Kurzbeschreibung

Der gewaltige SS-Apparat, wie er sich unter Himmlers Führung entwickelte, hatte letztlich wenig gemeinsam mit der verhältnismäßig unbedeutenden Leibwache, die er 1929 übernommen hatte. Tatsächlich wurde die SS zum effektivsten Machtinstrument der NS-Diktatur, das sich nicht nur in allen Staats- und Parteiinstanzen einnistete, sondern auch vollkommen eigenständige Abteilungen in allen politisch wichtigen Bereichen bildete. Ihre zunehmende Autonomie in der Bekämpfung interner wie externer Regimegegner und bei der Entwicklung und Ausführung der NS-Rassen- und Bevölkerungspolitik ließ die SS schließlich zum „Staat im Staat“ werden. Dennoch stand die Organisation immer treu im Dienst Hitlers und betrachtete sich stolz als das wichtigste „ausführende Werkzeug des Führerwillens“.

Maßgebend für diese Entwicklung war Himmlers enge Zusammenarbeit mit seinem wichtigsten Untergebenen, dem ehemaligen Marineleutnant Reinhard Heydrich (1904-1942). Heydrich war 1931 wegen „ehrenwidrigen Verhaltens“ im Rahmen einer romantischen Affäre unehrenhaft aus der Marine entlassen worden und trat bald darauf in die SS ein. Dort stieg er schnell auf und wurde schließlich zum Chef des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) ernannt, unter dessen Dach er alle Instanzen der Sicherheitspolizei (Sipo) und des Sicherheitsdienstes (SD) koordinierte. Im Juli 1941 von Göring mit der „Gesamtlösung der Judenfrage“ beauftragt, wurde Heydrich zum bürokratischen und logistischen Organisator des Holocaust. Im September 1941 erhielt er zudem den Posten als „Stellvertretender Reichsprotektor von Böhmen und Mähren“ in der besetzten Tschechoslowakei, wo er im Juni 1942 an den Folgen eines durch den tschechischen Widerstand verübten Attentats starb. Als nationalsozialistischer „Vergeltungsakt“ folgten das Massaker und die Zerstörung des Dorfes Lidice.

Ernst Kaltenbrunner (1903–1946) folgte Heydrich als Chef des RSHA. Am 30. Januar 1943 hielt Himmler die folgende Geheimrede vor höheren Funktionären des RSHA, die sich anlässlich der Ernennung Kaltenbrunners versammelt hatten.

Himmlers Geheimrede vor höheren Funktionären des Reichssicherheitshauptamtes (30. Januar 1943)

  • Heinrich Himmler

Quelle

Berlin, 30. Januar 1943

Der Reichsführer-SS bei der Amtseinführung von SS-Gruppenführer Dr. Kaltenbrunner

Meine SS-Führer! Kamerad Kaltenbrunner! Ich habe Sie, die engsten Mitarbeiter des Reichssicherheitshauptamtes, die Sie die verantwortlichen oberen Stellen innehaben, heute in dieses Zimmer befohlen und bestellt, genauso wie ich im Juni des vergangenen Jahres 1942, als Ihr Kommandeur gefallen war, die Amtschefs in diesem Zimmer versammelt und hier die erste Besprechung abgehalten hatte, in dem vollen und klaren Bewusstsein, so wie der Schöpfer des Reichssicherheitshauptamtes, des Sicherheitsdienstes und der Sicherheitspolizei, der Obergruppenführer Heydrich als eines der letzten Lebenswerke sich dieses geschmackvolle und schöne Zimmer geschaffen hat, das für ihn und seine Art gesprochen hat und das immer für die Art dieses arischen Sicherheitsdienstes der germanischen Nation sprechen möge, so haben der ganze Sicherheitsdienst und die ganze Sicherheitspolizei seinen Stempel getragen, waren sie seines Wesens, von seiner Art.

Zehn Jahre sind wir nun nationalsozialistischer Staat. In einer Stunde oder in zwei Stunden sind es 10 Jahre her, dass wir durch das Brandenburger Tor marschiert sind. Ich glaube, Heydrich ist damals auch mitmarschiert. Lassen Sie mich noch einmal einen Rückblick tun, damit wir dann einen Blick in die Zukunft wenden können.

