Quelle
I. Hundert Semester Verein Deutscher Studenten zu Leipzig
Von A. H. Dr. R. P. Oßwald (Potsdam)
(aktiv 1903–1907)
„Die Jugend muß Partei ergreifen; Parteinahme ist Enthusiasmus und was ist Jugend ohne Enthusiasmus?“
Diese Worte wurden von dem Rektor der Leipziger Universität, dem Theologen Luthardt, am 18. Januar 1881, auf dem in Leipzig zum ersten Male zur Erinnerung an die Reichsgründung veranstalteten allgemeinen Studentenkommers gesprochen und fanden weit über Leipzig hinaus auch an anderen deutschen Hochschulen mächtigen Widerhall.
„Der Traum der Freiheitskriege ist verwirklicht. Durch den Heldenkampf der Jahre 1870/71 sind Kaiser und Reich dem deutschen Volke wiedergewonnen. Auf neuem Boden erwachsen neue Aufgaben. Heute droht nicht der Feind vom außen: heute gilt’s einzutreten für deutsche Art und deutsche Sitte, für deutsche Treue und deutschen Glauben. Die unheimlichen Mächte der nackten Selbstsucht und der weltbürgerlichen Vaterlandslosigkeit, die Entsittlichung und Entchristlichung unterwühlen den alten festen Boden unseres Volkstums. Gewaltige Aufgaben sind der deutschen Jugend gestellt; auf ihr beruht die Zukunft des Vaterlandes. Die Pflicht erheischt, daß wir uns vorbereiten zu dem hehren und heiligen Berufe, mit Herz und Hand dem Vaterlande zu dienen.“
So klang es in dem Aufruf vom 17. Juli 1881, mit dem die deutschen Studenten zum ersten Kyffhäusersest am 6. August aufgefordert wurden, und der im wesentlichen von stud. jur. Diederich Hahn, dem Gründer des Leipziger V. D. St., verfaßt worden war.
„Der Geist, der aus Ihren Worten spricht, gewährt mir einen Blick in die Zukunft unseres deutschen Vaterlandes, in dem ich Trost finde für die Schäden, welche die Gegenwart aus der Vergangenheit übernommen hat.“
Mit diesen Worten dankte Bismarck am 2. August 1881 dem V. D. St. Leipzig auf ein Begrüßungstelegramm vom Schlußkommers des ersten Sommersemesters.
In diesen Aussprüchen des Reichsgründers, des akademischen Oberhauptes und des Führers der Jugend finden wir Inhalt und Richtung des V. D. St. Leipzig umrissen: Begeisterung für das wiedererstandene deutsche Kaiserreich und Vorbereitung zum Dienst am Vaterlande, um die Schäden zu heilen, welche die Gegenwart aus der Vergangenheit überkommen hat. Mit jugendlicher Leidenschaft ergriff man Partei, nicht für eine „Partei“, sondern für eine heilige Sache, für das Vaterland, das man im Reiche verkörpert fand, nicht im Partikularismus, nicht im Parteiengetriebe, nicht im wirtschaftlichen Wetteifer und nicht in materialistischem Hang, sondern im nationalen Fühlen und Wollen eines seiner Eigenart bewußten und auf seine Geschichte stolzen deutschen Volkstums. Deshalb begann man den Gründungstag des Deutschen Reiches als nationalen Ehrentag zu feiern, welcher bedeutungsvolle Tag bis dahin ohne Sang und Klang vorüber gegangen war. Feier nationaler Gedenktage zur Belebung des Nationalgefühls war von Anfang an ein Teil des Programms aller Vereine Deutscher Studenten und ist allmählich auf den größten Teil der übrigen Studentenschaft übergegangen. Das Reich war beherrschender Mittelpunkt im Denken des neuen Geschlechts, und so erkor es vom ersten Tage an den Reichsgründer, den Fürsten Bismarck, zu seinem Heros, der im richtigen Einfühlen in die Gedankenwelt der Jugend die neue Bewegung freudig begrüßte, trotz aller Anfeindungen, die diese in der Oeffentlichkeit erfuhr, und trotz aller Schwierigkeiten, die von akademischen Behörden ihr entgegengesetzt wurden. Bismarcks Anerkennung half jene Hemmungen überwinden.
Von den vier ersten Vereinen Deutscher Studenten, die im Jahre 1881 ins Leben traten – Berlin, Halle, Leipzig und Breslau – hat Leipzig allein den Vorzug gehabt, sofort von der akademischen Obrigkeit anerkannt zu werden, da der damalige Rektor Prof. Luthardt und mit ihm fast der gesamte Lehrkörper sich der neuen Bewegung ausdrücklich annahmen. Wie in den anderen Universitätsstädten, so hatten auch in Leipzig z. T. ältere Studenten, in deren Studienzeit noch die Attentate auf Kaiser Wilhelm I. im Sommer 1878 fielen, die Führung in der neuen Bewegung. Seit jenen Tagen war das Gefühl immer mehr durchgebrochen, daß die errungenen nationalen Güter in Gefahr standen, zu verkümmern, und daß die Studentenschaft die Pflicht habe, sich schon während der Studienzeit über die ihr später erwachsenden Aufgaben im öffentlichen Leben klar zu werden. Es entstand eine ganz neue Bewegung in der Studentenschaft, welche Korporationen und Finken zu einigen verstand. Mit einem gewissen Recht ist Bismarck als der geistige Urheber dieser Bewegung genannt worden, insofern die von ihm ausgehenden Gedanken der inneren und äußeren Festigung des neuen Reiches der neuen akademischen Strömung ihren wesentlichen Inhalt gaben. In schöner Weise hat unser Bundesbruder Hermann v. Petersdorff in seinem 1895 erschienenen Buche „Die Vereine Deutscher Studenten, 12 Jahre akademischer Kämpfe“, die Gründungszeit auf dem Hintergrunde der allgemeinen Geschichte geschildert, welche Darstellung jedem Bundesbruder wärmstens empfohlen wird.
Die Ursache der Bewegung war der nationale Gedanke. Den äußeren Anstoß gab die sogenannte Notabelnerklärung vom 12. November 1880, die, von 73 [sic] bekannten Berliner Bürgern unterschrieben, sich gegen die vornehmlich in der Reichshauptstadt in Fluß gekommene judenfeindliche Bewegung, besonders gegen den von Dr. Bernhard Foerster angeregten Gedanken eines Massengesuches an den Reichskanzler gegen die Juden richtete. Die Notabelnerklärung teilte die gebildete Welt Deutschlands in zwei Lager. Zwei Tage nach ihrem Erscheinen gab die Wahl des Vorstandes der Akademischen Lesehalle in Leipzig am 14. November 1880 Gelegenheit zur Besprechung der gleichfühlenden Studenten, und am nächsten Tage wurde ein Ausschuß von 12 Mitgliedern ernannt, der für die von dem Studenten Dulon dem Foersterschen Gesuch angefügte studentische Petition werben sollte. Der Ausschuß berief für den 22. November 1880 eine Studentenversammlung in Trietschlers Saal. Dies war der erste Anstoß zu der Bewegung in Leipzig, die bis zum 25. Dezember über 1000 Unterschriften unter die Petition erreichte. Neben Dulon wirkten vor allem der Bonner inaktive Korpsstudent Falcke und die späteren V. D. St.er theol. v. Langsdorff, iur. v. Heyden, hist. Wilhelm Grotesend, hist. Hans Groddeck und besonders hist. Christian Diederich Hahn, der in der Versammlung vom 22. November die erste Ansprache hielt. Der Leipziger Ausschuß schloß sich dem in Berlin bereits ins Leben getretenen Ausschuß an, der als Zentralausschuß galt, blieb aber die Seele des Unternehmens und entfaltete auch an den anderen Universitäten eine rege Werbung.
Bereits in der ersten Versammlung in Trietschlers Saal hatten die Redner vor Störungen des akademischen Friedens durch Kundgebungen gegen jüdische Studierende gewarnt, den Wahlspruch „Fortiter in re, suaviter in modo!“ voran gestellt und betont, daß sie als Studenten die Pflicht hätten, sich „eine gründliche Kenntnis und die Fähigkeit der wissenschaftlichen Beurteilung derjenigen sozialen Fragen zu erwerben, die unser Vaterland bewegen, und an deren Lösung wir dereinst nach Kräften mitzuwirken berufen sind.“ Auf Vorschlag des Schleswigers Peter Jensen sang die Versammlung das Lied „Deutschland, Deutschland über alles“, welches bis dahin in Deutschland wenig gesungen wurde und seitdem das Bannerlied nicht nur des Kyffhäuserverbandes, sondern ganz Deutschlands geworden ist. Am 18. Januar 1881 veranstaltete der Ausschuß in der Zentralhalle den berühmten Kommers zur Feier des 10jährigen Gedenktages der Errichtung des Deutschen Reiches, auf dem der Prinz Ernst von Meiningen den Ehrenvorsitz führte und Prof. Luthardt die Festrede hielt. Auch hier erklang das Deutschlandlied wieder. Dieser von 2000 Teilnehmern besuchte Kommers ist der Geburtstag des V. D. St. zu Leipzig gewesen. Die formelle Gründung erfolgte dann am 10. Februar in einer Versammlung in „Stadt London“, und die Genehmigung seitens der Akademischen Behörde lief binnen 24 Stunden ein. Am 15. Februar fand die erste ordentliche Mitgliederversammlung statt, die in einem Telegramm an Bismarck mitteilte, daß der Wahlspruch des neuen Vereins laute: „Mit Gott für Kaiser und Reich“, worauf Bismarck antwortete: „Das Streben und den Wahlspruch des Vereins teilend, danke ich.“
Von der bloßen Negation, wie sie in dem Anstoß durch die antisemitische Bewegung gelegen war, waren die jungen Studenten sofort zu positiven Zielen vorgeschritten, wie die Feier des 18. Januar und ihr Bekenntnis zu Bismarck deutlich bewiesen. Diesem Umstand verdankten sie auch das volle Einvernehmen mit der Professorenschaft der Universität. In dem ersten Sommersemester war die Seele des Vereins Diederich Hahn, aus friesisch-hannöverschem Blute, der schon mit 18 Jahren seiner Militärpflicht genügt hatte und jetzt mit 20 Jahren im vierten Semester stand. Dem neuen Verein traten Mitglieder aller Fakultäten bei, überwiegend Juristen und Historiker, bald in besonders starker Zahl auch Theologen, unter denen der christlich-soziale Friedrich Naumann hervorragte. Deutsch-Russen, besonders Kurländer, hielten sich ebenso wie die Schleswig-Holsteiner eng zu dem Verein, dessen Stärke im ersten Sommersemester 116 Mitglieder betrug. Nach außen hin trat dieser am 15. Mai bei der Lesehallenwahl auf, wo er seine Kandidaten durchbrachte. Am 17. Juni veranstaltete er auf Anregung von Hahn und Naumann seinen ersten Akademischen Vortragsabend mit Hofprediger Stöcker als Redner, der vor mehr als tausend Studenten über das Thema: „Große Zeiten, große Aufgaben“ sprach. Als die Ausschreitungen der Tschechen gegen die deutschen Studenten in Prag bekannt wurden, berief der Verein eine allgemeine Studentenversammlung unter der Leitung von Hahn, der darauf hinwies, daß Leipzig als Tochteruniversität von Prag den dortigen Vorgängen doppelte Anteilnahme widmen müsse. Das völkische Gemeinschaftsbewußtsein mit den im damaligen Oesterreich lebenden Deutschen war somit auch von Anfang an ein Bestandteil der Gedanken- und Gefühlswelt des Leipziger V. D. St. Auf dem Schlußkommers am 1. August 1881 sprach Hahn von den Idealen der studierenden Jugend: „Sie heißen Deutschtum und Christentum. Sie sind die starken Wurzeln unserer Kraft.“ Auf das Begrüßungstelegramm dieses Tages drahtete Bismarck die anfeuernden Worte, die im Eingang dieses Aufsatzes erwähnt worden sind.
