Kurzbeschreibung

Carl August Buchholz (1785–1843), ein christlicher Anwalt aus der Hansestadt Lübeck, wurde von den jüdischen Gemeinden der drei Hansestädte Lübeck, Bremen und Hamburg zu ihrem Vertreter beim Wiener Kongress von 1814/1815 gewählt. In dieser Funktion sollte Buchholz das Bleiberecht der in Bremen und Lübeck niedergelassenen Juden verteidigen, nachdem diese Städte zuvor nur wenige oder gar keine Einwohner jüdischen Glaubens zugelassen hatten und Neuankömmlingen mit Ausweisung drohten. Ferner sollte Buchholz sich dafür einsetzen, dass in die Verfassung des neuen Deutschen Bundes eine Klausel aufgenommen würde, die den deutschen Juden dieselben Rechte und denselben religiösen Schutz garantieren sollte wie den Deutschen der beiden christlichen Hauptkonfessionen – also den Protestanten und den Katholiken. Im Rahmen seiner Bemühungen veröffentlichte Buchholz das Buch Actenstücke, die Verbesserung des bürgerlichen Zustandes der Israeliten betreffend, zu dem anschließend in dem wichtigsten Sprachrohr des österreichischen Außenministeriums unter Fürst Clemens von Metternich (1773–1859) eine Rezension erschien. Der einflussreiche romantische Schriftsteller und Gelehrte Friedrich Schlegel, der zum damaligen Zeitpunkt schon mehrere Jahre für Metternich in Wien gearbeitet hatte, erhielt den Auftrag, eine zustimmende Rezension des Werkes zu verfassen, um zusätzlich für das jüdische Anliegen zu werben. Schlegel war seit den 1790er Jahren in jüdischen Salons in Berlin aktiv gewesen und hatte später die jüdische Salonnière Dorothea Herz geheiratet, die Tochter des jüdischen Philosophen Moses Mendelssohn. Herz war nach ihrer Eheschließung mit Friedrich zum lutherischen Glauben übergetreten; später konvertierten beide zum Katholizismus. Der Übertritt der Schlegels zum katholischen Glauben bedeutete jedoch nicht das Ende ihres Einsatzes für die Emanzipation der Juden. Schlegel hob ebenso wie Buchholz die patriotischen Dienste hervor, die deutsche Juden in den jüngsten Kriegen gegen Napoleon geleistet hatten, und sprach sich grundsätzlich dafür aus, dass Juden für die Erfüllung gleicher Bürgerpflichten auch die gleichen Bürgerrechte erhalten sollten (Gegner der jüdischen Emanzipation behaupteten mitunter, dazu seien Juden nicht geeignet).

Rezension zu Carl August Buchholz, Actenstücke, die Verbesserung des bürgerlichen Zustandes der Israeliten betreffend (2. März 1815)

Quelle

Litteratur.

Actenstücke, die Verbesserung des bürgerlichen Zustandes der Israeliten betreffend. Herausgegeben und mit einer Einleitung begleitet durch C. M. Buchholz, beider Rechte und der Philosophie Doctor zu Stuttgart und Tübingen, 1815. In der Cotta‘schen Buchhandlung.

Der Gegenstand dieser Schrift ist schon vor 30 Jahren das Ziel mancher patriotischen Bemühungen und Untersuchungen gewesen. Wem ist es unbekannt, was Kaiser Joseph alles gethan und versucht hat, um den Zustand der Israeliten aus dem Grunde zu verbessern und auch die Juden zu Bürgern zu bilden? In der damaligen Zeit standen den wohlmeinenden Absichten des unermüdeten Monarchen noch mancherlei jetzt zum Theil nicht mehr stattfindende Schwierigkeiten entgegen, und hinderten das vollkommene Gelingen. Als bald nachher die Revolution ausbrach, wurde diese so wie manche andere nützliche Reform in dem Sturme der Zeit mit verschlungen und wieder vergessen oder doch nicht weiter gefördert.

Die neuesten Zeitbegebenheiten indessen haben eben diesen Gegenstand von neuem in die lebhafteste Anregung gebracht. Dieß zeigt sich schon aus den mancherlei in vorliegenden Actenstücken, abgedruckten Verordnungen der wohlgesinntesten teutschen Regierungen, welche in den letzten Jahren in Mecklenburg, Preußen, Baiern und Dänemark schnell auf einander folgten und in welchen allen unter einiger Verschiedenheit der Formen und Modificationen den Israeliten vollkommene Bürgerrechte ertheilt worden sind. Diesen von so vielen achtungswürdigen Regierungen schon sanctionirten Grundsatz, daß die Israeliten von dem bisherigen Druck ganz freigesprochen und als wahre Staatsbürger hinfüro anerkannt und behandelt werden sollen, wüscht der Verfasser nun als ein allgemeines Verfassungsprincip durch eine für alle einzelnen teutschen Staaten und Länder gleichförmige Maaßregel anerkannt u. eingeführt zu sehen.

Der Hauptgrund, worauf sich der Verf. dabei stützt ist, daß die teutschen Israeliten in der letzten Epoche, wie es schon seit längerer Zeit in Böhmen und den österreichischen Staaten geschah, auch jetzt vorzüglich in Preußen und in den meisten andern teutschen Ländern an der Kriegspflicht und der allgemeinen Bewaffnung, eben so wie alle andern Staatsbürger, Antheil genommen, ja auch durch freiwillige Kriegsdienste und patriotische Mitwirkung aller Art, ihre Bürgerpflicht von dieser Seite vollkommen erfüllt, und sich nicht selten ruhmvoll ausgezeichnet haben.

Durch dieses höchst wichtige Factum ist denn auch in der That das ganze bisherige Verhältniß der Juden verändert worden, so daß man nicht umhin kann, dem Verfasser im Wesentlichen beizustimmen und einzugestehen, daß jetzt und von nun an eine durchaus andere Behandlung derselben erfordert werde. Bei der in früheren Zeiten stattfindenden Bedrückung der Israeliten konnte man immer sagen, daß sie bei manchen andern Nachtheilen doch von dem so schweren Kriegsdienste befreit seien, und daß, wer die erste aller Bürgerpflichten, die das Vaterland zu vertheidigen, nicht mit erfülle, auch nicht auf den Genuß der gleichen Rechte mit den übrigen Bürgern Anspruch machen könne. Nachdem aber nun überall in Teutschland die Israeliten an der Vertheidigung des Vaterlandes den pflichtmäßigen Antheil genommen und sich mit den Waffen in der Hand als Bürger bewährt haben, so sind sie eben dadurch auch zu Bürgern wirklich geworden und würde es unbillig, ja ungerecht seyn, sie von den Rechten der Bürger noch länger ausschließen zu wollen. Wie in manchen andern Stücken, so haben auch in dieser Hinsicht die letzten Zeiten des Kampfes und der allgemeinen Gefahr eine neue und wohlthätige Entwicklung herbeigeführt. So mächtig ist der Nationalgeist und die patriotische Gesinnung durch den Widerstand und die versuchte Unterdrückung aufgeregt worden, daß selbst die bisher zurückstehenden Mitglieder des gemeinen Wesens davon ergriffen und dadurch auf eine höhere und den andern gleiche Stufe des Bürgerthums sind erhoben worden. Die Nachwelt wird es mit unter die Merkwürdigkeiten und Zeichen dieser Zeit rechnen, daß in ihrem Kampfe auch die Juden zu Vaterlandsvertheidigern und wahren Bürgern gebildet worden sind.

