Kurzbeschreibung

Joseph von Sonnenfels (1732–1817) war ein österreichischer Jurist und Kulturkritiker. In dieser allgemeinen Einleitung zu seinem Band Prinzipien der Polizei, des Handelns und der Finanzen vertrat von Sonnenfels eine kameralistische Perspektive auf die Rolle des Staates. Der Kameralismus war ein System der Staatsverwaltung, das darauf abzielte, das Bevölkerungswachstum zu fördern, die Staatsfinanzen zu kontrollieren und den wirtschaftlichen Wohlstand zu steigern.

Josef von Sonnenfels, Grundsätze der Polizey, Handlung, und Finanz (1786–87)

Quelle

Allgemeine Einleitung
Abtheilung der Staatswissenschaft in ihre Zweige.

1. Der einzelne Mensch[1] ist nicht der Mensch im Stande der Natur: sein Stand wäre ein Stand der beständigen Unbehilfsamkeit: aber er fühlet seinen Mangel, er fühlet, daß er seinem Mangel abzuhelfen, daß er seinen Zustand zu verbessern fähig ist: die Vernunft, die ihn vom Thiere unterscheidet, läßt ihn das Mittel einsehen, wodurch er einen verbesserten Zustand erreichen kann: dieses Mittel ist die Vergesellschaftung mit seines Gleichen. Der natürliche Zustand des Menschen ist also der Stand der Gesellschaft: die häusliche, die ehlige, die väterliche Gesellschaft, sind so viele Schritte, wodurch er der grossen Gesellschaft näher kömmt, die alle andere in sich fasset, und sich, da die kleineren Vereinbarungen ihren Augenmerk nur auf das Wohl der einzelnen Glieder richten, das Beste aller Gesellschaften zu ihrem Ziele gesteckt hat.

2. Die grosse Gesellschaft ist der Staat. Der Uebergang in denselben hat den Mitgliedern einen neuen Namen erworben, hat sie in neue Verhältnisse versetzt die Menschen sind Bürger geworden, Wesen, die durch die Natur ihres selbst gewählten Standes, nun als Theile zu einem Ganzen ihre Beziehung haben, als Glieder in einem sittlichen Körper vereinbart sind. Die Wirkung dieser Vereinbarung ist, Einheit des Endzwecks, Einheit des Willens, Einheit der Kraft.

3. Einheit des Endzwecks; oder der Wohlfart, des Besten: welches nun das gemeinschaftliche Beste genennt wird, wobey das Beste des einzelnen Gliedes, das ist, der Privatnutzen, dem erstern beständig untergeordnet bleibt, und nicht anders in Betrachtung gezogen werden kann, als insoferne er einen Theil des gemeinschaftlichen, des ganzen Körpers ausmachet, In dem Falle also, in welchem der Privatnutzen mit dem gemeinen Besten nicht zu vereinbaren wäre, muß jener diesem nothwendig nachgesetzt werden. Glücklicher Weise aber läßt sich, im genauen Verstande, ein Wiederspruch der wahren dauerhaften Privatwohlfahrt, mit der allgemeinen nicht einmal begreifen. Denn bey einer reifen Untersuchung wird sich immer zeigen, entweder, daß dasjenige, was als Privatnutzen angesehen wird, ein solcher zu seyn aufhöret, sobald er dem gemeinen entgegen arbeitet;[2] oder oft, daß etwas dem gemeinschaftlichen Nutzen nachtheilig gehalten wird, so in der That es nicht ist. Niemand durfte bey den alten Persern für sich von den Göttern Gutes erbitten „er bitte, sagt Herodot, daß allen Persern Gutes wiederfahren möge! denn unter allen ist jeder mitbegriffen.“ Die Wohlfahrt der Theile gründet sich auf die Wohlfahrt des Ganzen: aber auch die Wohlfahrt des Ganzen entspringt nur aus der Wohlfahrt der Theile.

