Kurzbeschreibung

Zu Beginn der fünfziger Jahre scheitert die in der sowjetischen Besatzungszone vorübergehend diskutierte Liberalisierung des Schwangerschaftsabbruchs für Frauen. Die Verfügung des DDR-Gesundheitsministeriums vom Oktober 1950 im Rahmen des „Gesetzes über den Mutter- und Kinderschutz und die Rechte der Frau“ läßt einen Schwangerschaftsabbruch nur noch bei einer Gefahr für das Leben der Mutter oder einer zu befürchtenden Erbkrankheit des Kindes zu (medizinische und eugenische Indikation). Ein Schwangerschaftsabbruch nach einer Vergewaltigung oder aufgrund einer sozialen Notlage wird dagegen wieder strafrechtlich verfolgt.

Rundverfügung des Ministeriums für Arbeit und Gesundheitswesen zum Schwangerschaftsabbruch (2. Oktober 1950)

Quelle

Das Ministerium für Arbeit und Gesundheitswesen, Hauptabteilung Gesundheitswesen, an die Landesgesundheitsämter

Bis zum Erlass der Verordnung im Sinne des § 11 Abs. 4 des Gesetzes über den Mutter- und Kindschutz und die Rechte der Frau vom 27.9.1950 (GBl. S. 1037) wird auf folgendes hingewiesen:

§ 1

(1) Unterbrechungen der Schwangerschaft sind nur noch zulässig,

a) wenn die Austragung des Kindes das Leben oder die Gesundheit der schwangeren Frau ernstlich gefährdet oder

b) wenn ein Elternteil mit schwerer Erbkrankheit belastet ist (s. § 11 Abs. 1).

Als Belastung mit schwerer Erbkrankheit ist anzusehen, wenn mit grosser Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass das Kind an einer Erbkrankheit leiden wird, durch die es in seiner gesundheitlichen und gesellschaftlichen Vollwertigkeit dauernd erheblich beeinträchtigt wird.

(2) Andere Unterbrechungen der Schwangerschaft werden bis zur gesetzlichen Neuregelung nach den bestehenden Gesetzen der einzelnen Länder bestraft.

§ 2

(1) Die Entscheidung darüber, ob eine Schwangerschaftsunterbrechung erlaubt wird, obliegt in jedem Stadt- oder Landkreis einer Kommission, die sich wie folgt zusammensetzt.

a) Amtsarzt, als Vorsitzender

b) Facharzt für Frauenkrankheiten

c) je nach Lage des Falles 1 Facharzt für innere Krankheiten oder 1 Facharzt zur Beurteilung von Erbkrankheiten

d) 1 Fürsorgerin als Vertreterin der Organe des Gesundheitswesens

e) 1 Vertreterin des Kreisverbandes des DFD.

(2) Fachärzte und Fürsorgerinnen werden durch den Amtsarzt ausgewählt und auf dessen Vorschlag durch das Landesgesundheitsamt widerruflich bestätigt. Die Vertreterin des Kreisverbandes des DFD wird vom Landesverband des DFD widerruflich bestätigt.

(3) Die Geschäftsführung für die Kommissionen obliegt den Gesundheitsämtern.

(4) Schon jetzt haben die Gesundheitsämter Listen über Fachärzte, die als Sachverständige hinzugezogen werden können, zu führen; sie sind durch die Landesgesundheitsämter zu bestätigen.

§ 3

(1) Die in den Ländern bestehenden Beschwerdeinstanzen sind in Kommissionen umzubilden, die sich wie folgt zusammensetzen:

a) Leiter des Landesgesundheitsamtes

b) 1 Facharzt für Frauenkrankheiten

c) je nach Lage des Falles 1 Facharzt für innere Krankheiten oder 1 Facharzt zur Beurteilung von Erbkrankheiten

d) 1 Fürsorgerin als Vertreterin der Organe des Gesundheitswesens

e) 1 Vertreterin des Landesverbandes des DFD.

(2) Die Fachärzte und Fürsorgerinnen werden durch den für Gesundheitswesen zuständigen Minister des Landes widerruflich ernannt. Die Vertreterin des DFD wird durch den Landesverband des DFD benannt.

(3) Die Geschäftsführung für die Kommission obliegt den für Gesundheitswesen zuständigen Ministerien der Länder.

Ministerium für Arbeit und Gesundheitswesen

gez. Steidle

Minister

An den Demokratischen Frauenbund Deutschlands

Berlin NW 7

Dorotheenstr. 4

Quelle: SAPMO-BArch, DY 31/1118; abgedruckt in Dierk Hoffmann und Michael Schwartz, Hrsg., Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945, Bd. 8: 1949–1961: Deutsche Demokratische Republik. Im Zeichen des Aufbaus des Sozialismus. Baden-Baden: Nomos, 2004, Nr. 8/44.