Kurzbeschreibung

Diese Briefwechsel zeigen Friedrichs Vorsicht angesichts einer internationalen Situation in Osteuropa, in der ein russischer Krieg mit dem Osmanischen Reich, begleitet von einem Bürgerkrieg in Polen, Österreich auf das Schlachtfeld zu bringen drohte, um die russischen Gebietsgewinne auf Kosten der Türken streitig zu machen und eigene Expansionsziele zu verfolgen. Nach Lage der Dinge hatte Österreich diese Ambitionen bereits 1769 vorangetrieben, indem es Gebiete unter polnischer Oberhoheit an der ungarischen Grenze einnahm. Friedrich hatte bereits geraume Zeit die Annexion des polnischen Ständestaats Königlich Preußen, das zwischen Preußens Ostpreußen und den pommerschen Provinzen lag, als höchst wünschenswert, aber auch schwer zu erreichen betrachtet. Doch in der gefährlichen Konstellation der Jahre 1770-71 war es im Falle eines russisch-österreichischen Krieges auch wahrscheinlich, dass Preußen zwischen die kriegführenden Mächte geraten und so auf das Schlachtfeld zurückgezwungen würde, ungeachtet der Wunden, die Friedrichs frühere Kriege Preußen zugefügt hatten. Wie diese Briefe nahelegen, erschien es also besser, den russisch-österreichischen Konflikt auf Kosten Polens beizulegen. Sowohl Prinz Heinrich, Friedrichs jüngerer Bruder, als auch Graf Solms waren in die diplomatischen Verhandlungen mit der russischen Zarin über die polnische Teilung involviert. Und so kam es zur ersten Teilung Polens: Österreich nahm Galizien, Russland Teile der russisch-polnischen Grenzgebiete, und Friedrich errang den größten Preis, Königlich Preußen, das in der Folge in „Westpreußen“ umbenannt wurde.

Korrespondenz des preußischen Königs Friedrich II. (des „Großen”) vor der ersten Teilung Polens (1770-71)

Quelle

Prinz Heinrich an Friedrich (Sankt Petersburg, 14. Juni 1770)

Ich gebe zu, dass meine Fantasie von dieser Idee beflügelt war, als Sie mir die Ehre erwiesen und mir das erste Mal von den Vorschlägen berichteten, die Ihnen gemacht worden waren, wenn diese auch vage blieben. Aber selbst wenn das für mich ein Hirngespinst ist, erscheint es mir dennoch so angenehm, dass es mir schwer fällt, darauf zu verzichten. Ich würde Sie gerne als Herr über die Ufer der Ostsee und mit der gewaltigsten Macht Deutschlands den Einfluss teilen sehen, den diese vereinten Kräfte in Europa haben könnten. Wenn das auch nur ein Traum ist, so ist er doch sehr anmutig, und Sie können sicher sein, dass die Aufmerksamkeit, die ich Ihrem Ruhm entgegenbringe, mich seine Erfüllung erhoffen lässt.

Friedrich an Prinz Heinrich (Potsdam, 25. Juni 1770)

Ich stelle fest, mein lieber Bruder, dass es Ihnen in Sachen Politik nicht an einem gesunden Appetit mangelt; was mich betrifft, so bin ich gealtert und habe diesen Appetit, der mich in meiner Jugend auszeichnete, verloren. Ihre Ideen sind zweifellos hervorragend, aber der Wind des Schicksals muss günstig stehen, um bei solchen Unternehmungen erfolgreich zu sein, und dessen wage ich mich nicht zu rühmen und kann es auch nicht. Dennoch ist es immer gut, solche Projekte in der Hinterhand zu haben, um sie zu verwirklichen, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet. Wir stehen zwischen zwei Großmächten, Österreich und Russland; es ist sicher, dass wir bis jetzt noch zu schwach sind, um zwischen ihnen ohne Risiko eine unparteiische Haltung einzunehmen und dieser Aufgabe gut nachzukommen; aber die größte Bürde ist, dass weder Österreich noch Russland allzu große Lust haben, zu unserer Vergrößerung beizutragen.