4. Einheit des Willens, die, wo es um etwas zu thun ist, welches seine Wirkung auf die gemeinschaftlichen Angelegenheiten erstrecket, aus dem Grundsatze, daß niemand zugleich wollen, und nicht wollen kann, alle Einrede aufhebt, und den Eigenwillen des Einzelnen der gemeinschaftlichen Entschließung unterwürfig macht.

5. Einheit der Kraft, insoferne nämlich die einzelnen Kräfte zur Erreichung des gemeinschaftlichen Endzwecks nothwendig sind, sollen sie auf keine andere Art angewendet werden, als wozu die gemeinschaftliche Kraft bestimmet ist. Wer den Beytrag seiner Kraft entzieht, wo die Erreichung des gemeinschaftlichen Endzwecks, eine bestimmte Größe von Kräften fodert, läßt die allgemeine Thätigkeit zu schwach: aber wendete er seine Kraft sogar gegen die allgemeine an, so wäre der Nachtheil doppelt, weil hiedurch noch eine andere Kraft aufgehoben würde.

6. Nach Verschiedenheit der Vorfälle und Umstände, sind auch die Anstalten und Maßregeln, zur Erreichung des gemeinschaftlichen Endzweckes verschieden. Wer bringet diese Anstalten in Vorschlag? wem steht das Recht zu, dieselben zu prüfen, sie gut zu heißen, oder verwerfen? Jedermann: das Recht der öffentlichen Berathschlagung ist ein gemeinschftliches Recht aller Glieder der Gesellschaft. Allein, soll es nun zu einem wirklichen Entschlusse kommen; soll dasjenige, was entschlossen worden, alle Glieder verbinden, das ist, ein Gesetz werden; so wird auch die Uebereinsitmmung aller Glieder erfordert.

7. Diese war wahrscheinlicher Weise die erste Gestalt, die erste Art, wie sich bey angehenden Staaten, der gemeinschaftliche Willen erklären konnte: Uebergang von der Menge zur Gesellschaft, von der Anarchie zu der einfachsten Demokratie. Aber bald mußten sich die Schwierigkeiten zeigen, welchen diese Erklärung bey einer größeren Gesellschaft unvermeidlich unvermeidlich unterworfen ist. Eine allgemeine Uebereinstimmung konnte nicht allemal, ja sie wird nur sehr selten erhalten werden können. Oft also mußten die öffentlichen Berathschlagungen keinen Ausgang gehabt haben. Die Beschaffenheit der Vorfälle vertrug nicht immer eine solche Verzögerung, als bei allgemeinen Zusammenkünften, oder bis zur Sammlung aller Stimmen, besonders in zahlreichen Gesellschaftne, und Ländern von weiterem Umfange nothwendig war. Die Einsicht der Mitstimmenden, der Antheil, den sie nach Unterschied des Vermögens, oder nach Verschiedenheit anderer Umstände, an den öffentlichen Angelegenheiten haben, war ungleich. Gleichwohl hatte die Stimme des Klügeren, des Vermögenden, nicht mehr Einfluß, noch Gewicht, als die Stimme des Unerfahrnen, des Unvermögenden. Man mußte sich also über eine Art, den gemeinschaftlichen Willen zu erklären, vereinigen, wodurch diese Schwierigkeiten vermieden würden. So, wie die Gesellschaften auf verschiedene Art denselben auszubeugen suchten, entstanden verschiedene Regierungsformen.

8. Um den öffentlichen Angelegenheiten wenigstens einigen Ausgang zu geben, blieb es zwar dabey, daß jeder Bürger mitstimmte; jedoch die Mehrheit der Stimmen entschied. Staaten, wo diese Art die öffentlichen Geschäffte zu verwalten, üblich ist, heißen noch immer Demokratien, aber in einer beschränkteren Bedeutung. Nicht nur, daß die mehrsten Stimmen bei einer ununterrichteten Menge gewiß nicht die klügsten sind; daß vielleicht gerade das Gegentheil zu vermuthen ist; so sind durch die demokratische Regierungsform, weder die Verzögerung, noch der Unterschied des Antheils gehoben, welche in die öffentlichen Berathschlagungen so sehr einfließen.[3] Daher rief man aus der Menge gleichsam die Edleren zur Verwaltung des gemeinen Wesens auf: von ihnen empfiengen diese Staaten den Namen Aristokratien. In Aristokratien zwar, war die Gesetzgebung wahrscheinlicher Weise an den einsichtsvolleren Theil des Volkes übertragen; aber Familienabsichten wurden immer in die öffentlichen Berathschlagungen mit gebracht, und machten Spaltungen, oder lenkten die allgemeinen Geschäfte nach dem Privatnutzen hin. Daher andere Nationen in der hausväterlichen Regierung ein Urbild suchten, wornach sie, aus Zutrauen zu der Weisheit eines Einzigen, zu seiner Gerechtigkeit und Liebe, alles an Einen übertragen, der ihr Vater, ihr Gesetzgeber und Rath, ihr Haupt seyn, der, mit der nothwendigen Einsicht begabt, keinen von dem allgemeinen abgesonderten Vortheil kennen sollte. Dieses sind Monarchien. Alle drey Regierungsformen sind wieder verschiedener Zusammensetzungen, Einschränkungen, Mässigungen und Ausartungen fähig.

9. Durch diese verschiedenen Regierungsformen ward an dem Wesentlichen der Gesellschaft nichts, sondern nur die Förmlichkeit geändert, mit welcher sich der gemeinschaftliche Wille erklärte; welches nun, nach dem Unerschiede derselben, endweder durch die Mehrsten, oder den Ausschluß, oder den Alleinherrscher geschieht, da es sonst durch die allgemeine Uebereinstimmung geschehen mußte. Gleichwie also die Entschlüsse aller verbindlich für jeden Einzelnen gewesen; also mußten es auch die Entschlüsse derjenigen seyn, die an die Stelle aller getreten sind. Dieser Verbindlichkeit auf der einen Seite, sagt auf der anderen, das Zwangsrecht, die Unwiderstehlichkeit zu; und so ward die Beziehung zwischen dem Gebietenden und Gehorchenden zwischen Unterthan und der obersten Gewalt, näher festgestzt.

10. Vormals wurde durch den Willen aller Bürger der Gebrauch der vereinbarten Kräfte bestimmet. Indem nun die oberste Gewalt den gemeinschaftlichen Willen in sich schließt; so kömmt es ihr gleichfalls zu, zu bestimmen: wie die gemeinschaftlichen Kräfte zum allgemeinen Besten am schicklichsten zu gebrauchen seyn?

11. Der Endzeck um dessen Willen die Menschen in eine Gesellschaft treten, ist dasjenige Beste, welches sie, um es einzeln zu erreichen, weder sittliches, noch physikalisches Vermögen genug besitzen; das an sich betrachtet, zwar das einzelne Beste eines jeden Mitglieds ist; da aber dieses einzelne Beste von allen gleich gesucht wird, und jedes Mitglied, indem es das Beste des andern befördert, eben dadurch auch das Seinige befestiget; so wird es das gemeinschaftliche Beste genennet. Der Endzweck der sich vereinigenden Menschen war also das einzelne Beste, der Endzweck der vereingten ist das allgemeine: das ist die Summe aller einzelnen Besten. In bürgerlichen Gesellschaften[4] war dieses Beste, dieser Endzweck, die Sicherheit, und Bequemlichkeit des Lebens, welche vereinbart die öffentliche Wohlfarth ausmachen.

