Kurzbeschreibung
In seiner ursprünglichen Form rief dieses Gemälde von Max Liebermann
(1847–1935) den größten Kunstskandal der Bismarckzeit hervor. Die
Schwierigkeiten begannen bei der Ersten Internationalen Kunstausstellung
in München 1879 – das heißt, als gerade eine Welle antisemitischer
Agitation und Propaganda über Deutschland hereinzubrechen begann. Der
Kunstkritiker der Augsburger Allgemeine Zeitung, Friedrich Pecht,
erklärte, Liebermann habe „den hässlichsten, naseweisesten Judenjungen,
den man sich denken kann“, gemalt und fügte hinzu, der Künstler habe die
jüdischen Ältesten als „ein Pack der schmierigsten Schacherjuden“
wiedergegeben. (Erich Hancke, Max
Liebermann, Sein Leben und Seine Werke. 1914. 2. Aufl., Berlin:
Bruno Cassierer, 1923, S. 133). Deutsches Empfinden, meinte Pecht – und
andere stimmten ihm zu – seien durch dieses blasphemische Gemälde
beleidigt worden. Ziemlich bald darauf wurde Pechts Kritik in Debatten
im bayerischen Landtag angeführt, wo ein Abgeordneter verkündete,
Liebermann [selbst ein Jude] hätte genug Verstand haben müssen, diese
Szene nicht zu malen; und das Gemälde wurde verunglimpft als Beleidigung
in den Nasen rechtschaffener Leute. Dass Liebermann nicht nur ein Jude,
sondern auch ein preußischer Liberaler war, vielen ebenfalls zuwider.
Der antisemitische Anführer der Christlichsozialen Partei, der
Hofprediger Adolf Stoecker, richtete einen Schwall von Beschimpfungen
gegen den Künstler, dessen nationale Reputation sich nicht gerade
steigerte, als er 1881 als erster deutscher Künstler seit dem
Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 einen Preis von einem großen
Pariser Salon erhielt. Liebermanns Bild, das rasch zu einer
Cause célèbre wurde, brachte
Antisemiten und Traditionalisten gegen andere fortschrittliche Maler der
Zeit in Stellung, darunter Wilhelm Leibl, Franz von Lenbach und Fritz
von Uhde (Letzterer erwarb und behielt das Gemälde bis 1911).
Wenn Friedrich Pechts Beschreibung von Liebermanns Jesus schlecht zu
dem im vorliegenden Gemälde abgebildeten langhaarigen, etwas
effeminierten blonden Jungen zu passen scheint, dann rührt dies daher,
dass Liebermann als Reaktion of den kritischen Sturm der Entrüstung die
Figur neu malte, bevor das Werk 1884 in einer Pariser Ausstellung
gezeigt wurde. Glücklicherweise ist eine Skizze der Version von 1879
erhalten geblieben, und so weiß man, dass Liebermann ursprünglich einen
barfüßigen Knaben mit kurzem, ungekämmtem schwarzem Haar und einem
stereotypisch jüdischen Profil dargestellt hatte. In der Skizze
gestikuliert der Junge selbstsicher und nimmt eine provokative Haltung
ein, während er mit den jüdischen Ältesten diskutiert. In der hier
gezeigten überarbeiteten Fassung änderte Liebermann das Aussehen des
jungen Jesus. Die einst als ein „Bengel“ beschriebene Gestalt erscheint
nun als ein ernsthaftes, intelligentes – womöglich ein wenig demütiges –
Kind. Nichtsdestoweniger stimmte diese dramatische Änderung praktisch
keinen der früheren Kritiker Liebermanns um. Das Gemälde wurde bis zur
Berliner Sezessions-Ausstellung von 1907 nicht mehr öffentlich
gezeigt.