So stehen im Geburtsjahr des V. D. St. Leipzig seine Ziele und Aufgaben deutlich vor uns: Das Deutsche Reich und darüber hinaus die Verbundenheit mit dem deutschen Volkstum jenseits der Grenzen im Osten und im Süden, Deutschtum ohne staatliche Grenzen, Christentum als innerster Hort und die Soziale Frage als Aufgabe, von deren Erkenntnis und Lösung das Wohl der Deutschen der Zukunft beeinflußt wird.
Hahn hatte seine Hauptkraft auf die Vorbereitung des ersten Kyffhäuserfestes gerichtet, welches ein voller Erfolg wurde und eine neue Zeit in der Geschichte der Deutschen Studentenschaft einleitete. Es fand vom 6.-9. August 1881 statt. Aus allen deutschen Universitäten war man herbeigeströmt. Ein Zug von 800 Festteilnehmern bewegte sich unter Vorantritt der vollzähligen Musikkapelle des 134. Infanterie-Regimentes von dem Städtchen Roßla hinauf zum Kyffhäuser. Es war eine noch stärkere Beteiligung als 1817 auf der Wartburg, wo sich 468 Teilnehmer eingefunden hatten. Diederich Hahn begrüßte oben an der alten Burgruine die Festversammlung, die schlichte schwarz-weiß-rote Fahne mit der Linken auf den Boden stemmend, in der Rechten den blitzenden Schläger. Diese alte Kyffhäuserfahne mit ihrem einfachen Fahnentuch ohne Schmuck und Stickerei, an dem rohen schwarzgestrichenen Fahnenholz mit der Holzspitze, mit Goldbronze überzogen – so recht das Wahrzeichen der schlichten Größe und des ernsten Wollens der Gründer unseres Verbandes – wird als heiliges Symbol des in der Studentenschaft neu erwachten Nationalbewußtseins im V. D. St. Leipzig aufbewahrt und zu jeder V. T. vorangetragen. Am 8. August schlossen die offiziellen Vertreter der Vereine Deutscher Studenten unter der Leitung von Hahn auf der Rothenburg ein Kartell. Der Kyffhäuserverband der Vereine Deutscher Studenten war erstanden.
Im W.-S. 81/82 traten die Couleurstudenten aus; der Verein begann sich als besondere studentische Korporation zu bilden. Das folgende W.-S. 82/83 brachte die Abfassung einer Geschäftsordnung und die Einsetzung eines Ehrenrates. Dieses Semester eröffnete der Verein mit einer öffentlichen Versammlung, auf welcher der Direktor des Statistischen Büros der Stadt Leipzig, Dr. Hasse, über „Die Kolonisation, eine Erziehung des deutschen Volkes“ einen Vortrag hielt. Leipzig hat seitdem regelmäßig solche öffentliche Vortragsabende abgehalten, auf denen Dozenten und andere bekannte Persönlichkeiten über Fragen des nationalen Lebens sprachen.
Die Lesehalle, auf die im Sommer 1881 ein Anlauf geglückt war, wurde am 12. November 1882 neu erobert und ist seitdem mit einer Ausnahme des W.-S. 89/90, welches eines der schlaffsten Semester des Leipziger Vereins gewesen ist, immer in den Händen der vom V. D. St. aufgestellten oder gebilligten Kandidaten geblieben.
Wenn auch an Stelle des interkorporativen Prinzips des Gründungssemesters eine auf den Verein beschränkte Mitgliedschaft getreten war, so blieb doch die Wirkung nach außen Hauptaufgabe und die Erweckung und Vertiefung des Nationalbewußtseins innerhalb der ganzen Studentenschaft Hauptziel des Vereins. Infolgedessen hat er im ersten Jahrzehnt fast regelmäßig seine Antritts- und Schlußkommerse in größeren Sälen unter Beteiligung von zahlreichen Gästen aus der Professoren- und Studentenschaft gefeiert. Wenn diese Abende auch nicht immer so bedeutend gewesen sein mögen, wie der Antrittskommers des S.-S. 84 im Roten Saal des Krystallpalastes, auf dem Prof. Luthardt über das Thema: „Wie steht der Verein zum Christentum?“ sprach, so waren diese Tage doch keine auf die Vereinsmitglieder beschränkten festlichen Begebenheiten; sie sollten vielmehr auch auf einen größeren Kreis wirken. Vor allem waren es die Feiern der nationalen Gedenktage, mit denen der K. V. tatsächlich die Begeisterung für die Großzeiten deutscher Geschichte und die Pflege ihrer Ueberlieferung in die gesamte deutsche Studentenschaft getragen hat, an welcher Arbeit auch der V. D. St. Leipzig regsten Anteil nahm. Reichskommers, Bismarck- und Moltkekommerse und Kaisergeburtstagsfeiern bildeten dafür die regelmäßig wiederkehrenden Gelegenheiten. Am 18. Januar 1882 war der Reichskommers von Vbr. jur. M. U. Rosenhagen geleitet worden. Im folgenden Jahre fand er wieder auf Anregung des V. D. St. statt, und zwar als Veranstaltung der gesamten Studentenschaft unter