Kurzbeschreibung

Die österreichische Forschungsreisende und Reiseschriftstellerin Ida Pfeiffer, geb. Reyer (1797–1858), kam in Wien zur Welt und heiratete dort. Sie genoss eine überdurchschnittliche Ausbildung und träumte davon, ferne Länder zu sehen.1846 brach Ida Pfeiffer, nachdem sie bereits Berichte über ihre Reisen in den vorderen Orient und nach Skandinavien veröffentlicht hatte, zu einer ehrgeizigen Weltumrundung auf. Sie kehrte 1848 zurück und veröffentliche 1850 Eine Frauenfahrt um die Welt. Im Jahr darauf brach Pfeiffer zu einer zweiten Reise um die Welt auf, von der sie 1854 zurückkehrte. Nachdem ihre erste Reise noch gewisse Züge einer Vergnügungs- oder Bildungsreise zu ausgewiesenen Reisezielen trug, ähnelte die zweite Reise mehr einer wissenschaftlichen Expedition, bei der es darum ging, in weniger bekannte Gebiete – in diesem Fall vor allen zu den Inseln Borneo und Sumatra in Niederländisch-Ostindien – vorzudringen, um geografische und ethnografische Erkenntnissen zu gewinnen und Tiere, Pflanzen und Objekte für wissenschaftliche Zwecke zu sammeln. In den folgenden Passagen aus Meine zweite Weltreise berichtet Pfeiffer von ihren Beobachtungen und ihren Begegnungen mit Menschen anderer Ethnien und reflektiert darüber, wie sie von anderen Menschen wahrgenommen wird. Diese Passagen laden zum Vergleich mit dem Auszug ein, in dem Pfeiffer ihre zuvor unternommene Brasilienreise beschreibt. Die vorliegenden Passagen sind auch aufschlussreich im Hinblick auf Geschlechterrollen und auf die Frage, wie Pfeiffer in ihrer Selbstdarstellung als Reisende, Entdeckerin und Frau mit Männlichkeits- und Weiblichkeitsvorstellungen operiert.

Ida Pfeiffer, Meine zweite Weltreise (1856)

Quelle

[…]

Herr Lee hatte ebenfalls versucht, mir mein Vorhaben, in das Innere des Landes zu dringen, auszureden. Den Nachrichten zu Folge, die er erst kürzlich von jenen Gegenden erhalten hatte, war ein Häuptling getötet worden und alles in Krieg verwickelt. Mein Entschluß, so weit vorzudringen als man mich ließe, stand jedoch fest, und ich schiffte mich am 22. Januar auf dem Luppar ein, mit der Absicht stromaufwärts bis an das Gebirge Sekamil zu gehen. Ich nahm, außer dem Malaischen Diener, den mir Kapitän Brooke mitgegeben hatte, und acht Malaischen Bootsleuten, noch den Koch Herrn Lee’s als Steuermann mit, der mir durch die Güte des Herrn Lee zur Verfügung gestellt und von großem Nutzen wurde, weil er einige Worte Englisch sprach.

Die Reise begann sogleich in dem Gebiete der freien Dayaker, und zwar der Stämme, die als sehr wild bekannt sind.

Zeitlich des Nachmittags landeten wir an einem ihrer Wohnplätze, um daselbst die Nacht zuzubringen. Mein Hauptbestreben war, stets mich ihnen vertrauungsvoll und herzlich zu nahen. Ich schüttelte Männern und Weibern die Hände, setzte mich unter sie, sah ihren Arbeiten zu, nahm die Kinder auf den Schooß u.s.w. Dann begab ich mich in den Wald, um nach Insekten zu suchen. Daß mir ein ganzer Zug der Eingebornen, besonders der Kinder folgte, versteht sich von selbst. Sie wollten sehen wohin ich ginge, wozu mir das Schmetterlingsnetz und sie Schachtel diente, die ich zur Aufbewahrung der Insekten stets mit mir trug. Sie betrachteten mein Thun und Lassen gerade so wie ich das Ihrige. Anfangs lachten sie mich wohl aus, wenn sie sahen mit welcher Emsigkeit ich nach jedem Schmetterling, nach jeder Fliege haschte[1]; doch kaum hatte ich ihnen begreiflich gemacht, daß ich Arzneien daraus bereite, als aus den Lachern gewöhnlich eben so viele Sucher wurden. Es war nothwendig, ihnen etwas derartiges, für ihr Fassungsvermögen passendes zu sagen. Ich habe ihnen vieles von meinen Sammlungen zu verdanken.

Mit der Abend-Dämmerung heimkehrend, fand ich ein Plätzchen, mit reinlichen Matten belegt, für mich bereit. Die Leute setzten sich zwar in meine Nähe, berührten aber nicht das Geringste; ihre Achtung vor meinem Eigenthume war so groß, daß wenn ich meinen Platz verließ, sie ebenfalls hinweg gingen. Ich konnte ruhig alles offen umher liegen lassen. Auch wenn ich aß, setzten sie sich weiter von mir weg, um mich nicht zu stören. Man gab mir gewöhnlich Reis und Hühner-Kuri.[2] Leider war letzteres stets mit ranzigem Kokosöl zubereitet; da ich jedoch vom frühen Morgen bis späten Abend nichts über die Lippen brachte, that der Hunger sein Bestes; kam es manchmal gar zu arg, so hielt ich die Nase zu und suchte mein Mahl so schnell als möglich zu verschlucken.

