Kurzbeschreibung

Der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831), der bedeutendste Vertreter des deutschen Idealismus, postulierte eine umfassende Theorie von der Einheit des systematischen Wissens. In seiner Enzyklopädie der Philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1817), von der hier Auszüge folgen, fasst er gleichsam diesen Ansatz zusammen, behandelt seine Lehre von Geschichte als dialektischem Fortschreiten des philosophischen Freiheitsgedankens und definiert die übergeordnete Stellung der Königsdisziplin Philosophie gegenüber den empirischen Wissenschaften.

Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Auszüge aus Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1817)

  • Georg Wilhelm Friedrich Hegel

Quelle

EINLEITUNG.

§. 1.
Alle andern Wissenschaften, als die Philosophie haben solche Gegenstände, die als unmittelbar von der Vorstellung zugegeben, daher auch im Anfange der Wissenschaft als angenommen vorausgesetzt werden, so wie auch die im weitern Fortgang für erforderlich gehaltenen Bestimmungen aus der Vorstellung aufgenommen werden.

Eine solche Wissenschaft hat sich über die Nothwendigkeit des Gegenstandes selbst, den sie behandelt, nicht zu rechtfertigen; der Mathematik überhaupt, der Geometrie, der Arithmetik, der Rechtswissenschaft, Medicin, Zoologie, Botanik u.s.f. ist es zugestanden, vorauszusetzen, daß es eine Größe, Raum, Zahl, ein Recht, Krankheiten, Thiere, Pflanzen u.s.f. gibt, d. h. sie sind von der Vorstellung als vorhandene angenommen; man läßt sich nicht einfallen, an dem Seyn solcher Gegenstände zu zweifeln, und zu verlangen, daß aus dem Begriffe erwiesen werde, daß es an und für sich eine Größe, Raum, u.s.f. Krankheit, das Thier, Pflanze geben müsse. – Von einem solchen Gegenstande wird zuerst der bekannte Nahmen genannt. Dieser ist das Feste, gibt aber zunächst nur die Vorstellung der Sache. Es sollen aber auch weitere Bestimmungen von derselben angegeben werden. Sie können zwar gleichfalls aus der unmittelbaren Vorstellung aufgenommen werden. Hier thut sich jedoch leicht schon die Schwierigkeit hervor, daß solche aufgefaßt werden, von denen eben so unmittelbar zugegeben werde, daß sie in dem Gegenstande vorhanden, ingleichen daß sie die wesentlichen seyen. Was das Formelle daran betrifft, so ist dafür die Logik, die Lehre von den Definitionen, Eintheilungen u.s.f. vorausgesetzt; was aber den Inhalt betrifft, so ist gestattet, dabey auf eine empirische Weise zu verfahren, um bey sich und andern zu suchen, was für dergleichen Merkmahle factisch in der Vorstellung des allgemeinen Gegenstandes vorgefunden werde; welches Factum dann schon etwas sehr dem Streite unterworfenes seyn kann.

§. 2.
Der Anfang der Philosophie hat hingegen das Unbequeme, daß schon ihr Gegenstand, sogleich dem Zweifel und Streite nothwendig unterworfen ist, 1) seinem Gehalte nach, da er, wenn er nicht bloß [als Gegenstand] der Vorstellung, sondern als Gegenstand der Philosophie angegeben werden soll, in der Vorstellung nicht angetroffen wird, ja der Erkenntnißweise nach ihr entgegengesetzt ist, und das Vorstellen durch die Philosophie vielmehr über sich hinaus gebracht werden soll.

§. 3.
2) der Form nach ist er derselben Verlegenheit ausgesetzt, weil er, indem angefangen wird, ein unmittelbarer, aber seiner Natur nach von dieser Art ist, daß er sich als Vermitteltes darstellen, durch den Begriff als nothwendig erkannt werden soll, und zugleich die Erkenntnißweise und Methode nicht vorausgesetzt werden kann, da deren Betrachtung innerhalb der Philosophie selbst fällt.

Insofern es um nichts zu thun wäre, als der Vorstellung in ihr selbst den ganz unbestimmten Gegenstand der Philosophie nachzuweisen, so könnte man zu der gewöhnlichen Appellation seine Zuflucht nehmen, daß der Mensch, der mit sinnlichem Wahrnehmen und Begierde anfängt, sich bald darüber hinausgetrieben fühlt, zum Gefühl und zur Ahndung eines Höhern als er ist, eines unendlichen Seyns und unendlichen Willens, – an das allgemeine Interesse, das die Fragen haben: was ist die Seele, was ist die Welt, was ist Gott? – was kann ich wissen, nach was soll ich handeln, was kann ich hoffen u.s.f. Näher könnte an die Religion und ihren Gegenstand verwiesen werden. Abgesehen davon, daß solche Fragen und solche Gegenstände selbst sogleich mit Zweifel und Negation empfangen werden können, so enthält schon zum Theil das unmittelbare Bewußtseyn, noch mehr die Religion nach ihrer Weise, die Auflösung jener Fragen und eine Lehre über jene Gegenstände. Aber das Eigenthümliche, wodurch sie Inhalt der Philosophie sind, ist damit nicht ausgedrückt. – Deßwegen kann man sich auch schon über den Gegenstand, nicht auf die Autorität und allgemeine Uebereinstimmung berufen, was unter Philosophie verstanden werde. Schon die im §. gemachte Forderung der Erkenntniß der Nothwendigkeit durch den Begriff, wird nicht zugestanden, indem es Viele gibt, welche meynen, sie haben Philosophie, ungeachtet sie gerade von der Erkenntniß der Nothwendigkeit abstrahiren, und ihre Gegenstände vielmehr aus dem unmittelbaren Gefühl und Anschauen nehmen, und solche Unmittelbarkeit des Wahrnehmens sogar Vernunft nennen. Wie denn in diesem Sinne Newton und die Engländer auch die Experimentalphysik Philosophie, daher auch Electrisirmaschinen, magnetischen Apparat, Luftpumpen u.s.f. philosophische Instrumente nennen, da doch wohl nicht eine Zusammensetzung von Holz, Eisen u.s.f. sondern allein das Denken das Instrument der Philosophie genannt werden könnte.[1])

§. 4.
Weil der Gegenstand der Philosophie nicht ein unmittelbarer ist, so kann sein Begriff und der Begriff der Philosophie selbst, nur innerhalb ihrer gefaßt werden was von demselben so wie von ihr hier eigentlich vor ihr selbst gesagt wird, ist daher etwas anticipirtes, für sich noch unbegründetes, jedoch darum auch unbestreitbares und mit der Absicht zu nehmen, eine unbestimmte, nur vorläufige historische Bekanntschaft zu verschaffen.