Friedrich an den geheimen Legationsrat Graf Solms in Sankt Petersburg (Potsdam, 20. Februar 1771)

Ich hielt es für angebracht, Ihnen die Besonderheiten mitzuteilen, die mir hinsichtlich der Inbesitznahme zu Gehör gekommen sind, die die Österreicher entlang der Grenze Ungarn vorgenommen haben, und die mir bemerkenswert genug erscheinen, als dass Sie die Aufmerksamkeit der benachbarten Mächte verdienen. In der Tat habe ich soeben erfahren, dass über die Starostei von Zips hinaus auch die von Novitarg, Czorstyn und ein anderer, nicht minder erheblicher Landstrich in die österreichische Postenkette eingeschlossen worden sind; dass das auf diese Weise besetzte Gebiet eine Ausdehnung von ungefähr zwanzig Meilen in der Länge hat, vom Komitat Sáros in Ungarn bis an die Grenzen Österreichisch-Schlesiens; dass das gesamte Gebiet mehrere Städte und bis zu 97 Dörfer umfasst; dass der Wiener Hof dort schon mehrere Souveränitätshandlungen vorgenommen hat; dass der Prinz Kaunitz auf die dahingehend vorgebrachten Klagen der Republik Polen anscheinend ausweichend geantwortet hat, aber doch so, dass daraus klar die Absicht hervorgeht, dass man auf alte Rechtsansprüche pochen will, und dass man in Wien vermutlich schon an einer Deduktion arbeitet, um diese unterschiedlichen Besitztümer zu rechtfertigen und zu halten.

Ich bezweifele nicht, dass man über die meisten dieser Umstände in Petersburg schon informiert ist. Ich erinnere mich sogar, dass, als die erste Meldung von dieser Inbesitznahme eintraf, bei mehreren Personen am Hof Russlands die Idee entstand, eine Vergrößerung zu gleichen Teilen zugunsten aller Nachbarn Polens vorzunehmen, und obwohl ich aus einem Ihrer Berichte ersehen konnte, dass sich diese Idee nicht allgemein durchsetzt hat, und obwohl ich sehr wohl die Gründe erahne, die man anführen kann, um sie zu bekämpfen, glaubte ich Ihnen dennoch schreiben zu müssen, da diese Gründe immer noch davon ausgehen, dass der Wiener Hof von seinem Vorhaben ablassen muss, wohingegen doch aus allem was ich Ihnen aufgezeigt habe deutlich wird, dass er fest entschlossen ist, an ihm festzuhalten.

Nachdem somit die Sachlage in dieser Frage richtig gestellt ist, geht es nicht mehr darum, Polen als ganzes zu erhalten, da ja die Österreicher ein Stück abtrennen wollen, sondern zu verhindern, dass diese Zerstückelung das Gleichgewicht zwischen dem Haus Österreichs und dem meinen beeinträchtigt, dessen Wahrung für mich so wichtig und für den russischen Hof so wertvoll ist. Nun sehe ich keine andere Möglichkeit zu seiner Erhaltung als dem Beispiel zu folgen, das der Wiener Hof vorgibt, und wie er alte Rechtsansprüche geltend zu machen, die mir meine Archive im Überfluss liefern werden, und mich in den Besitz irgendeiner kleinen Provinz Polens zu bringen, um sie dann zurückzugeben, wenn die Österreicher von ihrem Vorhaben ablassen, oder um sie zu behalten, wenn sie die angeblichen Titel geltend machen wollen, die sie vorschützen.

Sie merken selbst, dass ein Erwerb dieser Art auf niemanden in den Schatten stellt; dass die Polen, die als einzige berechtigt wären aufzubegehren, durch ihr Verhalten weder vom russischen Hof noch von mir Schonung verdienen und dass die Aufgabe der Befriedung, wenn sich die Großmächte erst einmal geeinigt haben, dadurch nicht aufgehalten werden kann.

Aber vor allen Dingen möchte ich wissen, welche Meinung am russischen Hof darüber wirklich vorherrscht, und ich lasse Ihnen die freie Wahl, um über die Mittel zu entscheiden, die Ihnen dafür am passendsten und angemessensten erscheinen. Wenn es Ihnen also gelingt, die Kaiserin und ihren Minister von meiner Sichtweise zu überzeugen, würden Sie mir damit einen umso größeren Dienst erweisen, als ich nur diese eine Möglichkeit sehe, die Gleichheit zwischen mir und dem Wiener Hof zu wahren. Folglich zweifle ich nicht daran, dass Sie Ihr ganzes Können einsetzen werden, um diese Aufgabe meinen Wünschen gemäß zu erfüllen, und dass Sie mir genau und detailliert von ihrer erfolgreichen Ausführung berichten werden.

