Kurzbeschreibung

Der deutsche Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 markierte den Beginn einer neuen Phase des Krieges. In der festen Absicht, die geopolitischen und ideologischen Ziele der Nationalsozialisten umzusetzen – was die Eroberung von zusätzlichem Lebensraum für das deutsche Volk sowie einen Vernichtungsfeldzug gegen die Juden einschloss – folgten Heydrichs sogenannte Einsatzgruppen sowie zahlreiche Bataillone der Ordnungspolizei der Wehrmacht auf ihrem Vormarsch. Ihre angebliche Aufgabe bestand in der Sicherung der eroberten Gebiete und dem Töten gefährlicher politischer Feinde. Tatsächlich wurden diese Spezialtruppen jedoch zu Massenerschießungen von Juden eingesetzt. Bis zum Ende des Jahres 1941 wurden in einer Welle von Massakern ähnlich dem unten beschriebenen über 700.000 jüdische Zivilisten planmäßig ermordet.

Das folgende Dokument ist die Abschrift eines heimlich aufgezeichneten Gesprächs zwischen deutschen Kriegsgefangenen in dem Combined Services Detailed Interrogation Centre (C.S.D.I.C.) Trent Park, einem britischen Internierungslager für deutsche Stabsoffiziere. Das britische Militär hoffte, durch das Abhören der Kriegsgefangenen militärische Geheimnisse zu erfahren. Der Schwerpunkt des hier wiedergegebenen Gesprächs waren jedoch Ereignisse, die sich im Dezember 1941 in Lettland zugetragen hatten. Die Abschrift beinhaltet eine von Generalmajor Walter Bruns gegebene Beschreibung der Massenexekutionen jüdischer Zivilisten bei Riga durch die Nazi-Besatzungsmacht. Bruns sagte 1948 im OKW-Prozess auch als Zeuge dieser Verbrechen aus.

Generalmajor Walter Bruns’ Beschreibung der Massenerschießungen von Juden vor Riga am 1. Dezember 1941 (25. April 1945)

  • Walter Bruns

Quelle

Top Secret

C.S.D.I.C. (U.K.)

G.G. Report

S.R.G.G. 1158 (C)

The following conversation took place between:

CS/1952—Generalmajor BRUNS (Heeres-Waffenmeisterschule I, BERLIN), Capt’d Göttingen (8 Apr 45) and other Senior Officer PW[s] whose voices could not be identified.

Information received: 25 Apr. ’45

GERMAN TEXT:

