Kurzbeschreibung

Nach mehreren Jahren liberaler politischer Dominanz im Kaiserreich, schwächenden internen Zwistigkeiten und Entfremdung von Bismarck erkannten die deutschen Konservativen Mitte der 1870er Jahre, dass sie sich auf gesamtdeutscher Ebene vereinigen mussten. Die Gründungserklärung wurde vom Parteiführer Otto von Helldorff-Bedra in enger Absprache mit Bismarck im Spätfrühling 1876 entworfen, in einem Treffen in Frankfurt am Main am 7. Juni wurde es gebilligt und im Juli mit 27 Unterzeichnern aus den größten deutschen Bundesstaaten veröffentlicht. Das Manifest wurde faktisch zum Parteiprogramm und bis 1892 keiner Überarbeitung unterzogen. Es präsentiert eine klare Ablehnung liberaler Prinzipien und betont stattdessen die Erhaltung der einzelstaatlichen Rechte und der lokalen Selbstverwaltung, eine starke Monarchie und Staatsgewalt sowie „geordnete“ wirtschaftliche Freiheit. Obwohl die Konservativen bemüht waren, zeitgemäß zu erscheinen – national und flexibel – konnten sie sich dennoch nicht dazu bringen, ihre Fundamentalopposition gegen das allgemeine Wahlrecht, Bismarcks Kulturkampf und den Sozialismus zu verbergen. Diese Grundsatzerklärung schließt mit der Anmerkung, dass die deutschen Konservativen ihren Einfluss sowohl nach oben in Richtung Regierung als auch nach unten in Richtung Volk ausüben werden müssen. Die anschließende Geschichte der Partei verdeutlichte, dass die Partei beim Bemühen um diese Zielsetzungen die Quadratur des Kreises nie schaffte. Die Konservativen profitierten vom antisozialistischen und nationalistischen Wahlfieber, so 1878, als sie 59 Reichstagssitze und 13% der Stimmen erlangten, und 1887 (80 Sitze, 15%). 1890 allerdings schrumpfte die Partei auf 73 Sitze und wurde von etwa 12% der deutschen Wähler unterstützt.

Deutsche Konservative Partei, Gründungsaufruf (7. Juni/12. Juli 1876)

Quelle

Wir wenden uns an die konservativen Elemente des Deutschen Reiches mit dem Aufrufe zu vereinter Arbeit für die großen, gemeinsamen Ziele:

1. Wir wollen die für unser Vaterland gewonnene Einheit auf dem Boden der Reichsverfassung in nationalem Sinne stärken und ausbauen. Wir wollen, daß innerhalb dieser Einheit die berechtigte Selbständigkeit und Eigenart der einzelnen Staaten, Provinzen und Stämme gewahrt werde.

2. Wir können nur eine solche Weiterbildung unseres öffentlichen und privaten Rechtes als segensreich anerkennen, welche, auf den realen und geschichtlich gegebenen Grundlagen fußend, den Bedürfnissen der Gegenwart gerecht wird und damit die Stetigkeit unserer gesamten politischen, sozialen und geistigen Entwicklung sichert.

3. Wir legen auf politischem Gebiete entscheidendes Gewicht auf die monarchischen Grundlagen unseres Staatslebens und eine kräftige obrigkeitliche Gewalt. Wir wollen ein volles, gesetzlich gesichertes Maß bürgerlicher Freiheit für alle und eine wirksame Beteiligung der Nation an der Gesetzgebung. Wir wollen in Provinz, Kreis und Gemeinde eine Selbstverwaltung, gegründet nicht auf das allgemeine Wahlrecht, sondern auf die natürlichen Gruppen und organischen Gliederungen des Volkes.

4. Das religiöse Leben unseres Volkes, die Erhaltung und Wiedererstarkung der christlichen und kirchlichen Einrichtungen, die seine Träger sind — vor allem die konfessionelle, christliche Volksschule erachten wir für die Grundlage jeder gesunden Entwicklung und für die wichtigste Bürgschaft gegen die zunehmende Verwilderung der Massen und die fortschreitende Auflösung aller gesellschaftlichen Bande. Wir betrachten den kirchenpolitischen Streit, der als Kulturkampf vom Liberalismus zum Kampfe gegen das Christentum ausgebeutet wird, als ein Unglück für Reich und Volk und sind bereit, zu dessen Beendigung mitzuwirken. Wir erkennen einerseits dem Staate das Recht zu, kraft seiner Souveränität sein Verhältnis zur Kirche zu ordnen, und werden die Staatsgewalt den entgegenstehenden Ansprüchen der römischen Kurie gegenüber unterstützen. Andererseits wollen wir keinen Gewissenszwang und deshalb kein Übergreifen der staatlichen Gesetzgebung auf das Gebiet des inneren kirchlichen Lebens. In diesem Sinne sind wir zu einer Revision der im Laufe des Kampfes erlassenen Gesetze bereit. In diesem Sinne werden wir auch für das gute Recht der evangelischen Kirche auf selbständige Regelung ihrer inneren Einrichtungen eintreten.

5. Gegenüber der schrankenlosen Freiheit nach liberaler Theorie wollen wir im Erwerbs- und Verkehrsleben eine geordnete wirtschaftliche Freiheit. Wir verlangen von der wirtschaftlichen Gesetzgebung gleichmäßige Berücksichtigung aller Erwerbstätigkeiten und gerechte Würdigung der zur Zeit nicht ausreichend berücksichtigten Interessen von Grundbesitz, Industrie und Handwerk. Wir fordern demgemäß die schrittweise Beseitigung der Bevorzugungen des großen Geldkapitals. Wir fordern die Heilung der schweren Schäden, welche die übertriebene wirtschaftliche Zentralisation und der Mangel fester Ordnungen für Landwirtschaft und Kleingewerbe zur Folge gehabt hat. Insbesondere fordern wird die durch Erfahrung gebotene Revision des Gesetzes über den Unterstützungswohnsitz und der Gewerbeordnung.

6. Wir erachten es für Pflicht, den Ausschreitungen der sozialistischen Irrlehren entgegenzutreten, welche einen wachsenden Teil unseres Volkes in feindseligen Gegensatz zu der gesamten bestehenden Ordnung bringen. Wir sind überzeugt, daß die bloße Entfesselung der individuellen Kräfte zu einer gesunden wirtschaftlichen Entwicklung nicht führen kann, daß der Staat vielmehr die Aufgabe nicht abweisen darf, die redliche Erwerbsarbeit gegen das Überwuchern der Spekulation und des Aktienunwesens zu schützen und durch eine wirksame Fabrikgesetzgebung die sittliche und wirtschaftliche Lage der Lohnarbeiter, sowie das friedliche Zusammenwirken von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu sichern und zu fördern.

Alle, welche diesen Grundsätzen zustimmen und gewillt sind, dieselben, unabhängig nach oben wie nach unten, zu vertreten, fordern wir auf, sich zu einer festgeschlossenen Partei der Deutschen Konservativen zu vereinigen.

Quelle: Ludolf Parisius, Deutschlands politische Parteien und das Ministerium Bismarcks, Berlin, 1878, S. 219–20; abgedruckt in Felix Salomon, Hrsg., Die deutschen Parteiprogramme, Heft 2, Im Deutschen Kaiserreich 1871–1918, Hrsg. Wilhelm Mommsen und Günther Franz, 4. Aufl. Leipzig und Berlin: B. G. Teubner, 1932, S. 34.