Kurzbeschreibung

Mit eindringlichen Worten verdeutlicht Franz-Josef Wuermeling (CDU), Bundesminister für Familien- und Jugendfragen, die seiner Meinung nach bestehende Bedrohung der Familie durch die zunehmende Berufstätigkeit von Müttern sowie die sinkende Geburtenrate und hält ein Plädoyer für das traditionelle Idealbild der Frau als Hausfrau und Mutter.

Familie, Erziehung und die Rolle der Frau (3. Dezember 1961)

  • Franz-Josef Wuermeling

Quelle

Die Familie von heute und ihre Erziehungskraft

Bei Betrachtung der Situation unserer Familien und unserer Jugend in der heutigen Welt wird ein typischer „Zug der Zeit“ sichtbar, den wir als Herausforderung an unser christliches Weltbild und Erziehungsziel erkennen müssen: Der Mensch von heute ist nicht mehr ohne weiteres bereit und fähig, das Weltenganze als göttliche Schöpfung und Ordnung zu erkennen und ehrfürchtig anzuerkennen. Er ist sich in einem nie erlebten Ausmaß seiner Verstandskräfte bewusst geworden und stellt diese höher als alles andere. Schon treibt er die Pfeile seiner Neugier nicht mehr nur in den irdischen Raum vor, um zu erforschen, „was unsere Erde im innersten zusammenhält“; er stößt in unseren Tagen auch schon weit darüber hinaus in den ganzen äußeren Weltenraum, ins Weltall hinaus.

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Die Familie ist durch nichts zu ersetzen

Dürfen, ja müssen wir in dieser unheimlichen und gefahrvollen Situation unsere Hoffnung auf die Familie setzen? Ich antworte mit: Ja! Denn die Familie kann als erste und am ursprünglichsten den Gottesglauben und das Wissen um den eigentlichen Sinn und das eigentliche Ziel unseres Lebens als festes religiöses Element allen Ringens und Strebens begründen. Gerade in der familiären Lebensgemeinschaft können ja auch alle jene Eigenschaften immer wieder am besten und wirksamsten entwickelt werden, deren der einzelne im Zusammenleben auch in größeren Gemeinschaften bedarf: Selbstverantwortung und Hinwendung zum Mitmenschen, Anpassungsfähigkeit und Rücksichtnahme. Als ganzheitliche Lebensgemeinschaft kann sie am ehesten eine Rangordnung der Werte zwischen dem einzelnen und der Gesellschaft schaffen und personale Entfaltungsfreiheit mit sozialer Initiative, Verantwortlichkeit und Geborgenheit verknüpfen.

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In der modernen industriellen Gesellschaft ist die Familie, die vorher nicht nur Lebens-, sondern auch Produktionsgemeinschaft und wirtschaftlich weitgehend autark war, wirtschaftlich gesehen weithin zu einer reinen Verbrauchsgemeinschaft geworden. Gerade in den Jahren des Heranwachsens der Kinder ist sie meist auf ein einziges Einkommen — das des Familienernährers — aus unselbständiger Arbeit angewiesen. Über drei Viertel aller Erwerbstätigen — heute noch überwiegend ohne nennenswerten Besitz — arbeiten in fremden, räumlich von der Familie getrennten Betrieben in abhängiger Stellung. Sie arbeiten dort zu einem im Prinzip leistungsbestimmten Lohn, der bei gleicher Leistung für jeden gleich hoch ist, ohne Rücksicht darauf, wie viele Familienmitglieder davon leben müssen.
Von diesem Leistungslohn muß der Familienvater meist jedes Stück Brot und jedes Gramm Fett genauso oft in barem Gelde kaufen, wie die Zahl seiner Familienmitglieder groß ist. Dadurch wird sein Einkommen praktisch fast dividiert durch die Zahl seiner Familienangehörigen. So ist also heute die Familie mit Kindern der wirtschaftlich schwächste Teil.