§. 5.
Die Philosophie wird hiemit hier für die Wissenschaft der Vernunft ausgegeben und zwar insofern die Vernunft ihrer selbst als alles Seyns bewußt wird.

Alles andere Wissen, als das philosophische ist Wissen von Endlichem, oder ein endliches Wissen, weil überhaupt darin die Vernunft als ein subjectives einen gegebenen Gegenstand voraussetzt, somit sich selbst nicht in ihm erkennt. Wenn auch die Gegenstände im Selbstbewußtseyn gefunden werden, wie Recht, Pflicht u.s.f. so sind es einzelne Gegenständen neben und ausser welchen, somit auch außer dem Selbstbewußtseyn, sich der übrige Reichthum des Universums befinde. Der Gegenstand der Religion ist zwar für sich der unendliche Gegenstand, der Alles in sich befassen soll; aber ihre Vorstellungen bleiben sich nicht getreu, indem ihr auch wie der die Welt ausser dem Unendlichen selbständig bleibt, und was sie als die höchste Wahrheit angibt, zugleich unergründlich, Geheimniß und unerkennbar, ein Gegebenes, und nur in der Form eines Gegebenen und Aeusserlichen für das unterscheidende Bewußtseyn bleiben soll. In ihr ist das Wahre in Gefühl, Anschauung, in Ahndung, in Vorstellung, in der Andacht überhaupt, auch mit Gedanken durchflochten, aber die Wahrheit nicht in der Form der Wahrheit. Sie macht überhaupt eine eigene, von dem übrigen Bewußtseyn abgetrennte Region aus, wenn auch ihr Gemüth allumfassend ist. – Die Philosophie kann auch als die Wissenschaft der Freyheit betrachtet werden; weil in ihr die Fremdartigkeit der Gegenstände und damit die Endlichkeit des Bewußtseyns verschwindet, so fällt allein in ihr die Zufälligkeit, Naturnothwendigkeit, und das Verhältniß zu einer Aeusserlichkeit überhaupt, hiemit Abhängigkeit, Sehnsucht und Furcht hinweg; nur in der Philosophie ist die Vernunft durchaus bey sich selbst. – Aus demselben Grunde hat in dieser Wissenschaft die Vernunft auch nicht die Einseitigkeit einer subjectiven Vernünftigkeit, weder als ob sie Eigenthum eines eigenthümlichen Talents oder Geschenk eines besondern göttlichen Glücks – oder auch Unglücks – sey, wie der Besitz künstlerischer Geschicklichkeit, sondern da sie nichts ist, als die Vernunft im Bewußtseyn ihrer selbst, so ist sie ihrer Natur nach fähig allgemeine Wissenschaft zu seyn. Noch ist sie der Idealismus, in welchem der Inhalt des Wissens nur die Bestimmung eines durch Ich gesetzten, eines subjectiven innerhalb des Selbstbewußtseyns eingeschlossenen Erzeugnisses hat; weil die Vernunft ihrer selbst als des Seyns bewußt ist, ist die Subjectivität, das Ich, das sich als ein Besonderes gegen die Objecte, und seine Bestimmungen als in ihm und von anderm ausser oder über ihm befindlichen unterschiedene weiß, aufgehoben und in die vernünftige Allgemeinheit versenkt.

§. 6.
Die Philosophie ist Encyklopädie der philosophischen Wissenschaften, insofern ihr ganzer Umfang mit der bestimmten Angabe der Theile, und philosophische Encyklopädie ist sie, insofern die Abscheidung und der Zusammenhang ihrer Theile nach der Nothwendigkeit des Begriffes, dargestellt wird.

Indem die Philosophie durch und durch vernünftiges Wissen ist, ist jeder ihrer Theile ein philosophisches Ganzes, ein sich in sich selbst schließender Kreis der Totalität, aber die philosophische Idee ist darin in einer besondern Bestimmtheit oder Elemente. Der einzelne Kreis durchbricht darum, weil er in sich Totalität ist, auch die Schranke seines Elements und begründet eine weitere Sphäre; das Ganze stellt sich daher als ein Kreis von Kreisen dar, deren jeder ein nothwendiges Moment ist, so daß das System ihrer eigenthümlichen Elemente die ganze Idee ausmacht, die ebenso in jedem einzelnen erscheint.

§. 7.
Die Philosophie ist auch wesentlich Encyklopädie, indem das Wahre nur als Totalität, und nur durch Unterscheidung und Bestimmung seiner Unterschiede die Nothwendigkeit derselben und die Freyheit des Ganzen seyn kann; sie ist also nothwendig System.

Ein Philosophiren ohne System kann nichts wissenschaftliches seyn; außerdem daß es für sich mehr eine subjective Sinnesart ausdrückt, ist es seinem Inhalte nach zufällig, indem derselbe nur als Moment des Ganzen seine Rechtfertigung, außer demselben aber eine unbegründete Voraussetzung oder subjective Gewißheit hat.

§. 8.
Unter einem Systeme der Philosophie wird fälschlich nur eine Philosophie von einem bestimmten, von andern unterschiedenen Princip verstanden; es ist im Gegentheil Princip wahrhafter Philosophie alle besondern Principien in sich zu enthalten. Sie zeigt dieß sowohl an ihr selbst, als auch ihre Geschichte an den verschieden erscheinenden Philosophien theils nur Eine Philosophie auf verschiedenen Ausbildungs-Stufen aufzeigt, theils daß die besondern Prinzipien, deren eines einem System zu Grunde lag, nur Zweige eines und desselben Ganzen sind.

Es muß hiebey das Allgemeine und Besondere seiner eigentlichen Bestimmung nach unterschieden werden; das Allgemeine formell genommen und neben das Besondere gestellt, wird selbst auch zu etwas Besonderem. Solche Stellung würde bey Gegenständen des gemeinen Lebens von selbst als unangemessen und ungeschickt auffallen, wie wenn z. B. einer, der Obst forderte, Kirschen, Birnen, Trauben, u.s.f. ausschlüge, weil sie Kirschen, Birnen, Trauben, nicht aber Obst seyen. – In Ansehung der Philosophie aber läßt man es sich zu, theils die Verschmähung derselben damit zu rechtfertigen, weil es so verschiedene Philosophien gebe, und jede nur eine Philosophie, nicht die Philosophie sey, – als ob nicht auch die Kirschen Obst wären; – theils eine solche, deren Princip das Allgemeine ist, neben solche, deren Princip ein besonderes ist, ja sogar neben Lehren zu stellen, die versichern, daß es gar keine Philosophie gebe, und diesen Nahmen für eine Gedankenbewegung gebrauchen, welche das Wahre als gegebenes und unmittelbares voraussetzt, und an demselben Reflexionen anstellt.