BRUNS: Als ich davon hörte, dass am Freitag die Juden erschossen werden sollten, ging ich zu dem 21-jährigen Bürschchen und sagte, dass sie sich in meinem Dienstbereich sehr nutzbar gemacht hatten, ausserdem: der Heereskraftfahrpark hatte 1500, dann hatte die Heeresgruppe etwa 800 Frauen eingesetzt, um Wäsche zu nähen von den Beständen, die wir in RIGA gefunden hatten, dann nähten in der Nähe von RIGA etwa 1200 Frauen aus mehreren Millionen gefundener Schaffelle das, was uns dringend fehlte: Ohrenschützer, Pelzkappen, Pelzwesten usw. Es war doch nichts vorgesehen, weil ja doch der Krieg in RUSSLAND schon siegreich beendet war bekanntlich im Oktober 1941. Kurz und gut, alles Frauen, die nutzbar eingesetzt waren. Habe ich versucht, die zu retten. Habe zu diesem Bürschchen da, ALTENMEYER(?), den Namen vergesse ich nicht, der kommt auch auf die Verbrecherliste, sage ich: „Hören Sie mal, das sind doch wertvolle Arbeitskräfte für uns!“ „Wollen Herr Oberst die Juden als wertvolle Menschen bezeichnen?“ Ich sage: „Hören Sie mal, Sie müssen zuhören, was ich sage, ich habe gesagt wertvolle Arbeitskräfte. Über ihren Menschenwert habe ich ja gar nicht gesprochen.“ Sagt er: „Ja, die müssen erschossen werden, ist FÜHRER-Befehl!“ Ich sage: „FÜHRER-Befehl?“ „Jawohl“, und da zeigt er mir das. SKIOTAWA(?) war es, 8 km von RIGA, zwischen SCHAULEN und MITAU sind ja auch die 5000 Berliner Juden – plötzlich aus dem Zug raus-erschossen worden. Das habe ich zwar nicht gesehen, aber das bei SKIOTAWA(?) – also kurz und gut, es gab dann mit dem Kerl da noch eine Auseinandersetzung, ich habe dann telephoniert mit dem General im Hauptquartier, mit JAKOBS und mit ABERGER(?) und mit einem Dr. SCHULTZ, der da war beim General der Pioniere, wegen dieser Arbeitskräfte; ich sagte ihm noch: „Ich will mich Ihrer Auffassung anschliessen, dass das Volk an den Völkern der Erde gesündigt hat, dann lasst sie doch nutzbare Fronarbeit leisten, stellt sie an die Strassen, lasst die Strassen streuen, dass uns die Lastkraftwagen nicht in die Gräben schlittern.“ „Ja, die Verpflegung!“ Ich sage: „Das bisschen Fressen, was die kriegen, ich will mal 2 Millionen Juden annehmen – 125 Gramm Brot kriegten sie per Tag – wenn wir das nicht mehr aufbringen, dann wollen wir lieber heute als morgen Schluss machen.“ Dann habe ich telephoniert usw. und denke doch nicht, dass das so schnell geht. Jedenfalls, Sonntag morgens höre ich, dass sie es schon machen. Das Ghetto ist ausgeräumt worden, da ist ihnen gesagt worden: „Ihr werdet umgelagert, nehmt die wichtigsten Sachen noch mit.“ Im übrigen war das eine Erlösung für die, denn wie sie im Ghetto behandelt wurden, das war ein Martyrium. Ich wollte es nicht glauben, da bin ich rausgefahren und habe mir den Laden angeguckt. ? [unbekannt]: Das Ausland hat das doch alles gewusst, nur wir Deutsche haben es nicht gewusst.BRUNS: Ich will Ihnen etwas sagen: es mag das eine oder andere gestimmt haben, es ist aber auffallend, dass das Exekutionskommando, was an dem Morgen da erschoss, also an jeder Grube sechs Maschinenpistolenschützen – die Gruben waren 24 m lang und ungefähr 3 m breit, mussten sich hinlegen wie die Sardinen in einer Büchse, Köpfe nach der Mitte. Oben sechs Maschinenpistolenschützen, die dann den Genickschuss beibrachten. Wie ich kam, war sie schon so voll, da mussten die Lebenden also dann sich drauflegen und dann kriegten sie den Schuss; damit nicht so viel Platz verloren ging, mussten sie sich schön schichten. Vorher wurden sie aber ausgeplündert an der einen Station – hier war der Waldrand, hier drin waren die drei Gruben an dem Sonntag und hier war noch eine 1½ km lange Schlange und die rückte schrittchenweise – es war ein Anstehen auf den Tod. Wenn sie hier nun näher kamen, dann sahen sie, was drin vor sich ging. Ungefähr hier unten mussten sie ihre Schmucksachen und ihre Koffer abgeben. Das Gute kam in den Koffer und das andere auf einen Haufen. Das war zur Bekleidung von unserem notleidenden Volk – und dann, ein Stückchen weiter, mussten sie sich ausziehen und 500 m vor dem Wald vollkommen ausziehen, durften nur Hemd oder Schlüpfer anbehalten. Das waren alles nur Frauen und kleine Kinder, so 2-jährige. Dann diese zynischen Bemerkungen! Wenn ich noch gesehen hätte, dass diese Maschinen-pistolenschützen, die wegen Überanstrengung alle Stunden abgelöst wurden, es widerwillig gemacht hätten! Nein, dreckige Bemerkungen: „Da kommt ja so eine jüdische Schönheit“. Das sehe ich noch vor meinem geistigen Auge. Ein hübsches Frauenzimmer in so einem feuerroten Hemd. Und von wegen Rassenreinheit: in RIGA haben sie sie zuerst rumgevögelt und dann totgeschossen, dass sie nicht mehr reden konnten. Dann habe ich zwei Offiziere rausgeschickt, von denen einer jetzt noch lebt, weil ich Zeugen haben wollte. Ich habe ihnen nicht gesagt, was los ist; „Gehen Sie zum Wald von SKIOTAWA(?) raus, gucken Sie sich an, was da los ist, und machen sie einen Bericht darüber.“ Dann habe ich zu dem Bericht noch ein Amtsschreiben dazugemacht, und habe ihn persönlich zu JAKOBS hingebracht. Der sagte: „Hier liegen schon zwei Beschwerden von Pionierbataillonen aus der UKRAINE vor.“ Da hatten sie sie am Rande von den grossen Erdspalten totgeschossen und reinfallen lassen und dann hat es beinahe Pest gegeben, also jedenfalls pestilenzartige Düfte. Sie hatten sich eingebildet, sie könnten mit der Kreishacke die Ränder dann abpickeln und dann würden die begraben sein. Dieser Löss war so hart, dass zwei Pionierbataillone nachher die Ränder absprengen mussten, da hatten sich die Bataillone darüber beschwert. Das lag auch bei JAKOBS. Er sagte: „Wir wussten nicht recht, wie wir es dem FÜHRER zu Gehör bringen sollten. Machen wir auf dem Wege über CANARIS.“ Der hatte diese scheussliche Aufgabe, immer so die günstige Minute abzupassen und dem FÜHRER so leise Andeutungen zu machen. Vierzehn Tage später war ich mit einer anderen Angelegenheit bei dem Oberbürgermeister oder wie damals die besondere Funktionsbezeichnung war, da zeigte mir der ALTENMEYER(?) triumphierend: „Hier ist eine Verfügung gekommen, dass derartige Massenerschiessungen in Zukunft nicht mehr stattfinden dürften. Das soll vorsichtiger gemacht werden.“ Ich weiss aber jetzt aus meinen letzten Warnungen, dass ich seit der Zeit noch verschärft bespitzelt wurde.[unbekannt]: Allerhand, dass Sie überhaupt noch leben.BRUNS : Ich habe in GÖTTINGEN jeden Tag auf meine Verhaftung gewartet.

Quelle: Beschreibung des Generalmajors Walter Bruns der Massenerschießungen von Juden vor Riga am 1. Dezember 1941 aus einer heimlich aufgezeichneten Unterhaltung (25. April 1945). National Archives (UK), WO 208/4169, Report SRGG 1158.

Freiwillige Meldung zur „Sonderaktion”: Der Polizeisekretär und Verwaltungsbeamte Walter Mattner (1941-42), veröffentlicht in German History Intersections, https://germanhistory-intersections.org/de/deutschsein/ghis:document-211

Generalmajor Walter Bruns’ Beschreibung der Massenerschießungen von Juden vor Riga am 1. Dezember 1941 (25. April 1945), veröffentlicht in: German History in Documents and Images, <https://germanhistorydocs.org/de/deutschland-nationalsozialismus-1933-1945/ghdi:document-1531> [23.04.2024].