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Vorrang für Ölsparen und neue Technologien
Bundeskanzler Helmut Schmidt ist davon überzeugt, daß in schon relativ kurzer Zeit das Gipfeltreffen der sieben größten Industrienationen in Tokio als „weltwirtschaftliche Zäsur“ empfunden werden wird, von ähnlicher wirtschaftsgeschichtlicher Bedeutung vielleicht wie die Ende 1973 ausgelöste sogenannte Ölkrise. Dies erklärte er in einem auf dem Rückflug von Tokio geführten Interview mit SZ-Redaktionsmitglied Franz Thoma. Wichtigste Beschlüsse des Gipfeltreffens waren eine Begrenzung der Ölimporte und die erklärte Absicht, neue Technologien für unendliche Energiequellen zu entwickeln.
Die größten Industrieländer, die immerhin zusammen mehr als die Hälfte des Weltsozialprodukts erwirtschaften, wollen sich nach „ihrem erklärten Willen“ aus ihrer bisher fast hilflosen Abhängigkeit vom Mengen- und Preisdiktat des internationalen Kartells der Ölproduzenten lösen, davon unabhängiger werden. „Unser Land hat an diesen Entscheidungen bewußt und durch sich über Monate erstreckende Vorbereitung mitgewirkt“, betonte Schmidt. Auf die Frage nach längerfristigen Wirkungen dieser Gipfelbeschlüsse für die deutsche Energiepolitik (über die der Kanzler am Mittwoch im Bundestag eine Regierungserklärung abgeben wird) wie auf den Alltag erklärte Schmidt an Hand eines Beispiels, daß sich in einigen Jahren nur noch wenig Bürger Autos mit hohem Benzinverbrauch werden leisten können.
Das Auto von übermorgen
Zunehmend werde man zu Autos mit niedrigem Spritverbrauch übergehen. „Die Autoindustrie wird sich darauf einzustellen haben.“ Er werde, so sagte der Kanzler, es noch miterleben, daß an die Stelle des Fahrzeugs mit Benzinmotor zunehmend das mit Batterie getriebene Auto tritt. Auch die Entwicklung von wasserstoffgetriebenen Motoren liege im Bereich der nächsten Jahrzehnte. Das Energieprogramm der Bundesregierung von 1973 mit seiner ersten und zweiten Fortschreibung hat nach Überzeugung von Schmidt jedenfalls die Entwicklung richtig auf das Energiesparen, den Ersatz von Öl durch Kohle und die Deckung eines verbleibenden Restbedarfs durch Kernenergie gelenkt. Daran wird festgehalten. Und diese Linie werden andere Industrieländer im Sinne einer gemeinsamen Strategie auf mittlere Sicht übernehmen. Die deutschen Vorschläge seien in Tokio vielfach akzeptiert und in die Schlußerklärung aufgenommen worden.
Beschleunigtes Entwicklungstempo
Die Bundesregierung wird jetzt darauf drängen, daß vor allem Technologien für die Kohlevergasung wie zur Nutzung von Sonne und Erdwärme nachhaltig und schnell entwickelt werden, auch damit später auf die Kernenergie verzichtet werden kann. „Diese Grundlinien müssen jetzt in ihrer Durchführung beschleunigt werden.“ Bundestag, Bundesregierung, Industrie und Gewerkschaften haben nach Schmidts Überzeugung hier zusammenzuwirken. „Vor allem aber müssen auch unsere Bürger von diesen unabwendbaren Notwendigkeiten überzeugt werden.“ (Der Regierungschef denkt offensichtlich daran, die finanziellen Mittel für die Entwicklung dieser Technologien erheblich aufzustocken.)
