – das ist unser Ziel. Stärkere Teilhabe von Muslimen als Bürger unseres Landes – das wollen wir nun gemeinsam erreichen.

Teilhabe heißt auch: Verantwortung zu übernehmen. Gestalten wir die Gegenwart und die Zukunft also zusammen – in gemeinsamer Verantwortung für die Gesellschaft, in der wir leben und in der auch unsere Kinder gemeinsam leben werden.

Gerade in Zeiten wirtschaftlicher Krisen und sozialer Umbrüche zeigt sich: Religionen geben den Menschen Halt. Sie bilden für viele Menschen die Grundlage für ein wertegebundenes Leben in gemeinschaftlichen Bezügen. Religion hält besser.

Sie bilden die Grundlage für ein Leben, das sich an Maßstäben orientiert, die eben nicht den materiellen Profit absolut setzen. Religionen schaffen Bindungen und Zusammenhalt – auch in modernen, säkularen Gesellschaften.

Religiöse Vielfalt stellt aber auch eine Herausforderung für den Zusammenhalt einer Gesellschaft dar. Ab- und Ausgrenzungen nach außen können Konflikte auslösen.

Zusammenhalt fördern heißt für mich – über religiöse oder kulturelle Grenzen hinweg – zu diskutieren, gemeinsam nach Lösungen zu suchen, Bindungen zu festigen und damit die gemeinsame Verantwortung für unser Land zu stärken.

Den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland zu fördern, heißt jedoch keinesfalls, alles gleich zu machen, jeden Unterschied einzuebnen. Das Ziel der Deutschen Islam Konferenz ist nicht die Assimilation. Unser Ziel ist es, aus Andersartigkeit kein Problem entstehen zu lassen.

Ziel ist, die Integration der Muslime in Deutschland durch Teilhabe zu fördern. Die Deutsche Islam Konferenz gibt hierzu dem Dialog zwischen Staat und Muslimen in Deutschland einen institutionalisierten gesamtstaatlichen Rahmen.

Integration im Zusammenhang mit der Islamkonferenz verstehe ich in einem weiten Sinne:

● Sie umfasst zum einen die Teilhabe der Muslime und ihrer Organisationen an Formen der Kooperation, die sich aus dem deutschen Religionsverfassungsrecht ergeben. Das umfasst zum Beispiel die Einführung islamischer Theologie oder islamischen Religionsunterrichts – auch vor dem Hintergrund der institutionellen Anerkennung als Religionsgemeinschaft. Ich nenne das die institutionelle oder strukturelle Integration des Islams.

● Integration umfasst zum anderen aber auch die Vertiefung des gemeinsamen – auf unserem Grundgesetz basierenden – Wertekonsenses: Das gemeinsame Vorgehen gegen Extremismen, Radikalisierung und gesellschaftlicher Polarisierung ist dabei von entscheidender Bedeutung. Ebenso dürfen Zwangsverheiratungen in unserem Land nicht toleriert werden. Diese gesellschaftliche Integration ist aus meiner Sicht von wesentlicher Bedeutung, damit auch die strukturelle Integration erfolgreich gelingt und auch von den Menschen in unserem Land mitgetragen wird. Meine Erwartung an unsere muslimischen Partner in der Islamkonferenz ist, dass sie sich auch in diese Fragen aktiv einbringen.

Es gibt hier jedoch keine Reihenfolge im Sinne von: „wir kümmern uns erst um die institutionelle und dann um die gesellschaftliche Integration“. Das würde ich auch für falsch halten. Wir müssen beide Prozesse gleichzeitig betreiben.

Teilhabe heißt auch, Verantwortung zu übernehmen – auch Verantwortung beim Schutz der Werteordnung unserer Verfassung gegen Extremismen, die sie beseitigen wollen. Einen besonders wichtigen Beitrag können die Muslime in Deutschland dabei in der Auseinandersetzung mit dem Extremismus leisten, der sich für seine verfassungsfeindlichen Ziele auf den Islam beruft – dem sogenannten Islamismus. Ich sage „sogenannt“, weil es eine Debatte über Begriffe gibt und manche lieber von Fundamentalismus oder Extremismus sprechen möchten. Vielleicht wäre es daher eine gute Idee, diese unterschiedlichen Auffassungen in einer Art Glossar zusammenzutragen, um die dahinter liegenden Sichtweisen zu verdeutlichen.

Bei der Zurückweisung islamistischer Zerrbilder haben Muslime eine besondere Überzeugungskraft, in ihrem persönlichen Umfeld ebenso wie in der öffentlichen Diskussion. Sie sind daher auch in besonderer Weise gefordert.

Dies ist eine berechtigte Erwartung der Gesellschaft, aber auch an die Gesellschaft, und auch ich fordere solches Engagement ein. Dies betrifft nicht erst die Ablehnung terroristischer Gewalt, sondern bereits die extremistische Ideologie samt ihrer Feindbilder. Eine solche öffentlich sichtbare und engagierte Auseinandersetzung und klare Abgrenzung zum Islamismus ist aus meiner Sicht die notwendige Grundlage einer besseren Akzeptanz des Islam in der Mehrheitsgesellschaft. Verantwortung zu übernehmen für unsere Werteordnung ist der beste Integrationsbeitrag.

In der ersten Phase der Islamkonferenz wurden die Grundlagen für unseren Dialog gelegt. Jetzt wollen wir die Islamkonferenz praktischer machen und raus auf die Straße, in die Schulen, in die Moscheen und an die Küchentische.

Wir wollen uns zu Anfang bewusst machen, was die Islamkonferenz ist und was sie konkret leisten kann:

● Die Islamkonferenz ist zuerst einmal keine Vertretung der Muslime in Deutschland.

● Sie ist ebenfalls kein „Religionsseminar“, das über religiöse Inhalte entscheiden könnte.

Die Islamkonferenz ist eine Dialogplattform:

● Sie ist ein Forum, in dem Staat und Muslime miteinander im Gespräch sind.

● Sie kann demnach keine allgemein verbindlichen Beschlüsse fassen.

● Sie kann allerdings durch Erfahrungsaustausch, Begriffsklärungen und Empfehlungen den Prozess der Integration unterstützen.

Die Umsetzung von Ergebnissen und Empfehlungen kann jedoch in den wenigsten Fällen durch die Islamkonferenz selbst erfolgen.

Der Erfolg der Islamkonferenz liegt in der Hand der Verantwortung der einzelnen Mitglieder der Islamkonferenz: Bundesministerien, Landesfachministerkonferenzen, Kommunen, Verbände der Muslime und Einzelpersonen, aber auch in der Verantwortung weiterer Akteure, insbesondere auch der Zivilgesellschaft als Ganzes.

Mein Ziel ist, dass die Ergebnisse unserer Beratungen breite Berücksichtigung finden und dass sie Anstoß liefern für zahlreiche Projekte, Maßnahmen und Initiativen.

Nur dann wird die Islamkonferenz eine wesentliche praktische Wirkung entfalten. Wir sind (jedenfalls nach dem Kalender) mitten im Frühling. Daher sehe ich die Islamkonferenz – etwas bildhaft gesprochen – als einen Baum, der sich in viele Äste aufteilt, an denen wiederum zahlreiche Knospen treiben.

Bevor ich jetzt die Aussprache eröffne, erlauben Sie mir einige generelle Anmerkungen wie auch Vorschläge zum konkreten Vorgehen.

Das Arbeitsprogramm wurde im Vorbereitungsausschuss gemeinsam erarbeitet. Dadurch ist ein ausgewogenes Arbeitsprogramm entstanden, das Anregungen – und zwar ebenso Anliegen der muslimischen wie der staatlichen Seite – in großem Umfang berücksichtigt. Das gemeinsame Erarbeiten eines Arbeitsprogramms war neu. Wenn ich heute das Ergebnis betrachte, hat sich die Arbeit gelohnt:

Wir greifen in dem Arbeitsprogramm zentrale Fragen des Miteinanders zwischen

Mehrheitsgesellschaft und Muslimen in Deutschland auf. Es umreißt die grundsätzliche Zielsetzung, verbunden mit ersten Themenvorschlägen, aus denen sich konkrete Arbeitsaufträge ableiten lassen. Die heutige Aussprache möchte ich gerne dazu nutzen, um zu erörtern, welche Projekte sich konkret hieraus ableiten lassen und mit welchen wir die Arbeit beginnen können.

Themenschwerpunkt I: „Institutionalisierte Kooperation und integrationsbezogene Projektarbeit fördern“

● Bei unserem ersten Themenschwerpunkt denke ich an die Erarbeitung eines Modellkonzepts für landes- und gesellschaftskundliche Fortbildung von Imamen. Dieses Modellkonzept könnte dann auch mithilfe der Mitglieder der Islamkonferenz in die Fläche gebracht werden.