Im Jahre 1930 war es für die Partei notwendig, einen Nachrichtendienst zu bilden, um über den kommunistischen, jüdischen, freimaurerischen und reaktionären Gegner ins Bild zu kommen. Ich holte mir, empfohlen durch den damaligen Gruppenführer von Eberstein, den Oberleutnant zur See a. D. Reinhardt Heydrich. Dieses Holen beruhte eigentlich auf einem Irrtum. Dies ist etwas, was die wenigsten wissen. Es hiess, Heydrich wäre Nachrichtenoffizier. Ich habe mich damals im Jahre 1930 gar nicht viel darum gekümmert, ich dachte, ein Nachrichtenoffizier ist ein Mann, der Nachrichten holt. Heydrich war Nachrichtenoffizier im Sinne des Nachrichtenmitteloffiziers, er war Funkoffizier, der Nachrichtenmittel als sein Handwerk bedient. Er besuchte mich damals in einem kleinen Häuschen in Waldtrudering und erklärte mir: „Ja, Reichsführer, ich bin gar nicht der, den Sie suchen; ich bin Funkoffizier gewesen.“ Ich habe ihn mir angeguckt: gross und blond mit anständigen, scharfen und gutmütigen Augen. Ich sagte ihm: „Passen Sie auf, das macht nichts, das stört mich gar nicht; setzen Sie sich in das Zimmer hin, ich komme in einer Viertelstunde wieder, schreiben Sie auf, wie Sie sich einen Nachrichtendienst der NSDAP vorstellen.“ In dieser Viertelstunde schrieb er auf, wie er sich das vorstellte. Ich sagte: „Ja, ich bin einverstanden; gut, ich nehme Sie.“ Dann wurde das Gehalt für diesen Leiter des Sicherheitsdienstes, wie wir ihn hiessen, bestimmt. Die 4. Standarte in Schleswig-Holstein verpflichtete sich, monatlich 80 RM zu zahlen; das war der eine Teil. Aus dem übrigen Etat nahm ich, glaube ich, noch einmal 40 RM. In der ersten Zeit bekam er noch etwas von der Marine. Ich sagte mir, in der nächsten Zeit wirst du ihm schon weiterhelfen können, jedenfalls wagen wir es einmal. Mit den 120 zusammengepumpten Mark fing der Untersturmführer Heydrich an, nachdem er vorher in Hamburg in die Schutzstaffel eingetreten war, mit den Hamburger Jungens, die erwerbslos waren, im Hafen herumgelungert war, brav seinen Dienst gemacht und sich als früherer Oberleutnant prima eingelebt hatte.

Dann haben wir die Tätigkeit begonnen. Es war sehr eigenartig. Ich hatte damals in meinem Stab einen Sturmbannführer, Major a. D., H. Kaum war Heydrich da, 6 oder 8 Tage später, erschien in der „Münchener Post“, dem sozialdemokratischen Blatt, die Nachricht, dass ein Nachrichtenoffizier da wäre. Heydrich war sehr misstrauisch und sagte damals mit seinem Riecher, den er immer hatte: „Das ist der H.“ Das liess ich nicht zu. Ich sagte: „Sie können doch nicht damit anfangen, dass Sie einen Mitarbeiter von mir angreifen.“ Heydrich hatte seinen Vornamen mit einem dt geschrieben, er (H.) schrieb Reinhard nur mit d.[1] Wie sich später im Jahre 1933 herausstellte, war H. tatsächlich im Dienste der Münchener Polizei, ich glaube, für 100 RM monatlich. Er hat sich dann in seiner Zelle erhängt.

