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Die Bürger wehren sich. Partizipation oder: Die einzige Alternative? Bürgerinitiative am Beispiel Hamburgs
„Die Bürger siegten über die Behörde“ war Schlagzeile einer Hamburger Morgenzeitung in diesem Sommer. Es ging um eine innerstädtische Schnellstraße, um einen sogenannten Zubringer zur künftigen westlichen Autobahnumgehung Hamburgs, zu der auch der neue Elbtunnel gehört. Die Schneise für eine Verbindung mit dem Stadtstraßennetz hätte aus dem dichtbebauten Wohngebiet Ottensen herausgeschlagen werden müssen. Proteste gab es seit langem. Der Widerstand gegen die Absichten der Kommunalpolitiker organisierte sich schließlich nach dem Vorbild anderer Bürgerinitiativen. Am Ende blieb der Erfolg dieser lokalen Protestbewegung nicht auf die vorgesehene Trassenführung beschränkt und nicht einmal auf die Stadtverkehrsplanung überhaupt. Der Zubringer wird nicht wie vorgesehen gebaut. Aber es gibt, während die westliche Autobahnumgehung bereits weit gediehen ist, für diesen Ausfall noch keinen Ersatz.
Trotzdem handelt es sich nicht einfach um eine Kapitulation der Behörden. Ottensen, ein Altbauviertel mit engen Straßen, überwiegend schlechter Bausubstanz und relativ viel Industrie, ist ein Sanierungsgebiet. Die Baubehörde hat deshalb mit dem Verzicht auf den Zubringer, entsprechend dem Wunsch des zuständigen Bezirksparlaments, die Einsetzung eines Sanierungsbeauftragten zugesagt. Er soll künftig zwischen den einzelnen Bürgerinitiativen und den Behörden vermitteln. Bausenator Meister hat außerdem der Bürgerinitiative Ottensen ausdrücklich eine Mitbeteiligung an der Sanierungsplanung versprochen. Dazu ein Hamburger Beamter: „Ohne Beteiligung der Bevölkerung sind Sanierungsvorhaben heute nicht mehr zu realisieren.“
Der Fall Ottensen
Das klingt weniger nach Resignation als nach Bereitschaft zum Umdenken. Der Fall Ottensen ist, als ein Beispiel unter anderen ebenso erfolgreichen Protestaktionen, interessant im Hinblick auf die Entstehung und Entwicklung solcher Bürgerinitiativen. Ottensen hat eine überwiegend kleinbürgerliche Bevölkerung mit einem hohen Anteil an Arbeitern. Die Rebellion gegen den Autobahnzubringer liefert ein rares Beispiel für das Engagement der Bürger auch in sozial schwächer strukturierten Stadtteilen. Bisher wäre ein Ottenser Quartiergeist eher negativ zu umschreiben gewesen.
Auf die überraschende Solidarisierung der Bevölkerung zugunsten des angestammten Wohnviertels hat die Behörde mit Zeichen eines positiven Interesses an diesem lange vernachlässigten Wohngebiet reagiert. Die Planung von Büroflächen wurde um vierzig Prozent vermindert. Die Modernisierung der zahlreichen Altbauten, vor allem im näheren Bereich des Bahnhofs Altona, will man fördern, um den Charakter eines volkstümlichen Wohnviertels zu erhalten. Aber auch dies gehört zu den Folgen: Anfang Juli demonstrierte eine „Aktionsgemeinschaft Ottensen“ mit Umzug, Spruchbändern und Parolen weiterhin gegen die Stadtplaner. „Bürgermeister Schulz und Bausenator Cäsar Meister wurden mit höhnischen Versen bedacht", meldeten die „Altonaer Nachrichten“. Ein Sprecher der Bürgerinitiative distanzierte sich von dieser agitatorischen Konkurrenz.
Ihr Auftreten und Verhalten wird von Hamburger Soziologen, die sich mit dem Phänomen der Bürgerinitiativen befassen, unterschiedlich beurteilt. Einige dieser Beobachter sehen Anzeichen einer zunehmenden Umfunktionierung von Bürgerinitiativen im Sinne einer nicht mehr auf ein konkretes Ziel hin ausgerichteten, sondern ideologisierten Linksstrategie. Ihre Hypothese ist, die DKP werde mangels Massenbasis versuchen, mehr und mehr über die Bürgerinitiativen an breitere Bevölkerungskreise heranzukommen, nicht nur über Aktionen Roter Punkt. Die bevorstehende Bürgerschaftswahl in der Hansestadt, so wird angenommen, werde diese Strategie erstmals deutlicher zeigen.
