Kurzbeschreibung

In seinem ersten Amtsjahr als Reichskanzler verfolgte Hitler die Ausschaltung der politischen Opposition, die Festigung seiner eigenen Macht sowie die Stärkung der militärischen Stellung Deutschlands. Um das Ansehen seines Regimes in Deutschland und im Ausland zu wahren, lag es in seinem Interesse, die radikalsten Elemente seiner Ideologie und Politik zu verschleiern. Einer der nüchternsten und scharfsinnigsten Beobachter des sich entfaltenden NS-Regimes war der damalige amerikanische Generalkonsul in Berlin, George S. Messersmith. In diesem Bericht für das State Department (US-Aussenministerium) beschreibt er die ideologischen Grundlagen – und die zunehmend Besorgnis erregenden praktischen Erscheinungsformen – der Judenpolitik des NS-Regimes. Dabei zitiert er ausführlich aus zeitgenössischen Zeitungsberichten und Reden von Hitlers Spitzenbeamten. (Bei den zitierten Passagen handelt es sich um Übersetzungen des englischen Texts Messersmiths.) Messersmith kommentiert die „erstaunliche Unehrlichkeit“ hochrangiger Mitglieder der Hitler-Regierung und mahnt den Außenminister, deutschen Regierungsberichten keinen Glauben zu schenken.

Aufbauend auf seine vorangegangenen Memoranden vom 23. Mai und 17. Juni 1933 beobachtet Messersmith, dass die Situation der Juden in Deutschland in der Zwischenzeit kontinuierlich schlechter geworden ist und führt die weitreichenden Entlassungen von Juden aus ihren Posten als Anwälte, Ärzte und Universitätsprofessoren als nur ein Beispiel an. Er sieht außerdem keine absehbare Verbesserung ihrer Situation, sondern listet im Gegenteil eine Zahl neuer diskriminierender Maßnahmen auf, die bald Anwendung finden würden: die Einrichtung von „Rasseämtern“, die Verabschiedung eines Gesetzes zum Eheverbot zwischen Deutschen und Juden und der Beginn von Bemühungen, diese zu entrechten. Messersmiths Memorandum enthält eine Anzahl von erschreckend voraussehenden Beobachtungen. Er täuschte sich jedoch offensichtlich in seiner Voraussage, dass die schlimmste Phase der physischen Verfolgung der Juden bereits vorüber sei.

Bericht von George Messersmith an das State Department zum gegenwärtigen Stand der antisemitischen Bewegung in Deutschland (21. September 1933)

  • George Messersmith

Quelle

Amerikanisches Generalkonsulat
Berlin, Deutschland, 21. September 1933Thema: Der gegenwärtige Stand der antisemitischen Bewegung in Deutschland.An den
Außenminister der Vereinigten Staaten
Washington