Nun haben wir jahrelang miteinander gearbeitet. Aus kleinsten, kleinsten Verhältnissen wuchs der Sicherheitsdienst empor. Wie sehr er gross gehungert worden ist, wieviel Opfer auf diesem Wege gewesen sind, ahnt heute kaum mehr jemand. Kaum einer von den Jungen, die später hinzugekommen sind, ahnt etwas davon. Deswegen müsst ihr es denen sagen, die heute Regierungsrat und Kriminaldirektor sind. Wir haben die schwierigen Jahre 1931 und 1932 durchgemacht. Wer weiss heute noch – das hat Dr. Goebbels heute sehr richtig gesagt –, wie elend wir im Jahre 1932 dran waren! Die Partei verlor nach der Augustwahl eine Menge ihrer Anhängerschaft. Die Pfaffen, das Zentrum und die Reaktion versuchten, uns durch Wahlen kaputt zu machen. Wir kamen nicht in die Regierung, in der Papen Kanzler war. Der Treibsand und der Flugsand, den wir angesammelt hatten, schwamm wieder weg. Gewachsen ist in diesem Zeitpunkt allein die Schutzstaffel. Es blieben die Unterstützungen, die freiwilligen Spenden und sehr viele Beiträge von der Partei aus. Es wurde weniger und weniger. Durchgehalten haben wir die Schutzstaffel – das kann ich heute ruhig sagen – in der Zentrale genauso wie draussen in den einzelnen Standarten (den heutigen Oberabschnitten) Weichsel, Sepp Dietrich, Daluege dadurch, dass wir von unseren Reichstagsdiäten von 550 RM, von denen wir lebten, 350 RM hereingaben. Weihnachten 1932 war es so schlimm, dass den Männern, den damaligen Angestellten des Sicherheitsdienstes nur ratenweise eine Mark, zwei Mark, drei Mark gegeben werden konnten. Von Frau Heydrich, die mutig und tapfer mitgedarbt und mitgefochten hat, wurde gemeinsam eine dicke Suppe gekocht, so dass die Männer einmal am Tage etwas Essen bekamen. Wir hatten Weihnachten 1932 noch soviel Gelder, dass wir die Männer heimfahren lassen konnten. Das Geld, um sie rückfahren lassen zu können oder gar ihnen Gehalt für Dezember oder Januar zu zahlen, hatten wir nicht.

Mit dieser kleinen Mannschaft gingen wir in den Januar 1933. Es wurde damals schon besser. Es kam der Lippesche Wahlkampf, und wir bekamen Auftrieb. Dann gingen wir an die Machtergreifung. Nun waren wir damals an München gebunden, für uns war München massgebend. In München kamen wir erst am 12. März dazu – ich habe mich nie darüber aufgehalten und mir nie darüber einen persönlichen Gedanken gemacht –, ich wurde Polizeipräsident von München und übernahm das Polizeipräsidium, Heydrich bekam die Politische Abteilung in München, die Abteilung 6 a. So fingen wir an. Wir erwarben uns bei diesem Anfangen einige unendlich brave und tüchtige Mitarbeiter, voran Sie, lieber (SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Polizei) Müller, und Ihren toten Kameraden Flesch, der neulich nach langem Leiden gestorben ist. Aus der Politischen Abteilung des Polizeipräsidiums machten wir eine Bayrische Politische Polizei. Die politischen Polizeien wuchsen in den Ländern wie die Pilze nach dem Regen. Ich wurde ein juristisches Unikum – mit der Untersuchung dieser Frage kann sich jemand später einmal eine Doktorkrone verdienen –, indem ich in einer Person alle deutschen Staatsangehörigkeiten, die es damals nur gab, vereinte. Ich war Bayer, Badenser, Württemberger usw., ich war dort überall zu Hause. Die Staatsangehörigkeiten erwarb ich, indem ich politischer Polizeikommandeur von Hessen, Bremen, Lübeck, Lippe – den beiden Lippe –, Anhalt usw. und dort Staatsbeamter wurde. Wir schufen in München eine Zentralstelle: der Politische Polizeikommandeur der Länder. Damit wuchs eine Art Sicherheitspolizei.

Ein Jahr später, am 20. April 1934, machte der damalige preussische Ministerpräsident Göring nach einer langen Aussprache, die wir als alte Parteigenossen hatten, mich zum stellvertretenden Chef der Geheimen Staatspolizei. Heydrich wurde Inspekteur. Damit waren die politischen Polizeien der Länder ganz Deutschlands in einer Hand, und es konnte allmählich begonnen werden, einen Reichsapparat zu schaffen. Er wuchs in verschiedenen Organisationsformen. Es war einsteils der SD, andernteils die Sicherheitspolizei, damals die Stapo.