§. 9.
Als Encyklopädie aber ist die Wissenschaft nicht in der ausführlichen Entwicklung ihrer Besonderung darzustellen, sondern ist auf die Anfänge und Grundbegriffe der besondern Wissenschaften zu beschränken.

Wie viel von den besondern Theilen dazu gehöre, eine besondere Wissenschaft zu constitutiren, ist insoweit ganz unbestimmt, als der Theil nur nicht ein vereinzeltes Moment, sondern eine Totalität seyn muß, um ein Wahres zu seyn. Das Ganze der Philosophie macht daher wahrhaft Eine Wissenschaft aus, aber sie kann auch als ein Ganzes von mehreren besondern Wissenschaften angesehen werden.

§. 10.
Was in einer Wissenschaft wahr ist, ist es durch und Kraft der Philosophie, deren Encyklopädie daher alle wahrhaften Wissenschaften umfaßt.

Die philosophische Encyklopädie unterscheidet sich von einer andern, gewöhnlichen Encyklopädie dadurch, daß diese ein Aggregat der Wissenschaften ist, welche zufälliger und empirischer Weise aufgenommen, und worunter auch solche sind, die nur den Nahmen von Wissenschaften tragen, sonst aber selbst eine bloße Sammlung von Kenntnissen sind. Die Einheit, in welche in solchem Aggregate die Wissenschaften zusammen gebracht werden, ist, weil sie äusserlich aufgenommen sind, gleichfalls eine äusserliche, – eine Ordnung. Diese muß aus demselben Grunde, zudem da auch die Materialien zufälliger Natur sind, ein Versuch bleiben, und immer unpassende Seiten zeigen. – Außerdem denn, daß die philosophische Encyklopädie 1) solche bloße Aggregate von Kenntnissen – wie z. B. die Philologie ist, ausschließt, so auch ohnehin 2) solche, welche die bloße Willkühr zu ihrem Grunde haben, wie z. B. die Heraldik; Wissenschaften dieser Art sind die durch und durch positiven. 3) Andere Wissenschaften werden auch positive genannt, welche jedoch einen rationellen Grund und Anfang haben; dieser Theil von ihnen gehört der Philosophie an; die positive Seite aber bleibt ihnen eigenthümlich. Solcher Art sind die außer der Philosophie für sich bestehenden Wissenschaften überhaupt. Die Positive derselben ist jedoch von verschiedener Art. 1) Ihr Anfang, das Wahrhaft-Wahre, hat in ihnen dadurch das Zufällige zu seinem Ende, daß sie das Allgemeine in die empirische Einzelnheit und Wirklichkeit herunterzuführen haben. In diesem Felde der Veränderlichkeit und Zufälligkeit kann nicht der Begriff, sondern [können] nur Gründe geltend gemacht werden. Die Rechtswissenschaft z. B. oder das System der directen und indirecten Abgaben, erfordern letzte genaue Entscheidungen, die außer dem An- und für sich Bestimmtseyn des Begriffes liegen, und daher eine Breite für die Bestimmung zulassen, die nach einem Grunde so und nach einem andern anders gefaßt werden kann, und keines sichern Letzten fähig ist. Ebenso verläuft sich die Idee der Natur in ihrer Vereinzelung in Zufälligkeiten, und die Naturgeschichte, Erdbeschreibung, Medicin u.s.f. geräth in Bestimmungen der Wirklichkeit, in Arten und Unterschiede, die von äusserlichem Zufall und vom Spiele, nicht durch Vernunft bestimmt sind; auch die Geschichte gehört hieher, insofern die Idee ihr Wesen, deren Erscheinung aber in der Zufälligkeit und im Felde der Willkühr ist. 2) Solche Wissenschaften sind auch insofern positiv, als sie ihre Begriffe nicht für endlich erkennen, noch den Uebergang derselben und ihrer ganzen Sphäre in eine höhere aufzeigen, sondern sie für schlechthin geltend annehmen. Mit dieser Endlichkeit der Form, wie die erste die Endlichkeit des Stoffes ist, hängt 3) die des Erkenntnißgrundes zusammen, theils indem Wissenschaften sich räsonnirend verhalten, theils aber insofern Gefühl, Glauben, Autorität anderer, überhaupt der innern oder äussern Anschauung, Erkenntnißgrund sind, wozu Religion sowie die Philosophie, welche sich auf Anthropologie, Thatsachen des Bewußtseyns, innere Anschauung oder äußere Erfahrung gründen will, – wie auch Naturgeschichte u.s.f. gehört. 4) Es kann noch seyn, daß bloß die Form der wissenschaftlichen Darstellung empirisch und begrifflos ist, aber sonst die sinnvolle Anschauung das, was nur Erscheinungen sind, so ordnet, wie die innere Folge des Begriffes ist. Es gehört dazu noch, daß durch die Entgegensetzung und Mannigfaltigkeit der zusammengestellten Erscheinungen die äusserlichen, zufälligen Umstände der Bedingungen sich aufheben, wodurch dann das Allgemeine vor den Sinn tritt. – Eine sinnige Experimental-Physik, Geschichte u.s.f. würde auf diese Weise die rationelle Wissenschaft der Natur und der menschlichen Begebenheiten und Thaten in einem äußerlichen, den Begriff abspiegelnden Bilde darstellen.

§. 11.
Das Ganze der Wissenschaft ist die Darstellung der Idee; ihre Eintheilung kann daher nur erst aus dieser begriffen werden. Weil die Idee nun die sich selbst gleiche Vernunft ist, welche [sich], um für sich [zu] seyn, sich gegenüberstellt und sich ein anderes ist, aber in diesem Andern sich selbst gleich ist, so zerfällt die Wissenschaft in die 3 Theile: 1) die Logik, die Wissenschaft der Idee an und für sich; 2) die Naturphilosophie als die Wissenschaft der Idee in ihrem Andersseyn; 3) die Philosophie des Geistes, als der Idee die aus ihrem Andersseyn in sich zurückkehrt.