Friedrich an Graf Solms (Potsdam, 27. Februar 1771)

Ihre Depesche vom 12. dieses Monats ist mir treu überbracht worden, und da ich aus ihr entnehme, dass der Postillon, der die Post des 27. Januar transportierte, in der Umgebung von Petersburg ausgeplündert wurde, beeile ich mich, Ihnen beiliegend ein Duplikat meiner dringenden Befehle vom 27. desselben Monats zu schicken.

Ich lege Ihnen darüber hinaus eine Kopie eines Passes bei, ausgestellt am 8. November 1770 im Starost Pelilcancyk, den der Verwalter des Distrikts, den der Wiener Hof in Polen in Besitz genommen hat, geschickt hat und durch den allzu deutlich zu Tage tritt, dass dieser Hof diesen Distrikt mit allen ihm zugehörigen Gebieten schon als an sein Königreich Ungarn angeschlossene Staaten betrachtet. Dieses Vorgehen beweist hinreichend, dass er entschlossen ist, ihn zu behalten, und ich habe allen Grund anzunehmen, dass er ihn nicht aufgeben wird, solange keine höhere Macht ihn dazu zwingt.

Diese Idee bringt mich selbstverständlich auf eine andere und lässt mich urteilen, dass es das Beste wäre, wenn Russland und ich ebenfalls von diesen Umständen profitieren und, dem Beispiel des Wiener Hofs folgend, uns unserer Interessen selbst annehmen und uns einen reellen und angemessenen Anteil verschaffen. In der Tat scheint es mir, dass es Russland gleichgültig sein müsste, von welcher Seite es die Entschädigung erhält, die es laut Ihrer oben erwähnten Depesche so sehr wünscht. Da aber sein aktueller Krieg ausschließlich auf polnische Angelegenheiten zurückzuführen ist, verstehe ich nicht, warum es nicht denken sollte, sich diese Entschädigung auf dem Gebiet eben dieser Republik zu verschaffen, und, für mich gilt, wenn ich nicht will, dass sich die Gewichte allzu sehr zugunsten Österreichs verschieben, werde auch ich nicht umhin können, mir auf dieselbe Weise ein kleines Stück Polen zu verschaffen, und sei es nur als Ausgleich für meine finanzielle Unterstützung sowie für meine Verluste und Schäden, die ich ebenfalls in diesem Krieg hinnehmen musste. Mehr noch, ich könnte ungezwungen und wahrheitsgemäß sagen, dass ich für diese Neuerwerbung hauptsächlich Russland verpflichtet bin, die zugleich neue Gelegenheit bieten würde, unsere gegenseitigen Bindungen zu verstärken und sie noch unauflöslicher zu machen.

Was Russlands Friedensverhandlungen anbelangt, so kann es hingegen ganz sicher sein, dass ich es so weit als möglich und ohne Unterlass unterstützen werde und dass ich alles tun werde, um ihm einen ruhmreichen Frieden zu verschaffen; bei dieser Gelegenheit will ich Sie nicht im Unwissen darüber lassen, dass sein Minister in Wien, Prinz Golizyn, seinen Auftrag, den er bei Prinz von Kaunitz auszuführen hatte, schon erfüllt hat. Bis jetzt hat letzterer aber noch keine Antwort gegeben, er hat die Vorschläge ad referendum genommen, um Ihrer Majestät der Kaiserin-Königin zu berichten. Die Antwort wird ihm aber bald übermittelt werden, und man wird sehen müssen, was sie enthält. []

Quelle: Reinhold Koser, Aus der Vorgeschichte der ersten Teilung Polens, in: Sitzungsberichte der preußischen Akademie der Wissenschaften, 1908, S. 286ff; und Politische Korrespondenz Friedrich des Großen, Band XXX, Nr. 19687 und 19710. [Die Korrespondenz erscheint im französischen Original.]

Übersetzung: Oliver Ilan Schulz
Korrespondenz des preußischen Königs Friedrich II. (des „Großen”) vor der ersten Teilung Polens (1770-71), veröffentlicht in: German History in Documents and Images, <https://germanhistorydocs.org/de/das-heilige-roemische-reich-1648-1815/ghdi:document-3586> [05.11.2024].