Kurzbeschreibung

Johann Christoph Händler, 1744 als Sohn eines Schneidermeisters geboren, schöpfte aus seiner ersten Bildung und Erziehung intellektuelle Inspiration, trat jedoch wegen mangelnder finanzieller Mittel für eine höhere Bildung unfreiwillig in die Fußstapfen seines Vaters. Er ertrug die lieblose Ehe, die seine Eltern für ihn arrangiert hatten, doch nahm sein weiteres Leben einen glücklicheren Verlauf. Dieser Text beleuchtet die Lebensbedingungen und Mentalität kleinerer Handwerker, deren Vertrautheit mit höherem Bildungsgut dank ihrer Lesekenntnis häufig nicht zu verwirklichende Ambitionen und Aufsässigkeit weckte.

Die Jugendzeit des Sohnes eines Nürnberger Schneiders in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts (1798)

  • Johann Christoph Händler

Quelle

Biographie eines noch lebenden Scheiders von ihm selbst geschrieben

Johann Christoph Händler

Ich bin im Jahr Christi 1744, den 24. April von geringen jedoch aber von rechtschaffenen und christlichen Eltern, allhier in Nürnberg gebohren worden. [] Mein Vater war der weiland Erb. und Kstr. Joh. Christoph Händler, Burger und respective Schneidermeister allhier in Nürnberg, die Mutter war Frau Anna Barbara, eine gebohrne Meyrin von Oberhochstatt, nahe an der fürstl. Onolzbachischen Vestung Wülzburg. Gleich nach meiner Geburt eilten Sie ihrer Pflicht gemäß, um den Bund des dreyeinigen Gottes mit mir zu errichten, zur heiligen Taufe: mit Red und Antwort vertrat mich der weil. ehrb. und wohlfürnehme Herr Joh. Christoph Birckner, wohlangesehener Kauf- und Handelsherr allhier, und ich erhielt in der heiligen Taufe den Namen Joh. Christoph. So bald Sie merkten daß einige Merkmale des Verstandes sich an mir offenbahrten, so ermangelten meine Eltern nicht mich zur Gottesfurcht anzuhalten, bei zunehmenden Jahren wurde mir ein Hausinformator gehalten, welcher mir sowol im Christenthum, als auch im Lesen, Schreiben und Rechnen die nöthige Kenntnisse beibrachte. Der dermalige Hr. Candidat nachherige Miliz-Geistliche Hr. Pfarrer Hofmann, gab mir Lection in den Anfangsgründen der lateinischen und griechischen Sprache, in Musik war mein Lehrer der verstorbene Organist an der Kirche zu unsrer lieben Frauen, auch Malz- und Gerstenschreiber Hr. Gottfried Roth, dessen Andenken bei mir in Segen bleibt.

Gott der Belohner alles des guten, werde auch an meinen rechtschaffenen Lehrern das Werk, das Sie an mir gethan haben, nicht unbelohnt lassen.

Oben erwähnter Herr Candidat Hofmann äußerte nun gegen meinen seeligen Vater den Wunsch, weil er großen Hang an mir verspührte, in eine Normal Schule aufgenommen zu werden, er möchte mir also an meinem Fortkommen nicht hinderlich seyn, es machten daher meine Eltern nebst den Herrn Candidat Hofmann Anstalt hiezu, sprachen mit den damaligen Herrn Rector Reichel, und nach einem kurzen Examen wurde ich zu den damaligen Herrn Cantor Seiz als Privatist in der Sebalder Schule in Tertiam angestellt.

Nach drey viertel Jahren, da mein Lehrer Herr Cantor Seiz eine Reise machte, von welcher er nicht wieder zurück kam, wurde Herr Magister Andreas Göz an dessen Stelle promovirt, und ich erhielt die Ehre als würklicher Tertianer ernannt zu werden. Unser damaliger neuer Hr. Cantor Hummel, war ganz Musikus und wußte in diesen Fach Talente zu schäzen. Er verspührte an mir eine Stimme die mehr als Alletag – Stimme zu nennen war und regalirte mich mit der Frühmesserstelle, bis daher wurde mein Glück gemacht, und ich war dazumal auf meine erhaltene Ehrenstelle so stolz, daß ich nicht mit meinen Vater getauscht hätte; den Anlaß dazu gab ein Mitschüler von mir, der auf den rasenden Gedanken kam daß er starb; und da ich an der Leichentafel las: der Erb. und Gelehrte so wurde ich von Enthusiasmo ganz angesteckt, weil ich mir vorstellte einsmal ein Mitglied des Pariser Parlements zu werden. []