Bisher sprach auch in Hamburg wenig für ein wie auch immer motiviertes Interesse jedenfalls der Ultralinken an Bürgerinitiativen als einer noch jungen Form vorparlamentarischer Partizipation. In einer Vorbemerkung zum Fischer-Taschenbuch über „Bürgerinitiativen – Schritte zur Veränderung?“ bemerkte der Herausgeber Heinz Grossmann vor zwei Jahren, „daß die Legitimation von Bürgerinitiativen zunehmend umstritten ist, und zwar unter den Linken“. Offenkundig sehen sie darin nur unerwünscht-punktuelle Ableitungsmöglichkeiten für ein angestautes kollektives Unbehagen, Sicherheitsventile des „Systems“, Orientierungshilfen für die „Herrschenden“ . . . „Da die politische Aktivität der Linken für die Aktionsmöglichkeiten der Bürger wesentliche Voraussetzungen schuf, ist es keine ganz unwichtige Frage, wie sich diese Linke in Zukunft gegenüber Bürgerinitiativen verhält.“
Zu fragen ist dann aber auch, wie sich Behörden unter Parteien gegenüber den Bürgerinitiativen verhalten, zum Beispiel in Hamburg. Anfang 1972 hielt es der noch jung im Amt befindliche Hamburger Bürgermeister Schulz beim Jubiläum einer Bezirksversammlung für „notwendig, ein Wort zum Phänomen der Bürgerinitiativen zu sagen, weil dieses Phänomen Verwirrung auslöst oder doch jedenfalls Fragen aufwirft“, zum Beispiel, warum bestehende institutionelle Möglichkeiten bürgerlicher Mitwirkung nicht genügend genutzt würden; Entsprechendes gelte vom Angebot der Parteien. „Durch manche Bürgerinitiative ist mancher Mißstand erst sichtbar oder doch hörbar geworden, der vorher der Verwaltung in seinen Dimensionen und seiner Dringlichkeit nicht bewußt war . . . Aber wir müssen doch darauf achten, daß wir uns wirksame und tragfähige Formen und Instrumente eines geordneten Aufnehmens und Umsetzens von Bürgerwünschen erhalten. Wir müssen dabei auch erkennen, daß es möglicherweise einige Leute, die in der politischen Landschaft außerhalb der Parteien besonders starke Geräusche erzeugen, schon als den eigentlichen Erfolg für sich ansehen, wenn gewählte Gremien unter dem Eindruck solcher Geräusche sorgfältig überlegte und auf solider Grundlage gefaßte Beschlüsse umstoßen.“
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Proteste gegen Verkehrspläne haben nicht zufällig den Beginn dieser heimischen Bürgerrechtsbewegung eingeläutet, falls man die Aktion Roter Punkt von Hannover 1969 als erstes weithin beachtetes Beispiel einer Bürgerinitiative gelten lassen will. Diese Jahreszahl gibt zugleich die Nähe zur Studentenbewegung, zur Apo-Konjunktur der vorausgegangenen Jahre und weist damit auf die Nachfolgefunktion von Bürgerinitiativen hin. Sie haben sich seitdem – gewiß nicht nur, aber vor allem – in den Ballungsgebieten konstituiert. Dabei bietet ein Stadtstaat den relativ besten Nährboden: wegen der großstädtisch dichteren Kommunikationsmöglichkeiten in Verbindung mit der Tatsache, daß sich in einem Stadtstaat auf Parteien, Parlament und Verwaltung leichter direkt einwirken läßt.
Lehrbeispiel und zugleich ein Grenzfall, was die Rolle von Bürgerinitiativen angeht, ist die Wandlung der Hamburger Verkehrsplanung mit ihrer vielbeachteten Absage an den in den fünfziger Jahren proklamierten „autogerechten Ausbau des inneren Stadtgebietes“ und damit an weitere Stadtautobahnen, zumindest für die nächste Zukunft, zugunsten des öffentlichen Nahverkehrs. Ein entsprechendes Konzept des SPD-Landesvorstandes („Aus dem Stadtzentrum muß der Individualverkehr zurückgedrängt werden“) hat den Segen eines SPD-Landesparteitags erhalten. Obwohl die Jungsozialisten mit ihren Vorstellungen in der Frage der Nahverkehrstarife nicht durchdringen konnten, haben sie doch ihr „autofeindliches“ Verkehrskonzept in entscheidenden Grundzügen durchgebracht. Der Beitrag der Bürgerinitiativen hierzu ist gewichtig, wenngleich im einzelnen schwer abzuschätzen. Auch sind gerade die Jungsozialisten im Zuge ihrer „Doppelstrategie“ vielfach in Bürgerinitiativen aktiv.
