Kurzbeschreibung

In dem 1949 verabschiedeten Grundgesetz erhält die Gleichberechtigung von Mann und Frau Verfassungsrang. Für die Anpassung nachgeordneter Gesetze, insbesondere die ehe- und familienrechtlichen Teile des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), wird aber eine mehrjährige Frist eingeräumt. 1952 spitzt sich die Auseinandersetzung über das neue BGB auf das Entscheidungsrecht in der Ehe bei Konflikten und auf die Frage der elterlichen Gewalt zu. Der Deutsche Akademikerinnenbund kritisiert, dass in beiden Bereichen die Vorrangstellung des Mannes bzw. des Vaters erhalten bleiben soll und fordert stattdessen die uneingeschränkte Gleichberechtigung.

Stellungnahme des Deutschen Akademikerinnenbundes zum Entwurf eines Gleichberechtigungsgesetzes (August 1952)

Quelle

Der Deutsche Akademikerinnenbund hat in einer ausführlichen Eingabe bereits Stellung genommen zu der im Auftrage des Bundesjustizministeriums von Frau Oberlandesgerichtsrätin Dr. Hagemeyer verfaßten Denkschrift ›Über die Anpassung des geltenden Familienrechts an den Grundsatz der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau‹ und hat seine Vorschläge zu den einzelnen dort erörterten Paragraphen gemacht.

Mit Bestürzung stellen wir fest, daß in dem jetzt dem Bundesrat zugegangenen Entwurf des Justizministeriums abweichend vom ersten Entwurf das Entscheidungsrecht des Ehemannes in § 1354 BGB wieder aufgenommen worden ist; ebenso wie auch in § 1628 die elterliche Gewalt in letzter Instanz wieder in die Hand des Vaters gelegt werden soll.

Zu § 1354

Ohne noch einmal auf die Einzelvorschläge einzugehen, erhebt der D.A.B. erneut die Forderung, dem Grundsatz der Gleichberechtigung in dem neuen Gesetz klar und realistisch zu entsprechen und beide Ehepartner in dem neuen Eherecht als selbständige, vollverantwortliche Persönlichkeiten zu behandeln. Sollte in § 1354 das Entscheidungsrecht des Mannes in allen das gemeinschaftliche Leben betreffenden Angelegenheiten wieder aufgenommen werden, so würde dieser Grundsatz auf das schwerste verletzt. Der Mann würde z. B. seiner Ehefrau die Teilnahme am öffentlichen Leben aus Gründen persönlicher Bequemlichkeit verbieten und sie damit eines Grundrechtes unserer demokratischen Verfassung berauben können.

Zu § 1628

Noch entschiedener muß die Übertragung des Entscheidungsrechts auf den Vater nach § 1628 zurückgewiesen werden. Wir fordern, daß die elterliche Gewalt in vollem Umfang und uneingeschränkt beiden Eltern übertragen wird.

Es ist ein allgemein bekannter und anerkannter Tatbestand, daß die Pflegepflicht und die Pflicht der Erziehung der Kinder in der Hauptsache der Mutter zufällt; so hat sie auch in der Regel die genauere Kenntnis des einzelnen Kindes und wird dem Vater gegenüber auch aus engerer Fühlung mit dem Kinde dessen Interesse besser vertreten können bei entscheidenden Maßnahmen wie Schulwahl und Berufswahl. Beide Eltern werden versuchen müssen sich zu einigen; in einer Meinungsverschiedenheit kann es nicht sachdienlich sein, dem einen der beiden Partner von vorneherein das letzte Wort und damit das Recht der Entscheidung zuzusichern. Es würde dadurch vielmehr sehr leicht eine echte Auseinandersetzung um die wichtigsten Maßnahmen zerstört werden. Dies ist nicht nur sachlich nicht richtig, sondern verfälscht jedes ehrliche Bemühen um die dem Kinde dienlichste Entscheidung. []

Das Entscheidungsrecht des Mannes entstammt einer Zeit, in der das Mädchen in der Regel ohne Berufsausbildung oder Berufserfahrung in häufig jüngerem Lebensalter als der Mann in die Ehe trat und von der Vormundschaft des Vaters in die des oft älteren Ehemannes überging ohne Kenntnis des praktischen, beruflichen und sozialen Lebens außerhalb der Familie. Schon 1896 ist dennoch diese Regelung in der Kommission des Reichstages heftig umstritten worden. Während des letzten halben Jahrhunderts aber hat sich die Lebensform der Frau so wesentlich geändert, daß diese grundsätzliche Vorrangstellung des Mannes in der Ehe als untragbar empfunden werden muß.

1. Das Mädchen erhält im allgemeinen dieselbe Allgemeinbildung wie der Knabe. Auch das Mädchen erhält in zunehmendem Maße eine Berufsausbildung.

2. Sie ist nach der Berufsausbildung in der Mehrheit der Fälle berufstätig und gewinnt so wie der Mann in verantwortlicher Arbeit Kenntnis des Berufslebens und eine Erfahrung des öffentlichen Lebens überhaupt.

3. Sie ist zu einem großen Prozentsatz auch in der Ehe mit erwerbstätig und steht auch hier als verantwortliche Persönlichkeit in ihrer Arbeit.

4. Sie erhält wie der Mann mit 21 Jahren das Wahlrecht und ist wie er als voll verantwortlicher Bürger Mitträger der Demokratie und hat die Rechte und die Pflichten eines freien Bürgers in der Demokratie.

Ein heute neu verfaßtes Gesetz über die Stellung der Frau kann an dieser totalen Veränderung des Bildungs- und Lebensganges der Frau nicht mehr vorbeigehen. Es wäre ein unbegreiflicher Anachronismus, wollte man unter Übergehung dieses Wandels der Verhältnisse zur Patriarchatsehe zurückgreifen. Es muß jeden Menschen als absurd anmuten, von einer schon im Berufsleben selbständig gewordenen Frau z. B. zu verlangen, daß sie sich auch in ihren eigenen Angelegenheiten, die ja in der Regel auch das gemeinsame Leben betreffen, dem Entscheidungsrecht des Mannes fügt.

Quelle: Schreiben des Deutschen Akademikerinnenbundes an den Vorsitzenden des Bundesrats betr. Stellungnahme des Deutschen Akademikerinnenbundes zu dem Entwurf eines Gesetzes über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts im August 1952. BA/Bestand Nachlaß Lüders; abgedruckt in Klaus-Jörg Ruhl, Hsrg., Frauen in der Nachkriegszeit 1945–1963. München: Deutscher Taschenbuchverlag, 1988, S. 163–65.