Kurzbeschreibung

Das Tagebuch des norwegischen Ethnographen und Entdeckungsreisenden Johan Adrian Jacobsen (1853–1947) ist eine bewegende und historisch wertvolle Ergänzung zum Tagebuch von Abraham Ulrikab. Ab 1867 war Jacobsen sieben Jahre lang Mitglied einer Walfangmannschaft an der Küste Spitzbergens und der Murmanküste. In den Jahren 1876/77 bereiste er die Westküste Südamerikas. Als er 1877 nach Hamburg zurückkehrte, wurde er von Carl Hagenbeck angeheuert, um Grönländer für seine Völkerschauen anzuwerben. Im Jahr 1880 rekrutierte Jacobsen, wiederum im Auftrag von Hagenbeck, eine Gruppe von acht Labrador-Inuit, darunter Abraham Ulrikab. Mitte 1881 wurde Jacobsen vom Berliner Museum für Völkerkunde beauftragt, an der Westküste Nordamerikas ethnografische und andere Objekte zu sammeln. In den folgenden zwei Jahren reiste er durch die kanadische Provinz British Columbia, das Yukon-Territorium und den jetzigen US-Bundesstaat Alaska. Später schickte ihn das Museum auf Expeditionen nach Korea, Japan, Sibirien und zu den Südseeinseln. 1885 reiste Jacobsen erneut nach British Columbia, wo er und sein Bruder eine Gruppe von neun Nuxalk (Bella Coola) anheuerten. Jacobsen nahm sie mit zurück nach Europa und reiste mit ihnen bis 1887. Anschließend trug er ethnographische Sammlungen in Deutschland und Norwegen zusammen.

Tagebuch von Johan Adrian Jacobsen: Labrador-Inuit in der Völkerschau (1880–81)

Quelle

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[In Jacobsens Tagebuch finden sich unter dem 15. November die folgenden Bemerkungen, wie immer in seinem unvollkommenen Deutsch] Abreise von Berlin Morgens 8 Uhr. … Ankam Abens in Prag. In Prag waren unser Eskimo in Kaufmanns Menagerie. dort waren Zwei Hütten gebaut ein für den Christne Familie und eine für die Heiden gerade wie in Berlin nur war es insofern besser Weil die Hütten ins Menagerie Zelt oder Bode gebaut war, wir hatten also nicht von das Wetter zu befürckten. Die Arbeidszeit für die Eskimo war von 11-12, 3-4, 6 und 8 Uhr abens. Das Besuch in Prag war nicht schlecht – nur ist das aufenthalt in einer Menagerie alles anderes als behaglich – den mann hat eben mit Menageristen zu thun (Jacobsen, Tagebuch: 141).

[Jacobsen trug später mit anderem Stift an der Seite seiner oben zitierten Eintragung nach] Da im Prag noch niemals Eskimo gesehen worden waren, so war die Intresse für uns recht gross. Besonders zeigten die Presse ein lebhaften Intresse für uns. Einen Tag machten wir in ein Teich in der Nähe der Stadt ein Scheinjagd auf ein Par Seehunde, die dorthin gebracht wurde. Es waren recht viele Zuschauer, die das rudern im Kajak und das Werfen der Seehunds Harpunen dort vorgefuhrt wurde (Jacobsen, Tagebuch: ibid.).

[In Jacobsens Tagebuch findet sich folgende Schilderung der nächsten Tage] Montag den 29 Abreise v. Prag. … Wir … fortsatten unser Reise nach Frankfurt M vor wir ein traf den 30-te. den 31 stilten wir unser Samlung auf und machten alles zureckte. Es waren auch dort zwei Hütten gebaut für die Eskimo. Mittwoch den 31 Das Wetter war den ganschen Zeit in Frankfurt hochst ungünstig mit un unterbrocken Regn und Nebel – wilche natürlich vielen einflus auf die Besucher ausübte. –

December Sontag den 12 Heute vangte die Noggasak (Tochter des alten Heide Teggienaiak aus Nakwak) – an zu krannckeln. Heute ist zu letz hier – Abens wurde eingepackt. Die Eskimo mit Frau Jacob reisen foraus mit ein Mobelwagen nach Darmstadt.

Montag den 13 Ich und Herr Schoepf Expidirte die Samlung ectr. – nach Crefeld (denn in Darmstatt bleiben wir nur drei Tage und von dort ged es nach Crefeld – Reise am Mittag nach Darmstadt ab, wor wir die Krancke Noggasak verschlimmert fand. Sie Weigerten sich jedoch Artzneien zu nehmen.

Dienstag den 14 Am 8 Uhr Morgens erwachten wir von das Ruf „Noggasak ist tod“ Mann kann sich wohl unserer Schreck dencken – der Artz constatirte den Todesursach sei ein Rapieden Magengeswör – Die Arme Eltern liesen von Morgen bis Aben nicht ab mit ihrer Weinen (Jacobsen, Tagebuch: 142).