Das war gerade an den örtlichen Protestaktionen gegen geplante Stadtautobahnen in Wohnvierteln wie Harvestehude, Winterhude oder Eppendorf gut zu beobachten, die ganz anders als jenes ursprünglich vom geplanten Autobahnzubringer getroffene Ottensen strukturiert sind. In Eppendorf, das neuerdings einen starken Zuzug von jüngeren Bewohnern hat, formierten sich Bürgerinitiativen unter anderem gegen den Plan, den Isebekkanal für eine Autobahnstraße zu verwenden.
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Das Problem, das hier deutlich wird, legt die Frage nahe, die in der Diskussion um die Bürgerinitiativen immer wieder auftaucht: ob hinter solchen Aktionen manchmal oder gar meistens nicht nur blanker Eigennutz steht. Bilstein, Mitglied der SPD, beschreibt dieses „wohl wichtigste Negativ-Potential“ so: „Bürgerinitiativen können, da sich ihre Mitglieder oft ausschließlich aus oberen Sozialschichten rekrutieren, Themen aufgreifen, die lediglich im traditionell bürgerlichen Interessenbereich liegen und deren Erfolge nur dem besitzständlerischen Gruppeninteresse der ohnehin Privilegierten zugute kommen.“
Die Einstellung der parlamentarischen Parteien zu Aktivitäten von Bürgern im Vorfeld der politischen oder administrativen Entscheidungen läßt sich ganz allgemein als „distanziertes Interesse“ umschreiben. Nicht zufällig stimmen entsprechende Äußerungen der Hamburger Fraktionsvorsitzenden von CDU und SPD weitgehend überein.
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Der Politologe Professor Udo Bermbach von der Hamburger Universität sieht in solchen Aktionen ein notwendiges Element der Unruhe und der heilsamen Verunsicherung gegenüber der Verfestigungs- und Verfilzungstendenz innerhalb der Technokratie. Bermbach, der selbst in der Bürgerinitiative „Hamburg 13“ mitgearbeitet hat, beurteilt die Zukunft und die übergreifende politische Wirksamkeit dieser Bürgerbewegung allerdings eher skeptisch. Bürgerinitiativen seien im Sinne der amerikanischen Single „purpose movements“ als radikaldemokratische Gruppierungen gewissermaßen „Einzweckbedingungen“, die eine bestimmte Initiative an die Parteien oder die Verwaltung weiterleiten könnten. Zu weiterreichenden Strategien aber fehlten ihnen die konzeptionellen Voraussetzungen. In der jüngsten Ausgabe der von Bermbach mitredigierten „Zeitschrift für Parlamentsfragen“ kommt eine Forschungsgruppe an der Berliner Freien Universität in einer Analyse von Bürgerinitiativen in der Bundesrepublik und in West-Berlin zu ähnlichen, empirisch belegten Ergebnissen.
Auch sie bestätigen den offiziell schwachen Anteil von Kommunisten an Bürgerinitiativen. Von den drei parlamentarischen Parteien sei die FDP stark überrepräsentiert, was sich auch an Hamburger Beispielen beobachten läßt. Daß die Freien Demokraten sich gelegentlich als „Partei der Bürgerinitiativen“ erklären, wird unter anderem auf die Abwesenheit eines Globalprogrammes zurückgeführt, das ein konstitutives Merkmal bürgerlicher „Einzweckbewegungen“ ist, und auf die soziologische Zusammensetzung vieler Initiativgruppen. Auch hierzu liefert jene Berliner Untersuchung einiges Beweismaterial zu früher geäußerten Vermutungen, die Bürgerinitiativen rekrutierten sich vornehmlich aus Angehörigen der oberen Mittelschicht, mit einem starken Anteil der jungen Familien. „Die meisten Bürgerinitiativen setzen sich aus 25- bis 40jährigen zusammen“, heißt es in der Analyse, wobei der Anteil der freien Berufe mit knapp fünfzig Prozent ebenso auffallend ist wie die Zugehörigkeit der Mitglieder zu Erziehungsberufen (etwa ein Drittel). „Kein einziges Mal gehörte ein Arbeiter zum informellen Führungskreis.“
Quelle: Klaus Wagner, „Die Bürger wehren sich“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.Oktober 1973. © Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt.