Quelle
Beilage „Für die Frau“
Viele Leserinnen und Leser schrieben in den letzten Tagen an Frau Renate. Sie alle stimmten ihren Gedanken zu, die sie im Artikel „Sein Glück = Ihr Glück?“ auf der Frauenseite der „ND“-Beilage vom 24. Oktober über die Gleichberechtigung von Mann und Frau niederlegte. Aber sie hatten auch so manches aus eigenem Erleben zu diesem Thema zu sagen. Einiges wollen wir abdrucken, und das interessiert nicht nur die Frauen, sondern auch die Männer. Frau Renate erwartet auch weiterhin Ihre Meinung zum Thema „Sein Glück = ihr Glück?“.
Liebe Frau Renate!
Ihr Artikel „Sein Glück = ihr Glück?“ erschien gerade in dem Moment, in dem mich ähnliche Gedanken bewegten.
Seit dem 8. September 1958 leite ich den Schulhort der Hilfsschule Torgau. Mit Beginn des Schuljahres 1959/60 wurde ich außerdem damit beauftragt, für 15 Stunden wöchentlich eine sogenannte Vorschulversuchsklasse zu übernehmen. Wegen der Fülle der Arbeit ist es mir nicht möglich, die mir zustehenden sechs Abminderungsstunden für organisatorische und schriftliche Planungsarbeiten zu nehmen. Die Kapazität der Hortgruppe hat sich zudem von Sollstärke 15 auf etwa 22 bis 23 erhöht.
Da der Direktor und der gesamte Pädagogische Hort eingesehen hatte, dass das nicht mehr so weitergehen kann, wurde nach einer Halbtagskraft für den Hort gesucht. In jenen Tagen klingelte eines Abends Genosse S., Vorsitzender des Wohnbezirksausschusses der Nationalen Front und verantwortlicher Mitarbeiter beim Rat des Kreises Torgau, an meiner Tür und bat mich, Plaketten für den 10. Jahrestag der DDR zu verkaufen.
Ich klagte ihm nun mein Leid, dass ich eine alleinstehende Frau und Mutter eines achtjährigen Mädchens bin, die schon beruflich für zwei Kräfte tätig ist und die schriftlichen Arbeiten für den Hort und die Versuchsklasse abends zu Hause anfertigen müsse. Ich meinte, es müsse doch möglich sein, dass von den 70 Genossen unserer Siedlung einer für mich parteilose Kollegin einspringt. (Ich nahm später doch noch zehn Plaketten zum Verkaufen.) Dann fragte ich ihn, ob er vielleicht eine Hilfskraft für mich als Erziehungshelferin wisse.
Die Zusage
Zufällig war die Frau des Genossen S. mit ihm, und in diesem Augenblick schaltete sie sich ins Gespräch ein. Ich erzählte einiges über die Kinder und über die Notwendigkeit einer Hilfskraft. Frau S. war sehr aufgeschlossen und sagte, sie werde sich die Sache einmal überlegen und vorläufig für die Dauer eines Kuraufenthaltes Ihres Mannes in Bad Liebenstein in den Hort kommen. Sollte ihr die Arbeit zusagen; werde sie Halbtagskraft für immer bleiben.
Schon am nächsten Tag kam Frau S. in den Hort, um zunächst einmal zu hospitieren. Wir verstanden uns ausgezeichnet, da diese junge Frau pädagogisch interessiert war und auch bald einen gewissen Kontakt zu den schwierigen Hilfsschulkindern gefunden hatte, wenn ihr auch verständlicherweise noch viele Erfahrungen fehlten. So arbeitete sie vier Stunden täglich als Hilfskraft, und die Arbeit machte ihr trotz mancher Schwierigkeiten Freude. Eines Tages fragte ich sie, ob sie bereit sei, mich für die Dauer von fünf Tagen zu vertreten, damit ich in den Herbstferien meine restlichen Urlaubstage nehmen könnte. Sie sagte sofort zu, für diese paar Tage ganztägig einzuspringen.