Erschwerend tritt hinzu, daß die zunehmende Dauer der Berufsausbildung — die im übrigen immer häufiger auch eine Trennung vom Familienhaushalt erforderlich macht, die Möglichkeiten einer wirtschaftlichen Mitleistung der heranwachsenden Kinder weiter eingeschränkt hat. Die Ausdehnung der Schulpflicht auf ein neuntes und vielleicht noch auf ein zehntes Schuljahr sowie der Ausbau der weiterführenden Ausbildungsgänge werden diese wirtschaftliche Belastung noch erhöhen.

Dies und eine Reihe anderer Faktoren haben dazu geführt, daß die wirtschaftliche Belastung der Familie mit Kindern aus nicht von der einzelnen Familie zu vertretenden Gründen allgemein erheblich größer geworden ist und daß somit der Besitz von Kindern zu sozialer Deklassierung, zum Abstieg in ganz andere soziale Schichten führt. Diese Entwicklung hat nun zu Konsequenzen geführt, die in unserem Zusammenhang von entscheidender Bedeutung sind. Sie hat die Familie zu zwei Notausgängen gedrängt, die zwar die wirtschaftliche Bedrängnis und Deklassierung mildern, dafür aber ihre Erziehungskraft an entscheidender Stelle schwächen: Die Familie antwortet auf ihre wirtschaftliche Zwangslage zum einen mit der Erwerbstätigkeit der Hausfrau und Mutter, zum anderen mit der Einschränkung der Zahl ihrer Kinder.

Erwerbstätigkeit der Mutter ist keine Lösung

Die außerhäusliche Erwerbstätigkeit unserer Hausfrauen und Mütter aber ist keine "Lösung", sondern ein erzwungenes Unheil. Wir müssen uns immer wieder bewußt machen, daß und wie sich unter der helfenden Hand der Mutter im Elternhaus die geistig-seelische, die persönlichkeitsprägende sogenannte „zweite Geburt“ des Kindes entscheidend gerade auch in den ersten Lebensjahren vollzieht. Durch das tiefe Erleben der Zärtlichkeit, Zusprache und Fürsorge, wie es nur die Mutter zu geben vermag, lernt schon das Kleinkind, Zuneigung und Liebe zu empfinden und zurückzugeben. Es ist angewiesen auf die liebende und geliebte Person der Mutter, an der es sich beim Hineinwachsen in eine ihm zunächst fremde Welt halten kann. Der Mutter zuliebe lernt das Kind, sich zu beherrschen, sich Fertigkeiten anzueignen, gut zu sein und selbständig zu werden.

Liebende Hingabe der Mutter in ihrer Stetigkeit und Tiefe sind und bleiben aber auch entscheidend für die Entwicklung des größeren Kindes und des Jugendlichen. Die Mutterliebe und Muttersorge trägt den jungen Menschen hinweg über die Klippen des Bildungsweges und die Krisen der Reifezeit, stellt ihm das gute Beispiel vor Augen, vermittelt ihm Leitbilder und Wertmaßstäbe, begleitet ihn mit verstehender und verzeihender Anteilnahme auf dem Weg ins Leben, auf der Suche nach dem eigenen Standort, nach tragenden Interessen, Ideen, Idealen, weckt und stärkt die Kräfte des Gemüts und des Gewissens. Sie gründet als erste auch den Gottesglauben und das Wissen um den eigentlichen Sinn unseres Lebens als tragendes Fundament für die ganze weitere Entwicklung.

Mutterberuf ist darum Hauptberuf und als solcher wichtiger als jeder Erwerbsberuf. Mutterberuf ist Berufung von unermeßlicher Tragweite, fortwirkend in Gegenwart und Zukunft unseres Volkes.

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Quelle: Franz-Josef Wuermeling, „Die Familie von heute und ihre Erziehungskraft“, in Bulletin (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung), Nr. 238, 21. Dezember 1961, S. 2241–43, und Nr. 239, 22. Dezember 1961, S. 2249–51.