Kurzbeschreibung

Schon vor der Machtergreifung Adolf Hitlers und der NSDAP hegten viele Menschen in Deutschland und anderen europäischen Ländern Vorurteile gegenüber den Sinti und Roma, die in Europa lebten. „Zigeuner“, wie diese Gruppe von Menschen oft abfällig genannt wurde, galten wegen ihres scheinbar nomadischen Lebensstils als verdächtig. Roma-Gemeinschaften befanden sich häufig am Rande von Städten und Gemeinden, und ihre Mitglieder wurden als Bettler und Diebe abgestempelt. Nach 1933 betrachtete das NS-Regime die Roma als „rassisch minderwertige“ Menschen und als Bedrohung für dessen Pläne zur Schaffung einer „Rassengemeinschaft“ aller „arischen“ Deutschen. Dieses Dokument, ein 1938 von Heinrich Himmler, Reichsführer SS sowie Chef der deutschen Polizei, verfasster Bericht, umreißt die Sicht des Regimes auf die so genannte „Zigeunerplage“.

Himmler versucht, die Roma-Bevölkerung als eine „rassische“ Kategorie zu definieren. Mit dem Argument, dass es bestimmte Abstufungen von „Zigeunern“ gebe, ähnelt die Taxonomie derjenigen, die 1935 im Rahmen der Nürnberger Gesetze für Juden aufgestellt wurde. Das pseudo-biologische Rassenverständnis der Nazis gerät jedoch ins Wanken, da Himmler argumentiert, dass Menschen, die vielleicht nicht unter die Kategorie der Voll- oder Teilzigeuner fielen, aber den vagabundierenden Lebensstil führten, der stereotypisch mit der Roma-Bevölkerung assoziiert wird, ebenfalls unter demselben „Zigeunergesetz“ verfolgt werden könnten. Dieses Dokument zeigt, wie schwierig es für die Nazis war, zu bestimmen, was eine „reine Rasse“ ist.

Schließlich setzte das Regime diese Empfehlungen in die Tat um. Die genaue Zahl der Roma, die dem Holocaust zum Opfer fielen, ist nicht bekannt, Schätzungen gehen jedoch von bis zu 220.000 Männern, Frauen und Kindern aus. Viele wurden in Konzentrationslager deportiert, andere wurden an der Ostfront erschossen, und unzählige Männer und Frauen waren anderen Formen der Verfolgung ausgesetzt, wie z. B. der Zwangssterilisation.

Heinrich Himmler, Runderlass zur „Bekämpfung der Zigeunerplage“ (8. Dezember 1938)

Quelle

Bekämpfung der Zigeunerplage.

RdErl. D. RFSSu.Ch.d.Dt.Pol. im RMdJ. V. 8.12.1938

A. Allgemeine Bestimmungen

I. Inländische Zigeuner

1.(1) Die bisher bei der Bekämpfung der Zigeunerplage gesammelten Erfahrungen und die durch die rassenbiologischen Forschungen gewonnenen Erkenntnisse lassen es angezeigt erscheinen, die Regelung der Zigeunerfrage aus dem Wesen dieser Rasse heraus in Angriff zu nehmen. Erfahrungsgemäß haben die Mischlinge den größten Anteil an der Kriminalität der Zigeuner. Andererseits hat es sich gezeigt, daß die Versuche, die Zigeuner seßhaft zu machen, gerade bei den rassereinen Zigeunern infolge ihres starken Wandertriebes mißlungen sind. Es erweist sich deshalb als notwendig, bei der endgültigen Lösung der Zigeunerfrage die rassereinen Zigeuner und die Mischlinge gesondert zu behandeln.
(2) Zur Erreichung dieses Zieles ist es zunächst erforderlich, die Rassenzugehörigkeit der einzelnen im Deutschen Reich lebenden Zigeuner und der nach Zigeunerart umherziehenden Personen festzustellen.
(3) Ich ordne deshalb an, daß alle seßhaften und nicht seßhaften Zigeuner sowie alle nach Zigeunerart umherziehenden Personen beim Reichskrim.-Pol.-Amt – Reichszentrale zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens – zu erfassen sind.
(4) Die Pol.-Behörden haben demgemäß alle Personen, die nach ihrem Aussehen, ihren Sitten und Gebräuchen als Zigeuner oder Zigeunermischlinge angesehen werden, sowie alle nach Zigeunerart umherziehenden Personen über die zuständige Krim.-Pol.-Stelle und Krim.-Pol.-Leitstelle an das Reichskrim.-Pol.-Amt – Reichszentrale zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens – zu melden.

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E. Maßnahmen der Standesämter

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2. (1) Da die Tatsache, daß eine Person als Zigeuner oder Zigeunermischling gilt oder sonst nach Zigeunerart umherzieht, in der Regel den Verdacht begründet, daß die Ehe nach § 6 der Ersten VO zur Ausf. des Ges. zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre v. 14.11.1935 (RGBl. I S. 1334) oder auf grund der Bestimmungen des Ehegesundheitsges. nicht geschlossen werden darf, hat der Standesbeamte in allen Fällen, in denen von derartigen Personen das Aufgebot bestellt wird, ein Ehetauglichkeitszeugnis gem. § 17 der genannten VO oder gem. §3 der Ersten VO zur Durchf. des Ehegesundheitsges. v. 29. 11. 1935 (RGBl. I S. 1419) zu verlangen.

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Quelle: Ministerial-Blatt des Reichs- und Preußischen Ministeriums des Innern, Nr. 51, 14. Dezember 1938, Sp. 2105–2110.