Quelle
Das Ministerium des Innern, Abt. Bevölkerungspolitik
Die Umsiedlung der deutschen Bevölkerung aus der Volksrepublik Polen, der CSR, Ungarn, Rumänien und anderen Ländern ist im wesentlichen in 2 Etappen erfolgt. […] Die 1. Etappe umfaßt die sogenannte unorganisierte Umsiedlung aus den Jahren 1944 bis Ende 1945. Der Umfang derselben konnte erst durch eine allgemeine Volkszählung 1946 festgestellt werden.
Mit Schaffung der Zentralverwaltung für deutsche Umsiedler Ende des Jahres 1945 fand diese unorganisierte Umsiedlung ihr Ende. Die in den Jahren 1946 und später durchgeführten Umsiedlungen der deutschen Bevölkerung aus den Gebieten östlich der Oder-Neiße-Grenze, der CSR, Rumänien und Ungarn vollzog sich aufgrund eines Umsiedlungsplanes. Im Jahre 1948 fand die Umsiedlung im wesentlichen ihren Abschluß. […] Nur noch kleinere Gruppen von Umsiedlern trafen aus der Volksrepublik Polen ein. Ihre Unterbringung in Arbeitsverhältnisse bereitete keine besonderen Schwierigkeiten. […] Die Verbesserung der Wohnverhältnisse […] und die Ausstattung des Wohnraumes konnte zu diesem Zeitpunkt nicht mehr als „reines Umsiedlerproblem“ betrachtet werden. Aus diesem Grunde wurde die bisherige gesonderte Registrierung der Umsiedler aufgehoben. Aus der Kenntnis heraus, daß eine besondere Herausstellung der Umsiedler die Assimilierung erschwert, wurden dann auch später die Umsiedler-Ausschüsse in den Gemeinden und Kreisen aufgelöst, weil es sich zeigte, daß sie die Seßhaftmachung häufig behinderten und zum Teil noch vorhandenen Gegensätze zwischen der altansässigen Bevölkerung und den Umsiedlern vertieften.
Trotz der nicht mehr gesonderten statistischen Erfassung der Umsiedler wurde weiterhin der wirtschaftlichen Festigung ihrer Existenzen wie Handwerksbetriebe und Bauernwirtschaften und der Versorgung mit Wohnraum große Aufmerksamkeit geschenkt. Trotz der Tatsache, daß die Umsiedler als gleichberechtigte Staatsbürger behandelt wurden, zeigte es sich, daß sie an der allgemeinen Aufwärtsentwicklung der Bevölkerung nicht in vollem Maße Anteil haben. Die Regierung unterbreitete darum der Volkskammer das Gesetz über die weitere Verbesserung der Lage der ehemaligen Umsiedler in der Deutschen Demokratischen Republik, das von der Volkskammer am 9. [8.] September 1950 verabschiedet wurde. (GBl. S. 971)
Besondere Bedeutung bei diesem Gesetz erhielt der Teil V, nach dem den bedürftigen Umsiedlern zur Einrichtung ihrer Wohnung und zur Beschaffung von Möbeln und Gegenständen des Wohnbedarfs zinslose Kredite bis zur Höhe von DM 1.000,-- für jeden Haushalt gewährt wurden. Bis zum 30.5.53 nahmen diese Kreditwährung 695.875 Umsiedlerfamilien in Anspruch, mit einem Gesamtbetrag von DM 400.427.000,--. Die Kreditrückstände betragen DM 18.111.907,--. […]
Die Kredite sind von fast 700.000 Familien in Anspruch genommen worden, so daß etwa 2 Millionen Umsiedler von den 4,3 Millionen in der Deutschen Demokratischen Republik lebenden Anteil an dieser Kreditaktion hatten.
Das vom Gesetzgeber angestrebte Ziel der wirtschaftlichen Festigung und Seßhaftmachung der Umsiedler ist in hohen Umfang erreicht worden, indem die Kreditbeträge zum großen Teil für die Anschaffung von Möbeln verwandt wurden.
