Kurzbeschreibung

Die Regierung der DDR und die SED geraten mit ihren Bemühungen um eine politische Vereinnahmung der ostdeutschen Jugendlichen durch die sozialistische Schule und die Jungen Pioniere bzw. die Freie Deutsche Jugend (FDJ) schon bald in Gegensatz zu traditionellen Erziehungsinstanzen, vor allem den christlichen Kirchen, wobei die Evangelische Kirche eine besonders große Rolle spielt. Die Evangelische Kirche sieht sich aufgrund ihres großen Engagements für eine Jugendarbeit im christlichen Sinn in den frühen fünfziger Jahren heftigen Angriffen von staatlicher Seite ausgesetzt. Die SED wirft der Kirche vor, sich staatsfeindlich zu verhalten und mit ihren Angeboten gezielt die Arbeit der FDJ zu unterlaufen. Als eine erste Gegenmaßnahme wird im Juli 1952 die Tätigkeit der Studentenpfarrer verboten.

Anfang 1953 gehen Staat und Partei mit Zwangsmaßnahmen sowie einer Propagandaoffensive gegen die Junge Gemeinde der Kirche vor. Die Junge Gemeinde sowie ihre Schriften und Abzeichen werden verboten. In den Oberschulen wird der Religionsunterricht abgeschafft. Junge Christen werden vom Studium ausgeschlossen. In öffentlichen Schauprozessen soll die angebliche staatsfeindliche Tätigkeit der Jungen Gemeinde bloßgestellt werden. Zugleich soll die sozialistische Freie Deutsche Jugend (FDJ) mit attraktiven Angeboten ihre Werbung um die Jugendlichen verstärken.

Das Politbüro des ZK der SED über die Junge Gemeinde (27. Januar 1953)

Quelle

Auszug aus dem Protokoll Nr. 5/53 der Sitzung des Politbüros des ZK der SED am 27.1.1953

Beschlußpunkt 6: Junge Gemeinde und Anlage Nr. 2 zum Protokoll, Junge Gemeinde

6. Junge Gemeinde:

Berichterstatter: Axen

1) Den Maßnahmen gegen die Junge Gemeinde wird zugestimmt. (Anlage Nr. 2)

2) Der Verordnung über die Genehmigung der Anmeldepflicht von Veranstaltungen wird zugestimmt. (Anlage Nr. 3)

3) Genosse Grotewohl und die Abteilung Staatliche Verwaltung werden beauftragt, eine Besprechung des Genossen Grotewohl mit den kirchlichen Vertretern der DDR vorzubereiten.

Anlage Nr. 2 zum Protokoll Nr. 5/53 v. 27. Januar 1953 (P)

Junge Gemeinde

I. Entlarvung der Jungen Gemeinde in der Öffentlichkeit als einer Tarnorganisation für Kriegshetze, Sabotage und Spionage, die von westdeutschen und amerikanischen imperialistischen Kräften dirigiert wird.

1) Der Genosse Generalstaatsanwalt beim Obersten Gericht der DDR wird beauftragt, in einigen Bezirks- bzw. Kreisstädten der DDR – nicht in Berlin – in kurzen Zeitabständen hintereinander (Zeitdauer insgesamt 14 Tage) drei bis vier öffentliche Prozesse anhand des entsprechenden Beweismaterials durchzuführen, in denen klar die kriegshetzerische und Agenten- und Sabotagetätigkeit von Mitgliedern und Funktionären der Jungen Gemeinde nachgewiesen wird.

2) In den Kreisausgaben der Bezirkspresse der SED und der übrigen Blockparteien sind solche Dokumente bzw. Briefe zu veröffentlichen, aus denen die staatsfeindliche Tätigkeit der Jungen Gemeinde hervorgeht.

3) In der Bezirkspresse der SED und der Blockparteien sind Enthüllungen über die staatsfeindliche und demoralisierende Tätigkeit der Jungen Gemeinde durch ehemalige Mitglieder und Funktionäre der Jungen Gemeinde selbst zu veröffentlichen.

4) Es ist zur gleichen Zeit das öffentliche Auftreten von Pfarrern, Mitgliedern der Kirchenräte, von christlichen Eltern sowie christlichen Jugendlichen gegen die USA-hörige sogenannte „Jugendkammer-Ost“ in Westberlin breit zu organisieren.

5) In den Ortsgruppen des DFD sowie in den Frauenausschüssen entsprechender Betriebe sind Versammlungen zu organisieren, in denen vor den Müttern die feindliche Rolle der Jungen Gemeinde entlarvt wird.