Ich will nicht versäumen, den 30. Juni 1934 mit seiner Bitterkeit, dem bitteren Muss, der bitteren Pflicht zu erwähnen. Das Ereignis hatte Nachwehen und brachte den Versuch der jüdischen und sonstigen Gegner, uns mit der Wehrmacht und mit der Partei in Feindschaft zu bringen. Die Wehrmacht sollte uns kaputtmachen. Die damalige Situation erforderte ein so hohes Maß von guten Nerven, von Zurückhaltung und von Klugheit, um die Lage zu steuern. Die Lage wurde gesteuert.

Es kam das Jahr 1936, in dem ich am 17. Juni Chef der Deutschen Polizei wurde, mit der Bezeichnung Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei. Der jetzige Oberst-Gruppenführer Daluege hat damals in wirklich großzügiger Weise die ihm unterstehende Kriminalpolizei als wesensverwandt und als unabdingbares Teil einer Sicherheitspolizei an den Gruppenführer Heydrich abgetreten. In diesem Jahre kam die ganze Kriminalpolizei mit Nebe an der Spitze zu uns. Nun wuchs der Gesamtapparat. Staats- und SS-Apparat wuchsen mehr und mehr zusammen. Die Zahl der treuen Mitarbeiter stieg. Wir haben die Dinge in den ersten Jahren wirklich sehr gemeinsam gemacht. Ich habe viele, viele Stunden mit dem Obergruppenführer Heydrich über alle Probleme gesprochen. Im Laufe der Jahre kannte er meine Ansicht, kannte den Weg, den ich gehen wollte, kannte die Zielsetzung, die ich in der Organisation hatte, wusste, wie ich mir die Gesamt-SS dachte.

Gerade in den Jahren des Krieges ist Heydrich dann zu der Grösse emporgewachsen, die ich in seinem Nekrolog Ihnen vor der ganzen deutschen Nation bestätigen und vor der Öffentlichkeit bezeugen konnte. Seine Grösse bestand – das möchte ich hier noch einmal herausstellen – darin, dass er immer zuerst ein Deutscher und ein Germane war, dass er an alle Dinge als Nationalsozialist heranging, dass er bei allem Ehrgeiz und bei aller Verantwortung, die er für sein Reichssicherheitshauptamt hatte, alle treuen Kommandeureigenschaften besass, indem er für Sie und die Männer eintrat. Ich kann ruhig sagen, ich bin über manche Dinge nicht zufrieden gewesen. Ich habe genau gewusst, das hat dieser oder jener verbockt. Sie wissen vielleicht heute noch nicht, was für einen treuen Chef Sie hatten, was der auf seine Kappe nahm. Es gab Fälle, wo ich sagte: „Sie, Heydrich, das glaube ich nicht.“ Angelogen hat er mich nicht. Er ist aber erst immer, unendlich ritterlich, vor euch Männer getreten. Bei allem Ehrgeiz, den er für seine Sicherheitspolizei und sein Reichssicherheitshauptamt hatte, hat er alle Dinge zuerst vom Blickwinkel der Gesamt-SS aus gesehen. Er hat im Laufe der Jahre alles sehr weise abgewogen, damit dieser gesamte Apparat erstens niemals menschenfeindlich wurde, wozu ein solcher Apparat naturgemäss eigentlich neigen müsste. Wir sehen die Menschen immer nur von der negativen Seite. Wenn jemand zu uns kommt, kommt er nicht, um zu erzählen, dass etwas Schönes passiert ist, sondern er will erzählen, dass etwas Häßliches passiert ist. Es muss zweitens so sein, dass dieser gesamte Service – um diesen Ausdruck einmal zu nehmen – der deutschen Nation niemals pessimistisch ist, dass wir uns selbst von den schlechten Nachrichten – wir bekommen praktisch keine guten Nachrichten – und von den negativen Dingen niemals überrumpeln lassen, dass alles eisern in unserer Brust bleibt. Wir müssen uns eisern klar sein, dass 1000 negative Dinge da sein können. Alles Negative, alles Schädliche habt ihr euren Kommandeuren zu melden, diese wieder melden es mir. Wenn ihr aber etwas meldet, dann, bitte, meldet es nie so mit tränenerstickter Stimme und gesenkten Hauptes: Es ist etwas Furchtbares passiert, es ist ungefähr die Welt zerbrochen, der Nationalsozialismus ist zerstört und liegt bereits in Scherben am Boden, wir sind die einzigen lichten Gralsträger, wir haben noch den Gral der nationalsozialistischen Weltanschauung in unseren reinen Händen, aber alle anderen sind an und für sich Schweine. Führen Sie vielmehr den Stil weiter, den Heydrich eingeführt hat und in dem er viel bei Ihnen korrigiert hat; das wissen Sie selbst. Was an Schlechtem, an Niederlagen, an Nachteilen da ist, wird nüchtern festgestellt und nüchtern, ohne gesenkten Kopf und ohne Priestertum mitgeteilt. In Meldungen wird gesagt: Das halte ich für wahrscheinlich, das für übertrieben; Resultat, so wird wohl diese und jene Lage draussen sein; mein Vorschlag zur Abänderung ist der und der. Oder: Ich habe hier keinen Vorschlag zu machen, ich fühle mich lediglich verpflichtet, diese Meldung abzugeben. Nicht aber sollen Sie melden: Die ganze Bewegung ist in Gefahr, oder jenes ist in Gefahr. Wir überstehen den Krieg. Wir überwinden, dessen können Sie sicher sein, alle unsere Feinde, ob Pfaffen oder Juden. In diesem Europa überstehen wir die Schwierigkeiten, das ist meine feste Überzeugung. Wir werden es noch wahnsinnig schwer haben. Aber durch kommen wir, und am Ende steht ein germanisches Reich.