dem Vorsitz des Rektors, mit Ausnahme der Korps, welche auf die führende Stellung des V. D. St. eifersüchtig waren. Auf diesem Kommers sowie auf dem bald darauf folgenden dritten Stiftungsfest am 10. Februar 1883 standen die Reden des Elsässers theol. Schweitzer aus Heiligenstein im Elsaß im Mittelpunkt der Belangstellung sowohl wegen der Begeisterung, mit der sie vorgetragen wurden, als auch wegen der Herkunft des Redners, der Mitgründer und früherer Vorsitzender der elsässischen Verbindung Vogesina in Straßburg war. Auf dem Reichskommers der Leipziger Studentenschaft am 19. Januar 1885, der wieder unter dem Vorsitz des Rektors stattfand, stellte der V. D. St. in seinem Mitglied iur. Raeck den einzigen studentischen Redner des Abends. Der Vereinsbruder theol. Röhr war Vorsitzender des Ausschusses für die Feier von Bismarcks 70. Geburtstag, und die zwei studentischen Redner wurden dem V. D. St. entnommen. Nach dem Reichskommers des Jahres 1886 wurde ein ständiger Ausschuß der Studentenschaft angeregt. Es kam jedoch nur ein Vertreterkomitee zustande, worin der V. D. St. den Vorsitz hatte. Auch die beiden folgenden Jahre verliefen die Reichskommerse in der üblichen Form. Aber auch an anderen nationalen Gedenktagen oder bei Ehrungen deutscher Führer trat der V. D. St. führend und anregend hervor, wie bei der Lutherfeier in Erfurt und auf der Wartburg im S.-S. 83, wo er im Namen der Leipziger Studentenschaft teilnahm, oder wie bei der in Leipzig regelmäßig begangenen Sedanfeier, bei der er 1884 und 1885 als alleiniger Vertreter der Studentenschaft die Universitätsfahne trug. Im W.-S. 84/85 ehrte er den Komponisten Bruckner anläßlich einer Aufführung einer Symphonie von ihm im Neuen Theater durch Ueberreichung eines Lorbeerkranzes. Bei der Grundsteinlegung des Reichsgerichts am 31. Oktober 1888 trug der V. D. St. wieder eine Universitätsfahne. Zum 90. Geburtstage Kaiser Wilhelms I. wurde am 22. März 1887 der Vorsitzende des V. D. St. Richard Heinze als alleiniger Vertreter der Leipziger Studentenschaft nach Berlin entsandt. So kann man wohl die achtziger Jahre als eine in der Geschichte der Studentenschaft seltene Glanzzeit eines studentischen Vereins bezeichnen, umso mehr als diese Glanzzeit sofort in die ersten Jahre seines Bestehens fällt. Deutlich erkennt man daraus aber auch die Jugendfrische, die in ihm lebte, und daß er eine Geburt der Begeisterung und nicht der Reflexion war.
Seit 1889 trat in der Form der Reichskommerse eine Aenderung ein. Diese Feier war „Usus“ geworden. Auch andere Verbindungen wollten ihren Anteil an der Führung haben. So war das Vertreterkomitee auseinandergefallen, als die schlagenden Verbindungen auf Anregung der Landsmannschaften austraten. Die Zersplitterung in der Studentenschaft, die zu überbrücken wenigstens bei dem Hauptgedenktag des Deutschen Reiches dem V. D. St. bis zu einem gewissen Grade gelungen war, trat seitdem wieder schroff in Erscheinung. In diesem Jahre fanden zum ersten Male zwei Reichskommerse statt, einer vom Vertreter-Konvent der schlagenden Verbindungen und einer von dem Unikoloren-Verband (Paulus, Arion, Lausitzer Prediger-Gesellschaft) veranstaltet. Um eine noch größere Zerklüftung zu vermeiden, schloß sich der V. D. St. der Feier des Unikolorenverbandes an, mit dessen Verbindungen er auch sonst in freundschaftlichem Verkehre stand. Zur Feier des 90. Geburtstages Moltkes konnte er aber wieder die Studentenschaft zu einem allgemeinen Kommers am 28. Oktober 1890 vereinen, bei dem sich nur der V. C. ausschloß; die Leitung lag in den Händen von Vbr. iur. Rogge. Wie groß aber doch die Zersplitterung in der Studentenschaft wieder geworden war, zeigte das Jahr 1893, wo es 4 verschiedene studentische Reichskommerse gab; der V. D. St. beteiligte sich wieder am Unikoloren-Kommers. Als jedoch im nächsten Jahre der Unikoloren-Verband sich auflöste, feierte der V. D. St. 1894 den Reichskommers allein auf seiner eigenen Kneipe. Auf diesem Gebiete hatte er seine Aufgabe erfüllt. Reichskommerse sind seit den 90er Jahren allgemeine Erscheinungen geworden und geblieben und sind auch über die akademischen Kreise hinaus in anderen nationalfühlenden Verbänden zur Sitte geworden. Das Verdienst an der Erweckung der Pflege der damit verbundenen Ueberlieferungen gebührt dem K.V. der V. D. St.
