Quelle
Graf Hatzfeldt[1] hat mir das Privatschreiben aus Rom[2] mitgeteilt, welches Ew. Kais. und Kgl. Hoheit die Gnade gehabt haben ihm zu übersenden. Ich halte die darin gegebene Charakteristik des jetzigen Papstes für vollkommen zutreffend, aber sie hat weniger einen politischen Wert als den einer naturgeschichtlichen Beobachtung. Wir können weder den Charakter des Papstes noch die geschichtlich gegebene Lage der Dinge durch eine politische Maßregel oder durch Verhandlungen mit Rom verändern. Das Ergebnis solcher Verhandlungen, wenn sie wider alle Wahrscheinlichkeit ein solches haben, würde immer die Natur eines Konkordates annehmen; es würde in die Preußische Gesetzgebung ein fremdes, der Souveränität Preußens nicht unterworfenes Element einführen, eine Art Staatsvertrag oder eine moralische Ehrenpflicht, die nur mit Zustimmung des Papstes gelöst werden könnte. Wer von solchen Verhandlungen einen Abschluß des tausendjährigen Streites zwischen Kaiser und Papst erwartet, täuscht sich. Ich habe persönlich diese Verhandlungen geführt, weil sie von päpstlicher Seite gewünscht wurden und es nicht nützlich schien, durch Versagung den Schein der Unversöhnlichkeit auf uns zu nehmen. Ein Ergebnis habe ich niemals davon erwartet und erwarte es nicht. Herr v. Schlözer[3] war mit einer den Kirchenstreit abschließenden friedlichen Verhandlung von mir niemals beauftragt, erreichte er die Etappe, welche durch die Zusage der Anzeigepflicht gebildet wird, so überträfe er meine Erwartungen und würde das versöhnende Werk der Zeit und des Einlebens wesentlich erleichtern, aber von einer Erledigung des uralten Streits zwischen Königtum und Priestertum bleiben wir stets gleich weit entfernt. Der Schreiber des römischen Briefes täuscht sich vollständig über die Möglichkeit einer abschließenden und dauernden Verständigung des protestantischen Kaisertums mit der römischen Kurie, deshalb überschätzt er auch die Bedeutung des Abbruchs und der Wiederherstellung der gesandtschaftlichen Beziehungen. Der Abbruch war seinerzeit ein Bedürfnis nicht der Politik, sondern des Anstandes gegenüber der unerhört groben Sprache des Papstes gegen S. M. den Kaiser. Nicht wir haben Rom, sondern Rom hat uns damals „de haut en bas“ behandelt. Wenn der Schreiber des Briefes annimmt, daß erst durch falsche Maßregeln und Mangel an Informationen aus kleinen Bächen „ein Strom angewachsen sei“, so kennt er die Tatsachen nicht und täuscht sich über die bewegenden Prinzipien der Geschichte. Mit den kleinen Mitteln der Diplomatie und der Bearbeitung römischer Prälaten kann man vielleicht zu Konkordaten kommen, die für Preußen nicht annehmbar sind, aber nicht zur Heilung des alten Schadens, daß ein beträchtlicher Teil der deutschen Bevölkerung auch der politischen Führung seiner Priester mehr Glauben schenkt wie der des Königs, und daß diese Priester von einem ausländischen absoluten Monarchen [abhängen], der aber wieder von den Jesuiten und ihrem Geld abhängt, darin liegt eine Krankheit, die nur die Zeit und vor allen Dingen die Schule heilen kann, wenn auch vielleicht niemals vollständig. Verständigung mit den Jesuiten ist unmöglich und mit dem jeweiligen Papste persönlich kann sie nur palliative Hilfen gewähren. Unser Einverständnis mit der Kurie war, soweit es überhaupt möglich, vorhanden bis 1870. Die katholische Fraktion unter Reichensperger[4], damals 40–60 Köpfe stark, hat dennoch konsequent jede Regierung bekämpft. Es war natürlich, daß sich ihr die Polen, Welfen, Dänen, Sozialdemokraten alle anschlossen, die sich in einem intransigenten Gegensatz zu den Grundgedanken der Preußischen Monarchie und des deutschen Kaisertums befanden. Dieser angeblich durch Fehler der Regierung entstandene, in der Tat aber nach der Logik der Geschichte begründete und seit 1000 Jahren bestehende „Strom“ der antideutschen Elemente, Papst, Welfen, Slawen usw., wird niemals ganz schwinden. Das hierarchische Element in demselben, die Priesterherrschaft, hat seine Ebbe und Flut in der Geschichte. Das religiöse Gefühlsleben hat Zeiten, wo es schwächer pulsiert, in anderen tritt es wieder stärker hervor. Die den Fanatismus tragenden Kräfte laufen in der Übertreibung sich selbst tot, ebenso wie die Übertreibung der Skepsis jederzeit wiederum zum Gegenstoß des Glaubens- und Gefühlseifers führt. Darin werden kleine diplomatische Erfolge nur vorübergehend etwas ändern.
