Quelle
I. Hürden auf dem Wege zur Postvollmacht (1904)
Vor einiger Zeit wollte mir eine Ehefrau, deren Mann im Auslande weilt, eine Postvollmacht erteilen.
Als ich dieselbe dem zuständigen Postamt einreichte, teilte mir dieses mit, daß die Ober-Postdirektion verlangte, daß die fragliche, mir zu erteilende Vollmacht auch von dem Ehemann mitunterschrieben wäre.
Ich wandte mich darauf, um den Tatbestand festzustellen, an die Kaiserliche Ober-Postdirektion direkt um Auskunft unter Hinweis darauf, daß die Sache von prinzipieller Bedeutung sei und daß ich als Rechtskundiger nicht wisse, auf Grund welcher gesetzlichen Bestimmung ein derartiges Verlangen gestellt werde.
Ich erhielt von der Kaiserl. Ober-Postdirektion unter dem 12. März 1904 die Antwort: „Daß bei den von Ehefrauen ausgestellten Vollmachten von den Postanstalten die Mitunterschrift der Ehemänner verlangt wird, beruht auf einer dienstlichen Vorschrift, die vom Reichs-Postamt erlassen worden ist.“ Sonstige Gründe hat mir die Kaiserl. Ober-Postdirektion nicht angegeben.
Ich halte diese Vorschrift für gesetzwidrig, indem ich darauf hinweise, daß die Post verpflichtet ist, sämtliche Sendungen, welche ihr unter der Adresse einer Ehefrau übergeben werden, der Adressatin auszuliefern, ohne etwa bei der Auslieferung die Quittung des Ehemanns verlangen zu dürfen, und tatsächlich handelt ja die Post auch so.
Wenn ein Adressat berechtigt ist, die Auslieferung einer Sendung an sich zu verlangen, so muß er doch auch folgerichtig berechtigt sein, einen Dritten zu bestellen, der für ihn die Sendungen entgegennehmen darf.
Ich meine, daß diese einfache Überlegung allein schon ausreicht, um die Unhaltbarkeit des Standpunktes des Reichs-Postamts klarzulegen.
Dazu kommt aber, daß an sich zweifellos eine Ehefrau berechtigt ist, Vollmachten zu erteilen, ohne Genehmigung ihres Mannes. Diese Vollmacht würde nur dann nicht für den Bevollmächtigten ausreichen, wenn es sich um Rechtsgeschäfte handelt, die das eingebrachte Vermögen der Frau angehen, wo also das gesetzlich zu präsumierende Verwaltungs- und Nießbrauchsrecht des Mannes in Frage steht. Die Verfügung des Reichs-Postamts klingt so, als ob sie aus einer Zeit stamme, bei der man annahm, daß die Frau keine rechtsfähige Person sei, sondern unter der Vormundschaft des Ehemanns stehe.
Quelle: Ernst Goldmann, „Zuschrift eines ‘bekannten, für die Frauensache sehr interessierten Berliner Rechtsanwalts‘“, in Die Frau. Monatsschrift für das gesamte Frauenleben unserer Zeit, 11 (1904), S. 500.
II. Um das Züchtigungsrecht des Ehemannes (1904)
In weiten Kreisen, selbst in den Kreisen der Gebildeten ist die Meinung verbreitet, daß dem Ehemann auch heute noch das Recht zustehe, die Frau in den Grenzen der Mäßigung zu züchtigen. Dem Verfasser ist diese Meinung an verschiedenen Orten und von Personen verschiedener Volkskreise entgegengebracht worden. Vor einiger Zeit wandte sich eine Lehrerin an die Redaktion dieser Zeitschrift und bat um Ratschläge, wie einer von ihrem Manne unaufhörlich mißhandelten Arbeiterfrau zu helfen sei; auch sie war der Ansicht, daß es dem Ehemann gesetzlich gestattet sei, seine Frau zu schlagen. Man muß aus solchen Erfahrungen schließen, daß der Glaube an das Züchtigungsrecht des Mannes noch sehr viele Anhänger hat und daß eine Menge von Frauen sich schweigend eine Behandlung gefallen lässt, die keine Rechtfertigung in den Gesetzen findet. Deshalb ist es nicht überflüssig und wird hoffentlich zur Aufklärung in weiten Kreisen beitragen, wenn wir hier einmal die Tatsache feststellen, daß nach dem heute in ganz Deutschland geltenden Rechte der Ehemann nicht befugt ist, seine Frau zu schlagen oder sonstige Zuchtmittel gegen sie anzuwenden, auch nicht in den Grenzen der Mäßigung. Unser Bürgerliches Gesetzbuch enthält keinen Satz, aus dem ein Züchtigungsrecht des Mannes herzuleiten wäre. Aus den §§ 1352 folg. ist vielmehr zu entnehmen, daß die deutsche Ehefrau als ebenbürtige, prinzipiell gleichberechtigte Persönlichkeit neben dem Mann steht. Dem Manne ist zwar in den das gemeinschaftliche Leben betreffenden Angelegenheiten das Recht der Entscheidung eingeräumt, und in diesen Grenzen muß sich die Frau dem Willen des Mannes fügen. Aber sie ist nicht verpflichtet, der Entscheidung des Mannes Folge zu leisten, wenn sie sich als ein Mißbrauch seines Rechts darstellt, und keinesfalls darf der Mann einen körperlichen Zwang anwenden, um seinen Willen durchzusetzen. Von Zuchtmitteln, wie sie den Eltern gegenüber dem Kinde zustehen, kann bei den Ehegatten schon deshalb nicht die Rede sein, weil der Ehemann nicht der Erzieher der Ehefrau ist. Auch dann also, wenn sich die Frau den Wünschen und Anordnungen des Mannes widersetzt, wenn sie ein unordentliches Leben führt oder in anderer Weise ihre Ehepflichten verletzt, hat der Mann nicht das Recht sie zu schlagen. Jede Tätlichkeit des Mannes gegen die Frau ist eine Rechtsverletzung; der Körper und die Ehre der Ehefrau stehen geradeso unter dem Schutz der Gesetze wie die Körper und die Ehre aller anderen Menschen. Deshalb kann die Frau, welche von ihrem Manne geschlagen worden ist, seine Bestrafung wegen vorsätzlicher Körperverletzung oder tätlicher Beleidigung fordern. Solche Strafanträge werden leider nur sehr selten gestellt und auch dann nur in Fällen, wo schon fortgesetzte und geradezu unerträgliche Mißhandlungen stattgefunden haben: die Frau muß ja die Rache des Mannes fürchten, wenn er auf ihre Anzeige hin bestraft worden ist. Fänden solche Bestrafungen häufiger statt, so würde sich das Los vieler Frauen besonders in den unteren Volksschichten bedeutend bessern. Vielleicht wird aber schon die Aufklärung darüber, daß der Mann kein Recht hat die Frau zu schlagen und daß er sich strafbar macht, wenn er es dennoch tut, zu einer Verminderung der in Stadt und Land leider noch so häufigen Misshandlungen führen. Darum möge es jeder als seine Pflicht betrachten, die Fabel von dem Züchtigungsrechte des Ehemanns recht gründlich zu zerstören!
Quelle: Ernst Goldmann, „Das Züchtigungsrecht des Ehemannes“, in Die Frau: Monatsschrift für das gesamte Frauenleben unserer Zeit, 11 (1904), S. 461–62.; beide Texte abgedruckt in Jens Flemming, Klaus Saul und Peter-Christian Witt, Hrsg. Quellen zur Alltagsgeschichte der Deutschen 1871–1914. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1997, S. 105–07.