6) Die Bezirks- und Kreisleitungen der Partei werden beauftragt, in den entsprechenden Kreisen und Städten Versammlungen der Elternbeiräte an den Schulen zum Zwecke der Entlarvung der feindlichen Tätigkeit der Jungen Gemeinde durchzuführen.

7) Es sind Stellungnahmen der Leitungen der CDU, der LDP, der NDP und der DBD sowie danach der Ausschüsse des Blocks in den Gemeinden und Kreisen, später in den Bezirken gegen die staatsfeindliche Tätigkeit der Jungen Gemeinde anzunehmen und einige, besonders die Stellungnahmen der CDU und LDP, in der Bezirkspresse zu veröffentlichen.

II. Verstärkung der ideologisch-politischen und kulturellen Arbeit der FDJ, der Sportorganisationen, des DFD, der VdgB (BHG)

1. Die Genossen im Zentralrat der FDJ werden beauftragt:

a) beschleunigt populär-wissenschaftliche Schriftreihen in Massenauflagen herauszugeben und für ihre breiteste Propagierung zu sorgen.

b) Es sind populär-wissenschaftliche Vorträge unter besonderer Berücksichtigung bestimmter Städte, Dörfer und Schulen durchzuführen. Bei den Themen sollen Fragen der Moral, der Ehe, der Liebe, der Familie, des Glücks, Fragen der Erkennbarkeit der Welt, Materie und Idee usw. besonders in den Vordergrund gestellt werden.

Dazu soll mit Unterstützung des Kulturbundes sofort bei jeder Kreisleitung der FDJ ein entsprechendes Aktiv von Referenten und Lektoren für populär-wissenschaftliche Vorträge, Streitgespräche, öffentliche Diskussionen usw. geschaffen werden. Die ideologischen Auseinandersetzungen sollen nach einem genauen Plan an den Universitäten und Hochschulen sowie Oberschulen beginnen.

c) daß auf der Grundlage des Planes der FDJ zur Durchführung des Karl-Marx-Jahres eine breitere und vor allem systematischere Werbung für die Einbeziehung einer größeren Zahl von Teilnehmern in das FDJ-Schuljahr erfolgt.

d) die würdige Durchführung der Schulabschlußfeiern im Jahre 1953 muß besonders gewissenhaft vorbereitet werden.

e) gerade in der entsprechenden Zeit der Durchführung der Prozesse und der Maßnahmen mit der bedeutenden Verstärkung der Arbeit der FDJ auf dem Gebiet des frohen Jugendlebens durch die Organisierung von Winterwanderungen, Pferde- und Motorschlittenfahrten, Faschings- und Frühlingsbälle, Zeitungsfeste usw. zu beginnen.

f) in jeder Oberschule einen hauptamtlichen FDJ-Funktionär einzustellen.

g) im Monat Februar eine Konferenz der hauptamtlichen und ehrenamtlichen Sekretäre der FDJ an den Oberschulen zu organisieren mit dem Ziel, konkrete Maßnahmen zur Festigung der Einheit der Jugend und zur Verstärkung der politischen und kulturellen Arbeit der FDJ festzulegen.

h) im Zusammenhang mit dem Umtausch der Verbandsdokumente die Leitungen der Grundeinheiten der FDJ von den aktiven Anhängern der Jungen Gemeinde besonders an den Oberschulen und Universitäten zu säubern.

2. Die Genossen im Staatlichen Komitee für Körperkultur und Sport werden beauftragt, besonders interessante Sportveranstaltungen an bestimmten Kalendertagen durchzuführen und zu diesem Zwecke einen genauen Plan für die einzelnen Kreise auszuarbeiten.

III. Administrative Maßnahmen

1) Die Genossen im Ministerium für Volksbildung werden beauftragt:

a) durch die Schulinspektoren und die Direktoren der allgemeinbildenden Schulen wirksame Kontrollmaßnahmen festzulegen, damit sich der Religionsunterricht nicht hindernd für den allgemeinen Unterricht und die Mitarbeit der Kinder in der Organisation Thälmann-Pioniere auswirkt.

b) zu überprüfen, ob der Unterricht in den Alt-Sprachen – lateinisch, griechisch –, der bisher an den Oberschulen erteilt wird, nicht generell im Rahmen des entsprechenden Universitätstudiums durchgeführt werden kann.

c) in den neuen 10-Klassenschulen keinen Religionsunterricht mehr durchführen zu lassen.

2. Die Genossen im Ministerium für Staatssicherheit und in der Hauptverwaltung der Deutschen Volkspolizei werden beauftragt, dem Presseamt beim Ministerpräsidenten Material über die feindliche Tätigkeit der Jungen Gemeinde zwecks Übergabe an die demokratische Presse zur Verfügung zu stellen.

3. Die Genossen im Staatssekretariat für Hochschulwesen werden beauftragt, geeignete Maßnahmen zu treffen und zu kontrollieren, um ab sofort jede Zulassung von aktiven Mitgliedern und Funktionären der Jungen Gemeinde zu den Universitäten und Hochschulen zu unterbinden.

4. Seitens der Regierung ist nach Durchführung der Prozesse der Leitung der Evangelischen Kirche mitzuteilen, daß

a) die sogenannte Jugendkammer Ost in Westberlin von der Regierung der DDR als eine unter religiösem Deckmantel arbeitende, gegen die DDR gerichtete Organisation entlarvt ist und jede Tätigkeit dieser Jugendkammer im Gebiet der DDR streng untersagt wird. Die der westberliner Jugendkammer unterstehenden Landes- und Kreisjugendkammern sind sofort aufzulösen. Jede weitere Tätigkeit ist zu unterbinden.

b) Jede Tätigkeit der sogenannten Jungen Gemeinde wird verboten. Die Leiter der sogenannten Jugendkreise werden ihrer Funktion enthoben.

5) Die Räte der Bezirke werden angewiesen, strengstens jede Tätigkeit von sogenannten „Wanderpredigern“ in der DDR zu verbieten, weil diese als Agenten westdeutscher und ausländischer Imperialisten auftreten. Jene, die trotz Verbots auftreten, sind festzustellen und strafrechtlich zu verfolgen. Die Genossen im Ministerium des Innern und die Genossen Vorsitzenden der Räte der Bezirke und Kreise haben jede Zusammenfassung und Tätigkeit von Jugendlichen aller Religionsgemeinschaften im Gebiet der DDR und im demokratischen Sektor von Berlin, die über den Rahmen der in der Verfassung garantierten Religionsausübung hinausgeht (wie z.B. Jugendwanderungen, Zeltlager, Rüstzeitlager, Laienspiele, Laienchöre, christliche Akademien usw.), zu verbieten. Dies gilt auch für die Tätigkeit innerhalb der Kirche. Das Tragen des sogenannten Bekenntniszeichens wird verboten. Die Herausgabe und Verbreitung von kirchlichen Jugendzeitschriften wird eingestellt.

6) Die Leiter ehemaliger kirchlicher Jugendgruppen, Pfarrer usw., die gegen die Anordnung der staatlichen Organe verstoßen, sind auf der Grundlage des Gesetzes zum Schutze des Friedens und der anderen demokratischen gesetzlichen Bestimmungen strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen.

7) Genosse Innenminister Stoph wird beauftragt, unverzüglich eine neue Verordnung über die Genehmigungs- und Anmeldepflicht von Veranstaltungen dem Präsidium des Ministerrats zur Bestätigung vorzulegen.

IV. 1) Zur Durchführung der obigen Beschlüsse wird eine Kommission unter dem Vorsitz des Genossen Erich Honecker gebildet. Der Kommission gehören an die Genossen

Dahlem

Ilse Thiele

Lauter

Wandel

Mielke

Barth.

Die Kommission wird beauftragt, sofort einen konkreten Plan für die Durchführung der Beschlüsse des Politbüros auszuarbeiten.

2) Die ersten Sekretäre der Bezirks- und Kreisleitungen werden beauftragt, allen Bezirks- und Kreisleitungen spezielle Kommissionen unter dem Vorsitz des ersten Sekretärs einzusetzen, denen weiter angehören:

der 1. Sekretär der FDJ

der Vertreter des Ministeriums f.[ür] Staatssicherheit

der Vorsitzende des Bezirks- bzw. Kreisrates

der verantwortliche Genosse für Volksbildung.

Die Kommissionen arbeiten genau nach dem Beschluß des Politbüros und dem Plan der zentralen Kommission.

Quelle: SAPMO-BA ZPA J IV 2/2259; abgedruckt in Frederic Hartweg, SED und Kirche. Eine Dokumentation ihrer Beziehungen. Neukirchen-Vluyn 1995, S. 88–91.