Kurzbeschreibung

Bernhard von Bülow (1849–1929) war ursprünglich Berufsdiplomat, stieg 1897 jedoch in die Politik ein und stieg schnell zum höchsten Amt auf, als er 1900 von Wilhelm II. zum Reichskanzler ernannt wurde, eine Position, die er bis zu seinem erzwungenen Rücktritt 1909 innehatte. Seine Amtszeit wird vor allem mit einer imperialistischen Außenpolitik nach 1900 in Verbindung gebracht, die darauf abzielte, Deutschland „einen Platz an der Sonne” unter den europäischen Kolonialmächten zu sichern. In dieser Aufnahme vom Februar 1918 liest Bülow allerdings einen kurzen Auszug aus einer innenpolitischen Rede, die er als Reichskanzler am 30. November 1907 im Reichstag gehalten hatte. Die Aufnahme wurde für die Sammlung der Preußischen Staatsbibliothek angefertigt, die 1917 damit begann, die Stimmen führender deutscher Politiker und anderer prominenter Persönlichkeiten aufzuzeichnen. In der sentimentalen Anekdote, die er hier erzählt, erinnert er an Bismarcks Politik, sowohl mit Konservativen als auch mit Liberalen zusammenzuarbeiten, um seine Ziele zu erreichen. Seine Anspielung auf den Dichter Ludwig Uhland (Mitglied des Frankfurter Parlaments von 1848) unter der Ägide Bismarcks scheint darauf abzuzielen, deutsche parlamentarische und autoritäre Traditionen miteinander zu verbinden.
Der Auszug stammt aus einer Rede, in der Bülow auf die Kritik am sogenannten „Bülow-Block” einging, einem Wahlbündnis aus Konservativen, Nationalliberalen und Linksliberalen, das Bülow bei den ersten Reichstagswahlen im Januar 1907 die Mehrheit gesichert hatte. Der Block, dessen gemeinsames Ziel es war, die oppositionelle Zentrumspartei und vor allem die SPD in Schach zu halten, unterstützte die Regierungspolitik bis 1909, als er an der Frage einer reichsweiten Finanzreform zerbrach. Diese politische Spaltung besiegelte auch das Ende von Bülows politischer Karriere; er trat im selben Jahr zurück und wurde durch Theobald von Bethmann Hollweg als Reichskanzler ersetzt.

Bernhard von Bülow über Konservatismus und Liberalismus in der deutschen Politik (30. November 1907)

Quelle

Vor einem Jahrzehnt, am 30. November 1907, sagte ich im Deutschen Reichstag am Schluss einer Rede über die innerpolitische Lage:

Als ich im Sterbezimmer des Fürsten Bismarck stand, diesem einfachen und schmucklosen Zimmer im Sachsenwald, fiel mein Blick auf ein Bild, das an der Wand hing. Es war ein Holzschnitt, es war das Bild von Ludwig Uhland. Der Sänger des guten alten Rechts, der Mann, der in der Frankfurter Paulskirche gesagt hatte: es wird kein Haupt über Deutschland leuchten, das nicht mit einem reichlichen Tropfen demokratischen Öls gesalbt ist, - schaute hinüber nach dem Lager, wo der große Mann der Tat verschieden war, der dem deutschen Volke den Traum der Jahrhunderte erfüllt hatte. Die ganze deutsche Geschichte sprach aus diesem Gegenüber, denn nur die Verbindung von altpreußisch-konservativer Tatkraft und Zucht mit deutschem, weitherzigen und liberalen Geiste kann die Zukunft der Nation zu einer glücklichen gestalten.

Quelle: Bernhard von Bülow, Reichstagsrede, 30. November 1907. Aufnahmedatum: 4. Februar 1918. Stiftung Deutsches Rundfunkarchiv

DRA