12. Die Sicherheit ist ein Zustand, worinnen wir nichts zu fürchten haben. Der Zustand, worinnen der Staat nichts zu fürchten hat, heißt die öffentliche; worinnen kein Bürger etwas zu fürchten hat, die Privatsicherheit. Wenn der Staat von äusseren Angriffen nichts zu fürchten hat, so heißt dieser Zustand die äussere, und besorgt er von seinen Bürgern nichts, die öffentliche innere Sicherheit. Wenn weder der Staat von aussen, noch von seinen Bürgern, weder diese irgendher etwas zu befürchten haben; so heißt dieser glückliche Zustand, die allgemeine Sicherheit.

13. Die Bequemlichkeit des Lebens ist die Leichtigkeit, sich durch seinen Fleiß Unterhalt zu verschaffen. Der Fleiß wird seinen Unterhalt desto leichter finden, je vielfältiger die Erwerbungswege sind. Die allgemeine Bequemlichkeit des Lebens wird also von Vervielfältigung der Erwerbungswege abhängen.

14. Die gemeinschaftliche Wohlfarth in ihren verschiedenen Zweigen, kann ohne Aufwand nicht erhalten werden. Die äussere Sicherheit z.B., fodert Vestungen, Kriegsheere, Gesandschaften; die innere Sicherheit, Magistrate, Gericht, u.d.g. Der Regent muß mit Einkünften versehen werden, die zu seiner Würde ein Ebenmaß haben. Dieser Aufwand wird zum Besten aller Bürger gemacht: die Billigkeit fällt daher auf, daß er von allen Bürgern getragen, aber von denselben auch auf solche Art behoben werde, welche dem Endzwecke zusaget.

15. Nach vielfältigen Beobachtungen, und Erfahrungen, konnten die verschiedenen Maßregeln, durch welche die allgemeine Wollfarth erhalten wird, auf zuverlässige Grundsätze zurückgeführt, und in die Gestalt einer Wissenschaft gebracht werden, welche die Staatswissenschaft im ausgedehnsten Verstande ist: die Wissenschaft nämlich, die Wohlfarth eines Staates handzuhaben, die Wissenschaft zu regieren. Wenn gleich noch der Verfasser der Gespräche des Phocion[5] die Frage aufgeworfen hat: Ob es möglich sey, daß mitten unter den mancherley Veränderungen, die der Lage der Angelegenheiten, der Verfassung der Gesellschaften beständig eine andre Gestalt geben, die Kunst zu herrschen, dennoch zuverläßig, bestimmte, unwandelbare Grundsätze habe? So scheint dennoch die Einsicht des Jahrhundertes, und die Menge gründlicher Schriften, die täglich an das Licht treten, diese Untersuchung überflüßig zu machen. Man ist überzeugt, daß das Muthmaßliche und Wandelbare nicht in den Grundsätzen der Wissenschft liegt, sondern in den Umständen und Vorfällen, auf welche die Grundsätze anzuwenden sind. Der blosse Empiriker in der Politik, ist also eben so wenig für einen Staatsmann anzusehen, als der Empiriker in der Heilkunst für einen Arzt.

16. Doch der Empiriker muß auch mit dem Praktiker nicht vermengt werden. Die Routine, das ist, die ungeleitete Uebung, macht politische Charletane; die Theorie, ohne Kenntniß der Umstände, ohne Erfahrung, macht Träumer, Utopisten. Die eigentliche Praxis ist die Fertigkeit, die Grundsätze auf die vorkommenden Fälle anzuwenden. Die Erfahrung muß also auf die Theorie, oder das Kenntniß der Grundsätze bauen und nur die Vereinigung der ersteren mit der letzteren gibt dem Staate den brauchbaren Mann. Bei diesem nun wird der so oft wiederholte Einwurf hinweg fallen; daß man in der Ausübung alles von der Theorie unterschieden finde. Manchmal ist dieß der Fehler der Ausübung, wo sie die Grundsätze, die sie leiten sollen, nicht einsieht; manchmal der Fehler der Theorie, wenn diese nicht auf die wirklichen und möglichen Umstände zurück sieht. Aber eine fehlerhafte Theorie ist keine Theorie, wie ein fehlerhafter Schluß kein Schluß, unächtes Gold kein Gold ist.

17. Vielleicht gab dem Irrthume, daß die politischen Kenntnisse sich auf keine Grundsätze zurückführen lassen, das Mistrauen auf die menschliche Einsicht grossen Theils seinen Ursprung. Der Umfang der Politik schien zu weitläufig, um sich übersehen, die Menge der Gegenstände zu groß, um sich in Zusammenhang bringen zu lassen.[6] Man räumte diesem Mistrauen sowohl in der wissenschaftlichen Behandlung,[7] als in der Ausübung etwas ein, um den Gang der einen und andern zu erleichtern. Denn, als man beobachtete, daß sich der Endzweck der Staaten in vier grosse Hauptgeschäfte gleichsam zergliedere, die zwar untereinander verbudnen sind und sich die Hände bieten müssen, die jedoch bei einem gewissen untergeordneten Endzwecke stehen bleiben, so hat man die Staatswissenschaft ebenfalls in vier Wissenschaften abgesondert. Diese vier untergeordneten Endzwecke sind, die äußere Sicherheit: die innere Sicherheit: die Vervielfältigung der Nahrungswege: und die Behebung der zum Staatsaufwande nöthigen Einkünfte.

18 Die Sammlung derjenigen Grundsätze, nach deren Anleitung die äußere Sicherheit der Staaten handgehabt wird, machet die Staatswissenschaft insbesondere (die sogenannte Staatsklugheit oder Politik) aus, die jedoch hier nicht behandelt wird, da sie zu der Absicht dieses Werkes nicht mitgehöret.

19. Die Grundsätze, die innere Sicherheit zu gründenn und zu erhalten, ehret die Polizeywissenschaft.

20. Die Vervielfältigung der Nahrungswege, durch einen vortheilhaften Umsatz dessen, was das Erdreich und die Aemsigkeit hervorbringen, lehret die Handlungswissenschaft.

21. Die Finanzwissenschaft endlich zeiget, auf welche Weise die Staatseinkünfte auf das vortheilhafteste gehoben werden sollen. Die deutschen Schiftsteller begreifen die Polizey, Handlung und Finanz auch unter dem Wort Staatswirthschaft, oder nennen sie die ökonomischen Wissenschaften. Den beiden letzteren legen sie auch insbesondere den Namen Kameralwissenschaften bey, von den Kammern der Regenten, bey denen die dahin einschlagenden Geschäffte gewöhnlicherweise verwaltet werden.

22. Die Naturlehre mit allen ihren Theilen, die mathematischen Wissenschaften, die Erdbeschreibung, die Geschichte, die Rechte, die Sprachen, sind theils als eine unentbehrliche Vorbereitung, theils als erleichternde Hülfsmittel zur Theorie der Polizey, Handlung und Finanzwissenschaft anzusehen. Aber der Mann im Geschäfte, bey der wirklichen Ausübung, muß die Sitten, Gewohnheiten und Gesetze der Völker, die wechselseitigen Vortheile und Nachttheile der Länder, die politischen Verhältnisse der Staaten, und, will er mit Nutzen bey der Gesetzgebung mitstimmen, vorzüglich den Menschen kennen.

Quelle: Joseph von Sonnenfels, Grundsätze der Polizey, Handlung, und Finanz. Zu dem Leitfaden des politischen Studiums. Wien: Kurzbek, 1786–87, S. 3–22.