In Tokio ist besonders Japan die Zustimmung zur Importbegrenzung schwergefallen. Die Länder der Europäischen Gemeinschaft, die USA und Kanada sind sich nach Schmidts Darlegungen bereits vorher darüber klar gewesen, daß sie ihren Volkswirtschaften erhebliche Einschränkungen und Umstellungen zumuten müssen. Die Bundesrepublik ist in ihrer Ölimportpolitik nicht mehr frei, räumte der Bundeskanzler ein, aber sie wie die anderen großen Staaten müßten gleiche Opfer auf sich nehmen. Hier einen fairen Ausgleich der Lasten zu finden, das sei in Tokio gelungen. Mit unterschiedlichen Fixierungen der Importbegrenzungen für Öl wurde der unterschiedlichen Struktur der einzelnen Volkswirtschaften Rechnung getragen. Es gibt hier kein Einheitsrezept für alle.
Ölregister: Erzieherische Wirkung
Von dem beschlossenen internationalen Ölregister erwartet sich Schmidt (der prinzipiell und so lange wie möglich die Preisfindung für Benzin wie für Heizöl durch den Markt statt durch Behörden beibehalten will) im Laufe der Zeit eine „Bloßstellung solcher Firmen, die bisher durch Einzelaktionen auf den Spotmärkten in unverantwortlicher Weise die Preise nach oben getrieben haben“. Wenn die OECD zum Beispiel eine multinationale oder auch nationale Ölgesellschaft, belegt mit Zahlen und Daten an Hand des Registers, öffentlich tadelt, dann werde das seine Wirkung nicht verfehlen, so jedenfalls hofft der Bundeskanzler. Auf der anderen Seite warnt er allerdings auch vor Preishysterie und davor, sich an der Energieverteuerung vorbeimogeln zu wollen.
Über die Notwendigkeit eines Dialogs mit der OPEC befragt, meinte der Bundeskanzler, daß das Communiqué von Tokio in seinem die Ölproduzenten betreffenden Teil ursprünglich „keine so harte Sprache“ enthalten sollte. Die Formulierungen des Genfer Preisbeschlusses der OPEC haben aber dann zu einer Änderung geführt. Dennoch enthält die Schlußerklärung von Tokio auch gleichzeitig die Bereitschaft der Verhandlungen mit den Öllieferanten. „Ich will dazu allerdings sagen, daß ich nichts von Mammutkonferenzen halte, wie sie jetzt in Tokio und in Genf abgehalten worden sind.“ Auch der Weltwirtschaftsgipfel sollte sich zu einer weniger aufwendigen Veranstaltung werden [sic!], wünscht sich Schmidt. Er erwartet sich bereits vom nächsten Treffen auf der Insel San Giorgio in der Lagune von Venedig eine Art intimeren Rahmen.
Deflatorische Gefahren verhindern
Was die jüngst wieder stärker nach oben tendierende Preisentwicklung in der Bundesrepublik betrifft, so hält der Bundeskanzler wenig davon, dieser von den Ölpreisen diktierten Verteuerung der Lebenshaltung durch monetäre oder haushaltpolitische Bremsungen entgegenwirken oder sie gar rückgängig machen zu wollen. So etwas würde in der Bundesrepublik deflatorisch wirken – mit allen Konsequenzen für Beschäftigung und Wachstum. Mindestens genauso schädlich wäre es aber, wollte man versuchen, die durch Öl eintretende Verminderung der realen Einkommen über nominelle Lohn- und Gehaltserhöhungen wettzumachen. „Eine solche Politik würde geradewegs in eine inflationistische Entwicklung führen.“ Es gebe dafür Beispiele in anderen Staaten.
In der Wirtschaftspolitik gebe es kurzfristig weder theoretisch noch praktisch ein brauchbares Patentrezept gegen die Auswirkung der Ölpreissteigerung, vielmehr Ausgleichsmöglichkeiten allenfalls in mittlerer und längerer Sicht. Durch das Drucken von Geld die höheren Ölpreise bezahlen zu wollen sei jedenfalls kein Ausweg. Das Wachstum des Wohlstandes wird sich durch die nun durch die jüngsten OPEC-Beschlüsse noch beschleunigte Ölverteuerung verringern. Aber es werde nicht beendet.
Quelle: Franz Thoma, „Vorrang für Ölsparen und neue Technologien“, Süddeutsche Zeitung, 2. Juli 1979. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung.