Quelle
I. Die „Sechs Artikel“ vom 28. Juni 1832
Unter dankbarer Anerkennung der von Ihren Majestäten dem Kaiser von Oesterreich und dem Könige von Preußen wiederholt bewährten Fürsorge für das gemeinsame Beste des Deutschen Vaterlandes, vereinigen sich sämmtliche Bundesregierungen zu folgenden Bestimmungen:
Art. 1. Da nach dem Artikel 57 der Wiener Schlußacte die gesammte Staatsgewalt in dem Oberhaupte des Staates vereinigt bleiben muß, und der Souverain durch eine landständische Verfassung nur in der Ausübung bestimmter Rechte an die Mitwirkung der Stände gebunden werden kann, so ist auch ein Deutscher Souverain, als Mitglied des Bundes, zur Verwerfung einer hiermit in Widerspruch stehenden Petition der Stände nicht nur berechtigt, sondern die Verpflichtung zu dieser Verwerfung geht aus dem Zwecke des Bundes hervor.
Art. 2. Da gleichfalls nach dem Geiste des eben angeführten Art. 57 der Schlußacte und der hieraus hervorgehenden Folgerung, welche der Art. 58 ausspricht, keinem Deutschen Souverain durch die Landstände die zur Führung einer den Bundespflichten und der Landesverfassung entsprechenden Regierung erforderlichen Mittel verweigert werden dürfen, so werden Fälle, in welchen ständische Versammlungen die Bewilligung der zur Führung der Regierung erforderlichen Steuern auf eine mittelbare oder unmittelbare Weise durch die Durchsetzung anderweiter Wünsche und Anträge bedingen wollten, unter diejenigen Fälle zu zählen seyn, auf welche die Art. 25 und 26 der Schlußacte in Anwendung gebracht werden müßten.
Art. 3. Die innere Gesetzgebung der Deutschen Bundesstaaten darf weder dem Zwecke des Bundes, wie solcher in dem Art. 2 der Bundesacte und in dem Art. 1 der Schlußacte ausgesprochen ist, irgend einen Eintrag thun, noch darf dieselbe der Erfüllung sonstiger bundesverfassungsmäßiger Verbindlichkeiten gegen den Bund, und namentlich der dahin gehörigen Leistung von Geldbeiträgen, hinderlich seyn.
Art. 4. Um die Würde und Gerechtsame des Bundes und der den Bund repräsentirenden Versammlung gegen Eingriffe aller Art sicher zu stellen, zugleich aber in den einzelnen Bundesstaaten die Handhabung der zwischen den Regierungen und ihren Ständen bestehenden verfassungsmäßigen Verhältnisse zu erleichtern, soll am Bundestage eine mit diesem Geschäfte besonders beauftragte Commission, vor der Hand auf sechs Jahre, ernannt werden, deren Bestimmung seyn wird, insbesondere auch von den ständischen Verhandlungen in den Deutschen Bundesstaaten fortdauernd Kenntniß zu nehmen, die mit den Verpflichtungen gegen den Bund, oder mit den durch die Bundesverträge garantirten Regierungsrechten in Widerspruch stehenden Anträge und Beschlüsse zum Gegenstand ihrer Aufmerksamkeit zu machen, und der Bundesversammlung davon Anzeige zu thun, welche demnächst, wenn sie die Sache zu weiteren Erörterungen geeignet findet, solche mit den dabei betheiligten Regierungen zu veranlassen hat. Nach Verlauf von sechs Jahren wird die Fortdauer der Commission weiterer Vereinigung vorbehalten.
Art. 5. Da nach Art. 59 der Wiener Schlußacte, da, wo Oeffentlichkeit der landständischen Verhandlungen durch die Verfassung gestattet ist, die Grenzen der freien Aeußerung, weder bei den Verhandlungen selbst, noch bei deren Bekanntmachung durch den Druck, auf eine die Ruhe des einzelnen Bundesstaates, oder des gesammten Deutschlands gefährdende Weise überschritten werden darf, und dafür durch die Geschäftsordnung gesorgt werden soll; so machen auch sämmtliche Bundesregierungen, wie sie es ihren Bundesverhältnissen schuldig sind, sich gegen einander anheischig, zur Verhütung von Angriffen auf den Bund in den ständischen Versammlungen und zur Steuerung derselben, jede nach Maaßgabe ihrer innern Landesverfassung, die angemessenen Anordnungen zu erlassen und zu handhaben.
