Kurzbeschreibung

Als Reaktion auf die an vielen Universitäten ausbrechenden Studentenunruhen gründeten Hochschullehrer den „Bund Freiheit der Wissenschaft“ (BFW) und berichteten auf dessen konstituierender Sitzung von den teilweise chaotischen Umständen in vielen Hörsälen der Bundesrepublik.

Verteidigung der Festung Wissenschaft (1970)

Quelle

Berlin
Stellungnahme des Staatskommissars an der Technischen Universität, Peter Sötje, vom 12. September 1970 zu den Zuständen an der TU-Berlin

Der 29jährige Diplom-Politologe wurde am 4. August 1970 vom Senator für Wissenschaft und Kunst, Professor Stein, zum staatlichen Beauftragten in Prüfungsangelegenheiten berufen, nachdem die Prüfungsordnung mehrmals mißachtet worden war.

Man muß die Situation an der Architekturfakultät, vor allem in den letzten drei Semestern, als chaotisch bezeichnen. [] Studenten und Prüfer sind bewußt nicht nach der geltenden Prüfungsordnung verfahren. Die Prüfungen wurden zur Farce. [] Es gab keine individuelle Leistungskontrolle. In den vergangenen Semestern dominierten immer stärker kollektive Prüfungsarbeiten. [] Klausurthemen waren längst vor der Prüfung bekannt. [] Den Studenten selbst blieb die Themenwahl und der Ablauf der mündlichen Prüfungen weitgehend überlassen. []

Wesentliche Teile der Fakultät sind durch die überwiegend politische Auseinandersetzung offensichtlich überfordert. Die Hochschullehrer haben sich gegenüber den ständigen Rechtsverstößen vor allem in Prüfungsfragen lange Zeit passiv-duldend oder sogar aktiv-fördernd verhalten. Sie sprechen heute selbst davon, daß sie, „um die Ausgangsbasis für gemeinsame Reformansätze nicht zu verlieren, immer wieder bereit (waren), die Erkenntnis zu verdrängen, daß es sich nicht vorwiegend um eine fachliche, sondern um eine mit allen Mitteln geführte politische Auseinandersetzung handelt“.

Tatsächlich spielen sich heute in den Universitäten Dinge ab, die so ungeheuerlich sind, daß sie alles in den Schatten stellen, was sich vor Inkrafttreten des neuen Universitätsgesetzes an Repressalien seitens extremer Gruppen abgespielt hat. Derartige Gruppen haben es an der Architekturfakultät verstanden, mit teilweise kleinbürgerlich-faschistischen Methoden der Repression und persönlichen Einschüchterung sogar zu verhindern, daß ihr Terror an die Öffentlichkeit drang. Viele Hochschullehrer schweigen unter dem unmittelbaren psychischen und sogar physischen Druck und vielleicht auch in dem Gefühl des schlechten Gewissens bezüglich eigener Versäumnisse. []

Einbrüche in die Dienstzimmer von Professoren, Entwendung von Akten und Prüfungsunterlagen, Bombendrohungen, Besetzung von Lehrstühlen: solche Schritte charakterisieren die Atmosphäre. Selbst die Einsperrung von Professoren über Nacht in ihren Dienstzimmern hat diese nicht dazu veranlassen können, Anzeige zu erstatten. Die gleiche unverständliche Zurückhaltung legten manche auch an den Tag, wenn mit Terrorakten gegen Angehörige ihrer Familien gedroht wurde.

München
Bericht über Ausschreitungen an der Ludwig-Maximilians-Universität

Im Sommersemester 1969 mußten sieben Vorlesungen mit einer Gesamthörerzahl von etwa 1500 Studenten nach systematischen Stör- und Terroraktionen extremistischer Gruppen eingestellt werden. Eine weitere Anzahl von Vorlesungen und Übungen, vor allem in der philosophischen, staatswissenschaftlichen und juristischen Fakultät, wurden so stark gestört, daß sie nur mit allergrößter Nervenkraft und Anstrengung der jeweiligen Dozenten zu Ende geführt werden konnten. So hielt beispielsweise ein Ordinarius wegen des ständigen Eier- und Tomatenbombardements seine Vorlesung im Drillichanzug.

Die Professoren Ferid und Pfister erlitten nach Störungen akute Herzanfälle und mußten auf Anraten ihrer Ärzte ihre Vorlesungen abbrechen. Zahlreiche Professoren mußten wegen der übermäßigen physischen und psychischen Belastungen in ihren oft von Unterbrechung und Sprengung bedrohten Vorlesungen und Übungen ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. Einer der hervorragendsten Wissenschaftler der Universität, Professor Hermann Kunisch (neuere deutsche Literaturgeschichte), dessen Gesundheit stark unter den wiederholten Störungen einer Vorlesung gelitten hatte, mußte sich vorzeitig emeritieren lassen.

Das Institut für Theatergeschichte wurde unter Anrichtung schweren Sachschadens gewaltsam besetzt, desgleichen das Institut für Soziologie. Die Institute für Romanistik, Kunstgeschichte, Soziologie und Theaterwissenschaften wurden durch Wandmalereien so stark verschmutzt, daß ihr Zustand „unzumutbar“ geworden war. Abgesehen von den Sachbeschädigungen im Institut für Theaterwissenschaften (u. a. gewaltsames Aufbrechen der Türen), entstanden durch Beschmierungen in der Universität Sachschäden in Höhe von ca. 10 000 DM.

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Quelle: „Freiheit der Wissenschaft“, Rheinischer Merkur, 13. November 1970.
© Rheinischer Merkur. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung.