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5 Was gute Gesellschaft genannt wird, ist meistens nur eine Mosaik von geschliffnen Karikaturen.
15 Der Selbstmord ist gewöhnlich nur eine Begebenheit, selten eine Handlung. Ist es das erste, so hat der Thäter immer Unrecht, wie ein Kind, das sich emanzipieren will. Ist es aber eine Handlung, so kann vom Recht gar nicht die Frage seyn, sondern nur von der Schicklichkeit. Denn dieser allein ist die Willkühr unterworfen, welche alles bestimmen soll was in den reinen Gesetzen nicht bestimmt werden kann, wie das Jetzt, und das Hier, und alles bestimmen darf, was nicht die Willkühr andrer, und dadurch sie selbst vernichtet. Es ist nie Unrecht, freywillig zu sterben aber oft unanständig, länger zu leben.
27 Die meisten Menschen sind, wie Leibnitzens mögliche Welten, nur gleichberechtigte Prätendenten der Existenz. Es giebt wenig Existenten.
31 Prüderie ist Prätension auf Unschuld, ohne Unschuld. Die Frauen müssen wohl prüde bleiben, so lange Männer sentimental, dumm und schlecht genug sind, ewige Unschuld und Mangel an Bildung von ihnen zu fodern. Denn Unschuld ist das Einzige, was Bildungslosigkeit adeln kann.
34 Fast alle Ehen sind nur Konkubinate, Ehen an der linken Hand, oder vielmehr provisorische Versuche, und entfernte Annäherungen zu einer wirklichen Ehe, deren eigentliches Wesen, nicht nach den Paradoxen dieses oder jenes Systems, sondern nach allen geistlichen und weltlichen Rechten darin besteht, daß mehre Personen nur Eine werden sollen. Ein artiger Gedanke, dessen Realisirung jedoch viele und große Schwierigkeiten zu haben scheint. Schon darum sollte die Willkühr, die wohl ein Wort mitreden darf, wenn es darauf ankommt, ob einer ein Individuum für sich, oder nur der integrante Theil einer gemeinschaftlichen Personalität seyn will, hier so wenig als möglich beschränkt werden; und es läßt sich nicht absehen, was man gegen eine Ehe à quatre gründliches einwenden könnte. Wenn aber der Staat gar die misglückten Eheversuche mit Gewalt zusammen halten will, so hindert er daduche die Möglichkeit der Ehe selbst, die durch neue, vielleicht glücklichere Versuche befördert werden könnte.
49 Die Frauen werden in der Poesie eben so ungerecht behandelt, wie im Leben, die weiblichen sind nicht idealisch und die idealischen sind nicht weiblich.
63 Jeder ungebildete Mensch ist die Karikatur von sich selbst.
64 Moderantismus ist Geist der kastrirten Illiberalität.
80 Der Historiker ist ein rückwärts gekehrter Prophet.
84 Ächtes Wohlwollen geht auf Beförderung fremder Freyheit, nicht auf Gewährung thierischer Genüsse.
87 Das Erste in der Liebe ist der Sinn für einander, und das Höchste, der Glauben an einander. Hingebung ist der Ausdruck des Glaubens, und Genuß kann den Sinn beleben und schärfen, wenn auch nicht bervorbringen, wie die gemeine Meynung ist. Darum kann die Sinnlichkeit schlechte Menschen auf eine kurze Zeit täuschen, als könnten sie sich lieben.
90 Der Gegenstand der Historie ist das Wirklich-werden alles dessen, was praktisch nothwendig ist.
102 Die Frauen haben durchaus keinen Sinn für die Kunst, wohl aber für die Poesie. Sie haben keine Anlage zur Wissenschaft, wohl aber zur Philosophie. An Spekulazion, innerer Anschauung des Unendlichen fehlts ihnen gar nicht; nur an Abstrakzion, die sich weit eher lernen läßt.
116 Die romantische Poesie ist eine progressive Universalpoesie. Ihre Bestimmung ist nicht bloß, alle getrennte Gattungen der Poesie wieder zu vereinigen, und die Poesie mit der Philosophie, und Rhetorik in Berührung zu setzen. Sie will, und soll auch Poesie und Prosa, Genialität und Kritik, Kunstpoesie, und Naturpoesie bald mischen, bald verschmelzen, die Poesie lebendig und gesellig, und das Leben und die Gesellschaft poetisch machen, den Witz poetisiren, und die Formen der Kunst mit gediegnem Bildungsstoff jeder Art anfüllen und sättigen, und durch die Schwingungen des Humors beseelen. Sie umfaßt alles, was nur poetisch ist, vom größten wieder mehre Systeme in sich enthaltenden Systeme der Kusnt, bis zu dem Seufzer, dem Kuß, den das dichtende Kind aushaucht in kunstlosen Gesang. Sie kann sich so in das Dargestellte verlieren, daß man glauben möchte, poetische Individuen jeder Art zu charakterisiren, sey ihr Eins und Alles; und doch giebt es noch keine Form, die so dazu gemacht wäre, den Geist des Autors vollständig auszudrücken: so daß manche Künstler, die nur auch einen Roman schreiben wollten, von ungefähr sich selbst dargestellt haben. Nur sie kann gleich dem Epos ein Spiegel der ganzen umgebenden Welt, ein Bild des Zeitalters werden. Und doch kann auch sie am meisten zwischen dem Dargestellten und dem Darstellenden, frey von allem realen und idealen Interesse auf den Flügeln der poetischen Reflexion in der Mitte schweben, diese Reflexion immer wieder potenziren und wie in einer endlosen Reihe von Spiegeln vervielfachen. Sie ist der höchsten und der allseitigsten Bildung fähig; nicht bloß von innnen heraus, sondern auch von außen hinein; indem sie jedem, was ein Ganzes in ihren Produkten seyn soll, alle Theile ähnlich organisirt, wodurch ihr die Aussicht auf eine gränzenlos wachsende Klassizität eröffnet wird. Die romantische Poesie ist unter den Künsten was der Witz der Philosophie, und die Gesellschaft, Umgang, Freundschaft und Liebe im Leben ist. Andre Dichtarten sind fertig, und können nun vollständig zergliedert werden. Die romantische Dichtart ist noch im Werden; ja das ist ihr eigentliches Wesen, daß sie ewig nur werden, nie vollendet sey kann. Sie kann durch keine Theorie erschöpft werden, und nur eine divinatorische Kritik dürfte es wagen, ihr Ideal charakterisiren zu wollen. Sie allein ist unendlich, wie sie allein frey ist, und das als ihr erstes Gesetz anerkennt, daß die Willkühr des Dichters kein Gesetz über sich leide. Die romantische Dichtart ist die einzige, die mehr als Art, und gleichsam die Dichtkunst selbst ist, denn in einem gewissen Sinn ist oder soll alle Poesie romantisch seyn.
211 Die Menge nicht zu achten, ist sittlich; sie zu ehren, ist rechtlich.
212 Werth ist vielleicht kein Volk der Freyheit, aber das gehört vor das forum Dei.
213 Nur derjenige Staat verdient Aristokratie genannt zu werden, in welchem wenigstens die kleinere Masse, welche die größere despotirt, eine republikanische Verfassung hat.
214 Die vollkommne Republik müßte nicht bloß demokratisch, sondern zugleich auch aristokratisch und monarchisch seyn; innerhalb der Gesetzgebung der Freyheit und Gleichheit müßte das Gebildete das Ungebildete überwiegen und leiten, und alles sich zu einem absoluten Ganzen organisiren.
215 Kann eine Gesetzgebung wohl sittlich heißen, welche die Angriffe auf die Ehre der Bürger weniger hart bestraft, als die auf ihr Leben?
216 Die Französische Revolution, Fichte’s Wissenschaftslehre, und Goethe’s Meister sind die größten Tendenzen des Zeitalters. Wer an dieser Zusammenstellung Anstoß nimmt, wem keine Revoluzion wichtig scheinen kann, die nicht laut und materiell ist, der hat sich noch nicht auf den hohen weiten Standpunkt der Geschichte der Menschheit erhoben. Selbst in unsern dürftigen Kulturgeschichten, die meinstens einer mit fortlaufendem Kommentar begleiteten Variantensammlung, wozu der klassiche Text verlohren ging, gleichen, spielt manches kleine Buch, von dem die lärmende Menge zu seiner Zeit nicht viel Notiz nahm, eine größere Rolle, als alles was diese trieb.
222 Der revoluzionäre Wunsch, das Reich Gottes zu realisiren, ist der elastische Punkt der progressiven Bildung, und der Anfang der modernen Geschichte. Was in gar keiner Beziehung auf’s Reich Gottes steht, ist in ihr nur Nebensache.
227 Der Schein der Regellosigkeit in der Geschichte der Menschheit entsteht nur durch die Kollisionsfälle heterogener Sphären der Natur, die hier alle zusammentreffen und in einander greifen. Dann sonst hat die unbedingte Willkühr in diesem Gebiet der freyen Nothwendigkeit und nothwendigen Freyheit, weder konstitutive noch legislative Gewalt, und nur den täuschenden Titel der exekutiven und richterlichen. Der skizzirte Gedanke einer historischen Dynakim macht dem Geiste des Condorcet so viel Ehre, als seinem Herzen der mehr als französische Enthusiasmus für die beinah trivial gewordene Idee der unendlichen Vervollkommnung.
228 Die historische Tendenz seiner Handlungen bestimmt die positive Sittlichkeit des Staatsmanns und Weltbürgers.
230 Die Mysterien des Christianismus mußten durch den unaufhörlichen Streit, in den sie Vernunft und Glauben verwickelten, entweder zur skeptischen Resignazion auf alles nicht empirische Wissen, oder auf kritischen Idealismus führen.
231 Der Katholizismus ist das naive Christenthum; der Protestantismus ist sentimentaler, und hat außer seinem polemischen revoluzionären Verdienst auch noch das positive, durch die Vergötterung der Schrift die einer universellen und progreßiven Religion auch wesentliche Philosophie veranlaßt zu haben. Nur fehlt es dem prothestantischen Christenthum vielleicht noch an Urbanität. Einige biblische Historien in ein Homerisches Epos zu travesiren, andre mit der Offenheit des Herodot und der Strenge des Tacitus im Styl der klassischen Historie darzustellen, oder die ganze Bibel als das Werk Eines Autors zu rezensiren; das würde allen paradox, vielen ärgerlich, einigen doch unschicklich und überflüßig scheinen. Aber darf irgend etwas wohl überflüßig scheinen, was die Religion liberaler machen könnte?
233 Die Religion ist meistens nur ein Supplement oder gar ein Surrogat der Bildung, und nichts ist religiös in strengem Sinn, was nicht ein Produkt der Freyheit ist. Man kann also sagen: Je freyer, je religiöser; und je mehr Bildung, je weniger Religion.
234 Es ist sehr einseitig und anmaßend, daß es grade nur Einen Mittler geben soll. Für den vollkommnen Christen, dem sich in dieser Rücksicht der einzige Spinosa am meisten nähern dürfte, müßte wohl alles Mittler seyn.
235 Christus ist jetzt verschiedentlich a priori deduzirt worden: aber sollte die Madonna nicht eben so viel Anspruch haben, auch ein ursprüngliches, ewiges, nothwendiges Ideal wenn gleich nicht der reinen, doch der weiblichen und männlichen Vernunft zu seyn?
251 Wie viele giebt es nicht jetzt, die zu weich und gutmüthig sind, um Tragödien sehen zu können, und zu edel und würdig, um Komödien hören zu wollen. Ein großer Beweis für die zarte Sittlichkeit unsers Jahrhunderts, welches die Französische Revolution nur hat verläumden wollen.
262 Jeder gute Mensch wird immer mehr und mehr Gott. Gott werden, Mensch seyn, sich bilden, sind Ausdrücke, die einerley bedeuten.
263 Ächte Mystik ist Moral in der höchsten Dignität.
272 Warum sollte es nicht auch unmoralische Menschen geben dürfen, so gut wie unphilosophische und unpoetische? Nur antipolitische oder unrechtliche Menschen können nicht geduldet werden.
369 Der Deputirte ist etwas ganz anders als der Repräsentant. Repräsentant ist nur, wer das politische Ganze in seiner Person, gleichsam identisch mit ihm, darstellt, er mag nun gewählt seyn oder nicht; er ist wie die sichtbare Weltseele des Staats. Diese Idee, welche offenbar nicht selten der Geist der Monarchien war, ist vielleicht nirgends so rein und konsequent ausgeführt, wie zu Sparta. Die Spartanischen Könige waren zugleich die ersten Priester, Feldherren und Präsidenten der öffentlichen Erziehung. Mit der eigentlichen Administrazion hatten sie wenig zu schaffen; sie waren eben nichts als Könige im Sinne jener Idee. Die Gewalt des Priesters, des Feldherrn und des Erziehers ist ihrer Natur nach unbestimmt, universell, mehr oder weniger ein rechtlicher Despotismus. Nur durch den Geist der Repräsentazion kann er gemildert und legitimirt werden.
370 Sollte nicht das eine absolute Monarchie seyn, wo alles Wesentliche durch ein Kabinet im Geheim geschieht, und wo ein Parlament über die Formen mit Pomp öffentlich reden und streiten darf? Eine absolute Monarchie könnte sonach sehr gut eine Art von Konstituzion haben, die Unverständigen wohl gar republikanisch schiene.
379 Hat der Staat denn ein Recht, Wechsel aus reiner Willkühr gültiger zu heiligen, als andre Verträge, und dadurch diese ihrer Majestät zu entsetzen?
385 In den Handlungen und Bestimmungen, welche der gesetzgebenden, ausübenden oder richterlichen Gewalt zur Erreichung ihrer Zwecke unentbehrlich sind, kommt oft etwas absolut Willkührliches vor, welches unvermeidlich ist, und sich aus dem Begriff jener Gewalten nicht ableiten läßt, wozu sie also für sich nicht berechtigt scheinen. Ist die Befugniß dazu nicht etwa von der konstitutiven Gewalt entlehnt, die daher auch nothwendig ein Veto haben müßte, nicht bloß ein Recht des Interdikts? Geschehn nicht alle absolut willkührlichen Bestimmungen im Staat kraft der konstitutiven Gewalt?
