Kurzbeschreibung

Caroline Michaelis (verw. Böhmer, später Schlegel, dann Schelling, 1763-1809) wurde in der Universitätsstadt Göttingen geboren, wo ihr Vater Professor für Theologie und Orientalistik war. Nachdem Carolines erster Mann und zwei ihrer Kinder gestorben waren, zog sie 1792 als junge Witwe nach Mainz. Im Oktober 1792 wurde Mainz von revolutionären französischen Truppen besetzt, und am 18. März 1793 die Mainzer Republik ausgerufen. Caroline unterstützte offen die revolutionäre, demokratische Bewegung. Als sie befürchtete, dass Mainz von der preußischen Armee zurückerobert werden würde, verließ sie die Stadt mit ihrer achtjährigen Tochter und einigen anderen republikanischen Sympathisanten. Noch am selben Tag wurden sie in der Nähe von Mainz verhaftet und auf der Burg Königstein inhaftiert. Diesen Brief vom 19. April 1793 schrieb Caroline Böhmer an ihre Freundin Louise Gotter und ihren Mann, den Schriftsteller Friedrich Wilhelm Gotter, während sie in Königstein inhaftiert war. Zu dieser Zeit war Caroline mit dem Kind eines französischen Offiziers schwanger und befürchtete, dass ihre Schwangerschaft bemerkt werden würde. Nachdem ihr Bruder an den preußischen König geschrieben hatte, wurden Caroline und ihre Tochter im Juli aus der Haft entlassen. Da sie zu diesem Zeitpunkt unverheiratet war, brachte sie ihr Kind heimlich zur Welt und ließ es bei einer Pflegefamilie in Sachsen, wo es zwei Jahre später starb. Ihre Inhaftierung hatte ihrem Ruf so sehr geschadet, dass sie in ihrer Heimatstadt Göttingen für „unerwünscht“ erklärt wurde. 1796 heiratete Caroline August Wilhelm Schlegel, der ihr ein Freund und Unterstützer gewesen war. Sie zogen daraufhin nach Jena, wo Schlegel Professor an der Universität war, und beide wurden Teil des Jenaer Intellektuellenkreises, der die deutsche Frühromantik prägte. In dieser Zeit arbeitete das Paar an mehreren deutschen Übersetzungen von Shakespeares Dramen. Caroline schrieb zudem Literaturrezensionen, doch es sind vor allem ihre Briefe, die erhalten geblieben sind und Einblicke in das deutsche Geistesleben der Zeit und dessen Protagonisten geben. Die Ehe der Schlegels war unglücklich, und 1803 ließ sich das Paar scheiden. Caroline heiratete einen Monat später den Philosophen Friedrich Schelling, mit dem sie bereits während ihrer Ehe eine intime Beziehung gehabt hatte.

Caroline Böhmer, Brief an Luise und Friedrich Wilhelm Gotter (19. April 1793)

Quelle

Königstein d. 19. April [17]93.

Ich danke Ihnen, lieber Gotter, für die Maasregel, sich an den Hrn. Coadjutor zu wenden – es war das, warum ich Sie bitten wollte. Es ist doch das härteste, was einem Weibe begegnen kan, in eine so ernstliche Gefangenschaft zu gerathen – ehe sie das verdient, muß sie sich mehr wie Unbesonnenheiten der Denkart vorzuwerfen haben, und Hr. von Dalberg, der die Menschen kent, wird fühlen, daß diese sogar nicht von ihr, sondern von dem Einfluß ihrer Freunde abhangen – er kan nicht wollen, daß sie darum zu Grunde gerichtet werden soll, wie ichs durch eine lange Gefangenschaft unausbleiblich werden würde. Ich bin nicht Verbrecherin, weder mittelbar noch unmittelbar – aber allerdings hab ich Bekanten gehabt, die es sind, und die mich nun verdächtig machen. Ich hatte mich auf ewig von ihnen zu trennen geglaubt, und es hat nie zwischen ihnen und mir eine solche Verbindung statt gefunden, von der ich mich nun als Märtyrerin betrachten könte.

Man hat mir von einem Ausweg gesagt, der mich bald befreyen könte, nehmlich wenn man Caution für mich annehmen wollte. Was halten Sie als Jurist davon? Schrecklich ists, von der Dauer der Belagerung von Mainz abhangen zu sollen – und es heißt doch, daß man nicht eher förmlich untersuchen wird. Können nicht die Franzosen bey dem Mangel an auswärtigen Nachrichten rasend genug seyn, sich lange vertheidigen zu wollen?

Liebe Louise, wenn ich doch in dem Zimmerchen säß, was Du so gütig für mch bereitet hattest! Ich fühle Deine innige Theilnahme – wird es mir wohl so gut werden dir mündlich zu danken? Wird Deine Freundschaft nicht ermüden? Du siehst, ich mache denen, die mich lieben, keine Freude, und werde ihnen vielleicht noch viel Sorgen machen. Gott segne Dich Liebe – freue Dich Deiner Freiheit, und daß du Deine Kinder selbst spazieren führen kanst. Ich mache mir beynah ein Gewißen daraus Augusten mein Schicksaal theilen zu laßen, Grüß Wilhelmine herzlich.

Dein Mann soll dem Hrn. von Dalberg bezeugen, wie lange ich schon mit ihm wegen meiner Abreise in Unterhandluch gestanden, und ihn, wie er in Frankfurt war, gebeten habe, mir einen Paß vp, Herzog von Braunschweig zu verschaffen.

Quelle: Caroline. Briefe aus der Frühromantik, Bd. 1, hg. Erich Schmidt, Leipzig: Insel-Verlag, 1913, S. 282-283. Online verfügbar unter: https://tudigit.ulb.tu-darmstadt.de/show/GK-9099-S322-1