Seit der Spaltung der einheitlichen studentischen Reichskommerse im Jahre 1889 bot sich dem V. D. St. durch die zufällige Nähe des Geburtstages des neuen Kaisers und des Geburtstages des Vereins die Gelegenheit, durch Verbindung beider Feiern seine Wirksamkeit nach außen in neuer Form, aber im alten Sinne, zu betätigen. Schon die erste derartige gemeinsame Feier im W.-S. 88/89 war ein glänzender Beginn. Vor 1000 Gästen, unter denen sich die Generalität mit dem Offizierkorps der Leipziger Garnison befand, sprach der gefeierte Rechtslehrer Prof. Sohm auf den Kaiser und Hofprediger Rogge auf Bismarck. Diese Vereinigung von Stiftungsfest mit Kaisergeburtstagsfeier und Reichsgründungsfeier ist stets eine bevorzugte Veranstaltung des V. D. St. und der jeweilige Höhepunkt der folgenden Semester bis zum Weltkriege geblieben. Von besonderer Festlichkeit war die Feier des 10jährigen Stiftungsfestes 1891 im Theatersaale des Krystallpalastes in Anwesenheit der Prinzen Johann Georg und Max von Sachsen, des Generals v. Holleben mit dem Offizierkorps, von Mitgliedern des Reichsgerichts, des Generalsuperintendenten usw., und wo Prof. Luthardt, Hofprediger Rogge und der Reichstagsabgeordnete Liebermann von Sonnenberg sprachen. Ein Festspiel von Pusch „Das Geheimnis des Kyffhäusers“ und eine gut gelungene Fuxenmimik umrahmten die Feier. Einmal, im W.-S. 91/92, verlegte man den Kaiserkommers nach außerhalb und feierte ihn gemeinsam mit dem Bruderverein Halle in Merseburg in Anwesenheit des Regierungspräsidenten von Diest und des dortigen Offizierkorps. Beim 25jährigen Jubiläum der Reichsgründung 1896 kam es auf Anregung des V. D. St. wieder einmal zu einem studentischen Reichskommers unter der Leitung des Prorektors, woran alle Korporationen teilnahmen und auf dem Vbr. cand. theol. Maurenbrecher die Bismarckrede hielt. Die Einigung blieb auch noch für das folgende Jahr, 1897, erhalten, mit Ausnahme der schlagenden Verbindungen, welche im letzten Augenblick wieder absprangen. Die Rede auf Kaiser, König und Reich hielt diesmal Vbr. theol. Schumann. Beim Tode Bismarcks regte der Vorsitzende des V. D. St. Leipzig, rer. nat. Fredenhagen, eine allgemeine Beteiligung der gesamten deutschen Studentenschaft bei der Beisetzung an. Kurz vorher hatte die Burschenschaft Alemannia in Bonn die gleiche Anregung gegeben, so daß die meisten Universitäten dem Ausschuß in Bonn den Vorzug vor dem Ausschuß in Leipzig gaben und jener dann die Beteiligung der Studentenschaft durchführte. Zu den Trauerfeierlichkeiten in Friedrichsruh entsandte die Leipziger Studentenschaft einen V. D. St. er (Fredenhagen) und einen Burschenschafter. Vorher, am 2. August 1898, hatte eine erhebende Trauerfeier der Leipziger Studentenschaft im Krystallpalast unter Leitung von Fredenhagen und mit Prof. Erich Marcks als Redner stattgefunden. Vbr. hist. Hoetzsch sprach das Gelübde, an Bismarcks Werke festzuhalten. Und „alle reichten sich die Hand, alt und jung, Student und Professor, und sangen das Deutschlandlied.“
Doch nicht nur in der Pflege der geschichtlichen Ueberlieferung und in der Begeisterung für die Großtaten der Nation und ihrer Führer erschöpfte sich die Wirksamkeit des V. D. St. Leipzig nach außen. Wo es galt, das deutsche Volkstum oder die studentische Auffassung vom Dienst am Vaterland zu vertreten, da fand man ihn in der ersten Reihe. Unter Leitung von iur. Raeck fand am 15. Juli 1884 eine Studentenversammlung statt, die sich für Anschluß an die Prager Petition behufs Freizügigkeit der Mediziner an die deutschen Universitäten Oesterreichs und der Schweiz aussprach. Auf Anregung von A. H. Friedrich Naumann, der damals am „Rauhen Hause“ in Hamburg tätig war, kam es im S.-S. 86 zur Bildung eines Ausschusses des „Vereins für freiwillige Krankenpflege.“ Das Vertreterkomitee der Studentenschaft übertrug dem V. D. St. die Einberufung einer allgemeinen Studentenversammlung, die am 23. Juli stattfand und deren Leitung in den Händen von Richard Heinze lag; Ansprachen hielten Friedrich Naumann und Graf Vitzthum, der Vorsitzende des sächsischen Landesverbandes für innere Mission. Die Teilnahme an der „Freiwilligen Krankenpflege“ ist eine Verpflichtung für jeden V. D. St. er geworden, der nicht für den Heeresdienst tauglich war; außerdem wurde von allen auch ein geldliches Opfer in Gestalt eines Semesterbeitrags von 0,50 Mk. verlangt. Im studentischen Ausschuß der Felddiakonie war der V. D. St. vertreten. Auf Anregung des Vereins wandten sich die Theologie Studierenden der Universität am 10. Januar 1887 einstimmig gegen den im Reichstag eingebrachten Antrag auf Befreiung der Theologen vom Heeresdienst. Die Adresse der Leipziger Studentenschaft für die 800-Jahrfeier der Universität Bologna im S.-S. 88 wurde von Vbr. hist. Hilliger verfaßt, und die vom V. D. St. einberufene Studentenversammlung nahm dessen Antrag an, daß „der Vertreter gehalten sein soll, bei offiziellen Gelegenheiten deutsch zu sprechen.“ Wie im Gründungssemester der V. D. St. den Uebergriffen der Tschechen entgegengetreten war, so berief er anläßlich der Ausschreitungen gegen die Studenten in Prag im W.-S. 97/98 eine von Vbr. hist. Hoetzsch geleitete Studentenversammlung, auf der die Professoren Lamprecht und Strohal sprachen. Der Beispiele seien genug.