Nun waren die Jahre erschienen, wo ich zu höhern Glaubensregeln in der Religion Unterricht vonnöthen hatte. Zu dem Ende gieng ich zu meinen seel. Herrn Beichtvater, bei dem ich Famulus war, es war der damalige und schon lange in die Ewigkeit vorangegangene Herr Magister Joh. Friedrich Stoy, bestverdienter Schaffer an der Haupt- und Pfarrkirche zu St. Sebald, meldete mich bei ihm daß in meiner folgenden Lebenszeit und bei meinen Widerwärtigkeiten oft seine Ermahnungen mir zum Trost im Leiden dieneten. Nach erhaltenen Unterricht erhielt ich die Erlaubniß mit andern Confitenten in den Beichtstuhl als ein reuiger und bußfertiger Sünder mich einzufinden und des andern Tags bei den Genuß des heiligen Abendmahls zu erscheinen.

[] ich wurde hart gehalten, und mir alle Gelegenheit benommen nur einen Kreuzer zu führen, mein Frühmeßgeld legte mir Hr. Adstans Volland quartaliter zusammen und meine 12 kr. Pension musten alle Sonnabend richtig meiner Mutter durch ihren Hrn. Sohn eingehändiget werden, wann uns ein oder 2 kr. fehlten, so lag der Beweiß am Tag daß ich in meinen Dienst nachläßig war, und geschahe also eine gewaltige Execution []

[1758 wurde Händler Primaner, Ostern 1760 legte er das Schluß-Examen der Schule ab.]

Mein Vater [] redete ganz im lieblichen Tone mit mir und sagte: daß alles nichts helfen thäte, und ich nur selber überlegen sollte, wo das Geld zum studieren herkommen sollte. Du hast noch zwey Geschwiestrigte, was würden die sagen: wenn ich durch dich ein armer Mann würde, erwähle dir eine Lebensart, welche du wilst, so will ich für dich sorgen, nur das Studieren mußt du dir vergehen lassen. Ich bat mir Bedenkzeit aus []

[Die Hoffnung auf ein Stipendium zerschlägt sich.]

[] mein Hr. Pathe machte mir Vorstellungen die Handlung zu erlernen, alleine da ich die Sache reiflich überlegte, daß ich mit 24 Jahren noch Lehrjung seyn sollte, wollte es mir nicht behagen, denn dazu hatte ich doch zu viel Stolz. Ich hofte also auf die Hülfe des Herrn, und überließ mich gänzlich den blinden Glücke.

Eines Tages es war an einem Sonnabend invitirten mich meines Vaters seine vier Gesellen auf den morgenden Sonntag zu einem Spaziergang, ich argwohnte nichts schlimmes, und stellte mir gar nicht für, daß die Fuchsfalle gerichtet war, mich darin zu fangen, ich gieng also getrost mit meinen vier Reisegefährten, nach den mir so unglücklichen Erlenstegen, wer sollte glauben daß Eltern mit ihren Kindern so hinterlistig zu Werk gehen könnten, und da ich in meinem Leben so rechtschaffen gegen alle Menschen gehandelt habe, daß man mich auf eine so niederträchtige Art fangen würde. Es wurde ohne mein Wissen der Tisch gedeckt, man brachte gebratene Tauben und gebackene Fische, auch etliche Bouteillen Wein, ich machte große Augen, dachte aber wenn man unter Wölfen ist muß man mit ihnen heulen, es kam so weit, daß der Wein das Herz frölich machte, und in dieser Frölichkeit vergaß ich mich, trank Brüderschaft, und verschwor mich daß ich nichts anders als Futteralmacher über Gottes Geschöpfe werden wollte. Bei der Nachhauskunft wurde von den Vorgang nicht das mindeste erwähnt, ich gieng zu Bette, des morgenden Tages stund ich mit meinen neuen comilitonibus auf, und da mein Vater in die Boutique kam, fragte er mich in einem rauhen Tone, was ich da zu schaffen hätte? ich erwiederte ganz gelassen, ich sehete wol daß ich von aller Welt verlassen und mir nichts anders übrig bleibt, als gleichsam aus Desperation diesen Schritt zu thun; daraus wird nichts replicirte er, dasjenige was du gegenwärtig gesonnen bist zu thun, hättest du vor zwey oder drey Jahren thun können, und ich hätte dabey mein Geld erspahrt (es war aber nur blos Verstellung, denn bei so bewandten Umständen muß man sich so bezeigen, so fällt aller Argwohn weg) Ich machte Vorstellungen daß dieses wie ich schon erwähnt habe, blos aus Desperation geschehe und bei mir beschlossen hätte, weil es nicht anderst seyn sollte, so wollte ich doch lieber meines Vaters Jung seyn, als eines andern. Nun so sey es in Gottes Namen, aber dieses sage ich dir, ich will keine Schuld haben, denn mein Wille ist nicht dabei. Ich gieng also an meinen angewiesenen Plaz und betrat eine neue Laufbahn, in welcher weiter nichts interessantes vorfiel, ich brachte die meiste Zeit zu Hause zu, und das aus zweyerlei Gründen, erstlich schämte ich mich vor meinen ehemaligen Schulkameraden, und glaubte wenn sie mich seheten, würden sie mir mit Spottreden begegnen, und zweitens war das Geld sehr sparsam, denn wenn mir meine Mutter manchmal nicht etliche Groschen gegeben hätte, so würde es um mich schlecht bestellt gewesen seyn []

