Kurzbeschreibung
Diese Karikatur aus der Zeitschrift
Simplicissimus vom 1. September 1962
nutzt den griechischen Mythos von der schönen Europa, die von Zeus auf
einem Stier nach Kreta entführt wird, als Vorlage und zeigt „Europa“
hier als mondäne, üppige Dame, die einen zahmen Stier an der Leine führt
und dabei vom britischen Premier Harold Macmillan (l.), dem
französischen Präsidenten Charles de Gaulle (m.) und dem deutschen
Bundeskanzler Konrad Adenauer beobachtet wird. Die Bildunterschrift
„Enormes Weib – aber teuer, sündhaft teuer!“ deutet an, dass der
europäische Integrationsprozess nicht nur mit langwierigen
Verhandlungen, sondern auch mit hohen Kosten verbunden war. Unmittelbar
vor de Gaulles Staatsbesuch in der Bundesrepublik (4.–9. September 1962)
veröffentlicht, spielt die Karikatur zudem auf die unterschiedlichen
nationalen Interessen bezüglich der weiteren europäischen
Integrationsschritte an. De Gaulles Konzeption zielte auf ein
intergouvernementales „Europa der Vaterländer“ unter Ausschluss
Großbritanniens ab; die politische Kooperation der sechs EWG-Mitglieder
(Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien und die
Benelux-Staaten) sollte vertieft werden, um ein Gegengewicht gegen die
USA und die UdSSR zu bilden. Großbritannien, für das vorrangig die
wirtschaftlichen Vorteile einer EWG-Mitgliedschaft attraktiv waren,
hatte am 9. August 1961 ein offizielles Aufnahmegesuch an die EWG
gerichtet. Die Bundesrepublik strebte eine verstärkte politische, auch
supranationale Integration unter Einschluss Großbritanniens an.
Karikatur von Manfred Oesterle.