Wie in den Ausschuß des „Vereins für freiwillige Krankenpflege“, so entsandte der V. D. St. seine ständigen Vertreter in eine Reihe anderer nationaler Unternehmungen, soweit sie nicht parteipolitischer Natur waren, oder gründete entsprechende akademische Ortsgruppen. Im W.-S. 86/87 traten alle Mitglieder in den Deutschen Schulverein (V.D.A.) ein. Auch erklärte in diesem Semester der Verein seinen Beitritt zur Gesellschaft für deutsche Kolonisation. Im W.-S. 87/88 erfolgt der Beitritt zum Deutschen Sprachverein. Im S.-S. 91 traten mehrere Vereinsbrüder in Arbeiter-Bildungsvereine ein, um durch unmittelbare Anschauungen der Denkart und der Gefühlswelt des Arbeiters der sozialen Frage näher zu kommen. Im W.-S. 91/92 erklärte der Verein seine Mitgliedschaft im Allgemeinen Deutschen Verband, und im W.-S. 94/95 trat er in den Verein für Handelsgeographie und Kolonialpolitik ein. Im S.-S. 95 gründete er die erste Akademische Ortsgruppe des „Vereins zur Förderung des Deutschtums in den Ostmarken“, deren Vorsitzender Vbr. iur. Georgi wurde. In der Ortsgruppe des Alldeutschen Verbandes hatte er seit dem W.-S. 97/98 einen offiziellen Vertreter. Mag die Zugehörigkeit zu den einzelnen nationalen Vereinen und Verbänden auch in den verschiedenen Semestern mehr oder weniger stark gewesen sein, je nach der Zusammensetzung des Mitgliederbestandes des Vereins, so bekundete dieser doch dadurch stets seinen Willen zur Beteiligung an nationalen Bestrebungen und zur Erweiterung der eigenen Erkenntnis seiner Mitglieder in nationalen Fragen.
Dieser Erweiterung und Vertiefung des eigenen Wissens dienten auch die Hauptveranstaltungen des innern Vereinslebens. Es ist für die Auffassung seiner Mitglieder wie für seine Stellung innerhalb der Korporationen bezeichnend, daß die ordentlichen Mitgliederversammlungen Vortragsabende waren, welche in früheren Jahren in größeren Sälen stattfanden, öfters im Weißen, Gelben oder Roten Saale des Krystallpalastes woran Gäste teilnahmen und wo die Möglichkeit einer Debatte geboten war. Nach diesen Vorträgen fanden Kneipen nach der Kneipordnung statt. Oft berichteten die Zeitungen ausführlich über diese Mitgliederversammlungen. Auf diesen o. M. V. lag der Schwerpunkt des Vereinslebens. So fanden z. B. im W.-S. 84/85 vierzehn solche Versammlungen statt, im S.-S. 85 elf, im W.-S. 85/86 vierzehn, im S.-S. 86 elf u. s. w. Die Vereinsgeschäfte wurden auf außerordentlichen Mitgliederversammlungen (a. o. M. V.) behandelt; sie waren die Vorläufer der späteren Konvente, wie sie seit dem W.-S. 93/94 heißen, und an Zahl weit geringer als die o. M. V. Dies war dadurch möglich, daß der Vorstand weitgehende Befugnisse hatte und nicht durch ein starres Schema von Geschäftsordnungsparagraphen eingeschränkt war und die Leitung auf dem Vertrauen der Wähler in die Persönlichkeit des Führers beruhte, so daß nur die wichtigsten Fragen der a. o. M. V. zur Beschlußfassung vorgelegt wurden, während alles Uebrige der Vorstand selbst regelte und entschied.
Neben der Weiterbildung der Mitglieder wurde auch auf körperliche Ertüchtigung sowie auf Geselligkeit Wert gelegt. Jedes Semester wurden verschiedene Sektionen gebildet, die seit dem W.-S. 87/88 Abteilungen heißen. Sie beruhten auf freiwilligem Zusammenschluß der sich für bestimmte Fragen interessierenden Vereinsbrüder. „Sechs Sektionen“, so heißt es im Jahresbericht des S.-S. 84, „entfalteten in diesem Semester ein reges Leben, so daß jeden Abend eine derselben ihre Sitzungen, oft vor zahlreichen Gästen, besonders Vereinsmitgliedern, besucht, abhielt.“
II.
Im W.-S. 84/85 gab es z. B. eine juristische Sektion, welche an Stelle der bisherigen juristisch-staatswissenschaftlichen Sektion getreten war und aus 10 Mitgliedern bestand; weiter eine theologische Sektion, welche ihre Sitzungen im Vereinslokal „Stadtgarten“, später in der Wohnung eines Mitgliedes abhielt; sodann eine Fechtsektion mit 18 Mitgliedern, welche viermal wöchentlich in der Windmühlenstraße übte; eine Gesangssektion, die mit ihren 8 Mitgliedern jede Woche einen Quartettabend veranstaltete, und eine Spielsektion, die bei einer Mitgliederzahl von 10-15 in der Regel Sonnabends im „Plauenschen Hof“ zu Schach, Billard und Skat zusammenkam. Im nächsten Semester gab es auch eine Turnsektion, später auch einmal eine Kegelsektion, öfter eine Rudersektion und manchmal auch eine Reitersektion. Die einzelnen Sektionen oder Abteilungen wechselten im Laufe der Semester je nachdem, ob sich geeignete Leiter und genügend Teilnehmer fanden. So gab es im W.-S. 86/87 vorübergehend einmal nur zwei Sektionen: die theologische und die Fechtsektion. Aber schon das nächste Semester brachte eine starke Neubelebung des inneren Vereinsbetriebes mit sieben Sektionen. Es waren eine neue Kolonialpolitische Sektion mit 37 Mitgliedern und eine Plattdeutsche Sektion mit 15 Mitgliedern hinzugekommen. In der Letzteren hielt rer. nat. Langhans einen Vortrag über das Thema: „Der Kampf der Flamen gegen die Wallonen in Belgien“ und einen über: „Die Ausdehnung des niederdeutschen Sprachgebietes“; im folgenden Semester sprach Langhans in dieser Sektion über: „Die politischen Verhältnisse in Belgien mit Bezug auf den Nationalitätenkampf zwischen Niederdeutschen (Flamen) und Wallonen“ und hist. Witte über: „Die Verteilung des Hoch- und Niederdeutschen in den polnischen Landesteilen Preußens.“ So sehen wir, daß neben den staatspolitischen, volkswirtschaftlichen und sozialen Fragen auch andere Probleme des Volkstums schon frühzeitig im Verein behandelt werden, Probleme, welche damals und auch späterhin weiten Kreisen gänzlich unbekannt waren.