Schonzeit und Schonkost
Als ich nun an meinem ersten Urlaubstag von einer Besorgung zurück war, kam plötzlich ganz aufgeregt Genosse S., der Ehemann unserer Hilfskraft, in meine Wohnung. Heftige Vorwürfe ergossen sich über mich. Er hätte jetzt nach der Kur noch einige Tage Schonzeit, und ohne ihn zu fragen, hätte seine Frau die Bewerbung eingereicht und sei die ganze Woche eingespannt, wo er doch schmutzige Wäsche mitgebracht habe. „Also da habt ihr Frauen einfach gehandelt, und ich wurde gar nicht in Betracht gezogen. Und außerdem - was sollen wir mit den 150 DM schon anfangen, die dann meine Frau verdient. Ich brauche doch eine Schonkost, und da ist das doch überhaupt kein Geld.“
Da sich der „Herr Staatsfunktionär“ weiterhin sehr aufgeregt bei mir benahm, habe ich ihm offen erklärt, dass ja seine Frau ein selbstständiges Wesen sei, dass sie von sich aus die Arbeit aufgenommen und mir freiwillig die paar Tage Urlaubsvertretung zugesagt habe, weil sie die Notwendigkeit einsah. Wie wäre es denn, fragte ich ihn, wenn er vielleicht in diesen Tagen seiner Frau einmal abends oder auch am Tage, wenn sie arbeitet, im Haushalt ein bisschen zur Hand gehen würde?
Etwas ironisch sagte ich weiter: Ach ihr Männer, wenn ihr mal ein paar dreckige Hemden mitbringt, dann muss gleich alles für euch dasein. Uns berufstätige Frauen fragt kaum jemand, wie wir mit der Wäsche der ganzen Familie fertig werden. Ich habe z.B. eine blasenkranke Tochter, die mir viel Wäsche verursacht. Die muss ich auch schaffen, obwohl ich bei meinen 48 Jahren mit dem Herz nicht mehr ganz taktfest bin. Danach hat aber bei mir noch niemand gefragt. Was den Verdienst seiner Frau betrifft, den Genosse S. so geringschätzig abtat, so würde sie, eine Frau mit Fachausbildung (sie hat Friseuse gelernt), immerhin etwa 180 DM monatlich als Halbtagshilfskraft bekommen. Ich sagte, außerdem ständen ihr alle Möglichkeiten offen, sich zu qualifizieren. Das wirkt sich nicht nur auf das Gehalt sondern später auch auf die Rente günstig aus - wenn es ihm nur um den Verdienst gehen sollte.
Die „Beleidigung“
Genosse S. wollte jedoch nichts einsehen, und so gab ich ihm sehr deutlich zu verstehen, daß ich ihn für einen rückschrittlichen, egoistischen Mann halte und von einem Staatsfunktionär - einem Vorbild - etwas anderes verlangen würde. Na, damit hatte ich zuviel gesagt. Die junge Frau mußte auf Geheiß ihres gestrengen Ehemannes sofort kündigen und ich nach drei Tagen meinen Urlaub abbrechen. Die Schulsekretärin, Frau F. sagte mir: „Frau S. hat kündigen müssen, weil Sie ihrem Mann gesagt haben, daß er seiner Frau zu Hause einmal etwas zur Hand gehen könne. Das hat Herr S. als eine große Beleidigung empfunden.“
Nun frage ich mich: Ist es denn für einen Mann eine Beleidigung, im Haushalt einmal mit zuzugreifen? Wenn ja, so stehen wir Frauen ja tagtäglich unter dieser „Beleidigung“. Ach was gibt es doch für lächerlich verschrobene Ansichten, die so vielen Männern, sogar Staatsfunktionären, noch anhaften und in ihren Köpfen herumspuken. Da legt die Partei in ihren Beschlüssen genau dar, daß und warum wir so dringend Arbeitskräfte brauchen. Da kämpft die Partei um die volle Gleichberechtigung der Frau deren Grundlage ja die Berufstätigkeit ist, und setzt sich mit allen Ansichten auseinander, die der Gleichberechtigung den Weg versperren. Aber unser Staatsfunktionär, Mitglied der Partei... Nein, da findet man kaum noch Worte.
Nur Konzessionen machen?
Und was der Direktor der Hilfsschule, ebenfalls ein Genosse, sagte, als er von meiner Auseinandersetzung mit dem Staatsfunktionär hörte? Mein Direktor meinte, ich hätte die Aufgabe gehabt, mit diesem Herrn ruhig zu sprechen und ihn zu besänftigen, nicht aber, ihm die Wahrheit so unverblümt zu sagen. Also haben wir Frauen den Männern in jeder Hinsicht nur Konzessionen zu machen? Da frage ich mich bloß, ob diese Männer gar nicht wissen, in welcher Zeit wir eigentlich leben.
Charlotte Täuscher, Torgau, Fischeraue
Quelle: Neues Deutschland, 14. November 1959; abgedruckt in Dierk Hoffmann und Michael Schwartz, Hrsg., Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945, Bd. 8: 1949–1961: Deutsche Demokratische Republik. Im Zeichen des Aufbaus des Sozialismus. Baden-Baden: Nomos, 2004, Nr. 8/205.