Lange des Abends blieben die Dayaker wach. Erst nach elf Uhr erlosch ein Feuer nach dem andern, und dicke Finsterniß umgab mich. Dennoch war mir in einer solchen Nacht nicht bange zu Muthe, obwohl ich mich, von jeder Hilfe abgeschnitten, ganz allein unter so begeisterten Kopfliebhabern befand. Ich wußte, daß Rajah Brooke’s Namen bis hierher gedrungen sei und daß ich unter dem Schutze der Achtung die man ihm zollt, sicher ruhen konnte.

23. Januar. Während des Tages fiel nichts vor; wir fuhren an mehreren Dayakerplätzen ungestört vorüber. Nachmittags kehrten wir wieder bei einem Stamme ein. Hier sah es aber nicht sehr gemüthlich aus, denn die Leute waren erst vor zwei Tagen von einem Kampfe heimgekehrt und hatten einen Kopf mitgebracht, der nebst andern schon beinah ganz ausgetrockneten, über der Feuerstelle hing, an der mein Lager bereitet wurde. Es ist dies nämlich der Ehrenplatz, der dem Gaste geboten wird, – eine höchst widerliche Auszeichnung, die man doch nicht ausschlagen darf. Die dürren Schädel, die in dem starken Zugwinde gegen einander klapperten, der unbeschreibliche, erstickende Gestank, der von dem frischen Kopfe ausging, und den mir der Luftzug zeitweise in’s Gesicht trieb, der Anblick der Leute, die noch sehr aufgeregt schienen und beständig um mein Lager kreisten, als schon alle Feuer erloschen waren, brachte mich um Schlaf und Ruhe. Ich gestehe aufrichtig, meine Angst war so groß, daß ich in eine Art Fieber verfiel. Länger konnte ich nicht liegen bleiben und wagte doch nicht aufzustehen. Ich setzte mich aufrecht und meinte jeden Augenblick das Messer schon an meinem Nacken zu fühlen. Erst gegen Morgen sank ich ermüdet und erschöpft auf mein Lager zurück.

24. Januar. Das Reisen auf Borneo geht unendlich langsam von statten. Es ist unmöglich, die Bootsleute in den schönen frühen Morgenstunden zum Aufbruche zu bringen. Sie müssen erst ihren erbärmlichen Reis kochen, und dazu benötigen sie so viel Zeit, wie bei uns ein Koch mit dem größten Mittagsmahle. Während der Fahrt halten sie ebenfalls jeden Augenblick mit dem Rudern inne, der Eine um sein Siri zu bereiten, der Andere um Strohcigarren zu wickeln oder zu rauchen, so daß im Durchschnitte kaum die Hälfte der Leute arbeitet. Noch nie ward meine Geduld so auf die Probe gesetzt, wie auf dieser Reise.

Der Malaie, den mir Kapitän Brooke mitgegeben hatte, und von dem er versichert zu sein glaubte, daß er mir gute Dienste leisten würde[3], war der unausstehlichste von allen. Er sollte mich bedienen und zu gleicher Zeit die Leute zur Arbeit, zum frühen Aufbruche anhalten. Von alle dem that er nicht das Geringste; seinetwegen konnten die Leute um Mittag aufbrechen. Er blieb ruhig liegen, oder rauchte und plauderte, und statt mich zu bedienen, ließ er sich bedienen. Befahl ich ihm etwas, so gab er mir keine Antwort, oder kehrte mir den Rücken zu, so daß ich alle Dienste, deren ich benöthigte, von den Bootsleuten fordern mußte.

Die Fahrt wurde nun mit jedem Ruderschlage reizender. Die Ufer erhöhten sich, üppige Reispflanzungen verdrängten die Moräste, und weiter im Hintergrunde erschienen freundliche Hügelketten. Unter den Bäumen gab es wahre Prachtexemplare, manche mit Stämmen von 120 bis 140 Fuß Höhe, andere mit tief herabhängenden Aesten, die sich weit über die Wasserfläche streckten und kühle Laubdächer bildeten. Auf hohen, schlanken Bäumen mit sehr wenig Aesten findet man häufig große Bienenstöcke. Um sie des Honigs zu berauben, verfertigen die Eingebornen eine Art Leiter aus Bambus, die je zu zwei und zwei Fuß an dem Stamm befestigt ist, von welchem sie ungefähr sechs Zoll absteht, und die oft bis zu einer Höhe von 80 Fuß führt.