Sir:Ich habe die Ehre, mich auf meinen vertraulichen Bericht Nr. 1330 vom 23. Mai über den damaligen Stand der antisemitischen Bewegung in Deutschland sowie auf meinen vertraulichen Bericht Nr. 1369 vom 17. Juni zu beziehen, in denen ich den damaligen sozialen, ökonomischen und politischen Status der Juden in Deutschland zusammenfasste. In meinem gegenwärtigen Bericht werde ich versuchen, dem State Department eine Zusammenfassung der Entwicklungen seit meinem letzten Schreiben vorzulegen.Dr. Achim Gercke ist der „Sachverständige für Rasseforschung“ im Reichsministerium des Innern. In der Anlage übersende ich Ihnen die Übersetzung eines von Dr. Gercke ausgearbeiteten Memorandums über die Grundprinzipien zur „Mischlingsfrage“, das im Zusammenhang mit der Lage der Juden in Deutschland von vorrangigem Interesse ist. Dieses Memorandum war nicht zur Veröffentlichung bestimmt und ging mir über eine vertrauliche Quelle zu. Es verdient die Aufmerksamkeit des State Departments, da praktisch alle die Juden in Deutschland betreffenden Gesetze und Erlässe über Dr. Gercke als Rasseexperten des Reichsinnenministeriums passieren, und weil dieses Memorandum besonders interessant ist, da es die Einstellung des Dr. Gercke zu grundlegenden Aspekten des Problems offenbart. Ich zitiere in der Folge nur einige der relevanten Aussagen des Memorandums:„Arisch ist nicht, wer weniger als einen Großelternteil jüdische Vorfahren hat; arisch ist, wer überhaupt keine jüdischen Vorfahren hat. [] Die Juden- und besonders die Mischlingsfrage muss auf gesellschaftlichem Gebiet gelöst werden. Es muss wieder Sitte werden, dass die Menschen deutschen Blutes nur artgemäße Ehe schließen können. [] Zum Grundsätzlichen: Allen Erbgesetzen würde es widersprechen, wollte man unbedenklich jüdische Beimischung in zweiter, dritter oder vierter zurückliegender Geschlechterfolge als nicht vorhanden oder ohne Bedeutung ansehen. Die Erfahrung sagt vielmehr, dass keine Zahl von Geschlechterfolgen angegeben werden kann, die notwendig ist, um den Einfluss der stattgehabten Mischung ausgeschaltet zu wissen“.In der Anlage finden Sie auch eine Übersetzung eines Artikels von Dr. Gercke, der in der Juniausgabe[1] der „Nationalsozialistischen Monatshefte“ erschien. Zur Veranschaulichung der Grundeinstellung des Mannes, der als Sachverständiger für die Rasseforschung beim Reichsminister des Innern agiert, ist auch dieser Artikel von besonderem Interesse. Im Folgenden fasse ich bezeichnende Zitate aus diesem Artikel zusammen:„Durch den Sieg der nationalsozialistischen Revolution ist die Judenfrage als Problem auch für diejenigen, die sich um die Lösung der Judenfrage noch nicht bemüht haben, nie darum gekämpft haben, erkennbar geworden. Jeder hat eingesehen, der gegenwärtige Zustand ist unhaltbar, die freie Entfaltung und Gleichsetzung der Juden führt zu einem von den Juden „unfair“ ausgenutzten Wettbewerb und zu einer Auslieferung wichtiger Stellungen des deutschen Volkstums an die Fremdrassigen. [] Und diese Entstellung der Judenfrage darf man nicht einmal durch den oberflächlichen Anschein unterstützen, zumal es politischer Wahnsinn wäre, die innerdeutsche Regelung der Judenfrage mit außenpolitischen Fragen zu verquicken. [] Alle Vorschläge, die einen Dauerzustand, eine Dauerregelung für die Juden in Deutschland beabsichtigen, lösen die Judenfrage nicht, denn sie lösen die Juden nicht von Deutschland. Und darauf kommt es an. Die Juden, wenn sie auf ewig bei ihren Wirtsvölkern schmarotzen können, bleiben ein ständiger Brandherd, an dem das offene, zerstörende Feuer des Bolschewismus leicht immer wieder entzündet werden kann. [] Unseren Staat müssen wir ohne die Juden aufbauen, sie können nur staatenlose Fremdlinge bleiben und eine gesetzliche, rechtliche Dauerstellung beziehen. Nur so wird Ahasver gezwungen, zum letzten Mal den Wanderstab zu ergreifen, um ihn dann in Axt und Spaten umzutauschen“.Seit meinem letzten Bericht an das State Department zu diesem Thema hat sich die Lage der Juden in Deutschland keineswegs gebessert. Im Gegenteil, ihre Situation verschlechtert sich zunehmend. Die in meinen früheren Berichten geschilderten Umstände bestehen fort, und in der inzwischen verstrichenen Zeit kann man deutlicher die Unerbittlichkeit erkennen, mit der die verschiedenen die Juden betreffenden Gesetze und Erlässe in praktisch allen Bevölkerungsschichten Deutschlands ausgeführt werden. Dass es so kommen würde, konnte man erwarten, denn jene, die die Nationalsozialistische Bewegung und die Regierung kontrollieren, haben ihre Ansichten bezüglich der Behandlung der Juden nicht geändert. Ich habe erfahren, dass in der obersten Parteiführung der Kanzler Herr Hitler und der Propagandaminister Dr. Goebbels in dieser Frage unerbittlich sind. Namhafte Amerikaner und Ausländer, die in den vergangenen Monaten Gelegenheit hatten, mit dem Kanzler zu sprechen, und die es für wichtig hielten, ihn von den Ansichten der Außenwelt zur Judenfrage in Kenntnis zu setzen, fanden es, wie mir mitgeteilt wurde, vollkommen unmöglich, diese Frage mit ihm zu erörtern. Versuchten sie irgendwelche Bemerkungen zur Judenfrage zu machen, unterbrach sie der Kanzler und trug seinen Standpunkt vor, der, so wird mir aus verlässlicher Quelle berichtet, sich vom Anfang an nicht geändert hat. Aus verlässlichen und vertraulichen Quellen habe ich auch erfahren, dass selbst der dem Kanzler am nächsten stehende Wirtschaftsberater Herr Keppler, der Handelsminister Dr. Schmitt und der Reichsbankpräsident Dr. Schacht über diese Frage nicht mit dem Kanzler sprechen können; sobald sie versuchen, ihm bestimmte Standpunkte zu diesem Thema vorzulegen, weigert er sich, sie anzuhören. Diese Information beziehe ich aus so glaubwürdigen Quellen, dass ich sie für gesichert halten kann. Dr. Goebbels, der Propagandaminister, der immer noch der wichtigste Regierungssprecher für die Judenfrage ist, ist zwar bereit anderen zuzuhören, äußert sich jedoch nicht und hat seine Meinung anscheinend bisher auch nicht geändert. Meine Gespräche mit verschiedenen der Regierung und der Partei nahe stehenden Personen, von denen manche verantwortungsvolle Positionen in den verschiedenen Ministerien bekleiden, haben mir den Eindruck vermittelt, dass sie über eine mildere Judenpolitik froh wären; es ist aber offensichtlich, dass sie machtlos sind, solange die oberste Parteiführung nicht von ihrer Haltung abweicht.

Dr. Rosenberg, der Leiter des Außenpolitischen Amtes der NSDAP, der seit seinem Londonbesuch vor mehreren Wochen erheblich in den Hintergrund getreten war, tauchte am 24. August mit einem Kommentar zum Zionistenkongress in Prag wieder prominent in der Presse auf. Dem „Völkischen Beobachter“ zufolge drückte sich Rosenberg wie folgt aus:„Denn die Tatsache, dass Deutschland als erste große Nation sich in letzter Stunde besonnen hat auf seinen eigenen Ursprung und auf sein Recht auf Eigenart in der Formung seines politischen Daseins, hat trotz aller heftigen Gegnerschaft seinen tiefen Eindruck in der Welt nicht verfehlt. [] Der Nationalsozialismus hat dieses Thema nicht vom Zaun gebrochen, sondern es ist ihm als eine Schicksalsaufgabe übertragen worden und trotz allem, was in diesen 14 Jahren dem deutschen Volks seitens der Judenschaft angetan worden ist, hat sich die große Bewegung einer Volksrache enthalten und in gesetzlicher Weise unter Berücksichtigung der Teilnahme der Juden am Kriege und ihrer Verluste nach Möglichkeit die Schärfe vermieden. []“ In demselben Artikel betont Dr. Rosenberg, dass „im Hintergrund der Maßnahmen, möglichst die ganze Judenschaft Deutschlands außerhalb der deutschen Grenzen unterzubringen“, der Plan stehe, „durch diese Herauslösung der stärksten und gesündesten Teile der deutschen Judenschaft diese beim Beginn des großen Weltboykotts dem Zugriff der deutschen Regierung zu entziehen“. Die künftige Haltung Deutschlands dem ganzen Problem gegenüber hinge, sagte er, von den Ergebnissen des Prager Kongresses und von den Taten der Führer der Judenschaft in aller Welt ab. Er droht in anderen Worten, dass das Vorgehen der internationalen Führung des Judentums, sollte es der deutschen Regierung nicht passen, die Lage der Juden in Deutschland verschlimmern würde. In der Ausgabe vom 26. August von „Der Deutsche“, dem persönlichen Organ von Dr. Ley, dem Führer der Deutschen Arbeitsfront, kommentiert die Zeitung, dass es eine glückliche Lösung wäre, wenn alle Juden in Deutschland das Land verlassen könnten, wie der Zionistenkongress plane, und dass Deutschland den auswanderungswilligen Juden keine Hindernisse in den Weg legen würde, da man auf diese Weise Platz für heute arbeitslose Deutsche erhielte. Doch der Artikel bemerkt auch, dass die Frage noch zu klären sei, „was die Auswanderer aus Deutschland mitnehmen dürfen“. Während des Nürnberger Parteitags hielten sowohl der Kanzler als auch Dr. Goebbels richtungweisende Reden zur Judenfrage. Da das State Department vermutlich Kopien dieser Reden mit entsprechenden Kommentaren vorliegen hat, erübrigt sich jede weitere Bemerkung, abgesehen von der Feststellung, wie deutlich diese Reden zeigen, dass der Kanzler und Dr. Goebbels in der Judenfrage dieselbe Unerbittlichkeit an den Tag legen wie zu Beginn der Bewegung und der Frage eine so große Bedeutung zumessen, dass die Hauptreden auf der bedeutendsten je abgehaltenen Parteiversammlung der Rassefrage galten. Es ist jedoch interessant, folgende Zeilen aus dem Ende der Goebbels-Rede beim Nürnberger Parteitag zu zitieren: „Lassen Sie mich zum Schluss noch ein paar Worte über die Maßnahmen sagen, die wir gegen die Gefahren der gegen uns gerichteten Weltpropaganda ergriffen haben und weiterhin ergreifen werden. Es ist ganz klar, dass ein so groß geplanter Feldzug gegen Deutschlands Frieden und Sicherheit von uns nicht unbeantwortet bleiben kann. Eine Weltpropaganda gegen uns wird beantwortet mit einer Weltpropaganda für uns. Was Propaganda ist, welche Macht sie darstellt, mit welchen Mitteln und Methoden sie bestritten wird, das wissen wir; wir haben sie nicht am grünen Tisch gelernt, wir sind ihre Meister geworden in ihrer praktischen Handhabung für die Arbeit des Tages“.Wenn der wichtigste Sprecher der Partei, ihre obersten Führungskader und der Sachverständige für Rassefragen der Regierung im Innenministerium Meinungen vertreten, wie sie in oben genannten Reden und in dem Memorandum im Anhang dieses Schreibens zum Ausdruck kommen, fällt die Einsicht nicht schwer, dass die Rassefrage um nichts einfacher geworden ist. In ganz Deutschland sollen so genannte „Rasseämter“ eingerichtet werden. Schon am 4. Mai erschien in der Abendausgabe des „Berliner Tageblatt“ ein Artikel, in dem die Schaffung eines Rasseamtes unter der Leitung des Kommissars für das Gesundheitswesen in Dortmund angekündigt wird. Diesem Artikel zufolge sollen angesichts der Bedeutung der neuen Generation so rasch wie möglich Rasseakten für alle 80.000 Dortmunder Schulkinder angelegt werden. Am 28. Juni fand im Reichsministerium des Innern ein Treffen statt, an dem Dr. Frick sich mit folgenden Worten an den Sachverständigenbeirat für Bevölkerungs- und Rassepolitik wandte: „Neben der bedrohlich zunehmenden erbbiologischen Minderwertigkeit müssen wir in gleichem Maße die fortschreitende Rassenmischung und Rassenentartung unseres Volkes mit Sorge