1) Die Eintheilung einer Wissenschaft, die ihr selbst vorangeschickt wird, ist zunächst eine äußerliche Reflexion über ihren Gegenstand, denn die Unterschiede seines Begriffs können sich nur durch die Erkenntniß desselben ergeben, welche aber eben die Wissenschaft selbst ist. So ist die Eintheilung der Philosophie eine Anticipation dessen, was sich durch die eigene Nothwendigkeit der Idee selbst erzeugt. 2) Oben §. 6. ist bereits bemerkt, daß die Unterschiede der besondern Wissenschaften, nur Bestimmungen der Idee selbst [sind], und sie es nur ist, die sich in diesen verschiedenen Elementen darstellt. In der Natur ist es nicht ein Anderes, als die Idee, welches erkannt würde, sondern sie ist in der Form der Entäusserung; sowie im Geiste ebendieselbe als für sich seyend und an und für sich werdend. Eine solche Bestimmung, in der die Idee erscheint, ist ferner ein fließendes Moment, daher ist die einzelne Wissenschaft eben so sehr dieß, ihren Inhalt als seyenden Gegenstand, als auch dieß, zugleich und unmittelbar darin seinen Uebergang in seinen höhern Kreis zu erkennen. Die Vorstellung der Eintheilung hat deswegen dieß Unrichtige, daß sie die besondern Theile oder Wissenschaften nebeneinander hinstellt, als ob sie nur ruhende und in ihrer Unterscheidung substantielle, wie Arten, wären.

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B. DIE PHILOSOPHIE DER NATUR.

§. 193.
Die Natur hat sich als die Idee in der Form des Andersseyns ergeben. Da in ihr die Idee als das Negative ihrer selbst oder sich äusserlich ist, so ist die Natur nicht nur relativ äusserlich gegen diese Idee, sondern die Aeusserlichkeit macht die Bestimmung aus, in welcher sie als Natur ist.

§. 194.
In dieser Aeusserlichkeit haben die Begriffsbestimmungen den Schein eines gleichgültigen Bestehens und der Vereinzelung gegeneinander; der Begriff ist deswegen als Innerliches. Die Natur zeigt daher in ihrem Daseyn keine Freyheit, sondern Nothwendigkeit und Zufälligkeit.

Die Natur ist deßwegen nach ihrer bestimmten Existenz, wodurch sie eben Natur ist, nicht zu vergöttern, noch sind Sonne, Mond, Thiere, Pflanzen u.s.f. vorzugsweise vor menschlichen Thaten und Begebenheiten, als Werke Gottes zu betrachten und anzuführen. – Die Natur ist an sich, in der Idee göttlich, aber in dieser ist ihre bestimmte Art und Weise, wodurch sie Natur ist, aufgehoben. Wie sie ist, entspricht ihr Seyn ihrem Begriffe nicht; ihre existirende Wirklichkeit hat daher keine Wahrheit; ihr abstractes Wesen ist das Negative wie die Alten die Materie überhaupt als das non-ens gefaßt haben. Weil sie aber obzwar in solchem Elemente Darstellung der Idee ist, so mag man in ihr wohl die Weisheit Gottes bewundern; wenn aber Vanini sagte, daß ein Strohhalm hinreiche, um das Seyn Gottes zu erkennen, so ist jede Vorstellung des Geistes, die schlechteste seiner Einbildungen, das Spiel seiner zufälligsten Launen, jedes Wort ein vortreflicherer Erkenntnißgrund für Gottes Seyn, als irgend ein einzelner Naturgegenstand. In der Natur hat das Spiel der Formen nicht nur seine ungebundene, zügellose Zufälligkeit, sondern jede Gestalt für sich entbehrt des Begriffs ihrer selbst. Das Höchste, zu dem es die Natur in ihrem Daseyn treibt, ist das Leben, aber als nur natürliche Idee ist dieses der Unvernunft der Aeusserlichkeit hingegeben, und die individuelle Lebendigkeit ist in jedem Momente ihrer Existenz mit einer ihr andern Einzelnheit befangen; da hingegen in jeder geistigen Aeusserung das Moment freyer allgemeiner Beziehung auf sich selbst enthalten ist. – Mit Recht ist die Natur überhaupt als der Abfall der Idee von sich selbst bestimmt worden, weil sie in dem Elemente der Aeusserlichkeit die Bestimmung der Unangemessenheit ihrer selbst mit sich hat. – Ein gleicher Misverstand ist es, wenn menschliche Kunstwerke natürlichen Dingen deßwegen nachgesetzt werden, weil zu jenen das Material von Aussen genommen werden müsse, und weil sie nicht lebendig seyen. – Als ob die geistige Form, nicht eine höhere Lebendigkeit enthielte, und des Geistes würdiger wäre, als die natürliche, und als ob in allem Sittlichen nicht auch das, was man Materie nennen kann, ganz allein dem Geiste angehörte. – Die Natur bleibt, bey aller Zufälligkeit ihrer Existenzen, ewigen Gesetzen getreu; aber doch wohl auch das Reich des Selbstbewußtseyns; – was schon in dem Glauben anerkannt wird, daß eine Vorsehung die menschlichen Begebenheiten leite; – oder sollten die Bestimmungen dieser Vorsehung in diesem Felde auch nur zufällig und unvernünftig seyn? – Wenn aber die geistige Zufälligkeit, die Willkühr, bis zum Bösen fortgeht, so ist dieß noch ein unendlich höheres als das gesetzmäßige Benehmen der Gestirne oder als die Unschuld der Pflanze.

§. 195.
Die Natur ist als ein System von Stuffen zu betrachten, deren eine aus der andern nothwendig hervorgeht und die nächste Wahrheit derjenigen ist, aus welcher sie resultirt, aber nicht so, daß die eine aus der andern natürlich erzeugt würde, sondern in der innern den Grund der Natur ausmachenden Idee.

