Quelle
I.
Unter Hinweis auf das vom Reichskanzler erlassene „Verbot von Veröffentlichungen über Truppenbewegungen und Verteidigungsmittel“ wendet sich die Kriegsleitung in diesen ernsten Zeiten an die Presse als an das Organ, dessen Worte weit über die Grenzen des Reiches hinausgetragen werden.
Die Geschichte der letzten Kriege ist reich an Beispielen, wie leicht durch unvorsichtige Nachrichten dem Gegner der Aufmarsch der eigenen Streitkräfte verraten werden, und damit dem Verlauf des Krieges eine für das Vaterland verderbliche Wendung gegeben werden kann. Auch deutsche Zeitungen haben unbewußt in unseren letzten großen Kämpfen dem Gegner manchen wichtigen Aufschluß gegeben.
In neuester Zeit ist mit der Vervollkommung der Nachrichtenübermittelung die Gefahr, dem Vaterlande durch Veröffentlichungen zu schaden, gewachsen.
Mehr als je werden wir zur Zeit von unseren politischen Widersachern überwacht, jede unvorsichtige Veröffentlichung wird ihnen auf tausend Wegen mit Blitzeseile zugetragen. Selbst harmlos scheinende Mitteilungen genügen oft, um dem Gegner ein zutreffendes Bild unserer militärischen Lage zu geben. Wollen wir uns günstige Aussichten für einen Krieg sichern, so müssen unsere militärischen Maßnahmen vor dem Gegner und auch vor dem eigenen Lande geheim gehalten werden.
Sicher werden Ungewißheit und Zweifel gerade jetzt doppelt schwer empfunden werden, aber das Wohl des Vaterlandes fordert das Opfer strenger Verschwiegenheit in allen Fragen, die zum deutschen Heere und zur deutschen Flotte oder zu der Streitmacht von Verbündeten in irgend welcher Beziehung stehen. Auch Veröffentlichungen über militärische Vorgänge in allen anderen Staaten müssen bis zur Klärung der politischen Verhältnisse unterbleiben, da wir nicht wissen, welche Stellung diese Staaten zu uns einnehmen werden. Sobald diese Klärung erfolgt, wird die Presse unterrichtet werden.
Ist sich die Presse ihrer schweren Verantwortung und der Tragweite ihrer Mitteilungen bewußt, so wird sie sich nicht wider ihren Willen zum Bundesgenossen unserer Gegner machen. Sie wird der Kriegsleitung Dank wissen, wenn sie von ihr erfährt, welche Veröffentlichungen dem Vaterlande schaden können. Durch selbstlosen Verzicht auf alle Mitteilungen militärischer Art wird sie es den Militär- und Marinebehörden ersparen, gesetzliche Maßregeln gegen sie zu ergreifen, deren schärfste Anwendung bei Verstößen gegen das Veröffentlichungsverbot das Staatswohl gebieterisch fordert.
Die Kriegsleitung wird ihrerseits nach Kräften bemüht sein, das berechtigte Verlangen des Volkes nach Nachrichten zu befriedigen. Können diese Nachrichten zunächst auch nur dürftig sein, so wird es dem patriotischen Bestreben der Presse am besten gelingen, das Volk über die Gründe und die Notwendigkeit der Geheimhaltung aufzuklären und zur Geduld zu mahnen.
Durch die Presse-Abteilung des Großen Generalstabes und durch den Admiralstab der Marine werden Nachrichten — so zahlreich wie möglich — an die Generalkommandos und an die Marinestationskommandos zur Weitergabe an die Redaktionen ihres Dienstbereichs ausgegeben werden. Es wird dies für alle Redaktionen der sichere und schnellere Weg bleiben, um in den Besitz von Nachrichten zu kommen, als der durch die Entsendung eigener Berichterstatter, die nur in sehr beschränkter Zahl und mit begrenzter Bewegungsmöglichkeit zum Kriegsschauplatz zugelassen werden können.
Alle Anfragen von Seiten der Presse sind an die örtlichen Generalkommandos — nach deren Ausrücken an die stellvertretenden Generalkommandos —, an die Marinestationskommandos, in Berlin an die Presse-Abteilung des Großen Generalstabes, Berlin N.W. 40 — und an den Admiralstab der Marine, Berlin W 10, Königin-Augustastraße 38/42, zu richten.
II.
Es ist unmöglich, alles im voraus zu bezeichnen, was für den Fall eines Krieges im Interesse des Vaterlandes verschwiegen werden muß. Der Umsicht und dem Takt der Vertreter der Presse wird es gelingen, sich aus den folgenden Angaben ein Urteil zu bilden, über welche Dinge bis auf weiteres Schweigen geboten ist. […]
Vorstehendes bezieht sich auch auf die verbündeten Armeen und Flotten. Veröffentlichungen über sie in vorstehendem Sinne bleiben also auch nach etwaigem Kriegsausbruche verboten. Welche Mächte als „verbündet“ anzusehen sind, wird mitgeteilt werden.
Auch das, was die Redaktionen nach Ausbruch des Krieges von den uns feindlichen Armeen und Flotten durch ihre Auslandsberichterstatter erfahren sollten, darf erst dann veröffentlicht werden, wenn die Militärbehörden entsprechende Veröffentlichungen bringen, da sonst dem Feinde Rückschlüsse auf unsere militärischen Gegenmaßregeln erleichtert werden. Um aber alle Nachrichten aus Feindesland rechtzeitig verwerten zu können, werden sich die Redaktionen, die in den Besitz solcher Meldungen gelangen, ein großes Verdienst um das Vaterland erwerben, wenn sie diese Meldungen unter Angabe der Quelle so schnell wie nur möglich weitertelegraphieren und zwar die Meldungen über Heeresangelegenheiten an den Großen Generalstab in Berlin, über Marineangelegenheiten an den Admiralstab der Marine in Berlin. Hierdurch entstehende Unkosten werden durch die Heeresverwaltung und durch die Marineverwaltung getragen.
Es ist erwünscht, daß alle Angaben unter II dieses Merkblatts nicht veröffentlicht werden.
Soweit möglich, haben alle Redaktionen des Reiches ein Exemplar dieses Merkblatts erhalten.
Die Veröffentlichung einer verbotenen militärischen Nachricht in einer anderen Zeitung enthebt die übrigen Redaktionen nicht von der durch das Veröffentlichungsverbot des Reichskanzlers erlassenen Schweigepflicht.
Quelle: Auszüge aus dem Merkblatt der Militärbehörden für die Presse betr. die Behandlung militärischer Nachrichten, 1.8.1914, Bundesarchiv/Militärarchiv Freiburg i. Br., MA/Adm, Nr. 2413, P 18, Beiheft, vervielfältigtes Exemplar.; abgedruckt in Wilhelm Deist, Militär und Innenpolitik im Weltkrieg 1914–1918. 2 Bände, Düsseldorf: Droste, 1970, Band 1, S. 63–65.