Ao. 1762. im Frühjahr gerieth mein Vater mit etlichen Gesellen in einem Wortstreit, es kam so weit, daß sie ihme die Arbeit aufkündigten. Sie berathschlagten sich künftigen Sonntag von Nürnberg abzureisen, wo ich mich zu einem Reisegefährten anbot, es wurde also verabredet und auch festgesezt; nächsten Morgen eröfnete ich meinen Eltern das Vorhaben, welche es [] nicht hintertreiben konnten []

[Nach vier Jahren der Wanderschaft erreicht den Verfasser in Berlin ein Brief von seinen Eltern mit der Aufforderung, nach Nürnberg zurückzukommen, sie hätten eine Braut für ihn ausgesucht. Als Händler sich sträubt, schreiben ihm die Eltern, er habe in Zukunft »die mindeste Hilfe nicht zu gewarten«, falls ihm in der Fremde ein Unglück oder Krankheit zustoße. Daraufhin kehrt er zurück, ohne jedoch dem Ehevorschlag seiner Eltern zuzustimmen. Auch als er die von den Eltern Erwählte persönlich kennenlernt, sagt sie ihm nicht zu. Über mehrere Monate setzt er seinen hinhaltenden Widerstand fort. Inzwischen erwirbt Händler das Meisterrecht, und seine Eltern treffen unmittelbar im Anschluß daran alle Vorbereitungen für die Hochzeit.]

[] Zu mir sprach [mein Vater] []: am 18ten Novbr. 1766. soll dein Ehrentag im goldnen Ochsen gehalten werden; kannst dich also darnach richten. Ich war wie vom Schlag gerührt, ich fiel nochmalen auf die Knie und bat um Gottes Willen, er möchte doch meine Bitte statt finden lassen, und mich nicht zum Heyrathen zwingen denn er würde sehen das nichts Gutes daraus entstehen könnte. Hast dich gewiß in der Fremde mit so einen Nickel versprochen, gab mir einen Stoß daß ich zur Erde fiel. Nun dachte ich auf der Welt bist du gänzlich verlassen, aber wenn Belohnung und Strafe statt findet, so will ich an jenem großen Tag meinen auf der Welt gehabten Prozeß darlegen.

Der Tag zur Kopulation erschien, und wie ein armer Sünder zur Gerichtsstätte, so wurde ich zum Altar geführt, denn was der Priester in der St. Sebalder Kirche mir vorsagte: davon verstand ich nicht ein Wort: denn ich hatte weder Augen noch Ohren, und viele Personen die dazumal Augenzeugen waren, bedaurenden mich, und die wenigen welche noch lebenden, bezeigten gegen mich ihr Mitleiden. Nachmittags war also die Mahlzeit von 46 Personen wie schon erwähnt im goldnen Ochsen, ich war mehr betäubt, als bei mir, denn ich saß wie ein Stummer, und Niemand war vermögend aus mir ein Wort zu bringen. Ich schütze eine Unpäßlichkeit vor, und so bald die erste Kutsche da war, fuhr ich nach Hause.