Im Jahre 1889 trat eine Erschlaffung ein; es gab nur noch 2 Abteilungen, eine volkswirtschaftliche und eine Fechtabteilung; an Stelle der kolonialpolitischen Abteilung belegten allerdings 12 Mitglieder die Vorlesung von Prof. Hasse über Kolonien; erst im S.-S. 93 ist diese Abteilung wieder eingerichtet worden. Das W.-S. 89/90 erlebte die erste Niederlage bei der Lesehallenwahl und den Verlust der beiden ständigen Sitze im Ausschuß für freiwillige Krankenpflege. Die Mitgliederzahl sank auf unter fünfzig; die Chronik erwähnt zum ersten Male, daß die Studentenschaft jetzt im großen und ganzen national fühle, daß der Verein eine Korporation neben den bestehenden geworden sei und seine Hauptaufgabe in der Erziehung seiner eigenen Mitglieder liege. Die Kneipen werden als „einförmig und wenig belebt“, die Fuxenerziehung als schlecht bezeichnet, und im Jahresbericht heißt es: „keine Lust der Mitglieder zu Vorträgen.“ Es zeigt sich also ein Rückgang auf geistigem wie auf geselligem Gebiet. Seit dem S.-S. 1890 hob sich die theoretische Vereinstätigkeit wieder, indem zu den bisherigen Abteilungen wieder eine juristische und eine theologische hinzutraten, und im S.-S. 91 wurde auch eine Literarische Abteilung errichtet. In diesem Semester trat auch eine sogenannte „Freiwillige Abteilung“ zusammen, um die sozialdemokratischen Arbeitervereine zu studieren.
Im Wintersemester 1881/82 war ich von Heidelberg nach Leipzig übergesiedelt. Ein mächtiger Strom vaterländischen Idealismus durchrauschte damals die Herzen der deutschen Studenten. Es galt, die großen Errungenschaften, welche sich das deutsche Volk unter der gewaltigen Führung Bismarcks erkämpft hatte, und die sich in der ehrwürdigen Person des greisen Kaisers Wilhelm I. so einzigartig ehrfurcht- und liebeheischend krönend verkörperten, gegen unheimliche innere Feinde zu schützen. Das zersetzende Gift jüdischen Geistes mit seinem witzelnden Zynismus und der damals auf unheilvolle Bahnen irregeleitete Internationalismus der aufstrebenden Sozialdemokratie nagten an dem herrlichen Werk. In der Einfuhr und Pflege gallischer Frivolität in unsere Literatur und in den verabscheuungswürdigen Attentaten auf unseren vatergütigen Kaiser waren sie erschreckend zutage getreten. Zu ihrer Abwehr innerhalb der akademischen Jugend war der V. D. St. auch in Leipzig gegründet worden. Er war der Sammelort aller bewußt deutschen Gesinnung und so damals der geistige Mittelpunkt des akademischen Lebens. Bei einer seiner großen Veranstaltungen – war es sein erstes Stiftungsfest? – lernte ich ihn kennen. Der Eindruck war überwältigend. Der große Saal überfüllt mit Kommilitonen, darunter ganze farbentragende Verbindungen in corpore; an der Mitteltafel zu beiden Seiten des Präsidiums ungefähr 80 Professoren. Der Schwung, die flammende Begeisterung der Reden, die männliche Wucht der vaterländischen Gesänge hinreißend. Aber den Höhepunkt erreichte der Abend, als sich Geh. Kirchenrat Prof. Luthardt zur Festrede erhob. Ich habe in meinem Leben einige wenige Männer kennen gelernt, in denen die Macht der Beredsamkeit, dieser großen aber oft auch so gefährlichen Gabe des menschlichen Genius, unmittelbar innerlich und äußerlich Körper gewonnen zu haben schien. Luthardt gehörte zu ihnen. Seine hohe Gestalt, sein mächtiger Kopf mit dem schlichten, langen, nach hinten gestrafften Haar, das die hohe Stirn völlig frei gab, sein edles Profil, seine hageren, durchgeistigten Züge gaben ihm das majestätische Aussehen eines Propheten, der mit höheren Mächten im Bunde stand. Und dem entsprachen Inhalt und Form seiner Rede. Welche Fülle tiefer Gedanken strömten dahin in der Kraft und der Pracht seiner Worte! Welche Größe und Reife echt religiöser und vaterländischer Gesinnung! Wie konnte er in Warnung, Mahnung, Aufruf erschüttern, erwecken, begeistern! Auch mein Gewissen hatte er gepackt. Noch am selben Abend schrieb ich mich mit manchem andern in die Listen des Vereins ein. Luthardt, Ehrenmitglied des Vereins, ist in jenen Semestern der gute Genius des Vereins gewesen und geblieben. Mit dem Eindruck seiner Persönlichkeit konnte sich kein anderer der Professoren messen. Und doch wie mancher wackere Mann hat damals zu uns gehalten! Ich gedenke z. B. des Professors der Geschichte Arndt und vor allem seines gewaltigen Vortrags über die vaterländische Bedeutung von Goethes Faust bei seinem Erscheinen inmitten der Zeit Napoleonischer Fremdherrschaft. Ich gedenke des Schriftstellers Hans von Wolzogen, der uns Richard Wagner als großen Künder deutschen Wesens nahe brachte. Ich gedenke des alten, an einer Kriegsverwundung lahmenden Recken Fedor von Köppen, der, ein Sänger und ein Held zugleich, durch den rhetorischen Schwung und das ehrliche Pathos seiner vaterländischen Dichtungen uns Junge hinriß und auch als Festredner ein begeisterter Herold des deutschen Gedankens war. Dabei war er der seßhafteste, fröhlichste