Es ist eine ungeschickte Vorstellung älterer auch neuerer Naturphilosophie gewesen, die Fortbildung und den Uebergang einer Naturform und Sphäre in eine höhere als eine äusserlich wirkliche Production anzusehen, die man jedoch um sie deutlicher zu machen, in das Dunkel der Vergangenheit zurückgelegt hat. Der Natur ist gerade diese Aeusserlichkeit eigenthümlich, die Unterschiede auseinander fallen und sie als gleichgültige Existenzen auftreten zu lassen; und der dialektische Begriff, der die Stuffen fortleitet, ist das Innere, das nur im Geiste hervortritt. – Die vormals so beliebte teleologische Betrachtung hat zwar die Beziehung auf den Begriff überhaupt, ingleichen auch auf den Geist zu Grunde gelegt, aber sich nur an die äusserliche Zweckmäßigkeit gehalten, – (§. 155.) und den Geist in dem Sinne des endlichen und in natürlichen Zwecken befangenen betrachtet; um der Schaalheit solcher endlichen Zwecke willen, für welche sie die natürlichen Dinge als nützlich zeigte, ist sie um ihren Credit, die Weisheit Gottes aufzuzeigen, gekommen. – Die Betrachtung der Nützlichkeit der natürlichen Dinge hat die Wahrheit in sich, daß sie nicht an und für sich absoluter Zweck sind; diese Negativität, ist ihnen aber nicht äusserlich, sondern das immanente Moment ihrer Idee, das ihre Vergänglichkeit und Uebergehen in eine andere Existenz, zugleich aber in einen höhern Begriff bewirkt.

§. 196.
Die Natur ist an sich ein lebendiges Ganzes; die Bewegung ihrer Idee durch ihren Stuffengang ist näher dieß, sich als das zu setzen, was sie an sich ist; oder was dasselbe ist, aus ihrer Unmittelbarkeit und Aeusserlichkeit, welche der Tod ist, in sich zu gehen, um als Lebendiges zu seyn, aber ferner auch diese Bestimmtheit der Idee, in welcher sie nur Leben ist, aufzuheben, und zum Geiste zu werden, der ihre Wahrheit ist.

§. 197.
Die Idee als Natur ist 1) als das allgemeine, ideelle Aussersichseyn, als Raum und Zeit; 2) als das reelle Aussereinander, das besondere oder materielle Daseyn, – unorganische Natur; 3) als lebendige Wirklichkeit; organische Natur. Die drey Wissenschaften können daher Mathematik, Physik und Physiologie genannt werden.

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ZWEYTER THEIL. DIE PHYSIK.

§. 205.
Die Materie hält sich in ihr selbst durch das Moment ihrer Negativität, Verschiedenheit oder abstrakter Vereinzelung auseinander; sie hat Repulsion. Ihr Aussereinander ist aber eben so wesentlich, weil diese Verschiedenen ein und dasselbe sind, die negative Einheit dieses aussereinanderseyenden Fürsichseyns, – somit continuirlich. Die Materie hat daher Attraction. Die Einheit dieser Momente ist die Schwere.

Kant hat unter andern auch das Verdienst, durch seinen Versuch einer sogenannten Construction der Materie, in seinen metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft, den Anfang zu einem Begriff der Materie gemacht zu haben, nachdem sie vorher nur als ein Todtes des Verstandes zu Grunde gelegen hatte, und ihre Bestimmungen in dem Verhältnisse von Eigenschaften aufgefaßt worden waren. – Mit diesem Versuche hat Kant den Begriff der Naturphilosophie erweckt, welche nichts anders ist, als das Begreifen der Natur, oder was dasselbe ist, die Erkenntniß des Begriffes in der Natur. Er hat aber dabey die Reflexionsbestimmungen von Attractivkraft und Repulsivkraft als fertige angenommen, und wieder bey Bestimmung derselben, aus welchen die Materie hervorgehen sollte, diese als ein fertiges vorausgesetzt, – eine Verwirrung, die eine nothwendige Folge ist, weil jene abstracten Momente ohne ihre Identität nicht begriffen werden können, oder vielmehr weil die Betrachtung dieser entgegengesetzten Bestimmungen sich unmittelbar in ihre Identität auflößt. Ausführlicher habe ich die in dieser Kantischen Exposition herrschende Verwirrung, in meinem System der Logik, 1r. Band 1r. Th. S. 119 ff. dargestellt.

§. 206.
Die Materie ist als Schwer nur erst 1) die in sich seyende, oder allgemeine Materie; sie ist der Gegenstand der Mechanik. Aber dieser Begriff muß sich 2) specificiren; so ist sie die elementarische Materie, und Gegenstand der elementarischen Physik. 3) Die besondere Materie sich in die Einzelnheit zusammennehmend ist die individualisirte Materie, und Gegenstand der Physik der eigentlichen Körperwelt.

A. DIE MECHANIK.

§. 207.
Die Materie hat zunächst als bloß allgemeine nur einen quantitativen Unterschied, und besondert sich in verschiedene Quanta, – Massen, welche in der oberflächlichen Bestimmung eines Ganzen oder Eins, Körper sind.

§. 208.
Der Körper ist 1) als schwere Materie die gediegene Identität des Raums und der Zeit, aber 2) als die erste Negation hat er ihre von einander und von ihm unterschiedene Idealität an ihm und ist wesentlich im Raume und in der Zeit, deren gegen diese Form gleichgültigen Inhalt er ausmacht.

§. 209.
3) Der Körper ist als der Raum, in welchem die Zeit aufgehoben ist, dauernd, und 4) als die Zeit, in der das gleichgültige Bestehen des Raums aufgehoben ist, vergänglich, und überhaupt ein ganz zu fälliges Eins, 5) aber ist er die beyde in ihrer Entgegensetzung bindende Einheit; so hat er wesentlich Bewegung, die Erscheinung der Schwere.

Wie die Kräfte als der Materie nur eingepflanzt angesehen worden, so ist es insbesondere auch die Bewegung, welche selbst in der wissenschaftlich seyn sollenden Physik, als eine dem Körper äusserliche Bestimmung betrachtet wird; so daß es ein Haupt-Axiom der Mechanik ist, daß der Körper schlechthin nur durch eine äusserliche Ursache in Bewegung als in einen Zustand versetzt werden soll. Einerseits ist es der Verstand, welcher Bewegung und Ruhe als begrifflose Bestimmungen auseinander hält, und deswegen ihr Uebergehen in einander nicht erfaßt, andererseits schweben der Vorstellung nur die selbstlosen Körper der Erde vor, die der Gegenstand der gemeinen Mechanik sind. Die Bestimmungen, welche an der Erscheinung solcher Körper vorkommen und gelten, werden zu Grunde gelegt, und die Natur der selbstständigen Körper darunter subsumirt; wogegen in Wahrheit diese vielmehr die allgemeinen und jene die schlechthin subsumirten sind, und in der absoluten Mechanik sich der Begriff in seiner Wahrheit und eigenthümlich darstellt.