Art. 6. Da die Bundesversammlung schon nach dem Art. 17 der Schlußacte berufen ist, zur Aufrechthaltung des wahren Sinnes der Bundesacte und der darin enthaltenen Bestimmungen, wenn über deren Auslegung Zweifel entstehen sollte, dem Bundeszwecke gemäß zu erklären, so versteht es sich von selbst, daß zu einer Auslegung der Bundes- und der Schluß-Acte mit rechtlicher Wirkung auch nur allein und ausschließend der Deutsche Bund berechtigt ist, welcher dieses Recht durch sein verfassungsmäßiges Organ, die Bundesversammlung, ausübt.
Quelle: Protokolle der deutschen Bundesversammlung, 1832, 22. Sitzung; abgedruckt in Ernst Rudolf Huber, Hrsg., Deutsche Verfassungsdokumente, 1803–1850, Band 1, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, dritte neubearbeitete und vermehrte Auflage. Stuttgart: W. Kohlhammer, 1978, S. 132–33. Wiedergabe auf dieser Website mit freundlicher Genehmigung des Kohlhammer-Verlags.
II. Die „Zehn Artikel“ vom 5. Juli 1832
In Erwägung der gegenwärtigen Zeitverhältnisse und für die Dauer derselben, beschließt die Bundesversammlung, in Gemäßheit der ihr obliegenden Verpflichtung, die gemeinsamen Maaßregeln zur Aufrechthaltung der öffentlichen Ruhe und gesetzlichen Ordnung zu berathen, nach vernommenem Gutachten einer aus ihrer Mitte gewählten Commission, wie folgt:
Art. 1. Keine in einem nicht zum Deutschen Bunde gehörigen Staate in Deutscher Sprache im Druck erscheinende Zeit- oder nicht über zwanzig Bogen betragende sonstige Druckschrift politischen Inhalts darf in einem Bundesstaate, ohne vorgängige Genehmhaltung der Regierung desselben, zugelassen und ausgegeben werden; gegen die Uebertreter dieses Verbots ist eben so, wie gegen die Verbreiter verbotener Druckschriften, zu verfahren.
Art. 2. Alle Vereine, welche politische Zwecke haben, oder unter anderm Namen zu politischen Zwecken benutzt werden, sind in sämmtlichen Bundesstaaten zu verbieten und ist gegen deren Urheber und die Theilnehmer an denselben mit angemessener Strafe vorzuschreiten.
Art. 3. Außerordentliche Volksversammlungen und Volksfeste, nämlich solche, welche bisher hinsichtlich der Zeit und des Ortes weder üblich noch gestattet waren, dürfen, unter welchem Namen und zu welchem Zwecke es auch immer sey, in keinem Bundesstaate, ohne vorausgegangene Genehmigung der competenten Behörde, statt finden.
Diejenigen, welche zu solchen Versammlungen oder Festen durch Verabredungen oder Ausschreiben Anlaß geben, sind einer angemessenen Strafe zu unterwerfen.
Auch bei erlaubten Volksversammlungen und Volksfesten ist es nicht zu dulden, daß öffentliche Reden politischen Inhalts gehalten werden; diejenigen, welche sich dieß zu Schulden kommen lassen, sind nachdrücklich zu bestrafen, und wer irgend eine Volksversammlung dazu mißbraucht, Adressen oder Beschlüsse in Vorschlag zu bringen und durch Unterschrift oder mündliche Beistimmung genehmigen zu lassen, ist mit geschärfter Ahndung zu belegen.