● Was den islamischen Religionsunterricht betrifft, messe ich dem Austausch zwischen den Ländern zu bestehenden Modellversuchen große Bedeutung zu. Interessant ist auch, ob sich hieraus möglicherweise ein bundesweites Modell entwickeln kann und ob die Islamkonferenz hierzu beitragen kann.

● Ähnliches gilt für die Empfehlungen des Wissenschaftsrates zur Einrichtung islamisch-

theologischer Angebote an Universitäten.

Themenschwerpunkt II: „Förderung von Geschlechtergerechtigkeit“

● Es ist mir wichtig, Musliminnen noch stärker zur gesellschaftlichen Teilhabe zu ermutigen und zu fördern.

● Wir sollten vorgelebte und weitergegebene Geschlechterrollen – nicht nur in muslimisch geprägten Milieus – näher in den Blick nehmen. Ich denke an die Durchführung einer Studie, die die jeweiligen Rechte und Handlungsfreiräume von Männern und Frauen unter Berücksichtigung der Rolle der Religion im Vergleich zu sonstigen milieuspezifischen Einflussfaktoren untersucht.

● Schon jetzt erscheint es mir auch wichtig, dass wir das Thema Zwangsverheiratung an die Öffentlichkeit holen. In Klassenzimmern, Moscheen und an Küchentischen muss deutlich gemacht werden, dass Zwangsehen nicht akzeptabel sind.

● Ergänzend merke ich an: Wie Sie sicher wissen, bin ich auch „Sportminister“ und weiß daher, dass es bereits heute ein breites Sportangebot gibt, das sich gerade auch an Musliminnen richtet. Die DIK kann dazu beitragen, das Wissen um diese Angebote noch weiter in die Fläche zu tragen.

Themenschwerpunkt III: „Prävention von Extremismus, Radikalisierung und

gesellschaftlicher Polarisierung“

● Hier erscheint es mir wichtig – wie bereits erwähnt – zunächst die Grenzziehung zwischen „Islam“ als Religion und „Islamismus/ Fundamentalismus/ Extremismus“ deutlich herauszuarbeiten. Hierbei möchten wir Hilfestellung leisten.

● Diese Abgrenzung der Muslime selbst ist weiterhin wesentlich – insbesondere auch, um die Akzeptanz des Islams als Religion in der Mehrheitsgesellschaft zu stärken. Zugleich möchten wir die Toleranz gegenüber Muslimen in unserer Gesellschaft fördern.

● Daneben wird zu untersuchen sein, wie wir konkret praktische präventive Ansätze gegen Radikalisierung und Antisemitismus unter Muslimen verbessern können.

● Befassen wollen wir uns auch ganz offensiv mit fremdenfeindlichen Verhaltensmustern gegenüber Muslimen.

Noch eine letzte Anmerkung zu unserer Arbeitsweise. Ich schlage vor, dass sich der

Vorbereitungsausschuss bald trifft und eine Liste sowie einen Fahrplan für konkrete Projekte und deren Umsetzung erarbeitet. Ob dazu dann eigens Projektgruppen eingerichtet oder Studien in Auftrag gegeben werden, sollte der Vorbereitungsausschuss entscheiden. Der Vorbereitungsausschuss sollte auch darüber entscheiden, ob – dauerhaft oder projektbezogen – externe Experten einbezogen werden sollen.

Mein Ziel ist, dass die Islamkonferenz Anstöße liefert für zahlreiche Projekte, Maßnahmen und Initiativen. Deshalb werde ich übrigens auch einen Preis für vorbildliche islambezogene Integrationsprojekte unter dem Motto: „Zukunft gemeinsam gestalten“ ausloben.

Ich freue mich auf eine gute Zusammenarbeit mit Ihnen. Die konkreten Maßnahmen, die aus meiner Sicht aus dem Arbeitsprogramm abgeleitet werden können, sind lediglich erste Beispiele. Ich bin nun gespannt auf Ihre Vorschläge.

Quelle: „Teilhabe der Muslime in Deutschland verbessern!“: Rede von Bundesminister Dr. Thomas de Maizière, MdB, im Plenum der Deutschen Islam Konferenz am 17. Mai 2010, in Berlin, abgedruckt auf der Webseite der Deutschen Islam Konferenz (https://www.deutsche-islam-konferenz.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Downloads/Sonstiges/20100517-Ministerrede.pdf?__blob=publicationFile&v=2).