Kurzbeschreibung

Hitler hatte nicht die Absicht, seine Macht mit Koalitionspartnern zu teilen. Nach Auflösung des Reichstags hoffte er, mit einer massiven Wahlkampagne die absolute Mehrheit für die NSDAP zu gewinnen. Zur Finanzierung des Wahlkampfes suchte er die Unterstützung deutscher Großindustrieller. In einer Besprechung am 20. Februar 1933 erläuterten Hitler und Hermann Göring (1893–1946), welchen Nutzen die Industrieführer aus einem Sieg der NSDAP ziehen würden: neben politischer Stabilität die vollständige Verdrängung des Kommunismus und nicht zuletzt eine lukrative Aufrüstungspolitik.

Unter den Teilnehmern der Besprechung befand sich auch Georg von Schnitzler, Vorstandsmitglied der I.G. Farben, des damals weltgrößten Chemiekonzerns. (Die I.G. Farben sollte später das in den Vernichtungslagern eingesetzte Gas Zyklon B herstellen.) In der folgenden, ursprünglich auf Englisch ausgefertigten eidesstattlichen Erklärung vom 10. November 1945 beschreibt Schnitzler den Zweck der Besprechung und nennt die Namen der restlichen Anwesenden.

Schnitzler, der in seiner späteren Position als Vorsitzender des Chemikalienausschusses des Konzerns für die Ausbeutung chemischer Betriebe in Polen und Frankreich verantwortlich war, wurde im I.G. Farben-Prozess 1947/48 zu fünf Jahren Haft verurteilt, jedoch bereits nach einem Jahr entlassen.

Georg von Schnitzler über Hitlers Appell an führende deutsche Industrielle am 20. Februar 1933 (10. November 1945)

Quelle

Eidesstattliche Erklärung von Georg von Schnitzler

Ich, Georg von Schnitzler, Mitglied des Vorstands der I.G. Farben, mache die folgende Aussage unter Eid:

Ende Februar 1933 wurden vier Mitglieder des Vorstands der I.G. Farben, darunter der Vorstandsvorsitzende Dr. Bosch und ich, vom Büro des Reichstagspräsidenten zu einem Treffen in seinem Haus geladen, dessen Zweck nicht genannt wurde. Ich erinnere mich nicht daran, welche beiden anderen Kollegen von mir ebenfalls eingeladen wurden. Die Einladung erreichte mich, glaube ich, während einer meiner Geschäftsreisen nach Berlin. Ich begab mich zu dem Treffen, an dem ungefähr zwanzig Personen teilnahmen, die, so glaube ich, überwiegend führende Industrielle aus dem Ruhrgebiet waren.

Unter den Anwesenden befanden sich meiner Erinnerung nach:

Dr. Schacht, der damals noch nicht zum zweiten Mal Reichsbankpräsident und noch nicht Reichswirtschaftsminister war.

Krupp von Bohlen, Anfang 1933 Präsident des Reichsverbands der Deutschen Industrie, der später in die halboffizielle Organisation „Reichsgruppe Industrie“ umbenannt wurde.

Dr. Albert Vögler, der führende Mann der Vereinigten Stahlwerke.

Von Löwenfeld, von einem Industriebetrieb in Essen.

Dr. Stein, der Vorsitzende der Gewerkschaft Auguste Victoria, einer zur I.G. gehörenden Mine; Dr. Stein war aktives Mitglied der Deutschen Volkspartei.

Ich erinnere mich, dass Dr. Schacht als eine Art Gastgeber fungierte.

Während ich das Erscheinen von Göring erwartete, betrat Hitler den Raum, schüttelte allen die Hand und nahm am Kopfende des Tisches Platz. In einer langen Rede sprach er vor allem über die Gefahr des Kommunismus, gegen den er gerade einen entscheidenden Sieg errungen zu haben vorgab.

Danach sprach er über das „Bündnis“, das seine Partei mit der Deutsch-Nationalen Volkspartei eingegangen war. Letztere Partei war in der Zwischenzeit von Herrn von Papen umorganisiert worden. Schließlich kam er auf das zu sprechen, was mir als der eigentliche Zweck des Treffens erschien. Hitler betonte, wie wichtig es sei, dass die beiden genannten Parteien bei der kommenden Reichstagswahl die Mehrheit erhalten sollten. Krupp von Bohlen dankte Hitler für seine Rede. Nachdem Hitler den Raum verlassen hatte, schlug Dr. Schacht der Versammlung die Einrichtung eines Wahlkampffonds vor, so weit ich mich erinnere in der Höhe von drei Millionen Reichsmark. Der Fonds sollte entsprechend ihrer damaligen Stärke unter den beiden Bündnispartnern aufgeteilt werden. Dr. Stein schlug auch die Einbeziehung der Deutschen Volkspartei vor, und sein Vorschlag wurde, wenn ich mich richtig erinnere, angenommen. Die Summen, welche die einzelnen Firmen beisteuern sollten, wurden nicht besprochen.

Ich nahm an der Diskussion nicht teil, erstattete aber am nächsten oder übernächsten Tag Dr. Bosch in Frankfurt Bericht, der sich zusammen mit Geheimrat Schmitz ausbedungen hatte, die Verteilung des Geldes an die politischen Parteien, die Presse usw. ausschließlich selbst durchzuführen und diesbezüglich auf Vertraulichkeit bestand.

So weit ich mich erinnere, äußerte sich Dr. Bosch zu meinem Bericht nicht, sondern zuckte nur mit den Achseln.

Ich habe nie mehr von der ganzen Angelegenheit gehört, ich vermute aber, dass entweder das Büro von Göring oder Schacht oder der Reichsverband der Deutschen Industrie das Büro von Bosch oder Schmitz um die Einzahlung des I.G.-Anteils in den Wahlkampffonds ersucht hatte. Da ich die Frage nicht mehr aufwarf, wusste ich damals nicht einmal, ob überhaupt und welche Summe von der I.G. eingezahlt wurde. Angesichts der Umsätze der I.G. Farben würde ich ihren Anteil auf etwa 10% des Wahlkampffonds schätzen, soviel ich aber weiß, gibt es keinen Hinweis, dass solche Zahlungen tatsächlich erfolgten.

Ich verstehe die englische Sprache.

G. von Schnitzler

Quelle: Georg von Schnitzler zu Hitlers Appell an führende deutsche Industrielle am 20. Februar 1933 (Affidavit, 10. November 1945). In United States Chief Counsel for the Prosecution of Axis Criminality, Nazi Conspiracy and Aggression, Band VII. Washington, DC: United States Government Printing Office, 1946, Dokumentnummer 439-EC [Affidavit of Georg von Schnitzler, Member of the Board of Directors of I.G. Farben, 10. November 1945, Regarding a Meeting of Industrialists with Hitler in February 1933, at which Schacht Proposed the Raising of an Election Fund (Exhibit USA-618)], S. 501–02.

Übersetzung: aus dem Englischen ins Deutsche von Erica Fischer