Quelle
Tel. Nr. 85
Wien, den 10. Juli 1914
Ganz geheim!
da S. M. pro Memoria etwa 14 Tage alt ist, so dauert das sehr lang! Das ist doch eigentlich zur Begründung des Entschlusses selbst entworfen! aber sehr! und unzweideutig! dazu haben sie Zeit genug gehabt der! Hartwig ist todt! den Sandschack räumen! dann ist der Krakehl sofort da! den muss Österreich unbedingt sofort wiederhaben, um die Einigung Serbiens und Montenegros und das Erreichen des Meeres seitens der Serben zu hindern! Mördern gegenüber nach dem, was vorgefallen ist! Blödsinn! kindisch! | Über seinen gestrigen Vortrag bei Sr. M. dem Kaiser Franz Joseph in Ischl teilt mir Graf Berchtold nachstehendes mit: S. M. der Kaiser habe mit grosser Ruhe die Sachlage besprochen. Zunächst habe er seinem lebhaften Dank Ausdruck gegeben für die Stellungnahme unseres Allergnädigsten Herrn und der kaiserlichen Regierung und geäussert, er sei ganz unserer Ansicht, dass man jetzt zu einem Entschluss kommen müsse, um den unleidlichen Zuständen Serbien gegenüber ein Ende zu machen. Über die Tragweite eines solchen Entschlusses, fügte Graf Berchtold hinzu, sei sich S. M. völlig klar. Der Minister hat hierauf dem Kaiser Kenntnis gegeben von den zwei Modalitäten, die in bezug auf das nächste Vorgehen gegen Serbien hier in Frage stünden. S. M. hätten gemeint, es liesse sich vielleicht dieser Gegensatz überbrücken. Im ganzen hätten aber S. M. eher der Ansicht zugeneigt, dass konkrete Forderungen an Serbien zu stellen sein würden. Er, der Minister, wolle auch die Vorteile eines solchen Vorgehens nicht verkennen. Es würde damit das Odium einer Überrumpelung Serbiens, das auf die Monarchie fallen würde, vermieden und Serbien ins Unrecht gesetzt werden. Auch würde dieses Vorgehen sowohl Rumänien als auch England eine wenigstens neutrale Haltung wesentlich erleichtern. Die Formulierung geeigneter Forderungen gegenüber Serbien bildet gegenwärtig hier die Hauptsorge, und Graf Berchtold sagte, er würde gern wissen, wie man in Berlin darüber denke. Er meinte, man könne u. a. verlangen, dass in Belgrad ein Organ der österreichisch-ungarischen Regierung eingesetzt werde, um von dort aus die grosserbischen Umtriebe zu überwachen, eventuell auch die Auflösung von Vereinen und Entlassung einiger kompromittierter Offiziere. Die Frist zur Beantwortung müsse möglichst kurz bemessen werden, wohl 48 Stunden. Freilich würde auch diese kurze Frist genügen, um sich von Belgrad aus in Petersburg Weisungen zu holen. Sollten die Serben alle gestellten Forderungen annehmen, so wäre das eine Lösung, die ihm „sehr unsympathisch“ wäre, und er sinne noch darüber nach, welche Forderungen man stellen könne, die Serbien eine Annahme völlig unmöglich machen würden. Der Minister klagte schliesslich wieder über die Haltung des Grafen Tisza, die ihm ein energisches Vorgehen gegen Serbien erschwere. Graf Tisza behaupte, man müsse „gentleman like“ vorgehen, das sei aber, wenn es sich um so wichtige Staatsinteressen handele und besonders einem Gegner wie Serbien gegenüber schwerlich angebracht. Der Anregung der Kaiserlichen Regierung, schon jetzt die öffentliche Meinung in England im Wege der Presse gegen Serbien zu stimmen – worüber Graf Szögyény telegraphiert hat – wird der Minister gern folgen. Nur müsse dies, seiner Meinung nach, noch vorsichtig gemacht werden, um Serbien nicht vorzeitig zu alarmieren. Der Kriegsminister wird morgen auf Urlaub gehen, auch Freiherr Conrad von Hötzendorf Wien zeitweilig verlassen. Es geschieht dies, wie Graf Berchtold mir sagte, absichtlich, um jeder Beunruhigung vorzubeugen. ungefähr wie zur Zeit der Schlesischen Kriege! „Ich bin gegen die Kriegsräthe und Berathungen, sintemalen die timidere Parthey allemal die Oberhand hat.“ Frd. d. Gr. |
Quelle: Heinrich von Tschirschky und Bögendorff (Wien) an Gottlieb von Jagow (10. Juli 1914), in Walther Schücking und Max Montgelas, Hrsg., Die Deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch. Bände, Berlin, 1922, Bd. 5, S. 29.; abgedruckt mit Wilhelms Randnotizen in Imanuel Geiss, Julikrise und Kriegsausbruch 1914. 2 Bände. Hannover, 1963–64, Bd. 1, S. 144–45.