verfolgen“. Er deutete an, dass man an die baldige Verabschiedung eines Gesetzes denke, das Ehen zwischen Deutschen und Juden unter Strafe stellen wird.Die Frage, wer arisch ist und wer nichtarisch, wird seit der Machtübernahme der Partei ausführlich diskutiert. Das so genannte „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ (Berufsbeamtengesetz), das die Angelegenheiten aller Beamten im Reich regelt, behandelt die Angelegenheit vorrangig. Nach diesem Gesetz ist es Personen jüdischen Bluts verboten, eine öffentliche Position im Land einzunehmen, wobei es bestimmte Ausnahmen gibt, vor allem bei den „Frontkämpfern“, also Juden, die im Krieg gekämpft haben. Die Grundprinzipien können ungefähr wie folgt zusammengefasst werden:1. Eine Person mit jüdischen Eltern oder Großeltern gilt als nichtarischer Abstammung. Ausreichend ist ein Eltern- oder Großelternteil nichtarischer Abstammung. 2. Jeder, der eine Beamtenlaufbahn anstrebt, muss beweisen, dass er und seine Frau arisch sind. Jeder Reichsbeamte, der eine Ehe einzugehen beabsichtigt, muss belegen, dass die Person, die er zu heiraten wünscht, arisch ist. Als Beweise gelten Geburts- und Heiratsurkunden. 3. Die festgelegten Grundprinzipien gelten für Beamte des Reichs, der Länder, der Kommunen sowie für Beamte kommunaler Einrichtungen und anderer Körperschaften, Institutionen und Stiftungen mit offiziellem Status.Dem „Berliner Tageblatt“ vom 16. September zufolge hat der Reichsinnenminister im Zusammenhang mit dem Reichsbeamtengesetz eine weitere Erklärung abgegeben, um den Terminus „nichtarisch“ zu definieren. In dieser Erklärung wird festgestellt, dass ein Beamter mit einem Großelternteil, der jüdisch oder jüdischer Abstammung ist, nach dem Gesetz als jüdisch zu gelten habe. Der Minister betont, dass bei der Interpretation des Gesetzes die arische Abstammung nicht von der Religion, sondern von der Rasse und dem Blut abhängig ist. Aus dem Gesagten geht eindeutig hervor, dass alle Personen mit jüdischen Eltern oder Großeltern vom Berufsbeamtentum und von anderen hohen öffentlichen Positionen in Deutschland ausgeschlossen sind. Im Hinblick auf die Staatsbürgerschaft befinden sich die Gesetze, welche die Juden entrechten sollen, noch überwiegend in Vorbereitung. Aus den bestmöglichen mir zur Verfügung stehenden Informationen geht hervor, dass anscheinend immer noch die Absicht besteht, praktisch alle Juden in Deutschland zu entrechten. Sie sollen den Status von „Ausländern“ erhalten, auch wenn ihre Familie seit Generationen in Deutschland lebt. Das ist die Position der Radikalen in der Partei, und die Gesetze werden, sollte nicht eine Bahn brechende Änderung eintreten, bei ihrer Verabschiedung sehr drastisch ausfallen. Unter dem Gesetz vom 14. Juli 1933 hat der Reichsminister des Innern bereits jetzt das Recht, Personen ohne Angabe von Gründen die Staatsbürgerschaft zu entziehen und ihr Eigentum zu beschlagnahmen. Das „Berliner Tageblatt“ vom 25. August und andere Zeitungen haben eine Liste von 33 deutschen Staatsbürgern veröffentlicht, die unter diesem Gesetz auf Anordnung des Reichsinnenministers ihrer Staatsbürgerschaft verlustig gingen. Unter den Namen auf dieser Liste befinden sich jene von George Bernard, Lion Feuchtwanger, Heinrich Mann und Philip Schneidemann.

Die Gesetze, die das Verbot von Mischehen regeln, wurden noch nicht veröffentlicht; solche Ehen wurden jedoch durch die bereits geltenden Maßnahmen fast ebenso wirksam unterbunden wie ein Gesetz es vermag. Das State Department ist aus früheren Berichten informiert, dass Parteimitglieder nicht mehr mit einer Person nichtarischer Abstammung eine Ehe eingehen dürfen, und sollte es ein Parteimitglied mit einer nichtarischen Frau oder einem nichtarischen Mann geben, muss diese Person aus der Partei ausgeschlossen werden. Nach dem Reichsbeamtengesetz wurden viele mit Nichtariern verheiratete Personen arischer Abstammung gezwungen, ihre Stellung aufzugeben. Die Behauptung ist keine Übertreibung, dass Tausende zwischen Ariern und Nichtariern geplante Ehen nicht stattfinden, weil eine solche Ehe die Karriere oder die schiere Lebensgrundlage der einen oder anderen Seite zerstören würde. Die nichtarischen Ehefrauen arischer Beamter haben meines Wissens ihre Ehemänner freiwillig verlassen, um ihnen die Fortsetzung ihrer Laufbahn zu ermöglichen. Die Frau eines arischen Professors teilte mir kürzlich mit, dass sie in die Vereinigten Staaten gehe und sich von ihrem Mann trenne, weil er ein Regierungsamt in Stuttgart bekleidet, und da sie jüdischer Herkunft sei, verlasse sie ihn, um ihm zu ermöglichen, weiterhin seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Da ich zufällig weiß, dass es sich um eine glückliche Ehe handelt, zitiere ich bloß diesen Einzelfall einer menschlichen Tragödie, die sich tagtäglich abspielt. Die „Säuberung“ der Universitäten von jüdischen Professoren und allen, die nach dem Berufsbeamtengesetz nichtarische Vorfahren haben, geht weiter. Meines Wissens gibt es an der Berliner Universität nur noch einen Professor jüdischer Herkunft. Am 9. September ordnete der Reichsstatthalter von Sachsen in Übereinstimmung mit einem Entscheid des Sächsischen Bildungsministeriums und des Reichsbeamtengesetzes die Entlassung von sechs Professoren der Universität von Leipzig an, fünf von ihnen jüdischer Abstammung. In anderen Universitäten wurde die „Säuberung“ schon vor einiger Zeit vollzogen. In diesem Zusammenhang mag es für das Department von Interesse sein, dass ich vor einigen Tagen im Reichsinnenministerium ein Gespräch mit dem Ministerialdirektor Dr. Buttsman führte, den ich wegen eines amerikanischen Arztes in Deutschland aufsuchte, und er bestand darauf, die jüdische Frage zu erörtern. Er referierte mir die übliche Verteidigung, die man in verschiedenen Ministerien und in der Presse antrifft und die ununterbrochen von allen Seiten an uns herangetragen wird und darauf hinausläuft, dass man durch die Lösung der Judenfrage unserem Land und auch dem Rest der Welt einen Dienst erweise. Bei der Umsetzung der verschiedene jüdische Professoren und Freiberufler betreffenden Gesetze habe man versucht, alle Härtefälle zu vermeiden, und der von der deutschen Regierung in Anwendung gebrachte Numerus clausus sei der einzig mögliche Weg. Ich sagte ihm, dass ich die Judenfrage nicht diskutieren wolle, dass es mich aber, da er schon damit angefangen habe, interessieren würde, wie viele jüdische Professoren es unter dem Numerus clausus an der Berliner Universität noch gebe. Er vermittelte mir daraufhin den Eindruck, dass nur sehr wenige Professoren belästigt worden seien, und als ich ihm entgegnete, dass meines Wissens nur noch einer, wenn überhaupt, übrig geblieben sei, schwieg er. Dann fragte ich ihn, wie viele jüdische Professoren es noch an der Universität Leipzig gebe, und er antwortete, dass die meisten von ihnen noch arbeiteten. Als ich ihn darauf hinwies, dass man vor weniger als zwei Wochen fünf von ihnen einen nach dem anderen entlassen habe und ich bescheid wüsste, dass kein einziger nichtarischer Professor in Leipzig übrig geblieben sei, wusste er wieder nichts zu entgegnen. Ich erwähne das nur, um aufzuzeigen, dass man unter den hohen Regierungsbeamten ein bemerkenswertes Ausmaß an Unehrlichkeit antrifft. Da Dr. Buttsman anscheinend einer der ranghohen Regierungsbeamten ist, an die sich amerikanische und ausländische Professoren um Informationen wenden müssen, wenn sie nach Deutschland kommen, ist es recht verständlich, warum manche dieser Freiberufler Deutschland mit einem so unzutreffenden Bild der Lage verlassen.

Die Situation der jüdischen Ärzte in Deutschland wird immer schwieriger. Sie wurden von den Ärztevereinigungen ausgeschlossen, in denen die Mitgliedschaft unabdingbar ist, um in den Genuss der normalen Privilegien zu gelangen, die einem Arzt die Ausübung seines Berufes ermöglichen. Sie sind, abgesehen von jüdischen Einrichtungen, von allen Krankenhäusern und Kliniken ausgeschlossen. Die einzige Ausnahme, die in diesem Zusammenhang gemacht wurde, betrifft jüdische Ärzte, die während des Krieges an der Front gedient haben. Ein solcher Kriegsdienst ist allerdings keine Privilegiengarantie. Ich lege Ihnen zwei Zeitungsausschnitte aus einer Nürnberger Zeitung bei. Im ersten Ausschnitt werden die Namen von elf jüdischen Ärzten in Nürnberg aufgelistet, deren Praxen erneut zur gesetzlichen Krankenkasse zugelassen wurden; um ihr Bedauern über diese offizielle Wiederzulassung auszudrücken, versieht die Zeitung diese Notiz mit einem schwarzen Rand. Der zweite Ausschnitt stammt aus derselben Zeitung vom folgenden Tag und bezieht sich auf den vorhergehenden Artikel. Der Vorsitzende der Nürnberger Ärztevereinigung Dr. Strock publiziert dieselbe Liste der elf Ärzte und teilt mit, dass die Veröffentlichung ihrer Wiederzulassung ohne sein Wissen und Einverständnis erfolgte. Danach warnt er die Menschen davor, diese Ärzte trotz der Tatsache, dass sie wieder über eine Krankenkassenzulassung verfügen, zu konsultieren oder irgendwelche Dienste von ihnen in Anspruch zu nehmen. Die „Vossische Zeitung“ vom 24. August meldet die Gründung einer „Ärzteakademie“, zu der kein Arzt nichtarischer Abstammung zugelassen ist. Die Lage jüdischer Anwälte in Deutschland hat sich in keiner Weise gebessert. Unter der Mehrheit der wieder zugelassenen Anwälte breitet sich eine allgemeine Depression aus. Dr. Max Alsberg, einer der angesehensten Berliner Anwälte, beging im Alter von nur 56 Jahren vor einigen Tagen in einem Sanatorium im Engadin Selbstmord. Im „Berliner Tageblatt“ erschien am 13. September ein ziemlich langer Artikel, der die beruflichen Leistungen von Dr. Alsberg hervorhebt und behauptet, er sei an einem Herzinfarkt gestorben, an dem er schon seit geraumer Zeit leide. Ich hingegen habe die Information, dass Dr. Alsberg sich wegen seiner anhaltenden Depression das Leben genommen hat. In der Anlage finden Sie den Fragebogen, den jede Person ausfüllen muss, die sich in Deutschland um eine Stellung im öffentlichen Dienst bewirbt oder ein Amt in einer offiziellen oder halboffiziellen Organisation anstrebt. Die interessanten Fragen finden sich auf Seite 4, wo der Bewerber zu sehr genauen Angaben über seine Eltern und Großeltern aufgefordert wird. Alle deutschen Beamten, ob hoch oder niedrig, müssen diesen Fragebogen, der sorgfältig geprüft wird, ausfüllen. Jene, die keine ihre arische Abstammung beweisenden Dokumente vorlegen können oder die nicht unter das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums fallen, werden ihres Amtes enthoben. Ein Hinweis darauf, wie weit die antisemitische Bewegung geht, ist die Veröffentlichung eines neuen Telefonalphabets durch die Deutsche Post, das landesweit Anwendung finden soll. Beim Buchstabieren von Namen übers Telefon war es üblich, für den Buchstaben S „Samuel“ zu sagen, nun ist es „Siegfried“; und statt „Nathan“ für N buchstabiert man heute „Nordpol“. Das State Department weiß von den Maßnahmen, die an den verschiedenen Universitäten und in allen deutschen Städten getroffen wurden, um die Bücher jüdischer Autoren aus den Bibliotheken zu entfernen. In diesem Zusammenhang ist der folgende Erlass des Preußischen Kultusministeriums an Universitäten, Hochschulen etc. von Interesse:

„Für wissenschaftliche Bibliotheken kommt die Beschlagnahme oder Zerstörung jüdischer oder marxistischer Bücher nicht in Frage. Die Ausleihe solcher Bücher muss jedoch in Zukunft mit der größten Sorgfalt gehandhabt werden. Sie können nur entlehnt werden, wenn der Benutzer beweisen kann, dass er sie für ernsthafte wissenschaftliche Forschungsarbeit benötigt“. Als bezeichnend für die vorherrschende Stimmung möchte ich dem Department über eine Versammlung berichten, die am Abend des 18. September im Berliner Sportpalast stattfand. Es sprach zuerst Dr. Habicht, dessen Rede in einer Reihe von Berliner Zeitungen abgedruckt wurde. Ihm folgte Schulze-Wechsungen, der NSDAP-Propagandachef des Gaus Berlin. An der Versammlung nahmen an die 6000 Menschen teil, die mit Interesse und Begeisterung Wechsungens Rede folgten, in der er die Juden attackierte. Er befürwortete eine Erhöhung der Zahl von 40.000 derzeit in den Konzentrationslagern festgehaltenen Personen, da die Verlegung einer großen Zahl von Juden dorthin das Arbeitslosenproblem lösen würde. Er forderte die fortgesetzte Verfolgung der Juden in Deutschland und stimmte der Prügelstrafe für deutsche Frauen zu, die es wagten, sich in der Öffentlichkeit mit Juden zu zeigen. Seiner Meinung nach laufen viel zu viele Juden, die eigentlich in Konzentrationslager gehörten, noch frei herum, doch werde man sie einen nach dem anderen dorthin schaffen. Schließlich meinte er, die Juden hätten guten Grund, Gott dafür zu danken, dass Hitler der Führer der Nationalsozialisten sei. Wäre er nicht ihr Führer, würden die Juden nicht mehr existieren. Des Weiteren merkte er an, dass er als Propagandachef des Gaus Berlin angeordnet habe, künftig jedem arischen Mädchen, das sich in einem Restaurant oder auf der Straße mit einem Juden blicken lasse, eine ordentliche Tracht Prügel zu verpassen. „Die Aufgabe der Stadtverwaltung ist es, die Kanalisation in Schuss zu halten. Die Sturmtruppen der Nationalsozialistischen Partei müssen sich um die anderen Säuberungsmaßnahmen kümmern“. Diese Rede war so abscheulich, dass sie von keiner einzigen Berliner Zeitung zitiert wurde, und nur eine Zeitung erwähnte, dass Wechsungen bei der Versammlung überhaupt das Wort ergriffen hatte. Ein Korrespondent des New York Herald Tribune und des International News Service nahmen an der Versammlung teil und stenographierten Wechsungens Rede mit. Ich habe das State Department in verschiedenen Berichten darüber in Kenntnis gesetzt, dass die Phase der physischen Verfolgung der Juden als abgeschlossen betrachtet werden könne. Das stimmt vermutlich immer noch, doch finden vereinzelte Übergriffe auf Juden andauernd statt. Vor etwa drei Wochen wurde der Sohn einer der prominentesten jüdischen Familien Deutschlands seiner Frau tot übergeben. Der Familie wurde es gestattet, den Leichnam zu begraben, sie durfte aber nur eine Gesichtshälfte sehen. Die Mutter dieses Juden ist eine der größten Philantropinnen Deutschlands und hat während des Krieges und seither ihr beträchtliches Vermögen dazu genutzt, in großzügiger Weise zur Linderung von Leid beizutragen. Der Sohn, der offensichtlich brutal ermordet wurde, hat fünf Kriegsverletzungen davongetragen, obwohl er schon nach seiner ersten nicht mehr zur Front zurückkehren hätte müssen. Von diesen Verletzungen gesundheitlich stark angeschlagen, erwarb er mit seinem beträchtlichen Vermögen ein großes Anwesen etwa 27 Kilometer von Berlin entfernt und widmete sich der Ausbildung junger Männer zu guten Landwirten. Seine Feinde waren ein Vater