[nachgetragen mit anderem Stift]: Naturlich wirckte es auch auf die andere wie auch auf uns sehr deprimierend (ibid.)

Donnerstag den 16 Schoep war inzwischen nach Crefeld abgefahren und Herr Wolter vor von Hagenbeck abgesant, an den Begrabnis beizu Wohnen. derselbe fand Stat Nachmittag 4 Uhr. es war von Standes Amts aus unter das Publicum Verbreitet worden und fanden Wir beim Ankunft auf’n Friedhof meire Tausende Neugirige, die gekommen war am den Begrabnis zu sehen. Ih hatten die Eltern und Abraham hergebracht in eine Droschke. ich lis die Droschke bis zum Grab fahren, am das Gedrenge zu vermeiden. Ich fürte die Eltern zum Grab. Da aber die Mutter in lauten Weinen ausbrak, lies ich Sie wider ans Wagn steigen foren Sie zu Hause.

Freitag den 17 Abreise nach Crefeld morgens 8 Uhr

Die Eltern waren reckt gefast, und Wurde sogar gesprecksam Werend Wir di schoine strecke fuhren von Mainz bis Crefeld. Ich zeigte Sie die Weinberge, und der Rhein war sehr unruhig, denn er stand sehr hoch. hatten sogar auch meire stellen Schaden angericktet (durk überschwemmung) Ankam in Crefeld Abens 7 Uhr. …

Freitag den 24 Weinackts-Aben. Hatte Auftrag von Herrn Hagenbeck diverse Weinacktsgeschenke für die Eskimo einzukaufen. Den Resturations-Saal Wurde uns Uberlassen und dort Mackten wir ein hübscher Weinackts-Baum zurechte, nachdem alles Fertig war, liesen wir die Eskimo kommen. Sie freuten sich recht Herzlich sowohl über den Baum als über die Geschencke (Die selbe bestanden in Unterhosen, Hemdlein und für Abraham 1 Geige und Tobias ein Gitar … ebenso erhalte ein Jeder Familie eine Groses Gruppen-Bild. Wilche in Prag photographiert wurde.). Wir liesen Wein kommen und waren beisammen bis 11 Uhr Abens. – nicht Ahnend Wilche Grausamme Schicksals Schlage uns alle befürstand. Das Wetter war inzwischen ein wenig besser geworden den die Wocke forhier hatten es immer geregnet.

December den 25 Schoines Wetter. Trotz dem doch keine Publicum. die Alte Beango ist heut Nackt Krank geworden. ganz plötzlich. die Symptonen wie bei Ihre Tochter. Wir liesen gleich ein Artz holen – der gab uns die Versicherung daß es nur Rheumatismus wäre und Wir kunten Ruhig sein.

den 26 Heute Vormittag waren 2 Artzen hier die untersuchte die Frau ganz genau. Kunde aber nicht zum andern Schlus kommen daß es eben Rheumatismus war. (Die Artzen kommen for und Nachmitag). Heute wurde die Kleine Sara auch kranck – klagt über Kalte und gibt sich Uber. …

Montag den 27 Die Frau ist schwer kranck und wenn es nicht gehe Ihr wie Ihre Tochter – die Sara ist auch Kranck – Wie es alles Enden Wird? Wir solte heute abreisen, kann aber unter diese umstende nicht Reisen.

Heute Aben 7 Uhr starb die alte Beango. Wir standen alle dabei. 10 Minutten fordem hat Sie den Artz untersuckt und gab uns die vorsichrung das es nicht geferlich ist. Wir gingen den die Treppe hinunger und zum Wagen wor wir stehen bleib und sprach über den Krancke, da kam Fr Jacobs und sagte, Wir missten schnell kommen denn die Frau lah in sterben – 1 Minut nach dem Wir zurückkerte starb Sie. Fried mit Ihren Steub – es war ein alte gute Waib – Der Mand ist naturlich sehr betrübt, und auserte das Wunsch, seine Frau und Togter bald begleiten zu können. …

Dienstag den 28 Heute wurde die Frau secktirt, von 3 Artzten … es wurde jedoch nichts gefunden was auf ein bestimte Kranckeit sich schliesen liest. Abens wurde Sie begraben in Bockum unter zulauf von Vielen Mendschen. Ihre Mand und Tobias war dabei (Jacobsen. Tagebuch: 142–145).

[und dann mit anderem Stift nachgetragen] Es ist für uns ein furchtbaren Zeit. Ich fühle mich direckt Verantwortlich für die Leute. Da die Arzte beim ciciren d Leiche den oberen Kopfdickel mit Hare abhob, um die Gehirn bloss zu legen. Nach das besichtigen d Gehirn nahm ich d Schadeldecke zu mir und bewahrte es auf.