Es war auch an Heydrich so unübertrefflich – und in dem Sinne hat er Sie erzogen –, dass er immer stand, dass er nie nachgab und dass er von einem unbeugsamen Willen und einer unbeugsamen Angriffslust war. Wir sind angetreten und wir werden – ich weiss, das ist bei Ihrem neuen Chef nicht anders – immer wieder antreten, geistig und tatsächlich im Kampf, genauso wie unsere Divisionen an der Front. Es wird angegriffen. Wenn 10 mal angegriffen worden ist, wird das 11. mal angegriffen. Wenn 70mal angegriffen worden ist, wird auch das 71. mal angegriffen. Ich greife hier nicht lediglich eine Zahl heraus, sondern nehme einen Fall, der bei einer unserer Divisionen vorgekommen ist, die im Laufe eines Jahres 72 Angriffe mit ihrem Kommandeur an der Spitze gemacht hat. Und wenn ein 73. mal angegriffen werden muss, wird es getan. Solange ein Mann noch den Finger am Hahn krumm machen kann, wird der Hahn krumm gemacht und wird gefochten. Wenn man so kämpft und angreift, ist man unüberwindlich. Genau dasselbe gilt für uns SS-Männer alle geistig. Es werden unendlich viele Probleme auftauchen. Es tauchen heute Probleme auf. Ich kenne die Probleme der Wirtschaft, die Probleme der Plutokratie. Ich kenne die Probleme, dass unser Volk, in manchen Dingen falsch erzogen, zur Arbeit nicht die richtige Einstellung hat, dass wir an manchen Stellen zuviel Rechte versprochen haben und zu wenig von Pflichten gesprochen haben, dass wir die ganze Religionsfrage aufzurollen haben, dass es da mit dem Negativen nicht getan ist, dass wir uns hüten müssen, irgendeinen neuen Pfaffendienst nach dem Kriege einzuführen. Ich weiss, dass die Frage, ob wir ein sterbendes oder ein wachsendes Volk sind, noch in keiner Weise gelöst ist, dass Kinderbeihilfen, Steuerermässigungen, Häuser usw. noch niemals auf diesem Gebiet geholfen haben, dass nur eine religiöse Einstellung zu diesen Dingen, eine innere Umkehr helfen kann. Seien Sie überzeugt, wenn wir 70 und 80 Jahre alt werden, wenn das Schicksal uns solange leben lässt, haben wir in jedem Jahr unseres Lebens immer wieder anzutreten.