Da diese Kredite nur jenen Familien gewährt wurden, die über nur ein bescheidenes Familien-Gesamteinkommen verfügten, befand sich unter den Kreditnehmern eine große Zahl von Rentnern, Sozialunterstützungsempfängern und Personen, die mit ihrem Einkommen weit unter den Richtsätzen von DM 250,-- bzw. 300,-- lagen. Um die Rückzahlung zu leisten, die sich zwischen DM 15,-- bis 30,-- monatlich bewegt, müßten sich die Kreditnehmer häufig in ihrer Lebenshaltung stark einschränken.
In den Schreiben der Umsiedler, gerichtet an das Staatssekretariat für Innere Angelegenheiten, ist wiederholt die Bitte an uns herangetragen worden zu prüfen, ob eine Herabsetzung der Kreditschulden möglich ist. Sie weisen daraufhin, daß die altansässige Bevölkerung diese Kredite nicht in Anspruch zu nehmen brauchte, weil sie keine materiellen Verluste erlitten hatten. Insbesondere wird dieser Antrag damit begründet, daß in den Jahren 1950/1951 jene Artikel, an denen es den Umsiedlern besonders mangelte -- z.B. Bettwäsche -- mit beachtlichen Haushaltsaufschlägen belastet waren, die heute bedeutend niedriger im Preise liegen. […]
Durch den Kauf von Waren vor den zwei großen Preissenkungen im Jahre 1951 mittels des Umsiedlerkredites ist durch die Haushaltsaufschläge ein nicht unbeachtlicher Teil der vom Staat gewährten Kredite in den Haushalt zurückgeflossen. Aus diesem Grunde erscheint es uns zweckmäßig, folgende Erleichterungen zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der ehemaligen Umsiedler zu gewähren:
I. Allen Kreditnehmern einen Schuldenerlaß von 20% auf den in Anspruch genommenen Kredit zu gewähren.
Bei den Kreditnehmern, die durch vorfristige oder pünktliche Rückzahlung bereits ihren Kredit über den zu erlassenen Betrag hinaus bzw. ganz abgezahlt haben, ist eine entsprechende Gutschrift auf ihrem Sparkonto vorzunehmen.
Der Zeitpunkt, wann vom Kreditnehmer darüber verfügt werden kann, ist entsprechend der Warendecke und der finanziellen Lage festzulegen.
II. Kreditnehmer, deren Einkommen im 1. Halbjahr 1952 nicht mehr als DM 900,-- betrug, erhalten einen Schuldenerlaß von insgesamt 50% für den in Anspruch genommenen Kredit. Bei jedem weiteren Familienmitglied erhöht sich der Einkommensbetrag um DM 180,-- halbjährlich. Wenn die Rückzahlung bereits 50% des in Anspruch genommenen Kredit-Betrages übersteigt, ist wie oben bezeichnet zu verfahren.
III. Ist der Kreditnehmer verstorben und die Erben beziehen ein Einkommen von nicht mehr als DM 1.800,-- jährlich, ist der noch zu tilgende Betrag zu erlassen.
IV. Kreditnehmern, die durch betrügerische Machenschaften von Verkäufern (Handwerker, Gewerbetreibende) nicht in den Besitz der von ihnen gekauften Gegenstände gelangte[n], ist die Kreditschaft zu erlassen, wenn 20% des Kaufbetrages an die Sparkasse abgeführt wurden.
Darüberhinaus ist zu erwägen, ob jenen Kreditnehmern, die Einkünfte unter DM 900,-- halbjährlich haben, ein 75% Erlaß der Kreditschuld zu gewähren ist bzw. eine gänzliche Streichung.
Eine weitere zusätzliche Hilfe in Form von Krediten für die Einrichtung von Wohnungen bzw. Bau von Eigenheimen zu gewähren, bedarf einer sorgfältigen Prüfung, da bei der Herausgabe des Umsiedler-Gesetzes ein Teil der Bevölkerung, der durch den Krieg gleichfalls stark geschädigt wurde, (Bombengeschädigte) seinen Unwillen zum Ausdruck brachte, daß ihm diese Hilfe nicht zuteil wurde.
Quelle: BArch, DO 2/49, Bl. 140–143; abgedruckt in Dierk Hoffmann und Michael Schwartz, Hrsg., Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945, Bd. 8: 1949–1961: Deutsche Demokratische Republik. Im Zeichen des Aufbaus des Sozialismus. Baden-Baden: Nomos, 2004, Nr. 8/118.