Mittwoch den 29 Die Samlung Wurde eingepackt und Abens alles aufgeladen, am Bahnhoff. Die Artzen habe Heute constatirt daß die kleine Sara die Pocken habe und ist die Uberschaffung ins Hospital höchst notwendich Wilche auch gescha den selbe Aben ich hatte erst ein harten Kampf mit die Eltern, die Wolten Sich nicht von Ihren Kind scheiden – muste Schoep zu hülfe suchen endlich lies Abraham sich uberreden – den Kind im Hospital abzugeben. er folgte Sie Selbst dahin. bat mit den Kinde und scheid unter Traenen. Die Frau Jacobs bleibe bei den Kinde als Pflegerin – Wurde alles Verladen bis 10 Uhr.

Donerstag den 30 Waren 8 Uhr morgens auf das Bahnhof / wurde erst 9 Uhr abgereist. Ich war beinahe erstaunt über diese ruhe, Wilche die Eskimo zeigten. …

Freitag den 31 Ankam endlich 5 Uhr Morgens nach Paris. … um 11 Uhr bekam Her Schoep 1 Depesche von Hagenbeck Worin der Thod der Kleine Sara angekündigt Wurde. Ich mus gestehen das es ein zersmiterden Wirkung auf uns alle machten. Ich war im ersten Augenblick ganz rathlos, den eins War jetzt festgesteht, die Pocken Waren unter unser Ungluckelichen Eskimo, ja es wurde mich erst klar, das die andre beide auch in Pocken gestorben war. nur das es sich keine ausslag zeigte – amso geferlicher. …. Das erste was wir thun werden Morgen, die Leute impfen lassen, den keine ist geimpft worden in Ihre alte Heimat. Weil keine Artze dort sind. So endete das alte Jahr (ibid. 145/146).

Wir hatten keine von uns bei der Ankunft im Hamburg in September daran gedacht, die Leute impfen zu lassen. Die Grönländer hatte ich im 1877 bereits im Grönland impfen lassen, und hier wurde es Vergessen. Es kahm wohl daher dass ich wie wir gesehen den ganzen Sommer Krancklich war und bei unser Ankunft in Hamburg selber im Hospital mussten (ibid. 146).

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[13. Januar 1881]. Heute Aben 9 Uhr starb unser lieber Abraham – ich kann es kaum sagen was ich empfinde. Der sowohl als Tobias habe mir auftrag gegeben, seine Verwanten in Labrador sein Zugutehaben zuzustellen (Jacobsen, Tagebuch: 149).

[und ergänzte später] Dieses Testament hat Hagenbeck treulich ausgeführt, und noch Verschiedenes zugefügt (ibid.).

[Er schilderte schließlich voller Gewissensbisse Ulrikes Tod]: Sonntag den 16 Heute Morgen 2 Uhr starb Ulricke den letzte von die 8 „entzetslich“ sol ich indireckt schuld am Ihren tod sein? Muste ich grade die armen brawe Leute von Ihren Heimat führen am in ein fremd Erde Ihren Grab zu finden? O! Wie ist es alles ganz andres gekommen als ich gedackt hatten, es ging am anfang alles so schoin. Wir hatten uns erst jetzt alle kennen lernen und liebgewonnen (ibid.: 150).

[Ebenso in der mit anderem Stift gemachten Randbemerkung zu diesem Datum] Nachtrag am Rand: Als ich kurz nach 12 Uhr nachts nach Ulricke sah merkte ich dass auch sie bald ausgekempft hätten. Ich versuchte ihr zu trösten, dann winckten Sie ab mit die Hand, als wollte Sie nichts mehr von mir sehen. Es war ja auch kein wunder denn Sie woste dass alle andere vorausgegangen waren. So fuhle ich mich gewisser Masen schultig in diese Ungluckliche Menschen Ihr Tot, ob unbeabsichtigt. Were ich nicht nach Labrador gekommen, so lebten sie wie alle ihr Verwanten noch (ibid.).

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Quelle: Johan Adrian Jacobsen, Tagebuch, Jacobsen-Archiv, Museum für Völkerkunde, Hamburg; Auszüge abgedruckt in Hilke Arora, „Das Eskimo-Tagebuch von 1880: Eine Völkerschau aus der Sicht eines Teilnehmers,“ KEA: Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Band 2 (1991): S. 87–115, hier S. 97–106.

France Rivet, In the Footsteps of Abraham Ulrikab: The Events of 1880–1881. Gatineau, Quebec: Polar Horizons, 2014, S. 135–84, 279–85.

Tagebuch von Johan Adrian Jacobsen: Labrador-Inuit in der Völkerschau (1880–81), veröffentlicht in: German History in Documents and Images, <https://germanhistorydocs.org/de/reichsgruendung-bismarcks-deutschland-1866-1890/ghdi:document-5091> [24.04.2024].