Heute ist in allen katholischen Ländern, Frankreich, Italien, Portugal, Belgien, selbst Spanien, die Macht der römischen Kirche rückläufig, in Deutschland, in England erhält sie ihre Lebenskraft in der Friktion mit evangelischen Regierungen und ihrer Gesetzgebung. Ich habe bei der Proklamation der Unfehlbarkeit den Eindruck gehabt, daß die darin liegende Übertreibung der Priesteransprüche diesen selbst auf die Dauer gefährlich sein und der Rückschlag in natürlicher Entwicklung auf die Übertreibung folgen werde. Ich glaube dies auch noch und würde für meine Person in den Kirchenstreit gar nicht eingetreten sein, wenn nicht die katholische Abteilung unserer Regierung unter Radziwillschem Einfluß[5] bis zur Polonisierung deutscher Bevölkerungen staatsfeindlich geworden wäre. Zur Aufhebung dieser Abteilung wurde mein persönliches Hervortreten notwendig, und von dem Augenblick an war die aggressive Opposition gegen mich gerichtet. Ich habe auf dem Gebiete der Maigesetze nur die erfolgten Verfassungsänderungen und diese in ausgedehnterem Maße verlangt, als meine darin ängstlichen Kollegen sie bewilligen mochten; die ganze juristische Detailgesetzgebung habe ich im Gegenteil meinen Kollegen von der juristischen Richtung zugestanden. In ihr liegt m. E. das Einzige, was der römische Korrespondent als „falsche Maßregel“ mit Recht bezeichnen darf, und ich würde in bezug auf diesen mehr juristischen als politischen Teil der Maigesetze auf dem Gebiete deutscher Zunge nachgiebiger sein können, als meine heutigen Kollegen es sind; auf dem Gebiete polnischer Zunge aber würde alles, was wir den Priestern konzedieren, zum Hebel nationaler Revolutionen benutzt werden.
Der römische Briefsteller sieht die Dinge durch ein Mikroskop, welches ihm den kleinen im Vatikan sichtbaren Teil des geschichtlichen und politischen Feldes in übertriebener Größe und Wichtigkeit erscheinen läßt, und sein Tadel des Geschehenen ist der eines Dilettanten, der praktischen Geschäften fern steht. Mir bietet er eine willkommene Gelegenheit, Ew. pp. von neuem die Überzeugung auszusprechen, daß mit diplomatischen Verhandlungen in der Kirchenfrage nichts erreicht werden wird als Konkordate oder konkordatähnliche moralische und doch bindende Ehrenpflichten, und dieses ganze Gebiet ist m. E. für Preußen unannehmbar. Ich habe mir alle Mühe gegeben, Herrn v. Schlözer von Haus aus die Hoffnung zu benehmen, daß seine Mission ein annehmbares Abkommen über Frieden oder Waffenstillstand oder dauernden modus vivendi herbeiführen könne; ich glaube, daß es mir schließlich gelungen ist, ihn darüber zu enttäuschen und ihn zu überzeugen, daß unser größter Fehler wäre, in Rom Eifer oder Bedürfnis nach Änderung unserer Lage zu zeigen. Der Staat hält den status quo länger aus als die Kirche, und der Kampf muß cunctando geführt werden. Ich sehe in der Herstellung der Gesandtschaft und in ihrem Verkehr nichts anderes als eine Erleichterung des geduldigen Fortlebens im status quo, bis sich aus der Eingewöhnung ein faktischer modus vivendi vielleicht ergibt. Dazu können Generationen konsequenter Politiker nötig sein, die ihren Erfolg nicht von diplomatischen Künsten, sondern von konsequenter Durchführung staatlicher Schulpolitik erwarten. Die Priester werden wir nie gewinnen, sie bleiben immer vereidete Offiziere der Armee eines nichtpreußischen Souveräns. Die Laienerziehung ist m. E. die einzige wirksame Waffe des Staates und könnte vielleicht noch schneidiger gehandhabt werden, als bisher geschehen. Das Objektiv unserer Operationen kann nicht in Rom und im Papste, selbst nicht bei unseren Bischöfen liegen, sondern in der katholischen Laienbevölkerung Deutschlands und ihren Meinungen über Staat, Kirche und Priester.
Anmerkungen
Quelle: Otto von Bismarck, Die gesammelten Werke (Friedrichsruher Ausgabe), herausgegeben von Gerhard Ritter und Rudolf Stadelmann, Bd. 6c, Politische Schriften 1871 bis 1890, herausgegeben von Werner Frauendienst. Berlin: Deutsche Verlags-Gesellschaft, 1935, S. 266ff.; abgedruckt in Ernst Rudolf Huber und Wolfgang Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert. Dokumente zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts, Bd. 2, Staat und Kirche im Zeitalter des Hochkonstitutionalismus und des Kulturkampfs 1848–1890. Berlin: Duncker & Humblot, 1976, S. 832–35.