Das zweite Argument, worauf der Verf. sich besonders in Hinsicht der Gewerbe und der bürgerlichen Verbesserung der Juden stützt, ist die unläugbar richtige Bemerkung, daß alles, was man immer um eine solche Verbesserung zu bewirken, beginnen oder versuchen möge, vergeblich seyn wird, so lange die bisherige Zurücksetzung fortdauert. Immer, sagt der Verfasser, fuhr man in allen „Staaten fort, alle Wege zur nützlichen Verbesserung ihnen zu versperren, und dann den Mangel an Cultur zum Grunde ihrer ferneren Unterdrückung zu machen.“ – Man sollte im Gegentheil damit anfangen, sie als Bürger zu behandeln und zu erkennen; dies ist das einzige Mittel, sie wirklich zu Bürgern zu bilden und zu machen. Dieser ebenso einfache, als unumstößliche Grundsatz ist auch schon durch die Erfahrung und durch entscheidende Thatsachen auf das vollkommenste bestätigt worden. Mit Vergnügen bemerken wir, daß in Hinsicht auf die Fortschritte des Gewerbfleißes unter der jüdischen Nation, wovon sie überall Beweise gegeben hat, wo man ihr den Zugang dazu eröffnet hat, Böhmen vorzüglich als Muster von dem Verfasser angeführt werden könnte, „wo schon ein Drittheil der dort ansässigen Juden noch vor Ablauf eines halben Menschenalters den Handel aufgegeben und sich zu Professionen und Manufacturen bestimmt hat (S. 54 u. 76).“ – In Frankfurt am Main haben sich gleichfalls in dem sehr kurzen Zeitraume, seit die dortige Judengemeinde unter dem ehemaligen Großherzoge den Zutritt zu den bürgerlichen Gewerben erlangt, schon eine sehr beträchtliche Anzahl von Israeliten verschiedenen Professionen gewidmet. Ähnliche Fortschritte des bürgerlichen Gewerbfleißes der jüdischen Nation in Preußen, Dänemark und in mehrern andern teutschen Ländern, sind hinreichend bekannt. Dieß sind Thatsachen, vor denen alle feindliche Sophistik verschwindet. Der Verf. stützt sich durchgehends auf die Erfahrung und hat gewiß sehr Recht, diesen Gang zu wählen. Das Streiten darüber, ob diese oder jene vielleicht schon veraltete Vorschrift des Talmud mit dem, was der Soldatenstand oder das bürgerliche Gewerbe fordert, wahrhaft im Widerstreite sei oder nicht, läßt sich ohne Ende fortsetzen, führt zu keinem bestimmten Resultate und nimmt ohnehin leicht einen gehässigen Charakter an. Genug, die Erfahrung bekräftig es, daß dergleichen Collisionen entweder überhaupt nicht mehr Statt finden oder doch mit einiger Vernunft und Billigkeit leicht gehoben werden können. – Selbst die allgemeinen Discussionen über das Verhältniß der Religion und Religionsmeinung zum Staat überhaupt, worauf der Verf. sich hie und da, obgleich selten, einläßt (wie S. 56 u. folg.), hätten vielleicht erspart werden mögen, da es doch nicht möglich ist, diese wichtige Materie so in der Kürze erschöpfend zu behandeln. Es ist für den vorliegenden Gegenstand auch um so weniger nothwendig, so tief in die speculative Staatstheorie einzugehen, da wir über die ersten Grundsätze der Toleranz und allgemeinen Glaubensfreiheit in Teutschland ja längst einverstanden sind.

Wenn der Staat und jede aufgeklärte Regierung übrigens wünschen muß, daß die Juden in dem bisherigen absondernden Sinne des Worts (als Staat im Staate), so sehr als möglich aufhören möchten, Juden zu seyn, so ist dieser doch keinesweges dahin auszudehnen, als könne der Staat wünschen, daß die Juden gleichgültig gegen ihre oder gegen alle Religion werden möchten. Dieß wäre vielmehr für ein großes Übel zu halten, und jede wahrhaft aufgeklärte Regierung wird die religiöse Erziehung aller Staatsmitglieder jederzeit als die erste Grundlage des bürgerlichen Vereins betrachten. Es ist daher allerdings sehr zu wünschen, daß mit den erweiterten Bürgerrechten der jüdischen Nation zugleich auch durch allgemeine Maaßregeln die Einleitung getroffen werde, ihre Erziehung und Schulanstalten zu verbessern. Besonders mußte in diesen auch für einen ihrem Glaubenssystem eben sowohl als den sittlichen Bedürfnissen ihrer höhern bürgerlichen Vervollkommnung angemessenen Religionsunterricht Sorge getragen werden. – Manches Lebenswerthe dieser Art ist schon in verschiedenen teutschen Ländern zu Stande gekommen (S. 68, 69 folg.), und in dem gleichen Geiste sind auch mehrere der hier abgedruckten Verordnung gedacht, unter denen in dieser Hinsicht außer dem ausführlichen badenschen Edict besonders auch das dänische (z. B. §14) viel Bemerkenswerthes enthält.