Meine Leser werden wundern wenn ich Ihnen sage: daß in währender Zeit von vierzehn Jahren ich zehn Kinder mit ihr gezeugt habe, man wird mir zur Antwort geben, daß wenn man doch keine Inclination gegen eine Person hat, so versteht man nicht wie doch dieses ins Werk gericht werden kann, alleine ich bin mit der Antwort schon fertig. Mein Wahlspruch bliebe allezeit: gedacht und glücklich ist der vergißt, das was nicht zu ändern ist. Daß ich niemals weder Neigung noch Affection zu meiner gegenwärtigen Frau hatte, das weiß Gott und jedermann, daß ich nicht lüge; daß ich aber allezeit rechtschaffen gehandelt habe, muß mir auch mein Feind nachreden []

[Trotz dieser Ereignisse brechen die Beziehungen zwischen Händler und seinen Eltern keineswegs ab; der Vater rettet ihn aus den Fängen eines Wucherers. Da sein Schneiderhandwerk wenig einträglich ist und er von seinem „verdrüßlichen Leben zu Hause mit Anstand fortkommen“ möchte, nimmt Händler – nach Rücksprache mit Eltern und Frau – im November 1780 den Posten eines Haus-Sekretärs beim preußischen Gesandten Herrn v. Pfeil in der Nähe von Dinkelsbühl an. Wenige Tage danach wird er zu einem Herrn Obristen bestellt, der einen Brief aus Nürnberg für ihn mitgebracht hat.]

Endlich gab Hr. Obrist, mir einen schwarz versiegelten Brief, ehe ich ihm aber erbrach, bereiteten Sie mich vor, damit ich nicht so stark erschrecken möchte, ich bat Herrn Obristen die Gnade für mich zu haben, was doch eigentlich der Inhalt in den Brief seyn möchte, mir zu sagen: Landsmann man muß bei allen Widerwärtigkeiten, im menschlichen Leben sich standhaft betragen, sagte Herr Obrist: ich bat nur mir zu sagen, ob etwann von meinem Eltern jemand gestorben wäre; ich könnte gar nicht begreifen da ich erst vor sechs Tagen aus meiner Vaterstadt abgereißt und alles gesund verlassen, und doch einen schwarz gesiegelten Brief, dieser sezt mich in Erstaunen. Wir sind Menschen, und seyn vor dem Tode keinen Tag sicher, also ist alles bei Gott möglich, war die Antwort, wie wäre es Hr. Landsmann, wenn noch ein näherer Freund als die Eltern es anbeträfe, und wenn es gar die Frau wäre, die Gott plözlich von der Welt genommen hätte, wie würde man sich da bezeigen, vermuthlich als Christ.

Auf einmal wurde meine Seele und Geist wieder heiter, und meine Antwort Ihr Gnaden Herr Obrist wenn es dem so ist, so will ich wider meinen Gott nicht murren, Hiob hat gesagt: der Herr hats gegeben, der Herr hats genommen, der Name des Herrn sey gelobet. Daß nenne ich Philosophie, und standhaft seyn in seinem Unglück erwiederten der Herr Obrist, ich nahm meinen unterthänigsten Abschied, und gieng nach Hause, meldete den ganzen Vorgang meinen gnädigen Herrn, welche mich herzlich bedauerten, und fragten was ich jezt gesonnen wäre zu thun, denn Sie glaubten ich würde bei solchen Umständen, wiederum nach Hause gehen, alleine ich versicherte meinen gnädigen Herrn daß es von mir sehr unbillig wäre, wenn ich Hochdieselben bei diesen Umständen würde verlassen; ich wollte die Sache durch Briefe ausmachen. Ich war nun in einer mislichen Lage, die für mich nicht schlimmer seyn konnte, meine selige Frau hinterlies mir zwei Kinder, wovon das jüngste fünf Jahr alt war, ich sezte mich also sogleich und schrieb an meine Eltern, daß Sie Sorge tragen sollten, daß meine Kinder in Versorgung gebracht würden, und zweitens, daß mein Logis wo ich der Zeit gewohnt habe, beibehalten wird, und drittens möchten Sie mir doch ausführlich berichten, auf welche Art und Weise, was die Ursache seyn möchte, daß meine Frau so plözlich aus der Welt gieng. Ich erhielte sogleich wiederum Antwort, daß meine Tochter [14 Jahre alt] meine Eltern zu sich genommen hätten, und den Buben hätten Sie in die Kost gegeben, wofür ich alle Wochen acht und vierzig Kreuzer zahlen müßte.

