Quelle
Wir Endesunterzeichneten stellen den Antrag an das deutsche Parlament von Frankfurt a. M.: dasselbe wolle sofort nachfolgender Zusammenstellung der Rechte des deutschen Volkes seine Anerkennung ertheilen und über deren Verwirklichung wachen.
Eine lange Zeit tiefster Erniedrigung lastet auf Deutschland. Sie läßt sich bezeichnen durch die Worte: Knechtung, Verdummung und Aussaugung des Volkes. Unter dem Einflusse dieses Systems der Tyrannei, welches noch immer, wenn auch in seiner Kraft gebrochen, doch dem Wesen nach fortbesteht, ist Deutschland mehr als einmal an den Rand des Verderbens gebracht worden. Es hat viele seiner schönsten Provinzen verloren, andere werden schon aufs Schwerste bedroht. Die Noth des Volkes ist unerträglich geworden. Sie hat sich in Oberschlesien bis zur Hungerspest gesteigert.
Daher haben sich alle Bande gelöst, welche das deutsche Volk an die bisherige sogenannte Ordnung der Dinge geknüpft hatten, und es ist die Aufgabe der Versammlung deutscher Männer, welche sich am 31. März 1. J. zu Frankfurt a. M. vereinigt hat, neue Bande vorzubereiten, mit denen das gesammte deutsche Volk zu einem freien und großen Ganzen umschlungen werden soll.
Sicherheit des Eigenthums und der Person, Wohlstand, Bildung und Freiheit für Alle ohne Unterschied der Geburt, des Standes und des Glaubens, ist das Ziel, nach welchem das deutsche Volk strebt. Die Mittel, zu demselben zu gelangen, sind:
1. Aufhebung der stehenden Soldatenheere und Verschmelzung derselben mit der Bürgerwehr zum Behufe der Bildung einer wahren, alle waffenfähigen Männer umfassenden Volkswehr.
2. Aufhebung des stehenden Heeres von Beamten und Ersetzung desselben durch eine wohlfeile Regierung, welche aus freigewählten Volksmännern besteht.
3. Abschaffung der stehenden Heere von Abgaben, welche an dem Marke des Volkes zehren, insbesondere aller derjenigen Abgaben, welche den innern Verkehr Deutschlands hemmen, Binnenzölle und Schiffahrtsabgaben, welche die Landwirthschaft drücken, Zehnten, Gülten, Frohnden u.s.w., welche die Gewerbe belasten, Gewerbesteuern, Akzise u.s.w. und Ersetzung derselben:
a) durch eine progressive Einkommens- und Vermögenssteuer, bei welcher der nothwendige Lebensunterhalt frei von allen Abgaben verbleibt;
b) durch einen an den Grenzen Deutschlands zum Schutze seines Handels, seiner Industrie und seiner Landwirthschaft erhobenen Zoll.
4. Abschaffung aller Vorrechte, welchen Namen dieselben tragen mögen, insbesondere des Adels, der Privilegien des Reichthums, Zäsur der bevorzugten Gerichtsstände und Ersetzung derselben durch ein allgemeines deutsches Staatsbürgerrecht.
5. Abschaffung der Bevormundung der Gemeinden und Ersetzung derselben durch ein auf der Grundlage der Selbstverwaltung ruhendes Gemeindegesetz.
6. Aufhebung aller Klöster und klösterlichen Einrichtungen.
7. Auflösung des Bundes, welcher bisher bestand zwischen Kirche und Staat und Kirche und Schule, und Ersetzung desselben durch:
a) die Grundsätze der gleichen Berechtigung aller Glaubensbekenntnisse, der ungeschmälerten Glaubens- und Gewissensfreiheit, des freien Associationsrechts, der Selbstverwaltung der Gemeinden und namentlich des Rechts derselben, ihre Geistlichen, Lehrer und Bürgermeister frei zu wählen;
b) Besserstellung des Lehrerstandes und gleichmäßigere Ordnung der Pfarrbesoldungen;
c) Abschaffung des Schulgeldes und der Stolgebühren.
8. Abschaffung der Zensur, Konzessionen und Kautionen und Ersetzung dieser Zwangsanstalten durch den Grundsatz der Preßfreiheit in seiner weitesten Ausdehnung.
9. Abschaffung der geheimen und schriftlichen Inquisitionsgerichte und Ersetzung derselben durch öffentlich und mündlich gepflogene Schwurgerichte.
10. Abschaffung der Hunderte von Beschränkungen der persönlichen Freiheit der Deutschen der verschiedenen Stände und gleichmäßige Sicherstellung derselben durch ein besonderes Gesetz (Habeas corpus-Akte im ausgedehntesten Sinne des Wortes), welches insbesondere auch das Vereins- und Versammlungsrecht des Volkes feststellt.
11. Beseitigung des Nothstandes der arbeitenden Klassen und des Mittelstandes, Hebung des Handels, des Gewerbstandes und der Landwirthschaft. Die bisherigen ungeheuren Zivillisten, Apanagen, die unverdienten und zu hohen Besoldungen und Pensionen, die mannigfaltigen Stiftungen und die jetzt brachliegenden Besitzungen vieler Körperschaften, sowie die Domänen des Landes bieten hierzu reiche Mittel.
12. Ausgleichung des Mißverhältnisses zwischen Arbeit und Kapital vermittelst eines besonderen Arbeiterministeriums, welches dem Wucher steuert, die Arbeit schützt und derselben namentlich einen Antheil an dem Arbeitsgewinne sichert.
13. Abschaffung der tausendfältig unter einander abweichenden Gesetze des Privatrechts, des Strafrechts, des Prozesses, des Kirchenrechts und des Staatsrechts, in Sachen der Münze, des Maaßes, des Gewichts, der Post, der Eisenbahnen u.s.w., und Ersetzung derselben durch Gesetze, welche, dem Geiste unserer Zeit entspringend, die innere Einheit Deutschlands in geistiger und materieller Beziehung gleichmäßig wie seine Freiheit feststellen.
14. Aufhebung der Zerrissenheit Deutschlands und Wiederherstellung der Eintheilung in Reichskreise mit billiger Berücksichtigung der Zeitverhältnisse.
15. Aufhebung der erblichen Monarchie (Einherrschaft) und Ersetzung derselben durch frei gewählte Parlamente, an deren Spitze frei gewählte Präsidenten stehen, alle vereint in der föderativen Bundesverfassung nach dem Muster der nordamerikanischen Freistaaten.
Deutsches Volk, dieses sind die Grundsätze, mit deren Hülfe allein Deutschland unseres Erachtens glücklich, geachtet und frei werden kann.
Deutsche Brüder in Ost und West, wir fordern Euch auf, uns in dem Bestreben zu unterstützen, Euch die einigen und unveräußerlichen Menschenrechte zu verschaffen. Wir werden in Frankfurt a. M. vereinigt bleiben, bis ein frei gewähltes Parlament die Geschicke Deutschlands leiten kann. Mittlerweile werden wir die erforderlichen Gesetzesvorlagen entwerfen und durch einen frei gewählten Vollziehungsausschuß das große Werk der Wiederherstellung Deutschlands vorbereiten.
Quelle: W. Blos, Die deutsche Revolution 1848/49, S. 487 f; abgedruckt in Ernst Rudolf Huber, Hg., Deutsche Verfassungsdokumente 1803–1850, Band 1, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, dritte neubearbeitete und vermehrte Auflage. Stuttgart: W. Kohlhammer, 1978, S. 332–34. Wiedergabe auf dieser Website mit Erlaubnis des Kohlhammer Verlags.