Kurzbeschreibung
Die Toteninsel, wohl das weithin
anerkannteste Gemälde Arnold Böcklins (1827-1901), tauchte in vielen
Fassungen auf. Womöglich als Strategie, um sein Publikum zu maximieren,
machte Böcklin dieses Bild gerade mehrdeutig genug, er verlieh ihm genau
das richtige Maß an Grauen, um zahlreiche Interpretationen zuzulassen.
(Den Bildtitel lieferte Böcklins cleverer Kunsthändler in Berlin, Fritz
Gurlitt.) Der Schachzug gelang: Zwischen 1885 und 1900 soll angeblich in
keinem bürgerlicher Haushalt, der etwas auf sich hielt, eine
Reproduktion dieses oder eines anderen Böcklin-Gemäldes gefehlt haben.
In einer Zeit, als historische Interpretationen der deutschen
Nationalstaatlichkeit hoch geschätzt waren – trotz (oder vielleicht
gerade wegen) des Einsetzens eine gewissen Langeweile, die gerade die
jüngere Generation in der Zeit nach der Reichsgründung plagte –, könnte
die in diesem Gemälde verkörperte romantische Mischung aus Melancholie,
Rätselhaftigkeit und Zeitlosigkeit die Deutschen angesprochen haben, die
auf der Suche nach maßgeschneiderten, monumentalen Traumlandschaften
waren. In dieser Hinsicht symbolisierte das Italien, das Böcklin und
andere „Deutschrömer“ in ihren Werken darstellten, ein mythisches
Deutschland, in dem reines Gefühl und ideale Schönheit noch immer
vorherrschten. Man kann zudem Böcklins Anziehungskraft auf eine
Generation nachvollziehen, die die wagnerianischen Welten der Mythen,
der Natur und des Heldenkults bereitwillig angenommen hatte. Doch nicht
jeder ließ sich davon einnehmen: Böcklin hatte auch Kritiker, die seine
Kunst dekadent und ungesund fanden. Nachdem er sich fest in der
Kunstszene etabliert hatte (besonders nach Veranstaltung einer
Sonderausstellung mit seinen Werken zu Ehren seines siebzigsten
Geburtstags 1897), stellten Witzblätter häufig die Ängste der
traditionalistischen Kunstkritiker als Alpträume dar, in denen es von
böcklinesken Motiven wimmelte.