Der Sicherheitsdienst, dieses politische Hauptamt der SS, hat hier an der Spitze zu marschieren, ohne jemals etwas zu überstürzen, ohne jemals selbst Politik zu machen. Es hat vielmehr immer nur politisch zu arbeiten, wie es befohlen ist. Es muss in sich die Männer erziehen, die Heydrich zu erziehen begonnen hat, die Kaltenbrunner weiter erziehen wird, die Männer, die auf dem weltanschaulichen Gebiet fertig sind, die niemals von der Linie abweichen, die aber niemals in der Durchführung stur und ungeschmeidig sind, die stur im Willen, stur im Ziele sind, aber von den wirklichen Dingen unserer Weltanschauung nicht ein bisschen hergeben. Deswegen werden wir niemals Jesuiten; denn das verachten wir. Wir werden niemals Sektierer werden. Wir werden grosszügig sein, wie ein alter Heide nur grosszügig sein kann. Wir glauben an einen Herrgott, und wie einer, der an einen Herrgott glaubt, nur grosszügig sein kann, wollen wir auch grosszügig sein. So seid ihr von Heydrich und von mir in 12 Jahren erzogen worden.

Heydrich ist vor nunmehr fast 3/4 Jahren in seinem Jugendalter aus seinem Schaffen herausgerissen worden. Er war ein Zukunftsmann. Mit dem Schicksal lässt sich nicht rechten, es ist so. Die Monate bis zum heutigen Tag habe ich die Führung des Reichssicherheitshauptamtes selbst übernommen, weil ich eine Zeit dazwischen legen wollte. Das vor uns liegende Jahr fordert sehr viel von uns. Auf jedem Schiff muss die Kommandobrücke besetzt sein. Es kann nicht jemand die Flotte und nebenher ein Schiff führen. Ich habe mir deswegen lange überlegt, wen ich zum Kommandanten des Schiffes machen sollte. Nach langen, reiflichen Überlegungen ist meine Wahl auf einen meiner Ältesten gefallen, auf den Gruppenführer Kaltenbrunner. Wir kennen einander viel länger, als er offiziell den SS-Rock trägt. Ich kenne ihn, und wir kennen uns seit der Zeit, als er aus der Zahl der unbekannten Nationalsozialisten in der Ostmark sich als Führer der illegalen SS herausschälte. Es ist immer eine gute Schule für einen Reichsführer-SS und für einen Hauptamtschef der SS, besonders aber für einen Chef des Reichssicherheitshauptamtes, wenn er lange genug illegal war. Ich glaube, Kaltenbrunner, dass diese Zeit, wo Sie in der Ostmark wirklich erprobt wurden, erprobt in Ihrem Stehvermögen, in Ihrer Art und Ihrer Kraft, mit Ihre beste Lebensschule und – damals unbewusst – die beste Vorbereitung für Ihre neue Aufgabe war, die Sie jetzt übernehmen.

Kaltenbrunner, Sie übernehmen hier ein bewährtes Führerkorps, tadellos erzogen, einwandfrei und lauter in seinem Geist und in seinem Charakter. Sie übernehmen ausgezeichnete Amtschefs und Gruppenchefs. Ich weiss, dass diese Ihre Männer in Ihnen einen ebenso guten Hauptamtschef bekommen. Und ich habe das Wissen, dass Sie dieses Reichssicherheitshauptamt, das in 12 Jahren von einem geschaffen wurde, der heute tot ist, im Geiste der SS und unter Weiterführung des Erbes unseres Kameraden Heydrich führen werden, so dass die SS und der Führer im Sicherheitsdienst ein ebenso gutes, bloss charakterlich besseres Instrument haben, als es England in seinem in Jahrhunderten erzogenen Service hat.

Damit, Kaltenbrunner, übergebe ich Ihnen die Urkunde, in der der Führer Sie zum Hauptamtschef des Reichssicherheitshauptamtes ernennt, und übergebe Ihnen das Reichssicherheitshauptamt. Führen Sie es gut!

Anmerkungen

[1] Heydrich, getauft auf den Namen Reinhardt Eugen Tristan, legte später, nachdem er SS-Offizier geworden war, das „t“ am Ende seines ersten Vornamens ab un nannte sich von da an „Reinhard“. – Hrsg.

Quelle: U.S. National Archives and Records Administration, College Park, MD, Record Group 319, IRR Files 1903, Ernst Kaltenbrunner XE 00040; abgedruckt in Richard Breitman und Shlomo Aronson, „Eine unbekannte Himmler-Rede vom Januar 1943“, Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte; 38 (1990) 2, S. 343–48.