§. 210.
In der Bewegung setzt sich die Zeit räumlich als Ort, aber diese gleichgültige Räumlichkeit wird ebenso unmittelbar zeitlich; der Ort wird ein anderer (§. 204.) Diese Differenz der Zeit und des Raums ist als Unterschied ihrer absoluten Einheit, des gleichgültigen Inhalts, ein Unterschied von Körpern, welche sich auseinander halten, und ebensosehr durch ihre Schwere ihre Einheit suchen; – allgemeine Gravitation.

§. 211.
Die Gravitation ist der wahrhafte und bestimmte Begriff der materiellen Körperlichkeit, die damit ebenso wesentlich in besondere Körper getheilt ist, und ihr erscheinendes Daseyn, das Moment der äusserlichen Einzelnheit, in der Bewegung hat, welche hiedurch unmittelbar als eine Relation mehrerer Körper bestimmt ist.

Die allgemeine Gravitation muß für sich als ein tiefer Gedanke anerkannt werden, der eine absolute Grundlage für die Mechanik ausmacht, wenn er schon zunächst in der Sphäre der Reflexion gefaßt, die Aufmerksamkeit und Zutrauen vornemlich durch die damit verbundene quantitative Bestimmung auf sich zog, und seine Bewährung nur in der vom Sonnensystem bis auf die Erscheinung der Haarrörchen herab verfolgten Erfahrung finden sollte. – Uebrigens widerspricht die Gravitation unmittelbar dem Gesetze der Trägheit, denn vermöge jener strebt die Materie aus sich selbst zur anderen hin. – Im Begriffe der Schwere sind, wie gezeigt, selbst die beyden Momente des Fürsichseyns, und der das Fürsichseyn aufhebenden Continuität enthalten. Diese Momente des Begriffs erfahren nun das Schicksal, als besondere Kräfte, entsprechend der Attractiv- und Repulsivkraft, in näherer Bestimmung als Centripetal- und Centrifugalkraft gefaßt zu werden, die wie die Schwere auf die Körper agiren, unabhängig von einander und zufälligerweise in einem Dritten, dem Körper, zusammenstoßen sollen. Hiedurch wird, was am Gedanken der Schwere Tiefes ist, wieder zu nichte gemacht, und so lange kann Begriff und Vernunft nicht in die Lehre der absoluten Bewegung eindringen, als die so gepriesenen Entdeckungen der Kräfte darin herrschend sind. – Wenn man den quantitativen Bestimmungen, welche über Gesetze dieser beyden Kräfte ausgefunden worden, aufmerksam nachgeht, so entdeckt sich bald die Verwirrung, die aus jener Scheidung entsteht. Noch größer aber wird sie, wenn ihrer im Verhältnisse zur Schwere erwähnt wird; die Gravitation, die auch Attraction genannt wird, erscheint dann als dasselbe mit der Centripetalkraft, das Gesetz für diese einzelne Kraft als ein Gesetz des Ganzen der Gravitation, und die Centrifugalkraft, die ein anderesmal wieder für schlechthin wesentlich gilt, als etwas ganz überflüssiges. – In obigem Schlusse, welcher die unmittelbare Idee der Schwere enthält, sie selbst nemlich als den Begriff, welcher durch die Besonderheit der Körper in die äusserliche Realität der Bewegung tritt, ist die vernünftige Identität und Untrennbarkeit dieser drey Momente enthalten. – Auch zeigt sich in demselben die Relativität der Bewegung, als sie schlechthin nur im Systeme mehrerer und zwar nach verschiedener Bestimmung zu einander im Verhältniß stehender Körper einen Sinn hat; welche verschiedene Bestimmung sich sogleich ergeben wird.

§. 212.
Die besondern Körper, in welchen die Schwere realisirt ist, haben zu Bestimmungen ihrer unterschiedenen Natur die Momente ihres Begriffs. Einer ist also das allgemeine Centrum des Insichseyns. Diesem Extreme steht die aussersichseyende, centrumlose Einzelnheit entgegen. Die besondern aber sind andere, die in der Bestimmung des Aussersichseyns stehen und als zugleich insichseyende auch Centra für sich sind, und sich auf den ersten als auf ihre wesentliche Einheit beziehen; – eine Beziehung, die nicht eine Beziehung von Masse zu Masse, sondern qualitativ ist.

§. 213.
1) Die Bewegung der Körper der relativen Centralität in Beziehung auf den Körper der abstracten, allgemeinen, ist die absolut freye Bewegung, und der Schluß dieses Systemes ist, daß der allgemeine Centralkörper durch die relativen mit der unselbstständigen Körperlichkeit zusammengeschlossen ist.

Die Gesetze der absolut-freyen Bewegung sind bekanntlich von Keppler entdeckt worden; – eine Entdeckung von unsterblichem Ruhme. Bewiesen hat Keppler dieselbe in dem Sinne, daß er für die empirischen Data ihren allgemeinen Ausdruck gefunden hat. (§. 174.) Es ist seitdem zu einer allgemeinen Redensart geworden, daß Newton erst die Beweise jener Gesetze gefunden habe. Nicht leicht ist ein Ruhm ungerechter von einem ersten Entdecker auf einen andern übergegangen. Ich mache hier nur darauf aufmerksam, daß im Grunde bereits von den Mathematikern zugestanden wird 1) daß die Newtonischen Formeln sich aus den Kepplerischen Gesetzen ableiten lassen, 2) daß der Newtonische Beweis von dem Satze, daß ein dem Gravitationsgesetze unterworfener Körper sich in einer Ellipse um den Centralkörper bewege, auf eine konische Section überhaupt geht; während der Hauptsatz der bewiesen werden sollte, gerade darin besteht, daß die Bahn eines solchen Körpers nicht ein Kreis oder sonst eine konische Section, sondern allein die Ellipse ist. Die Bedingungen, welche die Bahn des Körpers zu einem bestimmten Kegelschnitte machen, werden auf einen empirischen Umstand, nemlich eine besondere Lage des Körpers in einem bestimmten Zeitpunkte, und die zufällige Stärke eines Stoßes, den er ursprünglich erhalten haben sollte, zurückgeführt; 3) daß das Newtonische Gesetz von der sogenannten Kraft der Schwere gleichfalls nur aus der Erfahrung durch Induction aufgezeigt ist. – Bey näherer Betrachtung zeigt sich, daß das, was Keppler auf eine einfache und erhabene Weise, in der Form von Gesetzen der himmlischen Bewegung ausgesprochen, Newton in die begrifflose Reflexionsform von Kraft der Schwere umgewandelt hat. Die ganze Manier dieses sogenannten Beweisens stellt überhaupt ein verworrenes Gewebe dar, aus Linien der bloß geometrischen Construction, welchen eine Physicalische Bedeutung von selbstständigen Kräften gegeben wird, und aus leeren Verstandesbegriffen von einer beschleunigenden Kraft, von Zeittheilchen, zu deren Anfang jene immer von neuem einwirkt, einer Kraft der Trägheit, welche deren vorherige Wirkung fortsetzen soll u.s.f. – Ein vernünftiger Beweis über die quantitativen Bestimmungen der freyen Bewegung kann allein auf den Begriffsbestimmungen des Raums und der Zeit, der Momente, deren Verhältniß die Bewegung ist, beruhen.