Online verfügbar unter: https://digitale.bibliothek.uni-halle.de/id/9666548

Anmerkungen

[1] Der Begriff eines einzelnen Menschen ist vielleicht eine blosse Schriftstellerabstraction. Der Mensch ist immer in Gesellschaft: und, wie Ferguson in seinen Essays on the history of civil society, scharfsinnig anmerket: ein Wilder, den man irgenwo in einem Walde gefangen, beweist nicht mehr, daß die Menschen von Natur einzeln leben, als ein im Walde verirrtes Schaaf beweisen würde, daß die Schaafe nicht zusammen heerden.
[2] Wenn eine Gesellschaft Waaren zu Schiffe bringt, um sie nach einem gewissen Haafen zu übersetzen, so ist der gemeinschaftliche Endzweck, die Ueberbringung aller Waaren. Ein Gewitter überfällt die Reisenden: das einzige Mittel, das Schiff vor dem gänzlichen Untergange zu borgen, ist, daß die schwersten Waaren über Bord geworfen werden. Aber der Eigenthümer dieser Waare, der nur auf seinen einzelnen Nutzen sieht, widersetzt sich diesem Entschluss; er dringt durch; das Schiff wird nicht erleichtert. Wegen Unterlassung dieses Rettungsmittels geht nun das ganze Schiff zu Grunde. Hat die augenblickliche Erhaltung der beschwerenden Waare ihrem Eigenthümer wahrhaft Vortheil gebracht: da das ganze Schiff zu Grunde gieng, giengen nicht seine Waaren zu gleich verloren?
[3] Der Pöbel in Demokratien ist immer kühn, weil er nichts zu verlieren hat, immer bereit, es auf das Aeusserste ankommen zu lassen, und alles zu wagen, weil dieses alles nichts ist.
[4] Vergebens sucht man den Anfang der bürgerlichen Zusammentretungen in andern Beweggründen, in der Uebermacht gewaltsamer Menschen, welche sich ihres gleichen unterworfen haben. Gefürchtete Gewalt wird eher zerstreuen, als versammlen. Keine Gewalt läßt sich ohne eine Menge begreifen, und diese Menge selbst ist bereits eine Gesellschaft, die, wenn sie gegen Fremde Gewaltthaten ausübte, solche Gewaltthaten als ein Mittel ansah, ihre eigene Sicherheit und Bequemlichkeit festzusetzen. Selbst aber die Unterwürfigkeit gegen einen Eroberer, was für einen Beweggrund hat sie? Eine Wohlfahrt, die man sonst zu erhalten nicht fähig ist, durch diese Unterwürfigkeit zu behaupten. „Die Vergrösserung, sagt Montesquieu, war der Gegenstand Roms, der Krieg der Gegenstand von Sparta, die Handlung der Gegenstand von Marseille, die Schiffahrt der Gegenstand von Rhodus, u.s.w. …“ Gewiß nicht; aber Rom sah die Vergrösserung, Sparta den Krieg, wie heute ein nachbarlicher Staat, Marseille, wie Holland die Handlung, Rhodus, wie England die Schiffahrt als ein Mittel an, ihre Wohlfahrt zu behaupten.
[5] Mably
[6] Resipsa (schrieb Naude bibliogra. poli. §6 de decano. script) minus arte valet vigetque, quam experientia et usu, achominum legibus, moribus et institutia: et circumstantiis rerum, temporum & actionum particularibus, quas in artem & methodum vix possibile sit reducere.
[7] Daher mag es kommen, daß so zahlreich die Schriftsteller über einzelne Theile der Staatswissenschaft sind; so gering hingegen ist das Verzeichniß derjenigen, welche das Ganze zu bearbeiten über sich genommen haben; wen man gleich zu Justis Staatswirthschaft, und Bielefeld Institutions politiques, allenfalls auch St. Reals Staatskunst, und Stewarts Staatswirthschaft, nebst einigen sogenanten Grundrissen und Lehrbegriffen der Polizey- und Kameralwissenschaften, mit unter die vollständigen Systeme zählte, und den aristotelischen, auch der hanovischen Ausgabe der wolfischen politischen Bücher die Ehre erzeigen wollte, sie als Lehrgebäude der Staatswissenschaft durchkommen zu lasse.