Art. 4. Das öffentliche Tragen von Abzeichen in Bändern, Cocarden oder dergleichen, sey es von In- oder Ausländern, in andern Farben, als jenen des Landes, dem der, welcher solche trägt, als Unterthan angehört, — das nicht autorisirte Aufstecken von Fahnen und Flaggen, das Errichten von Freiheitsbäumen und dergleichen Aufruhrzeichen — ist unnachsichtlich zu bestrafen.
Art. 5. Der am 20. September 1819 gefaßte, gemäß weitern Beschlusses vom 12. August 1824 fortbestehende, provisorische Beschluß über die in Ansehung der Universitäten zu ergreifenden Maaßregeln, wird sowohl im Allgemeinen, als insbesondere hinsichtlich der in den §§ 2 und 3 desselben enthaltenen Bestimmungen, in den geeigneten Fällen, in so weit es noch nicht geschehen, unfehlbar zur Anwendung gebracht werden.
Art. 6. Die Bundesregierungen werden fortwährend die genaueste polizeiliche Wachsamkeit auf alle Einheimische, welche durch öffentliche Reden, Schriften oder Handlungen ihre Theilnahme an aufwieglerischen Planen kund, oder zu deßfallsigem Verdacht gegründeten Anlaß gegeben haben, eintreten lassen; sie werden sich wechselseitig mit Notizen über alle Entdeckungen staatsgefährlicher geheimer Verbindungen und der darin verflochtenen Individuen, auch in Verfolgung deßfallsiger Spuren, jederzeit auf's schleunigste und bereitwilligste unterstützen.
Art. 7. Auf Fremde, welche sich wegen politischer Vergehen oder Verbrechen in einen der Bundesstaaten begeben haben, sodann auf Einheimische und Fremde, die aus Orten oder Gegenden kommen, wo sich Verbindungen zum Umsturz des Bundes oder der Deutschen Regierungen gebildet haben und der Theilnahme daran verdächtig sind, ist besondere Aufmerksamkeit zu wenden; zu diesem Ende sind überall in den Bundeslanden die bestehenden Paßvorschriften auf das Genaueste zu beobachten und nöthigenfalls zu schärfen.
Auch werden die sämmtlichen Bundesregierungen dafür sorgen, daß verdächtigen ausländischen Ankömmlingen, welche sich über den Zweck ihres Aufenthalts im Lande nicht befriedigend ausweisen können, derselbe nicht gestattet werde.
Art. 8. Die Bundesregierungen machen sich verbindlich, diejenigen, welche in einem Bundesstaat politische Vergehen oder Verbrechen begangen, und sich, um der Strafe zu entgehen, in andere Bundeslande geflüchtet haben, auf erfolgende Requisition, in so fern es nicht eigene Unterthanen sind, ohne Anstand auszuliefern.
Art. 9. Die Bundesregierungen sichern sich gegenseitig auf Verlangen die promteste militärische Assistenz zu, und indem sie anerkennen, daß die Zeitverhältnisse gegenwärtig nicht minder dringend, als im October 1830, außerordentliche Vorkehrungen wegen Verwendung der militärischen Kräfte des Bundes erfordern, werden sie sich die Vollziehung des Beschlusses vom 21. October 1830 — betreffend Maaßregeln zur Herstellung und Erhaltung der Ruhe in Deutschland — auch unter den jetzigen Umständen, und so lange, als die Erhaltung der Ruhe in Deutschland es wünschenswerth macht, ernstlich angelegen seyn lassen.
Art. 10. Sämmtliche Bundesregierungen verpflichten sich, unverweilt diejenigen Verfügungen, welche sie zur Vollziehung vorbemerkter Maaßregeln nach Maaßgabe des in den verschiedenen Bundesstaaten sich ergebenden Erfordernisses getroffen haben, der Bundesversammlung anzuzeigen.
Quelle: Protokolle der deutschen Bundesversammlung, 1832, 24. Sitzung; abgedruckt in Ernst Rudolf Huber, Hrsg., Deutsche Verfassungsdokumente, 1803–1850, Band 1, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, dritte neubearbeitete und vermehrte Auflage. Stuttgart: W. Kohlhammer, 1978, S. 134–35. Wiedergabe auf dieser Website mit freundlicher Genehmigung des Kohlhammer-Verlags.