406 Wenn jedes unendliche Individuum Gott ist, so giebts so viele Götter als Ideale. Auch ist das Verhältniß des wahren Künstlers und des wahren Menschen zu seinen Idealen durchaus Religion. Wem dieser innre Gottesdienst Ziel und Geschäft des ganzen Lebens ist, der ist Priester, und so kann und soll es jeder werden.
414 Giebts eine unsichtbare Kirche, so ist es die jener großen Paradoxie, die von der Sittlichkeit unzertrennlich ist, und von der bloß philosophischen noch sehr unterschieden werden muß. Menschen, die so ekzentrisch sind, im vollen Ernst tugendhaft zu seyn und zu werden, verstehn sich überall, finden sich leicht, und bilden eine stille Opposizion gegen die herrschende Unsittlichkeit, die eben für Sittlichkeit gilt. Ein gewisser Mystizismus des Ausdrucks, der bey einer romantischen Fantasie und mit grammatischem Sinn verbunden, etwas sehr Reizendes und etwas sehr Gutes seyn kann, dient ihnen oft als Symbol ihrer schönen Geheimnisse.
420 Ob eine gebildete Frau, bey der von Sittlichkeit die Frage seyn kann, verderbt oder rein sey, läßt sich vielleicht sehr bestimmt entscheiden. Folgt sie der allgemeinen Tendenz, ist Energie des Geistes und des Karakters, die äußre Erscheinung derselben und was eben durch sie gilt, ihr Eins und Alles, so ist sie verderbt. Kennt sie etwas größeres als die Größe, kann sie über ihre natürliche Neigung zur Energie lächeln, ist sie mit einem Worte des Enthusiasmus fähig, so ist sie unschuldig im sittlichen Sinne. In dieser Rücksicht kann man sagen, alle Tugend des Weibes sey Religion. Aber daß die Frauen gleichsam mehr an Gott oder an Christus glauben müßten, als die Männer, daß irgend eine gute und schöne Freygeistery ihnen weniger zieme als den Männer, ist wohl nur eine von den unendlich vielen gemeingeltenden Plattheiten, die Rousseau in ein ordentliches System der Weiblichkeitslehre verbunden hat, in welchem der Unsinn so ins Reine gebracht und ausgebildet war, daß es durchaus allgemeinen Beyfall finden mußte.
422 Mirabeau hat eine große Rolle in der Revoluzion gespielt, weil sein Karakter und sein Geist revoluzionär war; Robespierre, weil er der Revoluzion unbedingt gehorchte, sich ihr ganz hingab, sie anbetete, und sich für den Gott derselben hielt; Buonaparte, weil er Revoluzionen schaffen und bilden, und sich selbst annihiliren kann.
423 Sollte der jetzige französische Nazionalkarakter nicht eigentlich mit dem Kardinal Richelieu anfangen? Seine seltsame und beynah abgeschmackte Universalität erinnert an viele der merkwürdigen französischen Phänomene nach ihm.
424 Man kann die französische Revoluzion als das größte und merkwürdigste Phänomen der Staatengeschichte betrachten, als ein fast universelles Erdbeben, eine unermeßliche Überschwemmung in der politischen Welt; oder als ein Urbild der Revoluzionen, als die Revoluzion schlechthin. Das sind die gewöhnlichen Gesichtspunkte. Man kann sie aber auch betrachten als den Mittelpunkt und den Gipfel des französischen Nazionalkarakters, wo alle Paradoxien desselben zusammengedrängt sind; als die furchtbarste Groteske des Zeitalters, wo die tiefsinnigsten Vorurtheile und die gewaltsamsten Ahndungen desselben in ein grauses Chaos gemischt, zu einer ungeheuren Tragikomödie der Menschheit so bizarr als möglich verwebt sind. Zur Ausführung dieser historischen Ansichten findet man nur noch einzelne Züge.
441 Liberal ist wer von allen Seiten und nach allen Richtungen wie von selbst frey ist und in seiner ganzen Menschheit wirkt; wer alles, was handelt, ist und wird, nach dem Maß seiner Kraft heilig hält, und an allem Leben Antheil nimmt, ohne sich durch beschränkte Ansichten zum Haß oder zur Geringschätzung desselben verführen zu lassen.
Quelle: Athenaeum, Bd. 1, Zweites Stück, Juni 1798, S. 4–143. Online verfügbar unter: https://hdl.handle.net/1874/44784