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DRITTER THEIL. ORGANISCHE PHYSIK.

§. 261.
Die reelle Totalität des individuellen Körpers, indem sie ihre Besonderheit zum Producte gemacht und es eben so aufgehoben hat, hat sich damit in die erste Idealität der Natur erhoben, so daß sie aber eine erfüllte und wesentlich selbstische und subjective geworden ist. Die Idee ist somit zur Existenz gekommen, zunächst zur unmittelbaren, zum Leben. Dieses ist a) als Gestalt, das allgemeine Bild des Lebens; der geologische Organismus; b) als besondere oder formelle Subjectivität, die vegetabilische, c) als einzelne concrete Subjectivität, animalische Natur.

A. DIE GEOLOGISCHE NATUR.

§. 262.
Das allgemeine System der individuellen Körper ist die Erde, welche im chemischen Processe zunächst ihre abstracte Individualität in der Besonderung hat, aber als Totalität derselben die unendliche Beziehung auf sich, allgemeiner sich selbst anfachender Proceß, – unmittelbares Subject und Product desselben ist. Aber als die von der subjectiven Totalität sich selbst vorausgesetzte, unmittelbare Totalität ist der Erdkörper nur die Gestalt des Organismus.

§. 263.
Die Glieder dieses Organismus enthalten daher nicht die Allgemeinheit des Processes in sich selbst, sie sind die besondern Individuen, und machen ein System aus, dessen Gebilde sich als Glieder der Entfaltung einer zum Grunde liegenden Idee darstellen, dessen Bildungsproceß ein vergangener ist.

§. 264.
Die Mächte dieses Processes, welche die Natur jenseits der Erde als Selbstständigkeiten zurückläßt, sind der Zusammenhang und die Stellung der Erde im Sonnensystem, ihr solarisches, lunarisches und kometarisches Leben, die Neigung ihrer Achse auf die Bahn und die magnetische Achse. Zu diesen Achsen und deren Polarisation steht in näherer Beziehung die Vertheilung des Meers und des Lands dessen zusammenhängende Ausbreitung im Norden, die Theilung und zugespitzte Verengerung der Theile gegen Süden, die weitere Absonderung in eine alte und in eine neue Welt, und die fernere Vertheilung von jener in die durch ihre physicalischen, organischen und anthropologischen Charakter untereinander und gegen die neue Welt verschiedenen Welttheile, an welche sich ein noch jüngere und unreifer anschließt; – die Gebirgszüge u.s.f.

§. 265.
Die physicalische Organisirung zeigt einen Stuffengang vom granitischen eine Dreyheit der Bestimmungen in sich darstellenden Gebirgskern an, von welchem die andern Gebilde theils Uebergänge und Modificationen sind, in denen seine Totalität die existirende Grundlage, nur als in sich ungleicher und unförmlicher bleibt, theils ein Auseinandertreten seiner Momente in bestimmter Differenz und in abstractere mineralische Momente, die Metalle und die oryktognostischen Gegenstände überhaupt, bis sie sich in mechanischen Lagerungen und immanenter Gestaltung entbehrenden Aufschwemmungen verlieren.

§. 266.
Dieser Krystall des Lebens, der todtliegende Organismus der Erde, der seinen Begriff in dem siderischen Zusammenhange, seinen Proceß aber als eine vorausgesetzte Vergangenheit hat, ist das unmittelbare Subject des meteorologischen Processes, das als dieses organisirte Ganze in seiner vollständigen Bestimmtheit ist. In diesem objectiven Subjecte ist der vorher elementarische Proceß nun der objektive und individuelle, – das Aufheben jener Unmittelbarkeit, wodurch die allgemeine Individualität nun für sich und das Leben als Lebendiges d. i. Wirkliches wird. Die Erste wirkliche Lebendigkeit, welche die fruchtbare Erde hervorbringt, ist die vegetabilische Natur.

B. DIE VEGETABILISCHE NATUR.

§. 267.
Die Allgemeinheit des Lebens und seine Einzelnheit ist in der unmittelbaren Lebendigkeit unmittelbar identisch. Der Proceß der Gliederung und Selbsterhaltung des vegetabilischen Subjects ist daher ein Aussersich kommen, und Zerfallen in mehrere Individuen, für welche das Eine ganze Individuum mehr nur der Boden als ihre subjective Einheit ist. Ferner ist deßwegen die Differenz der organischen Theile nur eine oberflächliche Metamorphose, und der eine kann leicht in die Function des andern übergehen.

§. 268.
Der Proceß der Gestaltung und der Reproduction des einzelnen Individuums fällt auf diese Weise mit dem Gattungsprocesse zusammen; und weil sich die selbstische Allgemeinheit, das subjective Eins der Individualität nicht von der reellen Besonderung trennt, sondern in sie nur versenkt ist, hat die Pflanze keine Bewegung vom Platze, noch eine sich unterbrechende Intussusception, sondern eine continuirlich strömende Ernährung, sie verhält sich nicht zu individualisirtem Unorganischen, sondern zu den allgemeinen Elementen; noch ist sie des Gefühls und animalischer Wärme fähig.

§. 269.
Insofern aber das Leben wesentlich der Begriff ist, der sich nur durch Selbstentzweyung und Wiedereinung realisirt, so treten die Processe der Pflanze auch auseinander. 1) Ihr innerer Gestaltungsproceß ist aber theils als positiver, nur unmittelbare Verwandlung der Ernährungszuflüsse in die specifische Natur der Pflanzenart. Theils ist dieser Proceß als Vermittlung um seiner wesentlichen Einfachheit willen die Entzweyung einerseits in das abstracte Allgemeine der in sich untrennbaren Individualität als in das Negative der Lebendigkeit, die Verholzung; andererseits aber als Seite der Einzelnheit und Lebendigkeit, unmittelbar der nach Aussen sich specificirende Proceß.