In der Vorrede (S. V) und am Schlusse der Schrift selbst (S. 70 folg.) äußert der Verfasser den Wunsch nach einem allgemeinen Gesetze über diese ganze Angelegenheit der Befreiung der Israeliten und sucht zu beweisen, daß der beabsichtigte Zweck nur durch eine in ganz Teutschland conforme Maaßregel erreicht werden könne. Jeder teutsche Patriot wird ihm unbedenklich darin beistimmen, daß diese Sache unter diejenigen Gegenstände der öffentlichen Wohlfahrt gehört, welche eine gemeinsame Bestimmung für alle teutsche Staaten vorzüglich erheischen und in den Constitutionsgesetzen nicht füglich übergangen werden können. Auch dürfen wir über diesen Punct das vollste Vertrauen zu den umfassenden Einsichten und patriotischen Gesinnungen der großen Staatsmänner hegen, welche die teutschen Angelegenheiten zu leiten und die Verfassung neu zu ordnen berufen sind.

Besonders fühlbar wird dieses Bedürfniß noch durch eine andere Rücksicht. In mehreren teutschen Provinzen und freien Städten ist die Befreiung der Israeliten zuerst von den Franzosen, während der Epoche ihrer Herrschaft und der teutschen Unterjochung, ausgegangen und angeordnet worden. Dieß könnte bei den weniger vernünftig und billig denkenden die Sache selbst in ein ungünstiges Licht stellen. Uns scheint aber gerade das Gegentheil daraus zu folgen und ein billiges und gerechtes Betragen gegen die teutschen Israeliten jetzt um so nothwendiger, ja für die Ehre der guten Sache selbst durchaus erforderlich zu seyn. Daß die Edicte der ehemaligen kön. westphälischen Regierung, so wie die der damaligen französischen in der sogenannten 32sten Militärdivision, nach deren Auflösung an und für sich gar keine legale Kraft mehr haben, ist unstreitig. Wenn nun aber die wiedereingesetzten rechtmäßigen alten Regierungen teutscher Fürsten oder freien Städte, Anordnungen, die niemanden und einzelne bisher unterdrückt gewesene Classen oder Individuen von dem Drucke befreien, bloß darum aufheben wollten, weil sie von den Franzosen herrührten, so würde eine solche rückgängige Handlungsweise sehr tadelnswerth seyn, und eine für das teutsche Vaterland und die vaterländische Gesinnung durchaus entgegengesetzte und sehr nachtheilige Wirkung hervorbringen. Denn dieß hieße ja gerade dem eben erst glücklich besiegten Feinden von neuem eine Partei bilden und bereiten. Es würde ein solches Verfahren um so unbilliger seyn, da die teutschen Israeliten überall von der ihnen bewilligten neuen Freiheit einen sehr guten und bescheidenen Gebrauch gemacht, wie dieß, von denen in Hamburg, – der dasige Senat ausdrücklich bezeugt hat (S. 31 und 32). Wollte man jenes rückgängige Princip durchgehends befolgen, so müßte man am Ende auch den neuen Weg über den Simplon wieder einreissen, weil er unter Napoleon gebaut worden. Möchten wir vielmehr überhaupt niemanden eine gegründete Ursache geben, die glücklich überstandene Epoche der Tyrannei, es sei in welcher Hinsicht es wolle, zurückzuwünschen! – Und hier ist doch wahrlich von einer, nicht bloß durch ihren leidenden Zustand interessanten, sondern schon durch ihre Zahl bedeutenden Classe und von dem Schicksal von mehreren Hunderttausenden die Rede. (Nach einem mittleren Durchschnitte von verschiedenen, freilich sehr abweichenden Angaben, dürfte man die Anzahl der in allen teutschen Ländern wohnhaften Israeliten, ohne Gefahr der Übertreibung, wohl auf eine halbe Million annehmen.)

Möge der Verf. der Sache, die er mit so lobenswerther Wärme und patriotischem Eifer vertheidigt und der wir den besten Erfolg wünschen, auch ferner seine Bemühungen widmen und uns in dem 2ten Hefte, nebst den übrigen Edicten verschiedener Regierungen über den gleichen Gegenstand, die er uns darin zu geben verspricht, besonders auch recht viele Thatsachen mittheilen, um die ganze gegenwärtige Lage der jüdischen Nation in Teutschland, so statistisch genau als möglich übersehen zu können.

Quelle: Anon. [Friedrich Schlegel], Rezension zu Carl August Buchholz, Actenstücke die Verbesserung des bürgerlichen Zustandes der Israeliten betreffend, in Oesterreichischer Beobachter, no. 61 (2. März 1815), S. 336–38. Online verfügbar unter: https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=obo&datum=18150302&zoom=33