Nun stelle sich jedermann vor [] die acht und vierzig Kreuzer mußten herbeigeschaft werden, sie mochten nun herkommen wo sie wollten, ich mußte also wöchentlich für Wäsche, Barbier, Perückenmacher, und für alle übrige Kleinigkeiten sorgen, daß ich zu schwimmen und zu waden hatte. Alle Vierteljahr hatte ich für meinen Hauszins zu sorgen, meine Wache, und Losung mußten auch entrichtet werden; alle vier Wochen das Geld in die Leichenkassen, wenn ich an alle diese Umstände so nachdachte, so war ich ganz ausser mir []

[Im Mai 1781 kehrt Händler nach Nürnberg zurück.]

[] Meine damaligen Umstände waren wirklich betrübt und bedaurenswürdig; und meine guten Freunde die dazumal die wahre Beschaffenheit meiner Lage wußten, schenkten mir ihr Mitleiden. Ich sprach meine guten Freunde, wiederum um Arbeit an, welche mir auch in allen möglichen Unterstüzung versprachen, alleine ich sahe wohl ein, daß ich meine Wirthschaft ohne Frau unmöglich führen konnte, daher mußte ich mich zur zweiten Heyrath entschliessen. Ich rufte Gott an, (weil von oben alle gute Gaben kommen) mir mein Herz zu einer tugendhaften Person zu lenken. Ich gieng des andern Tages spazieren, um den sogenannten Bleicherweiher, und kam mir der schauderhafte Gedanke durch einen jähen Sprung könntest du dir von allen deinen Leiden auf einmal abhelfen. Alleine mein guter Genius gab mir bessere Gedanken und flisterte mir ein, daß ich noch nicht alle Hofnung aufgeben sollte, indeme ich ja durch eine zweite Heyrath mein Glück noch machen könnte, und über dieses sind das Proben der Vorsehung, um zu sehen, wie sich der Mensch auch bei allen Wiederwärtigkeiten des menschlichen Lebens verhält. Ich wurde in meinem Gemüthe ganz heiter, schlug mir alles aus dem Sinne, und gieng ganz getrost zum Spittler Thor herein, besuchte meine Schwester, und da traf ich zu meinem Glücke eine Anverwandtin an, welche ich in etlichen Jahren nicht gesprochen hatte, dieselbige äusserte gegen mich, daß Sie mich niemals so mismuthig und so melankolisch je gesehen hätte. Ich erwiederte daß Leute welchen meine Umstände ganz bekannt wäre, von mir es gar nicht anderst verlangen könnten; ich erzählte alles, und verhehlte nichts, diese Reden machten Eindruck, und zugleich erregten sie Mitleiden; durch die Länge der Zeit wurden wir in unsern Diskurs immer ernsthafter; und ich nahm mir die Freiheit zu fragen, ob dieselben nicht eine Magd hätten, welche Lust zum Heyrathen bezeigte, die Antwort war: daß Sie wohl zwei Mägde hätte, ob sie aber Lust zum Heyrathen hätten, wäre ihr nicht bekannt; das beste was Sie mir rathen könnte, wäre dieses, daß ich Sie heute Abends nach Hause begleiten sollte, da könnte ich alle beede sehen, und hätte also die Wahl, an der Fürsprache sollte es bei ihr nicht fehlen. Ich versprach dem allen nachzukommen, und wünschte nur, daß der Augenblick schon da seyn möchte, der zu meinem künftigen Glücke den Anfang machen sollte.

Um neun Uhr nahm ich mir die Freiheit die oben erwehnte Madam nach Hause zu begleiten; wo ich aber nicht so glücklich war, meine zukünftige Ehehälfte von Gesichte zu sehen. Es wurde also der kommende Tag fest gesezt, wo ich zum Essen invitirt wurde, denn der Mann vom Hause war nicht hier, er war dazumalen auf der Zurzacher Messe. Nach dem Essen bekamen wir einen Besuch von meiner zukünftigen Frauen ihrer Frau Mutter, es wurde beschlossen daß ich beim Kaffee bleiben sollte. Ich unterhielte Sie mit unterschiedlichen scherzhaften Erzählungen, endlich lenkte ich meine Diskurse auf den Hauptgegenstand, und fragte Sie, da ich eine eheliche Neigung gegen Dero Jungf. Tochter verspühre, so läßt mich Dero leutseliger Karakter hoffen, daß ich keine abschlägige Antwort erhalten werde. Ich verhehlte nichts, erzählte meine Umstände ganz genau, daß ich während meines aussen seyn, um alle das Meinige gekommen. Ich hofte aber zu Gott, daß dieses alles durch Sparsamkeit wiederum ersezt werden könnte. Ich erhielte zur Antwort, daß Sie zwar an meiner Person nichts auszusezen hätte, jedoch aber brauchte die Sache Ueberlegung; der Schritt denn ihre Tochter vor hätte wäre wichtig, und in Zeit etlichen Tagen wollte Sie mir eine Antwort wissen lassen. Meine Jungf. Braut und ich waren so fest miteinander verbunden, daß Niemand im Stande war, dieses Band aufzulösen. Ich machte sogleich Anstalt zur Inventur welche mir sehr viel Zeit wegnahm; meine liegenden und fahrenden Güther, und die übrigen Effekten waren in Zeit zwanzig Minuten in größter Ordnung. Auch machte ich daß ich den kommenden Sonntag Proklamirt wurde, und vierzehn Tage darauf [14. Nov. 1781] mit der Erb. und Ehrentgdr. Jungf. Maria Magdalena des Erb. Achtbar und Wohlgelehrten Joh. Leonhard Wagners, Schullehrers in der Wirthischen armen Kinderschule S. N. E. T. priesterlich kopuliert und eingesegnet wurde