Auch heute, wie gestern, kehrte ich bei Dayakern ein. Kaum hatte ich mich auf mein Lager begeben, so hörte ich ein schnelles, taktmäßiges Klatschen. Ich erhob mich und ging neugierig der Stelle zu, von welcher diese Musik kam. Da lag ein Mann ausgestreckt und unbeweglich auf der Erde, auf dessen Körper ein halbes Dutzend Jünglinge mit flachen Händen abwechselnd losschlug. Ich hielt den Mann für todt und staunte über diese sonderbare Zeremonie, die mit seinem Körper vorgenommen wurde. Allein nach einer Weile sprang der vermeinte Todte unter dem schallenden Gelächter der Jünglinge auf und – das Spiel war zu Ende. So viel ich verstand, hält man dergleichen Uebungen sehr nützlich für den Körper, da sie ihm Biegsamkeit und Kraft verleihen sollen.

25. Januar. Immer schönere Ansichten bieten sich dem Blicke dar. Die Berge vervielfältigen sich und werden höher und höher; manche der Spitzen, die ich heute sah, mochten über 3000 Fuß hoch sein. Mich erinnerte die Reise auf Borneo zum Theil an jene im Innern Brasiliens. Hier wie dort undurchdringlicher Urwald mit erdrückender Vegetation, hier wie dort wenig gelichtetes Land, wenig bewohnte Plätze. Der einzige Unterschied ist, daß Borneo von zahllosen Flüssen und Flüßchen durchschnitten wird, während Brasilien nur wenige, dagegen aber desto mächtigere Ströme besitzt. Was könnte aus beiden Ländern geschaffen werden[4], wären sie mit friedlichen, arbeitsamen Menschen bevölkert! Leider ist dies nicht der Fall; Eingeborne sind nur wenige, und diese denken mehr an Krieg und Zerstörung, als an Kultur und Arbeit, und die weißen Ansiedler schließt theilweise das Klima aus.

Eine Sonderbarkeit Borneo’s ist die dunkelbraune Farbe seiner Gewässer. Einige Reisende behaupten, sie rühre von den vielen Blättern her, die, da die Ufer dicht mit Waldungen besetzt sind, in die Flüsse fallen und verfaulen. Dieser Meinung möchte ich beinahe widersprechen, denn auf der Insel Ceram, welche ich später bereiste, und die an Wäldern, an Flüssen eben so reich ist wie Borneo, fand ich das Wasser überall krystallhell.

Alexander von Humboldt bemerkte diese dunkle Farbe auch an Flüssen in Amerika, und er fügt bei, das in derlei Gewässern weder Krokodile noch Fische leben. Auf Borneo ist dies nicht der Fall. Hier fehlt es nirgends an Kaimans (zum Geschlechte der Krokodile gehörig) und Fischen.

Abends saß ich wieder unter einem Schwarme Dayaker und unterhielt mich mit ihnen mittelst eines Malaischen Dolmetschers und des Koches so gut es ging. Ich frug sie, ob sie an einen großen Geist glaubten, und ob sie Götzen und Priester hätten. So viel ich aber verstehen konnte, glauben sie an nichts und haben weder Götzen noch Priester. Ersteres mag vielleicht nicht der Fall sein, ich kann sie schlecht verstanden haben; was aber letztere anbelangt, so habe ich deren wirklich nie bei ihnen gesehen. Dagegen fehlt es nicht an Rajah’s; jedem Häuptlinge, wenn sein Stamm auch nur aus einem Dutzend Familien besteht, wird dieser hochtrabende Titel beigelegt. Dies erinnerte mich an Ungarn und Polen, wo sich alles, was nicht leibeigen war, „Edelmann“ nannte.

[…]

Anmerkungen

[1] Daß mich die Wilden auslachten, fand ich natürlich; geschah mir doch späterhin diese Ehre in Europäischen Kolonien, ja selbst in den Vereinigten Staaten Amerika’s von Leuten, die civilisirt genannt werden. Manchmal trieb man es so arg, daß ich sie frug, ob sie je ein Museum gesehen, und wenn sie eines gesehen hätten, ob sie meinten, daß alle die Thiere selbst dahin geflogen und gekrochen seien?
[2] Kuri ist eine Brühe von scharfen Ingredienzien, besonders von rothem Pfeffer. Diese Brühe ist sowohl im Festlande Indien’s, als auch im ganzen Indischen Archipel sehr beliebt.
[3] Ganz anders benimmt sich ein Malaischer Diener gegen einen Herrn, wie gegen eine Frau, die er von sich abhängig glaubt.
[4] Borneo ist nach Madagaskar die größte Insel der Erde. Ihr Flächeninhalt beträgt 9373 Quadrat-Meilen; Bevölkerung 950,000 Dayaker, 200,000 Maleien, 54,000 Chinesen. Hauptausfuhrartikel: Rotang, Reis, Kokosnüsse, Sago, Farbehölzer.

Quelle: Ida Pfeiffer, Meine zweite Weltreise. Erster Theil. London. Das Cap der guten Hoffnung. Singapore. Borneo. Java. Wien: Carl Gerold’s Sohn, 1856, S. 93–101.

Ida Pfeiffer, Meine zweite Weltreise (1856), veröffentlicht in: German History in Documents and Images, <https://germanhistorydocs.org/de/vom-vormaerz-bis-zur-preussischen-vorherrschaft-1815-1866/ghdi:document-5019> [26.04.2024].