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Zwischen Panzern und Prestige. Die Olympischen Spiele von Mexiko
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Das moderne Olympia, eine der großen Illusionen unserer Zeit, der Traum von einer besseren Welt, ist trotz seiner Popularität und trotz der Dynamik der Rekorde doch nur aus jenem Stoff, aus dem die Träume sind. Heute windet es sich im Würgegriff der Weltpolitik: Die beiden Giganten tragen auch im olympischen Stadion ihren politischen Zweikampf aus. Der Startschuß zum Duell zwischen der Sowjetunion und den USA – ein Kampf, der im noch weitaus kostspieligeren Wettlauf zum Mond ausgefochten wird – fiel 1952 in Helsinki, als die Russen zum ersten Male in die olympische Arena einmarschierten und sofort im Gesamtklassement, das es offiziell gar nicht geben soll, den zweiten Platz belegten.
Diese Herausforderung wurde von den Amerikanern zunächst nicht ernst genommen. 1960 erlitten sie dann bei den Spielen in Rom, ähnlich wie beim Weltraum-Duell, eine schwere Niederlage. Die Russen setzten sich in der Gesamtwertung mit klarem Abstand an die Spitze. Nicht nur im Weltraum, auch auf der Erde, auf olympischem Boden, waren nun die Sowjets die ersten. Sie hatten die Amerikaner überrundet.
Man kann sich das Ausmaß der Propagandawirkung und den Prestigegewinn vor allem bei den Neutralen dann nicht vorstellen, wenn man in dem ganzen Geschehen nur nebensächliche sportliche Wettkämpfe sieht. Die westlichen Politiker erkannten zunächst nicht die neue Waffe, die da im Arsenal des Kalten Kriegs geschmiedet worden war. Dabei konnte man doch wirklich kaum annehmen, daß Stalin und seine Nachfolger plötzlich vom olympischen Geist erleuchtet worden waren, als sie ihre Staatsamateure gegen die Sportler des Westens antreten ließen. Bis dahin hatte „Olympia“ in Moskau als ein bürgerlichdekadentes Fest gegolten, gegen das man die Massen der eigenen „Spartakiade“ mobilisierte.
Es war de Gaulle, der als erster in Europa die gefährliche Situation erkannte, nachdem die französischen Sportler aus Rom ohne eine einzige Goldmedaille nach Hause gekommen waren. Er unterstützte daraufhin den Leistungssport großzügig von Staats wegen und ließ von seinem neuernannten Sportminister in Joinville bei Paris ein riesiges Trainingszentrum errichten. Auch Präsident Kennedy sah, daß für die Russen der weltweit wirkende internationale Sporterfolg zu einem Mittel der Politik geworden war.
Nur zögernd entschloß man sich in Westdeutschland, den sportlichen Rüstungswettlauf mitzumachen. Als aber 1964 die DDR in der gesamtdeutschen Mannschaft mehr Olympiakämpfer stellen konnte als die dreimal größere Bundesrepublik, da erschrak man auch in Bonn und stellte Mittel zur Verfügung, die allerdings längst nicht genügten.
Ein verlorener Traum
Ulbricht erreichte auch für Mexico City sein politisches Ziel, nämlich die Demonstration der Zwei-Staaten-Theorie durch zwei deutsche Mannschaften. Nur eine Kleinigkeit fehlt ihm noch: Die „Hammer-und-Zirkel-Flagge“ darf er nicht zeigen und statt der Becher-Hymne wird Schiller-Beethovens „Freude, schöner Götterfunke“ ertönen. 1972 in München wird es dann auch diese Ersatzlösungen nicht mehr geben.
Avery Brundage aus Chicago, der idealistisch gestimmte 81jährige Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, ist aber schon jetzt gescheitert. Vergeblich versuchte er, „die Politik aus dem Sport herauszuhalten“. Doch im Ostblock hat die Politik nun einmal den Primat vor dem Sport. Und in der neutralen Welt scheint es nicht anders zu sein.
Auch auf einem anderen politischen Feld, dem des Rassenkampfes, mußten Brundage und das Internationale Olympische Komitee (IOC) kapitulieren. Die Politiker der Dritten Welt zwangen das IOC durch ihre umfassende, von der Sowjetunion unterstützte Boykottandrohung für Olympia 1968 mit Stimmenmehrheit beschlossene Zulassung der weißen und schwarzen südafrikanischen Sportler wieder rückgängig zu machen.
Wie einst auf den historischen Schlachtfeldern werden heute die weltpolitischen Gegensätze auch auf olympischem Gelände ausgetragen. Der alte romantische Menschheitstraum von den Olympischen Spielen ist ausgeträumt – welch wehmütige Erkenntnis.
Quelle: Adolf Metzner, „Zwischen Panzern und Prestige. Die Olympischen Spiele von Mexiko“, Die Zeit, 11. Oktober 1968. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung von Prof. Dr. Otto Gellert im Namen der Adolf Metzner Stiftung.