§. 270.
2) Dieser ist die Entfaltung der Glieder als Organe der unterschiedenen elementarischen Verhältnisse; die Entzweyung theils in das Verhältniß zur Erde und in das sie vermittelnde, den Luft- und Wasserproceß. Da die Pflanze ihr Selbst nicht in innerer subjectiver Allgemeinheit gegen die äusserliche Einzelnheit zurückhält, so wird sie vom Lichte, an welchem sie sich die specifische Bekräftigung und Individualisirung ihres Selbsts nimmt, eben sosehr nach Aussen gerissen, verknotet und verzweigt sich in eine Vielheit von individuellem Seyn.

§. 271.
Weil aber die Reproduction des vegetabilischen Individuums als Einzelnen nicht die subjective Rükkehr in sich, ein Selbstgefühl, sondern nach Innen die Verholzung ist, so geht damit die Production des Selbsts der Pflanze nach Aussen. Sie gebiert ihr Licht in der Blüthe heraus, in welcher die neutrale, grüne Farbe zu einer specifischen Trübung bestimmt, oder auch das Licht rein vom Dunkeln als weisse Farbe producirt wird.

§. 272.
Indem die Pflanze so ihr Selbst zum Opfer darbringt, ist diese Entäusserung zugleich der durch den Proceß realisirte Begriff, die Pflanze, die sich selbst als Ganzes hervorgebracht hat, sich aber darin gegenüber getreten ist. Dieser höchste Punkt ist daher der Beginn einer Geschlechtsdifferenz und die Andeutung des Gattungsprocesses.

§. 273.
3) Der Gattungsproceß, als unterschieden von dem Gestaltungs- und Reproductionsprocesse des Individuums, ist in der Wirklichkeit der vegetabilischen Natur ein Ueberfluß, weil jene Processe unmittelbar auch ein Zerfallen in viele Individuen sind. Aber im Begriffe ist er als die mit sich selbst zusammengegangene Subjectivität, die Allgemeinheit, in welcher die Pflanze die unmittelbare Einzelnheit ihres organischen Lebens aufhebt, und dadurch den Uebergang in den höhern Organismus begründet.

C. DER THIERISCHE ORGANISMUS.

§. 274.
Die organische Individualität ist erst Subjectivität, insofern ihre Einzelnheit nicht bloß unmittelbare Wirklichkeit, sondern ebenso aufgehoben, und als concretes Moment der Allgemeinheit ist, und der Organismus in seinem Processe nach Aussen die selbstische Sonne inwendig behält. Dieß ist die animalische Natur, welche in der Wirklichkeit und Aeusserlichkeit der Einzelnheit, eben so dagegen unmittelbar in sich reflectirte Einzelnheit, in sich seyende subjective Allgemeinheit ist.

§. 275.
Das Thier hat zufällige Selbstbewegung, weil seine Subjectivität, wie das Licht und Feuer, der Schwere entrissene Idealität, – eine freye Zeit ist, die als zugleich der reellen Aeusserlichkeit entnommen, sich nach innerem Zufall, selbst zum Orte bestimmt. Damit verbunden ist, daß das Thier Stimme hat, indem seine Subjectivität als an und für sich seyende, die Herrschaft der abstracten Idealität von Zeit und Raum ist, und seine Selbstbewegung als die ideelle, innere Individualität eines freyen Erzitterns in sich selbst darstellt; – animalische Wärme, als fortdauernden Auflösungsproceß der Cohäsion in der fortdauernden Erhaltung der Gestalt; – unterbrochene Intussusception, – vornehmlich aber Gefühl, als die in der Bestimmtheit sich unmittelbar allgemeine und sich von ihr als wirklicher unterscheidende Individualität.

§. 276.
Der thierische Organismus ist als lebendige Allgemeinheit der Begriff, welcher sich durch seine drey Bestimmungen verläuft, deren jede dieselbe totale Identität der substantiellen Einheit und zugleich für sich als Formbestimmung das Uebergehen in die andern ist, so daß aus demselben sich die Totalität resultirt; nur als dieses sich reproducirende, nicht als seyendes, ist das Lebendige.

§. 277.
Er ist daher α) sein einfaches, allgemeines Insichseyn in seiner Aeusserlichkeit, wodurch die wirkliche Bestimmtheit unmittelbar als Besonderheit in das Allgemeine aufgenommen und dieses dadurch ungetrennte Identität des Subjects mit sich selbst in jener ist; – Sensibilität; – β) Besonderheit, als Reitzbarkeit von Aussen und aus dem aufnehmenden Subjecte kommende Rückwirkung dagegen nach Aussen, – Irritabilität; – γ) die Einheit dieser Momente, die negative Rückkehr durch das Verhältniß der Aeusserlichkeit zu sich, und dadurch Erzeugung und Setzen seiner als eines Einzelnen, – Reproduction; nach innen die Realität und Grundlage der erstern Momente und Gliederung und Bewaffnung nach Aussen.

§. 278.
Diese drey Momente des Begriffs haben ihre Realität in den drey Systemen, dem Nerven-, Blut- und Verdauungssystem, wovon ersteres sich in den Systemen der Knochen und der Sinneswerkzeuge, das Zweyte in der Lunge und den Muskeln nach zwey Seiten nach Aussen kehrt; das Verdauungssystem aber als Drüsensystem mit Haut und Zellgewebe eine unmittelbare, vegetative, in dem eigentlichen Systeme der Eingeweide aber die vermittelnde Reproduction ist. Das Thier ist hiedurch für sich in die Centra von drey Systemen abgetheilt, (insectum) Kopf, Brust und Unterleib, wogegen die Extremitäten zur mechanischen Bewegung und Ergreiffung das Moment der sich nach Aussen unterschieden setzenden Einzelnheit ausmachen.

Anmerkungen

[1] Auch das gegenwärtig von Thomson herausgegebene Journal hat den Titel: Annale der Philosophie oder Magazin der Chemie, Mineralogie, Mechanik, Naturhistorie, Landwirthschaft und Künste. – Man kann sich hieraus von selbst vorstellen, wie die Materien beschaffen sind, die hier philosophische heißen.

Quelle: Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Enzyklopädie der Philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1817), unter Mitarbeit von Hans-Christian Lucas und Udo Rameil, herausgegeben von Wolfgang Bonsiepen und Klaus Grotsch, Band 13, Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Gesammelte Werke, herausgegeben von der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften. Felix Meiner Verlag: Hamburg, c. 2000, S. 15–22, 113–16, 125–32, 156–62. Wiedergabe auf dieser Website mit freundlicher Genehmigung des Felix Meiner Verlags, Hamburg.