und dessen Sohn, die auf dem Anwesen lebten und ihm andauernd Schwierigkeiten bereiteten; nach dem 5. März sorgten sie als Nationalsozialisten dafür, dass dieser Jude in ein Konzentrationslager kam, wo er schwer misshandelt wurde. Dank der Position seiner Familie und seines und seiner Mutter wohltätigem Wirken wurde er aus dem Konzentrationslager entlassen. Danach lebte er mit seiner Frau in Berlin, da er auf seinem Anwesen nicht mehr in Sicherheit war. Vor etwa drei Wochen wurde er an einem Samstagvormittag von der Polizei seines Wohnbezirks zur Registrierung vorgeladen. Er begab sich aufs Polizeirevier, wo ihm mitgeteilt wurde, es sei eben ein Telegramm eingetroffen, das seine Festnahme verlange, und er wurde verhaftet. Er durfte seine Frau benachrichtigen, die ihm sein Mittagessen aufs Polizeirevier brachte. Es war das letzte Mal, dass er von irgendeinem Familienmitglied lebend gesehen wurde. Am folgenden Mittwochabend klopfte ein Polizeibeamter an der Wohnungstür der Familie und forderte seine Frau auf, aufs Revier mitzukommen, man habe eine gute Nachricht von ihrem Mann. In der Zwischenzeit hatten prominente Personen ihren Einfluss genutzt, um herauszufinden, wo sich der junge Mann befand; doch er konnte selbst mit Hilfe hochrangiger Regierungsmitglieder in Berlin nicht aufgefunden werden. Die Frau begab sich zum Polizeirevier, wo man ihr sagte, ihr Mann sei tot. Sie wurde ins Leichenschauhaus gebracht, wo ein Tuch von einer Gesichtshälfte des jungen Mannes gelüftet wurde, damit sie ihn identifizieren könne. Der Leichnam wurde der Familie für das Begräbnis übergeben, sehen durften sie ihn aber nicht. Die Polizei verbreitete, dass er Selbstmord begangen hatte, indem er sich bei seiner Einlieferung ins Konzentrationslager vor einen Lastwagen warf. Tatsache ist, das ihn dieselben beiden Männer, Vater und Sohn, die ihn zuvor durch die SA und mit Hilfe der Polizei ins Konzentrationslager bringen hatten lassen, in die Hände bekamen. Wie genau er umgebracht wurde, bleibt ein Rätsel. Bemerkenswert ist, dass die SA seine Leiche bei eben jenem Polizeirevier abgab, wo er zuvor lebend übernommen wurde. Diese schrecklichen und unglaublich erscheinenden Tatsachen dieses Falles beziehe ich aus über jeden Verdacht erhabenen Quellen.Dass Vorfälle dieser Art immer vereinzelter vorkommen, ist zweifellos wahr; es ist aber ebenso wahr, dass sie weiterhin stattfinden und dass die den Behörden durchaus bekannten Täter nicht bestraft werden.Ich habe mich über den gegenwärtigen Status der Juden in Deutschland so breit ausgelassen, weil ich es für unabdingbar halte, dass das Department von den Einzelheiten Kenntnis nimmt. Der Reichspropagandaminister Dr. Goebbels wiederholte in seiner Rede zur Rassefrage in Nürnberg den so oft gehörten Satz, dass seit dem 5. März keinem Juden ein Haar gekrümmt wurde. Da solche Feststellungen von Regierungsverantwortlichen getroffen werden, ist es notwendig, die tatsächlichen Fakten festzuhalten.

HochachtungsvollGeorge S. Messersmith
Amerikanischer Generalkonsul Quelle: George S. Messersmith Papers, Item 305, University of Delaware Library, Newark, Delaware. Messersmith, G.S., Berlin. Despatch No. 1596 to Secretary of State Cordell Hull, Washington, September 21, 1933 – George Messersmith’s Report to the State Department on „The Present State of the Anti-Semitic Movement in Germany“ (September 21, 1933).

Anmerkungen

[1] Es handelte sich tatsächlich um die Maiausgabe des Jahres 1933, Heft 38—Hrsg.
Übersetzung: aus dem Englischen ins Deutsche: Erica Fischer