Kurzbeschreibung

Nach der Einführung der Jugendweihe als eine säkulare Alternative zur Konfirmation in der DDR bemüht sich die SED, möglichst viele ostdeutsche Jugendliche zur Teilnahme zu bewegen. Neben den Jugendlichen selbst sollen in den fünfziger Jahren auch die Eltern durch gezielte Propaganda in den Betrieben von der Jugendweihe überzeugt werden. Die Jugendweihe und die über ein Jahr verteilten Jugendstunden, die ihrer Vorbereitung dienen, sollen die Jugendlichen zur sozialistischen Weltanschauung bekehren und stehen in engem Zusammenhang mit den Erziehungsidealen der reformierten Schule und der Jugendorganisation der DDR.

Politische Richtlinie für die Parteiorganisationen zur Vorbereitung und Durchführung der Jugendweihe (1957)

Quelle

Auszug aus einem parteiinternen Material; Beschluß des Politbüros vom 22.10.1957

I. Ideologische Aufgaben der Jugendweihe

Im Jahre 1957 wurde die Jugendweihe mit Erfolg durchgeführt. Sie gehört als alter revolutionärer Brauch der Arbeiterklasse zu den wertvollen Traditionen der sozialistischen Arbeiterbewegung, wird bei uns gepflegt und mit neuem Inhalt erfüllt.

Die Jugendweihe trägt in immer stärkerem Maße dazu bei, unsere Jungen und Mädchen zum sozialistischen Denken und Handeln zu erziehen, ihr Wissen zu bereichern und ihre Moral zu festigen. Sie hilft, unsere Jugendlichen zu allseitig gebildeten, charakterfesten, lebenstüchtigen Menschen zu entwickeln, die, getragen von edlem Patriotismus, sich zur Deutschen Demokratischen Republik bekennen und für Frieden, Völkerfreundschaft und Sozialismus als den höchsten Zielen der fortschrittlichen Menschheit aktiv eintreten. Die Jugendweihe dient der Vorbereitung der jungen Menschen für das künftige Leben als erwachsene Mitglieder unserer sozialistischen Gesellschaft. Sie vermittelt ihnen reiches Wissen und Erfahrungen, die sie befähigen, den Anforderungen ihres künftigen Berufes gerecht zu werden und erfolgreich unsere Mittel- und Oberschulen zu besuchen. Vor allem lernen die Jungen und Mädchen die Entwicklungsgesetze von Natur und Gesellschaft kennen und anwenden, um aktiv am sozialistischen Aufbau unserer Republik teilnehmen zu können.

Die Jugendstunden zur Vorbereitung auf die Jugendweihe tragen insbesondere durch die Behandlung der Gesetzmäßigkeiten in der Natur und Gesellschaft und der Fragen der sozialistischen Moral und Ethik zur Herausbildung der sozialistischen Weltanschauung bei. Darüber hinaus werden in ihnen solche Fragen behandelt wie die Hilfe für das kommende Leben, die Berufswahl, die Aufklärung über die sozialistischen Beziehungen der Menschen untereinander und die historische Rolle der Deutschen Demokratischen Republik. Sie sind auch im kommenden Jahr entsprechend den Hinweisen des Zentralen Ausschusses für Jugendweihe interessant, vielseitig und erlebnisreich zu gestalten. Die Jugendstunden sind mehr als bisher mit dem Leben und dem Kampf unseres Volkes beim Aufbau des Sozialismus in Verbindung zu bringen. Durch Besichtigen von Betrieben, MTS, LPG und anderen Produktionsstätten sind den Teilnehmern an der Jugendweihe nicht nur die wissenschaftlich-technischen Fragen der Produktion, sondern stärker als bisher die ökonomischen Zusammenhänge zu erläutern. Die politische Erziehungsarbeit in den Jugendstunden, die in der letzten Zeit vielfach vernachlässigt wurde, ist zu verbessern. In den Vorbereitungsstunden auf die Jugendweihe ist das Gelöbnis gründlicher als bisher zu erklären und als wertvolles Mittel in die sozialistische Erziehung einzubeziehen. In den Jugendstunden kommt der Arbeit mit wissenschaftlich-technischen Filmen große Bedeutung zu. Sie sind systematisch in die Programme der Jugendstunden aufzunehmen.

Die Jugendweihe ist von großem Wert für alle Jungen und Mädchen, gleichgültig, welche Weltanschauung ihre Eltern haben oder in welcher sie bisher erzogen wurden. Unsere Arbeiter in den Betrieben, alle werktätigen Menschen, insbesondere alle Eltern, sind davon zu überzeugen, daß die Jugendweihe dem Wohle unserer Jugendlichen dient und für das kommende Leben unentbehrlich ist. So wird es uns gelingen, in den nächsten Jahren eine Massenbeteiligung an der Jugendweihe zu erreichen.

II. Arbeiterklasse und Jugendweihe

Die Arbeiterklasse trägt eine große Verantwortung für die sozialistische Erziehung unserer jungen Generation. Die Jugendweihe ergänzt mit eigenen Formen und Methoden die sozialistische Erziehungs- und Bildungsarbeit, die in der Schule, der Pionierorganisation »Ernst Thälmann« und im Elternhaus geleistet wird. Deshalb ist die erfolgreiche Durchführung der Jugendweihe als Beitrag zur sozialistischen Erziehung der Jugend eine verantwortungsvolle Aufgabe der Arbeiterklasse. Sie ist daran interessiert, daß eine immer größere Anzahl von Jungen und Mädchen an der Jugendweihe teilnimmt und die Jugendstunden und Veranstaltungen noch interessanter und erlebnisreicher als bisher gestaltet werden.

Eine gute Überzeugungs- und Aufklärungsarbeit war dort möglich, wo arbeitsfähige Betriebsaktivs für Jugendweihe bestanden. Aufgabe dieser Betriebsaktivs ist es, vor allem in enger Zusammenarbeit mit den Frauenausschüssen in den Betrieben immer mehr Arbeiter und Jugendliche durch eine systematische Aufklärung über naturwissenschaftlich-technische Probleme und durch Aussprachen über Fragen der sozialistischen Moral und Ethik von der Richtigkeit und Notwendigkeit der Jugendweihe zu überzeugen. Hierbei sollen Themen behandelt werden wie: Probleme der Atomenergie, interkontinentale Raketen, die Erforschung des Weltraumes durch sowjetische Erdsatelliten usw. sowie Fragen der sozialistischen Einstellung zur Arbeit und zum Volkseigentum, sozialistische Beziehungen der Menschen untereinander und andere Themen.

Dadurch werden die Arbeiter in den Betrieben an die marxistisch-leninistische Auffassung über die Entwicklung in Natur und Gesellschaft herangeführt und den großen Wert der Jugendweihe für ihre Kinder erkennen. Eine solche Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit, die sich über das ganze Jahr erstrecken soll, wird dazu führen, daß immer mehr Kinder der Belegschaftsangehörigen an der Jugendweihe teilnehmen.

Es ist notwendig, die Probleme der Jugendweihe überall offensiv darzulegen. Erfolge wurden dort erreicht, wo die Arbeiterklasse eine intensive Überzeugungsarbeit leistete. Die Gegner der Jugendweihe wichen zurück, wo es gelang, durch massenpolitische Aufklärung über die reaktionäre Rolle bestimmter Kirchenkreise aggressive Geistliche von den Gläubigen zu isolieren, die Kirchenräte zur Toleranz gegenüber der Jugendweihe zu gewinnen oder Massenproteste der Werktätigen, der Eltern, unter Einbeziehung der christlichen Bevölkerungskreise, gegen Repressalien und Gewissenszwang von seiten einzelner Kirchenleitungen zu erreichen. Diesen Kräften muß gezeigt werden, daß unser Arbeiter-und-Bauern-Staat die Gewissensfreiheit aller Bürger unter seinen Schutz stellt. Bei solchen Auseinandersetzungen sollen die Gefühle der noch religiös empfindenden Bevölkerungskreise nicht verletzt werden. Durch solche und andere Methoden, wie z.B. öffentlicher Meinungsaustausch über naturwissenschaftlich-technische Fragen, wird es uns auch in Zukunft gelingen, reaktionäre Kräfte in die Schranken zu verweisen und die Jugendweihe mit Erfolg durchzuführen.

Bei der Werbung für die Jugendweihe sind die Genossen unserer Partei durch eine geduldige Überzeugungsarbeit dafür zu gewinnen, daß sie ihre Kinder nur zur Jugendweihe und nicht zur Konfirmation schicken. Um im nächsten Jahr eine Massenbeteiligung an der Jugendweihe zu erreichen, ist jedoch bei noch religiös empfindenden Menschen ausgiebig auf die Möglichkeit hinzuweisen, daß ihre Kinder an der Jugendweihe teilnehmen können, auch wenn sie außerdem noch zur Konfirmation gehen. Die von den Ausschüssen und Betriebsaktivs für Jugendweihe durchgeführte Werbung darf sich deshalb keinesfalls auf die ideologisch fortgeschrittenen Arbeiter und Eltern beschränken, sondern ist so früh als möglich auch auf die christlichen Eltern und Kinder auszudehnen.

III. Aufgaben der Partei

Die Leitungen der Grundorganisationen unserer Partei sind für die politische Führung der Jugendweihe verantwortlich. Das gilt besonders für die Schulparteiorganisationen.

Die aktive Hilfe durch die Büros der Bezirks- und Kreisleitungen hat sich in den letzten Jahren günstig auf die Entwicklung der Jugendweihe ausgewirkt. Zur Vorbereitung und Durchführung der Jugendweihe 1958 wird den Bezirks- und Kreisleitungen empfohlen, die Arbeit der Ausschüsse für Jugendweihe gründlich einzuschätzen, bis Ende November 1957 in ihren Bürositzungen Berichte über den Stand der Vorbereitungsarbeiten entgegenzunehmen und entsprechende Beschlüsse zur Verbesserung der politisch-ideologischen Arbeit zur Jugendweihe zu fassen. Besondere Hilfe ist den Ausschüssen der Kreise, der ländlichen Gemeinden und den Aktivs für Jugendweihe in den Betrieben zu geben. Bei vielen Ausschüssen für Jugendweihe ist die noch bestehende Ein-Mann-Arbeit zu beseitigen und eine kollektive Arbeitsweise zu sichern. Durch die Genossen in den Ausschüssen für Jugendweihe ist zu gewährleisten, daß die Feiern zur Jugendweihe in der Regel in dem dafür festgesetzten Zeitraum, am letzten Sonntag im März und an den Sonntagen im April, stattfinden. Auffassungen, die Feierstunden zur Jugendweihe generell erst nach der Konfirmation durchzuführen, ist entgegenzutreten. Es ist stärker als bisher davon Gebrauch zu machen, für die Teilnehmer an der Jugendweihe aus solchen Orten, wo zur Zeit nur einzelne Kinder an der Jugendweihe teilnehmen, interessante Jugendstunden und eindrucksvolle Feiern zum Tag der Jugendweihe in den MTS-Bereichen durchzuführen.

Es muß in diesem Jahr gelingen, in allen Betrieben arbeitsfähige Aktivs für Jugendweihe zu bilden, vor allem auch in den MTS, VEG und LPG. Diesen Betriebsaktivs ist besonderes Augenmerk zu widmen. Alle Bezirke bzw. Kreise sollten entsprechend den Beispielen der Bezirke Gera und Erfurt Betriebskonferenzen der Ausschüsse für Jugendweihe durchführen. Die Betriebsparteiorganisationen sollen in Verbindung mit den Betriebsaktivs erfahrene und bewußte Belegschaftsangehörige gewinnen, die in der Vorbereitung und Durchführung der Jugendweihe aktive Hilfe leisten, sich für die Gestaltung der Jugendstunden zur Verfügung stellen bzw. als Jugendstundenleiter tätig sind. In diesem Zusammenhang ist auch eine enge systematische Zusammenarbeit zwischen den Parteiorganisationen der Patenbetriebe und ihrer Patenschulen nötig. Befähigte Genossen, die für die Mitarbeit in den Ausschüssen für Jugendweihe geeignet sind, sollten von ihrer gesellschaftlichen Funktion entlastet und für eine Tätigkeit in den Ausschüssen freigestellt werden.

Bewährte alte Genossen sollen stärker als bisher ihre Kampferfahrungen in den Jugendstunden vermitteln und sich so für die sozialistische Erziehung unserer Jugend einsetzen.

Den leitenden Parteiorganen der Bezirke und Kreise sowie den Grundorganisationen wird empfohlen, vor allem in den Mitgliederversammlungen der Grundorganisationen die bereits begonnenen Auseinandersetzungen über die Probleme der Jugendweihe systematisch fortsetzen.

Vor allem bei den leitenden Genossen aus dem Staats- und Wirtschaftsapparat sowie in den gesellschaftlichen Organisationen ist die Überzeugungsarbeit zu verstärken. Die Bezirks- und Kreisleitungen sollen dafür sorgen, daß in der Parteipresse, in den Betriebs- und Dorfzeitungen sowie mit Hilfe des Funks auf die Probleme der Jugendweihe eingegangen wird. Durch Lektionen der Parteikabinette sowie durch entsprechende Behandlung im Parteilehrjahr ist die Überzeugungs- und Aufklärungsarbeit zu unterstützen. Bei den Anleitungen der Parteisekretäre durch die Kreisleitungen und im Parteiaktiv sind die Fragen der Jugendweihe gründlich zu beraten.

Bei der Vorbereitung und Durchführung der Jugendweihe müssen die Leitungen der Partei der Mitarbeit der Massenorganisationen besonderes Augenmerk widmen. Die Parteiorganisationen in den zentralen Leitungen der Massenorganisationen sollen beraten, wie sie die Vorbereitung und Durchführung der Jugendweihe am besten unterstützen können. Über die verantwortlichen Genossen sind die Probleme der Jugendweihe in die Mitgliedschaft der Massenorganisationen hineinzutragen. Durch sie ist eine systematische Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit zu sichern. Das trifft vor allem für die Gewerkschaften und die Freie Deutsche Jugend zu. Den Genossen in den Vorständen der Industriegewerkschaften und Gewerkschaften ist zu empfehlen, durch entsprechende Maßnahmen eine wirksamere Hilfe als bisher in der Überzeugungs- und Werbetätigkeit für die Jugendweihe zu geben. Die Probleme der Jugendweihe sollten im Rahmen der Behandlung politisch-ideologischer Fragen Gegenstand von Aussprachen und Auseinandersetzungen sein. Die Gewerkschaftsleitungen in allen Betrieben sollen den Betriebsaktivs für Jugendweihe Hilfe und Unterstützung gewähren. Durch die Gewerkschaft Unterricht und Erziehung sind die Lehrer und Erzieher stärker als bisher an die Fragen der Jugendweihe heranzuführen und für eine aktive Mitarbeit in den Ausschüssen für Jugendweihe zu gewinnen. Die Lehrer in den allgemeinbildenden Schulen und den Einrichtungen der Lehrerbildung, die Organe für Volksbildung müssen zum Gelingen der Jugendweihe beitragen. Ihre Aufgabe ist es, die Schüler für eine Teilnahme an der Jugendweihe zu interessieren und vor allem als Jugendstundenleiter tätig zu sein. Dabei muß sich die Aufklärungs- und Werbearbeit zur Jugendweihe über das ganze Jahr erstrecken; sie sollte bereits bei den Kindern der unteren Klassen und ihren Eltern systematisch begonnen werden. Durch die Genossen in den Organen für Volksbildung ist zu gewährleisten, daß in den Pädagogischen Räten der Schulen, in den Lehrerkonferenzen und im Lehrprogramm der Ausbildungsstätten für Lehrerbildung die Jugendweihe als ein Mittel zur sozialistischen Erziehung behandelt wird. In den Einrichtungen der Lehrerbildung ist die Aufklärungs- und Werbetätigkeit für die Jugendweihe zu verstärken. Über die Genossen und die Parteigruppen in den Elternbeiräten ist darauf hinzuwirken, daß die Elternbeiräte an unseren Schulen von der Notwendigkeit der Teilnahme ihrer Kinder an der Jugendweihe überzeugt werden und selbst aktiv deren Vorbereitung und Durchführung unterstützen. Aufgabe des Jugendverbandes, vor allem der Pionierorganisation »Ernst Thälmann«, ist es, die Schüler bereits in den unteren Klassen mit den Zielen und Aufgaben der Jugendweihe vertraut zu machen. Dazu ist besonders die Ferienzeit auszunutzen. Die Leitungen des Jugendverbandes sollten dazu übergehen, FDJ-Mitglieder, die bereits an der Jugendweihe teilgenommen haben, über ihre Ergebnisse und Erfahrungen in Pionierfreundschaften und -gruppen sprechen zu lassen. Das wird helfen, die Überzeugungs- und Werbearbeit unter unseren Jungen Pionieren zu verstärken. Die Freie Deutsche Jugend sollte gemeinsam mit den Ausschüssen für Jugendweihe und den Betriebsaktivs Zusammenkünfte der Teilnehmer an der Jugendweihe auch nach der Jugendweihe durchführen. Diese Zusammenkünfte sollen jugendgemäß in Form von Wanderungen, Abenden am Lagerfeuer, Sportveranstaltungen u.ä. mehr gestaltet werden.

Die Genossen in der Gesellschaft zur Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse sollten die Aufklärungs- und Werbearbeit für die Jugendweihe durch geeignete Vorträge und Lektionen vor allem auch durch Einsatz von Filmen, besonders in den Landgebieten, unterstützen.

Bei Beachtung der gegebenen Hinweise und der überall vorhandenen eigenen Erfahrungen wird es uns gelingen, auch die Jugendweihe 1958 zu einem vollen Erfolg werden zu lassen.

Quelle: SAPMO-BA ZPA IV 2/14/28; abgedruckt in Frederic Hartweg, SED und Kirche. Eine Dokumentation ihrer Beziehungen. Neukirchen-Vluyn, 1995, S. 255–59.