Kurzbeschreibung

Anna Scharnschlager und ihr Mann Leupolt lebten in Tirol und schlossen sich um 1530 der Täuferbewegung an. Religiöse Verfolgung zwang sie, von ihrem Gut zu fliehen. Sie schlossen sich dem Kreis um den Täufer Pilgrim Marpeck an und wurden zu Glaubensflüchtlingen in der Stadt Straßburg. Letztlich mussten sie jedoch selbst diese relativ tolerante Stadt verlassen. Dieser Brief von Anna an ihren Bruder, in dem sie sehr sachlich um die Rückgabe ihres Besitzes nach der Vertreibung ihrer Familie aus ihrem Haus bittet, offenbart die prekäre Natur des Lebens der Täufer im Exil, selbst für diejenigen aus relativ wohlhabenden Familien.

Brief Anna Scharnschlagers an ihren Bruder in Tirol (ca. 1535)

Quelle

Fruntlicher, hertlieber brueder, mein fruntlichen grus alzeit zuvoran. Wo es dier, auch deiner hausfr[auen] und anndern meinen frunten wol gieng an sel und leib, hiet ich alzeit ain freit zu horn.

Hertzlieber bruder. Nachdem als ich vor ettlichen jarn mit meinem elichen hauswirt aweckh bin zogen, der dann von wegen des glaubens aus gwarnung und gegenwirttigen verfolgung, marter und dranng des glaubens halb beschehen, zu weichen und aweckhzuziehen verursacht und gedrungen ist worden zu errethung seins leibs und lebens und gwissens, han ich seider solhs meins hauswirtz und meines wegzugs mermaln meinem lieben swager, anwalt Hannsn Steger gschriben von wegen etlichs plunders und cleider, so ich bei im und meiner swester anvaltin bhaltzweis verlassen haben. Mir ist aber derhalben von inen beiden bisher kein widerschrift zuekomen. Derhalben ich nit wais, was mir di ursach ist. Ich acht, das er villeicht bisher kein poten zu hab haben konnen. Deshalben ist an dich als meinen lieben bruder mein fruntlich pitten, du wellest so woll tun und dich bi meinen swager anwalt fürderlichst geben, das er dier auf solchs meine schriften ain antwurt geb; und sonderlich auf das, das ich im jungstlich erst vor monat oder zwaien han gschriben und ine gepeten, er sol mir solchen mein plunder trulich bhalten, bis das ich denselben aintzing in mein gwalt bringen mag, nachdem ich sein notturftig wierd, und das er mir seinen willenn und maynung deshalb herwider schreib, mich darnach

haben ze richten und seins guten, swagerlichen willen, treu und fruntschaft, so ich noch bei im gegen mir und meinem huswirt unverloschen sein verhoffen, durch solh sein widerschreiben mich haben zu erfreien, sonderlich von der Fronica, meiner gstorben swester, seiner hausfr[au], wegen und Galgen, meins vorigen hauswirtz seins bruders, wegen.

Lieber bruder, und wellest mir alsdann solchen br[ief] auffs furderlichist du kanst botschaft haben in des Pilgrams Marpekhen gwalt schicken. Der wirt mir den wol wissen ze antwurten. Soferr aber dem anwalt di br[iefe] von mir nit worden wern, magstu im wol sagen oder zueschreiben, es sei der maist innhalt solher br[ieffen], das ich ine hab gebeten, mir meinen plunder und cleider trulich zu behalten, bis das ich eintzing darnach schickh. Ich lass in auch fragen, wenn ich darnach schickh, ob ich gen Hopfgarten oder gen Kitzpühl sol schickhen, mich darnnach wissen ze richten. Solhs beger ich s[amb]t Leupolten, meinen hauswirt, der dich sambt mir trülich und fruntlich grussen lasst, umb dich als meinen lieben bruder fruntlich zuverdienen und beschulden. Mein tochter Ursula han ich etwo vor 2 jarn verheirat ainem urmacher; sind diser zeit in Merhern. Es hat schon kinder bei im uberkomen. Gruss mir auch dein hausfr[au] trulichen, auch mein pas, der Kelbin tochter, so bei dir im haus ist. Hertzlieber bruder, ich pit dich auch, das du selbs mir auch schreibst wie es dier und deiner hausfr[auen] und anndern unnsern frunten ganng, auf das ich auch erfar oder vertrostet sei, mich noch bruderlicher trew von natur zu dier zu versehen, als ich ungezweifelt verhoff. Amen.

Weiterführende Literatur

C. Arnold Snyder, Linda A. Huebert Hecht, Hrsg. Profiles of Anabaptist Women: Sixteenth-Century Reforming Pioneers. Waterloo, Ontario: Published for the Canadian Corporation for Studies in Religion by Wilfrid Laurier University Press, 1996, S. 58-63.

Gerhard Hein and William Klassen. "Scharnschlager, Leupold (d. 1563)." Global Anabaptist Mennonite Encyclopedia Online.  https://gameo.org/index.php?title=Scharnschlager,_Leupold_(d._1563)&oldid=166260.

Päivi Räisänen-Schröder, “Anna Scharnschlager (d. 1564) and Margarethe Endris: Anabaptist Women and Their Letters.” In Women Reformers of Early Modern Europe: Profiles, Texts, and Contexts, ed. Kirsi I. Stjerna, 1517 Media, 2022, S. 209–22.

Quelle: Leonhard von Muralt und Walter Schmid, Hrsg., Quellen zur Geschichte der Täufer in der Schweiz, Band 2: Ostschweiz, Zürich: Theologischer Verlag, 1973, S. 511-513.

Brief Anna Scharnschlagers an ihren Bruder in Tirol (ca. 1535), veröffentlicht in: German History in Documents and Images, <https://germanhistorydocs.org/de/von-den-reformationen-bis-zum-dreissigjaehrigen-krieg-1500-1648/ghdi:document-5462> [28.03.2025].