Zechkumpan, mit dem so leicht kein anderer stichhielt. Aber nicht in Reden und Festen erschöpfte sich das Wesen des VDSt. Wollte er mit Recht die Führerschaft der nationalen Studentenschaft beanspruchen, so mußte er Taten zeigen. Dazu gaben ihm Gelegenheit die Ausschußwahlen für die akademische Lesehalle. In welcher Richtung diese geleitet und mit geistigem Stoff versorgt wurde, war für die Stellungnahme der Studentenschaft in nationalen Fragen von großem Gewicht; von ihr aus fluteten Ströme starker Beeinflussung in die Seelen der Studenten. So schieden sich hier am deutlichsten die Geister, und ein erbitterter Kampf entspann sich um diese Position, deren Behauptung man auf beiden Seiten ausschlaggebende Bedeutung beimaß. Mit fieberhafter Spannung und Erwartung verfolgte man den Kampf, auf dessen Schauplatz sich die schlagfertigsten Fechter beider Parteien gegenübertraten. Hier seien unsere Vorkämpfer genannt. In Hoeres und Rosenhagen hatten wir vornehme, umsichtige und gewandte Führer; ihnen zur Seite traten die schon erwähnten Burkhardt und Troebst, die rednerisch eine scharfe Klinge schlugen. Auch zeichnete sich schon damals, wenn meine Erinnerung mich nicht täuscht, Freiherr von Zedlitz aus, den ich am 70ten Geburtstag Bismarcks am 1. April 1885 auf dem ewig denkwürdigen Frühschoppen beim Reichskanzler als einen der glücklichsten Sprecher unserer großen gemeinsamen Studentendeputation aller Universitäten wieder treffen sollte. Noch eine bemerkenswerte Persönlichkeit war der Elsässer Schweitzer, der schon in seiner Heimatuniversität Straßburg die noch vielumstrittene Fahne des Deutschtums unter den Studenten vorangetragen hatte und nun in Leipzig durch seine markigen Reden bei großen akademischen Anlässen als lebendiger Beweis des alten Deutschtums der wiedergewonnenen Grenzmark wirkte. Und welch ein Jubel brach aus, als wir am 12. November 1882 über die vorzugsweise von Juden geführte Gegenpartei einen glänzenden Sieg davontrugen und als unsere Vertreter Walter Burkhardt und Bauer in den Ausschuß gewählt wurden. Von dem Siegesfest, das der V. D. St. nun veranstaltete, ist mir ein eigenes Poem in den Händen geblieben, das nach meinem heutigen Geschmack zwar etwas derb ist, aber doch so frisch in die damaligen Ereignisse und die von ihnen erzeugte Stimmung einführt, daß es mitgeteilt sein möge.
Quelle: Dr. R. P. Oßwald, „Hundert Semester Verein Deutscher Studenten zu Leipzig“, in DStv! 50 Jahre Verein Deutscher Studenten zu Leipzig 1881–1931. Leipzig: Verlag des A. H.-Bundes des V. Dt. St. Leipzig e.V., n.d. [ca. 1931], S. 3–13.
Auf die Wahlschlacht zur akademischen Lesehalle am 12. November 1882
Nach der Melodie: Als die Römer frech geworden . . .
1. Als die Glocke elf geschlagen;
Vorigen Sonntag, sah man
Scharen;
Studios in geteilter Macht;
Stürzen in die
heiße Wahlschlacht;
Bornerianum viere.
2. Führer war der daitschen Rasse;
Schöbel, dem mit wildem
Hasse;
Mancher folgte, der besaß;
Eine grause, krumme
Nas;
Flesch und ander Flesche.
3. Aus der deutschen Streitmacht ragen;
Winzer, Graetzel,
Rosenhagen;
Höres, Müller, Troebstens Bart;
Bosse und
von gleicher Art;
Andere wackere Kämpen.
4. Hui, wie wurde da gerungen;
Reden hin und her
geschwungen!
Dort fiel manches schneidige Wort;
Unsinn
auch bekam man dort;
Massenhaft zu hören.
5. Doch Dir Burkhardt und Dir Bauer;
Rann der Schweiß,
denn schwer und sauer;
Ist das Amt als Kandidat;
Wenn
man viele Gegner hat;
Und die nötige Dicke.
6. Wai, schrie Schöbel, Meine Lieben;
Bleibt bei Leibe
nicht da drüben;
Denn es tut mir schrecklich weh;
Daß
ich Euch bei jenen seh;
Sind gefährliche Kerle!
7. Wollt Ihr Euren Vorteil wahren;
Rief der Flesch, laßt
mich nicht fahren!
Daitsche Michel jene sind;
Aber ich
ein schlaues Kind;
Vom erwählten Volke!
8. Hungrig hat man sich gestritten;
Endlich ward zur Wahl
geschritten;
O wie kamen unsere Burkhardt;
und Bauer
glänzend durch!
Darob riesige Freude!
9. Doch ein Studio, Schmidt geheißen;
Dacht: Euch soll das
Mäuslein beißen;
Wenn Ihr’s Amt je wieder kriegt;
Denn
wer einmal draußen liegt;
Wird nie wieder Vorstand.
Ein Kommilitone hat den damaligen Kampf nicht mehr mit durchgefochten, weil er inzwischen schon nach Berlin übergegangen war; aber es wäre unrecht, ihn hier zu verschweigen, wo unsere Vorkämpfer in den Gründungsjahren des V.D. St. gepriesen werden. Es ist Diederich Hahn, weitaus der bedeutendste Redner, der uns damals erstanden ist. Dieser blonde deutsche Jüngling hatte, nicht an Stattlichkeit der Gestalt, aber an Leuchtkraft des Wesens, etwas Siegfriedhaftes. Und wie konnte er durch die begeisterte Macht seiner mühelos sich formenden Worte die Hörer in seinen Bann ziehen.
Quelle: Dr. Alwin Schmidt, „Aus den ersten Jahren des V. D. St. zu Leipzig“, in DStv! 50 Jahre Verein Deutscher Studenten zu Leipzig 1881–1931. Leipzig: Verlag des A. H.-Bundes des V. Dt. St. Leipzig e.V., n.d. [ca. 1931], S. 46–49.