Kurzbeschreibung

Mit der Gründung der zwei deutschen Staaten 1949 wurde auch die innerdeutsche Grenze immer sichtbarer und zunehmend streng kontrolliert. Der Grenzübergang bei Helmstedt auf der Autobahn zwischen Hannover und Berlin wurde für Transitreisende zu einem Ort, den man möglichst schnell hinter sich lassen wollte. Im November 1950 schilderte ein Radioreporter die Situation dort, die von Schmuggel, Fluchtbewegungen und drohendem Schusswaffengebrauch geprägt war. Dieser kurze Ausschnitt aus dem längeren Bericht vermittelt einen Eindruck der Grenzsituation.

Am Grenzübergang in Helmstedt (18. November 1950)

Quelle

/Reporter: Wir stehen am Ausfalltor nach West-Berlin  und gerade heute hat es wieder eine Schlange von drei Kilometer Länge gegeben.

/Westdeutscher Grenzbeamter: Für uns ist es natürlich sehr erwünscht, wenn der Verkehr fließend abgefertigt wird, leider ist das natürlich nicht immer möglich, weil auf der Ostzone die Abfertigungen schon mal sehr verzögert durchgeführt werden, sodass sich hier auf unserer Seite hin und wieder größere Schlangen bilden, und zwar Schlangen in einer Entfernung von zwei bis fünf oder auf sechs Kilometern.

/Reporter: Es ist ein Punkt, an dem nicht nur tagsüber Betrieb ist, sondern wir befinden uns bereits mitten in der Dunkelheit, und die ganze Nacht über ist hier alles hell erleuchtet und der Übergang ist in vollem Betrieb. Wie viele Fahrzeuge kommen denn am Tag bei Ihnen durch?

/Westdeutscher Grenzbeamter: Also wir haben einen Durchschnitt von täglich 1000 Fahrzeugen, es schwankt von 950 bis 1200, also man kann sagen 1000 Fahrzeuge. In jeder Richtung 500 Fahrzeuge und davon  die Hälfte Lastwagen.  Wollen mal einen Augenblick warten, bis der vorbei ist.  Ja, die Hälfte Lastwagen und die Hälfte Personenkraftwagen. 

/Reporter: Ich habe gehört, dass Sie eine Menge von Waren beschlagnahmen müssen. Warum eigentlich?

/Grenzbeamter: Ja, der illegale Verkehr der blüht natürlich vor allen Dingen wegen des großen Währungsgefälles,  das zwischen Ostzone und der Bundesrepublik besteht. Heute hatten wir gerade einen interessanten Fall mit ostzonalen Glaswaren.  Also der Fall lag so, dass ein Westberliner Lampenhändler da mit einem Lastzug Beleuchtungskörpern kommt, also kompletten Lampen. In Wirklichkeit hat er oben eine dünne Schicht Lampen geladen und unten reines ostzonales Glas. Dazu natürlich noch etwa die dreifache Menge, weil die  Glashändler genau wissen, dass dieses Glas, was lose in Stroh verpackt ist, sehr schwer zu überprüfen ist. Dazu kam noch, wenn ich das noch ergänzen darf, dass den beiden Beamten Bestechungsgelder von je 100 Mark angeboten wurden. Die Anfechtungen sind natürlich sehr groß und wir haben auch nur hier ausgesuchtes Personal.

/Reporter: Das war nun ein Versuch einer ostzonalen Firma, über Westberliner Papiere hier mit ihren Waren hereinzukommen. 

/Grenzbeamter: Ja.

/Reporter: Aber woher kommt beispielsweise der Kaffee, den sie hier mitunter  Zentnerweise beschlagnahmen?

/Grenzbeamter: Ja, nicht Zentner, tonnenweise kann man sagen. Ja, das ist ein besonderes Kapitel, der Kaffee, der geht teilweise erst mit Lastzügen hier durch mit Zollpapieren, das heißt unverzollt, und wird dann in Berlin im Ostsektor verzollt. Im Ostsektor gibt es bekanntlich die Kaffeesteuer nicht. Und dann wird er wieder versucht, hier reinzuschmuggeln.

/Reporter: Also sie treffen die gleichen Bohnen zweimal, einmal als Transitware und dann kommt er wieder herein...

/Grenzbeamter: Dann kommt er wiederh herein als Schmuggelgut. Oder ein anderer Weg, der soll auch der sein, dass über Amsterdam nach Rostock verladen wird, dann nach Berlin, also hintenrum in Berlin in freien Verkehr gesetzt wird und dann versucht wird, hier einzuschwärzen.

/Reporter: Dabei geht es also dann um das Einsparen der Verbrauchssteuer?

/Grenzbeamter: Ja, der Anreiz ist ziemlich groß. An der Tonne... pro Kilo zehn Mark, also eine Tonne sind 10.000 Mark. Eine Tonne ist nicht viel, die kann schließlich unter Schrott und unter schwer beschaubarem Gut wie zum Beispiel Lumpenballen oder Papierballen kann das leicht verborgen werden. Also könnte ich Romane erzählen, was sich hier schon alles abgespielt hat, auf welche Schmuggelwege und Verstecke die Interessenten da gekommen sind.

/Reporter: Vorher fiel gerade ein Schuss, woher kam der? Von dort drüben?

/Grenzbeamter: Das passiert hier oft die Ostpolizei, da sitzen die Kugeln ziemlich locker im Lauf.  Es sind auch oft harmlose Grenzgänger hier, die nicht stehengeblieben sind, die übern Haufen geschossen wurden.

/2. Grenzbeamter: Davon bin ich überzeugt, dass in den umliegenden Wäldern noch manche Leiche in der späteren Zeit aufgefunden werden wird. Denn wir hatten in den schlimmen Jahren 45, 46, 47 verhältnismäßig viele Tote, die durch Schüsse von der Ostseite nun ihr Leben lassen mussten und die auch heute noch nicht alle aufgefunden sind.

/Reporter: Wir haben nun gerade vorher einen Haufen Grenzgänger getroffen, das waren allerdings alles Leute, die aus dem Westen nach Osten gegangen waren und nun wieder abgeschoben worden sind. Aber sie haben ja auch laufend eine Menge von Bewohnern der Ostzone, die hier durchkommen.

/3. Grenzbeamter:  Die Grenzgänger von Ost nach West, die illegal über die Grenze kommen, passieren nicht hier den Grenzübergang unmittelbar, sondern kommen rechts und links der Autobahn über die Grenze, und zwar meist bei Dunkelheit, damit sie nicht der Gefahr ausgesetzt sind, von der Volkspolizei aufgegriffen zu werden. Wir rechnen täglich mit 100, 200 Menschen, die hier rüber kommen, das ist das Mindeste,  an Wochentagen. An Wochenenden kommt es auch wohl auf 300, 400, bei gutem Wetter kann es auch 500 werden im Sommer.

/Reporter: Das deutet ja schon darauf hin, dass es sich häufig um Besucher handelt.

/Grenzbeamter: Oder um Leute, die hier einkaufen wollen, die sonnabends Zeit haben und Sonnabend nachmittags hier rüberkommen.

/Reporter: Der Prozentsatz der echten Flüchtlinge ist also nur noch gering.

/Grenzbeamter: Der ist eigentlich geringer, obgleich auch schon sehr viele Leute hier rüberkommen mit Kinderwagen, mit kleinen Kindern, teilweise durch den Sumpf, die klitschenass hier ankommen. Da habe ich neulich welche hier angetroffen. Die Leute, die sind dann immer sehr erschöpft und werden hier von der Mission aufgenommen. Der Grund, warum die Leute gerade hier alle zusammentreffen, ist der, dass sie fast alle mittellos sind und von hier aus versuchen, kostenlos weiter befördert zu werden.

/Reporter: Wie ist es denn mit der Kriminalität hier bestellt? Dies ist ja einer der unruhigsten Punkte, die es in Deutschland gibt, könnte man sagen, und verständlicherweise, wo so viele Menschen her und hin und herüber wechseln, da kommen ja auch unsichere Kantonisten an.

/Grenzbeamter: Ich kann in diesem Zusammenhang sagen, dass der hiesige Kreis monatlich so viel Festnahmen, Freiheitsentziehungen also hat wie die üblichen fünf Kreise zusammengenommen. Wenn ich auf Ihre letzte Frage noch mal zurückkommen kann, so möchte ich sagen, dass bei den festgenommenen Personen, von denen vorher gesprochen worden ist, es sich um solche handelt oder meist um solche Handel, die laut Steckbrief gesucht werden. Das ist  sehr verständlich, dass gerade hier im Polizeiabschnitt Helmstedt sehr viel Verbrechertum  und lichtscheues Gesindel wechselt, die hier in die britische Zone eintreten, straffällig werden, tätig werden also und nachdem wieder in die Ostzone zurück wechseln.
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