Kurzbeschreibung

Dorothea Schlegel (geboren als Brendel Mendelssohn, 1764-1839) war die Tochter des jüdischen Aufklärers Moses Mendelssohn. Nachdem ihre erste Ehe geschieden worden war, änderte sie ihren Namen in Dorothea und begann 1797 eine Beziehung mit dem Philosophen und Schriftsteller Friedrich Schlegel. Sie zogen nach Jena, wo sie zusammen mit Friedrichs Bruder August Wilhelm und dessen Frau Caroline zum Jenaer Kreis der Intellektuellen gehörten, welche die deutsche Frühromantik prägten. Während dieser Zeit übersetzte Dorothea französische Literatur, schrieb Literaturkritiken und einen Roman, Florentin. Während sie später in Paris lebten, heirateten Friedrich und Dorothea 1804, nachdem sie zum Protestantismus übergetreten war. Vier Jahre später konvertierten beide, die nun in Köln lebten, zum Katholizismus und warben leidenschaftlich für ihren neuen Glauben. Friedrich Schlegel fand später eine Anstellung in Wien, wohin das Paar anschließend übersiedelte.
Dorothea schrieb diesen Brief an ihren Mann im August 1808 auf ihrer Reise von Köln nach Dresden, um dort ihre Söhne zu besuchen, bevor sie nach Wien weiterreiste. Ihr Brief gibt einen Einblick in die Unwägbarkeiten des Reisens in dieser Zeit, in der große Teile Deutschlands von französischen Truppen besetzt waren.

Dorothea Schlegel, Brief an Friedrich Schlegel (21. August 1808)

Quelle

Lobenstein, den 21. August 1808.

Was würdest Du wohl machen, mein Friedrich, wenn Du Deine Frau in diesem Augenblick in einer elenden Stadt zwischen der baierischen und sächsischen Gränze (im Voigtlande), in einem Wirthshause wüsstest, wo sie den ganzen Tag eingeschlossen auf einem grossen Zimmer ganz allein sitzet, das ganze Haus voller Franzosen, die wie die Teufel auf und ab lärmen, bei schlechter Kost, elendem Wetter und in einem Moment zehnmal ungeduldig und zehnmal geduldig werdend – was würdest Du thun in der grossen Kaiserstadt, von Freunden und Gönnern umgeben, wenn Du mich aus der Ferne in diesem Zustande sähest? – so ist es aber! – In Bamberg kam ich am 16. spät Abend an und ward ganz zur Unzeit und wider Vermuthen in derselben Nacht krank; doch zum Glück nicht sehr stark, so dass ich nicht den ganzen Tag zu Bette bleiben musste, doch musste ich drei Tage ausruhen, zumal man mir alle Augenblicke Hoffnung machte, dass ich eine Reisegesellschaft finden würde. Ich ging zwar den ganzen Tag zu Paulus, doch musste ich im Wirthshause schlafen und frühstücken, und darüber ungeduldig, machte ich mich den dritten Tag, noch nicht hergestellt, wieder auf den Weg und das ganz allein mit einem Miethwagen, der mich nicht weiter als bis Kronach bringen wollte, weil dort böse Wege angehen, deren kein Bamberger Fuhrmann kundig ist. Ich kam den 19. glücklich dort and und miethete gleich wieder einen Wagen, der mich bis Schleiz bringen sollte. Unterwegs hörten wir aber, dass wir grade der französischen Armee entgegen gingen, die von Schlesien zurück käme. Ich hatte guten Muth und wollte meinen Kutscher bereden, mich an Ort und Stelle zu bringen, aber alles war umsonst; er bat mich mit weinenden Augen, nicht weiter fahren zu wollen. „Wenn Sie es befehlen,“ sagte der treue Kerl, „so fahre ich zu, denn mit Ihnen führe ich durch die ganze Welt und liesse mein Leben für Sie, aber die Pferde gehören meinem Herrn, und die nehmen mir die Franzosen gewiss, wenn wir ihnen begegnen.“ Die ganze Gegend war im höchsten Schrecken, sie waren auf dem Hinmarsch sehr stark mitgenommen worden. Umsonst suchte ich den Leuten zu beweisen, dass sie wahrscheinlich aus Missverstand wären feindlich behandlet worden, denn die Gegend gehört einem Fürst Reuss, und die Franzosen haben gewiss anstatt reussisch, preussisch zu hören geglaubt. Aber alle mein Zureden war umsonst, die Leute steckten mich mit an, und ich hielt es am Ende auch für rathsamer, lieber hier einzukehren, anstatt irgendwo anzukommen, wo sie schon sind, und dort vielleicht nicht unterkommen zu können, oder ihnen gar auf freiem Felde zu begegnen. Die Wirthsleute gaben mir sogleich ihr bestes Zimmer und waren ordentlich froh, jemand zu haben, dem sie es anvertrauen konnten, damit die Offiziere es nicht fordern dürften. Ich theilte ihnen meine Besorgnisse nicht mit, dass sie, wenn es ihnen gefällig sein sollte, dies Zimmer grade zu bewohnen, sie schon eine Art finden würden, mich meiner Herrschaft darüber zu entsetzen, und zog mit meinem Koffer muthig ein. Die Leute behandeln mich, so gut sie können, aber es ist ein armer elender Flecken, mitten in einem wilden waldigen Gebirge. Der Weg von Kronach hierher ist ganz entsetzlich, es kann in Polen unmöglich übler sein. Dabei liegt ein beständiger dicker Nebel drüber her, der in feinem Staubregen herunter fällt. Es ist auffallend, wie kalt die Gegend gegen das Rheinland ist. Dort ist alles Getraide schon längst eingebracht, hier ist es noch nicht einmal alles geschnitten und die Leute heizen des Abends ein und halten dies nicht für ein besonderes Ereigniss. Seit gestern Mittag bin ich nun also hier eingefangen und es kann leicht noch ein paar Tage dauern. Die Märsche gehen ununterbrochen fort, sogar die ganze Nacht. Sie dürfen höchstens nur eine Stunde sich aufhalten; es geht eilends hinauf, die meisten werden auf Wagen transportirt. Künftige Nacht aber werden wohl 5 bis 6000 Mann hier ordentlich übernachten, und alsdann hoffe ich weiter zu können; einen halben Tag oder so etwas werde ich noch zugeben müssen, um nicht gar einigen Maroden in die Hände zu gerathen. Denk Dir meine Ungeduld! Dazu kömmt noch, dass ich noch immer nicht ganz gesund bin und mich sehr angegriffen fühle, was durch das schlechte Leben sehr vermehrt wird. Welch ein Unterschied dieses Landes (auch sogar Baiern nicht ausgenommen) gegen den Rhein! Du herrliches Land, wie muss man dich lieben! Hier findest du schwere Federdecken, Schweinefleisch, schlecht gebackenes saures Brod, an Wein nicht zu denken – kurz, ein schlechtes Leben und keine Kirche, kein Geläute, nichts, was das Herz erfreut! Denk Dir nur, nicht einmal ein Postwagen geht von hier ab, und hätte ich nicht Federn und feines Papier bei mir, ich hätte nicht einmal den Trost, Dir schreiben zu können! Sobald es nur angeht, nehme ich dem Wirth seine Pferde und Wagen, suche noch ein Pferd Vorspann und einen Postillon zur Sicherheit mit zu kriegen, und lasse mich bis Schleiz bringen; dort setze ich mich auf den Postwagen bis Gera und suche dann, wie ich weiter komme. Diesen Brief schicke ich Dir aber nicht eher ab, bis ich hinzusetzen kann, dass ich glücklich hindurch bin.

Koblenz hast Du Unrecht gethan, oder vielmehr es ist schade, dass Du es nicht kennen gelernt hast. Es ist ein liebes Leben dort, liebenswürdige Leute von gutem alten Schlage, mit etwas mehr Leichtigkeit und Leben als die Kölner. Man führt Goethe’s Lieder im Munde und liest die besten neuen Sachen mit Liebe; dabei ist man gesellig und freundlich und lebt heiter. Die Weiber sind meistens sehr hübsch, sogar schön; der Wein und das Brod ganz vortrefflich; ein liebliches Mineral-Sauerwasser das allgemeine Getränk; die Luft durch die vielen Flüsse, die dort zusammentreffen, und durch das schützende Gebirge rein und mild; man athmet mit ungewöhnlicher Leichtigkeit; ich habe dort 30 Pulsschläge in einem Zeitraum gehabt in welchem ich sonst kaum 20 an mir zähle; weniger Luxus, aber mehr guten Geschmack in Kleidern und Hausgeräth als in Köln; und die Gegend, die Gegend! welche Hügel, welche Thäler und Felder und Wiesen, alte Burgen und Dörfer und Gewässer; welche Abwechslung und welche Uebereinstimmung! Und die Abtei Laach und ihr See, der göttliche, der das schönste ist, was meine Augen je gesehen. Davon schreibe ich Dir nichts, das erzähle ich Dir einmal, wenn wir recht heiter und beisammen sind! Koblenz ist mir eben so lieb an sich wie Dresden; und nun kömmt noch hinzu das Alterthümliche, das rheinische, katholische, freie Urleben!

Von Koblenz an war meine Reise mehr mit unangenehmen als angenehmen Empfindungen verbunden, und ausführliche Beschreibungen mag ich gar nicht davon machen, mündlich einmal. Ich sehne mich nach Dresden mit unbeschreiblicher Wehmuth. Gewiss warten meine Kinder schon längst auf mich und auch von Dir hoffe ich Briefe dort vorzufinden. Dürfte ich mich doch nimmer wieder auf so lange von Dir trennen! – Hardenburg habe ich nicht angetroffen zu Unterzell. Würzburg gefällt mir nicht besonders, Bamberg aber noch viel weniger, obgleich die Gegend um Bamberg viel hübscher ist als um Würzburg. Die Paulus hätte ich gleich denselben Tag wieder verlassen mögen. Wie ist es mir so leid um sie, sie ist wie abgestorben! Einen gescheiten Jungen und ein schönes Mädchen hat sie; sie ist aber nicht glücklich und kann es auch wohl nie werden. Ich habe grosse Welt bei ihr gesehen, nämlich baierische Excellenzen und dgl. und Gespräche und Grundsätze und Meinungen gehört, wovon mir die Haare auf dem Kopf in die Höhe gingen. Die Elenden! Hegel habe ich dort kennen gelernt, er lebt in Bamberg und schreibt die dortige Zeitung. – Du Thor, wie kannst Du von mir noch Nachrichten von der Litteratur verlangen? Du bist ja an der Quelle, lies die gelehrten Blätter wie wir in Köln und strenge Dich an, die eigentliche Meinung herauszuklaubern; anders wissen wir auch nichts. Man spricht freilich ganz allgemein davon, dass Brentano sein Werk[1] noch vor diesem Winter erscheinen soll. Wie reimt dies aber mit den übrigen Anstalten? Die Exemplare werden ja alle von Norden nach Süden zurück verlegt: In Bamberg wollte man ganz gewiss wissen, dass der König mit seiner ganzen Familie von München fort nach Bamberg oder Nürnberg ziehen würde, und man wollte hieraus auf andre Ereignisse noch schliessen, aber alles ist ungewiss und geheimnissvoll!

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Anmerkungen

[1] Es ist wohl ‘Des Knaben Wunderhorn‘ gemeint, dessen 2. u. 3. Bd. Arnim u. Brentano im Herbst 1808 bei Mohr u. Zimper in Heidelberg erscheinen liessen.

Quelle: Dorothea v. Schlegel geb. Mendelssohn und deren Söhne Johannes und Philipp Veit, Briefwechsel, im Auftrage der Familie Veit herausgegeben von Dr. J.M. Raich, 1. Band, Mainz, 1881, S. 282-286. Online verfügbar unter: https://archive.org/details/bub_gb_2EYBAAAAQAAJ/page/282/mode/2up

Dorothea Schlegel, Brief an Friedrich Schlegel (21. August 1808), veröffentlicht in: German History in Documents and Images, <https://germanhistorydocs.org/de/das-heilige-roemische-reich-1648-1815/ghdi:document-5401> [09.11.2024].