[]

Mein Ehestand versüßte alle meine vorhergelittene Widerwärtigkeiten, und ich muß mit Wahrheit bekennen, daß ich mich, wenn ich an meine vorige Lage dachte und betrachtete die gegenwärtige, vor Vergnügen ausser mir war. Meine zweite Frau war gegen der ersten gerade das Gegentheil, und meine Ehe war eine der gesegneten.

Kamen manchmal verdrüßlichen Sachen vor, wo in den vergnügsten Ehen man denenselben nicht ausweichen kann, so war Sie gewiß befliessen, wo möglich es vor mir zu verbergen. Um mich für allen Zorn und Aergernis zu schonen, kurz wir beede waren ein Herz und eine Seele

[]

[Nach zehnjähriger Wartezeit hat Händler 1785 den Posten eines „Hochzeitladers“ und „Leichenbitters“ bekommen.]

[] Meine häuslichen Geschäfte giengen auch Gottlob so ziemlich kontent, so, daß ich Gott nicht genug danken konnte. Alleine wie niemals in meinen ganzen Leben das Unglück lange von mir entfernt blieb, so war es auch gegenwärtig, meine gute brave rechtschaffene Frau, war in den Jahren, wo die Frauenzimmer meistentheils kraftlos und schwächlich werden. Gott nahm meine Frau zu sich.

Nachdeme ich eilf Jahre mit meiner seel. Frau in vergnügter Ehe lebte, und fünf Kinder mit ihr zeugte. Niemals war ich so überhäuft mit Geschäften als just zu der Zeit da meine Frau auf dem Krankenbett lag. Ich hatte Montag und Mittwoch zwei geladene Hochzeiten, und Donnerstags eine Leiche, so, daß ich keine Stunde bei meinen zweien unmündigen Kindern zu Hause seyn konnte, und über dieses hatte ich auch meiner Frauen Leiche zu besorgen. Meine Lage war wirklich so traurig als sie noch jemals gewesen, was war also zu thun; ich sahe kein anders Mittel vor mir, als wiederum zu heyrathen. Meine geneigten Leser darfen nicht glauben, daß die Wollust mich zu diesen Schritt verleitete. Keinesweges, sondern meine zwei unmündigen Kinder waren die Triebfedern, daß ich dieses thun mußte. Ich gieng mit guten Freunden zu Rathe, bat sie inständig mir zu sagen: was ich in meiner gegenwärtigen Lage thun sollte, das Resultat lief immer dahinaus, daß ich sobald als möglich, mich nach einer dritten Gehülfin umsehen sollte, indeme mir niemand der vernünftig denkt, es verargen könnte, denn ein Mann der sein Brod auf der Straße verdienen muß, kann zu Hause bei seinen Kindern nicht zugleich seyn, und über dieses folgen die Kinder fremden Personen nicht, so ist also der beste Rath je eher je lieber nach einer vortheilhaften Partie sich umzusehen, so bekommen die Kinder wieder eine Mutter. Ich rufte Gott inbrünstig an, mir mein Herz zu einer tugendhaften Person zu lenken []

[Am 7. 1. 1793 heiratet Händler zum dritten Mal.]

Quelle: Johann Christoph Händler, Biographie eines noch lebenden Schneiders von ihm selbst geschrieben, 2 Bände. Nürnberg, 1798, Bd. I, S. 1–160; Bd. II, S. 48–50; abgedruckt in Jürgen Schlumbohm, Kinderstuben, Wie Kinder zu Bauern, Bürgern, Aristokraten wurden 1700–1850. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1983, S. 259–68.