Quelle
Karl Lewke
Berlin 034
Frankfurter Allee 333
Berlin, den 2. Dezember 1945
An das
Zentral-Komitee der Partei
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Der Gen. Köppe, BL – Gross Berlin, hat mich am 2. November 45 mit der Kgf-Arbeit betraut.
Nach anfänglichem Hin und Her und mehrfachen Unterhandlungen mit der Zentralverwaltung für Umsiedler habe ich am 22. November eine Informationsfahrt nach Frankfurt/O. gemacht und die ersten Grundlagen einer rein organisatorischen Arbeit geschaffen.
Vom 26. – 29. November habe ich erneut und wiederum ohne politische und materielle Machtmittel reine Organisationsfragen in Frankfurt/O. geklärt. Meine bisherige Arbeit bestand in der Überwindung organisatorischer Schwierigkeiten, die auch jetzt noch nicht als gelöst betrachtet werden können. Doch dies sei dahingestellt, nötig wäre jetzt die politische Unterstützung der Partei, der ich aus diesem Grunde beiliegendes Schreiben unterbreite.
Karl Lewke [Unterschrift]
Anlage: 1 Schreiben!
Eine Million Antibolschewisten im Anmarsch.
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Der demokratische Wiederaufbau Deutschlands von größten Gefahren bedroht.
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Täglich treten 1000 bis 2000 Kriegsgefangene durch die Lagertore von Frankfurt/Oder den Weg in die Freiheit an. Müde, gebrochen und zerlumpt verteilen sie sich über Deutschland. Jeder ein Agitator, jeder ein Hetzer gegen die „kommunistischen“ Zustände. Jeder ob seines Äußeren ein lebendiges Demonstrationsobjekt eben dieser „kommunistischen“ Verhältnisse. Alle Dinge werden verdreht, erscheinen in einem schiefen Licht, - begegnen sich Zivilisten und entlassene Kriegsgefangene.
Was heißt hier Anerkennung der Mitschuld des deutschen Volkes – was sachliche, politische Diskussion? Wer spricht in den sich zufällig treffenden Gruppen von Wiederaufbau, Mitarbeit und ähnlichem? Nein, davon ist nie die Rede. Hier sind die Folgen eines totalen Krieges, die Auswirkungen einer totalen Niederlage nur böswillige Absichten des noch bösartigeren Bolschewismus. Vergessen ist Hitler, vergessen ist der Nazismus. Ja selbst die furchtbaren Schrecken des Schlachtfeldes, die Ängste, das Grauen der krachenden, qualmbeizenden Bombennächte – all dies erscheint in weite Ferne gerückt. Sie sehen nur das Heute, dagegen richtet sich all die Wut, der Hass. Mit Wollust schwelgt man in der Hoffnung auf eine baldige kriegerische Auseinandersetzung zwischen Russland und England – Amerika. Alle nazistischen Einflüsterungen finden willig Gehör. Schon marschiert in der englischen Zone die von den Engländern aufgestellte, deutsche Legion. Man weiß es sogar ganz genau: 4 Wochen werden die Verhungerten erst aufgepäppelt, 6 Wochen Heimaturlaub macht sie reif zu einer neuen militärischen Ausbildung.
Krieg, Krieg und nur Krieg, mit dieser Zwangsvorstellung sickern tausende Entlassener in die schwer am Aufbau schaffende Heimat ein und wirken somit wie ein Bremsklotz.
Aus den 3 Lagern (69 Hornkaserne, Nuhmenstrasse – 2/69 Hoffbauerkaserne, Birnbaummühle – Lager Kliestow) werden täglich bis zu 2000 Mann entlassen.
15.11.45 | 1400 | Mann |
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16.11.45 | 12000 | „ |
17.11.45 | 900 | „ |
20.11.45 | 1600 | „ |
21.11.45 | 950 | „ |
22.11.45 | 800 | „ |
23.11.45 | 1670 | „ |
26.11.45 | 1200 | „ |
27.11.45 | 1100 | „ |
28.11.45 | 1800 | „ |
Die Entlassenen rekrutieren sich fast ausschließlich aus der sogenannten OK-Gruppe (ohne Kraft), die aus dem Innern Russlands und auch aus Sibirien herangeschafft werden.
(Die russischen Kriegsgefangenen sind in
I – Schwerarbeiter,
II – Arbeiter,
III – leichte Arbeit,
IV – Schwach und OK eingeteilt.)
Nach bis zu siebenwöchiger Fahrt klettern sie in mitleiderregendem Zustand aus die [sic] Waggons. Vom Bahnhof bis in die Kasernen brauchen sie mehrere Stunden, da sie sich nur mühselig schleichend vorwärts bewegen können. Ein kurzfristiger Aufenthalt in den Lagern Frankfurts frischt sie soweit auf, dass die aus den Strassen Berlins bekannten Gestalten doch noch irreführend wirken. Gerade aber in dieser Zeit sind sie antikommunistischen Einflüsterungen ausgesetzt. Ihre Männer suchende Frauen aus Westdeutschland bringen betörende Schilderungen mit. Sogar das Brot soll da schon markenfrei sein. Die Verhältnisse in Ffo. sind auch nicht dazu angetan, dass die Gefangenen von den Zivilisten eine winzige Hoffnung mit auf den Weg bekommen würden. Von drei Seiten ständig von Übergriffen bedroht (Rotarmisten geringfügig, als „normal“ zu bezeichnen, beteiligt, - schlimmste Kategorie die ostwärts fahrenden Ostarbeiter, die sich hier die letzte Chance nicht entgehen lassen wollen, - drittens über die Oder kommenden Polen) leben sie außerdem unter sehr schlechten Lebensbedingungen.
Das sogenannte Stammpersonal – die deutsche Lagerleitung – leidet unter der moralischen Belastung, dass sie faktisch von den Entlassungen, die sie täglich vorbereiten und durchführen, ausgeschlossen sind (Dementsprechende konkrete Vorschläge habe ich unterbreitet). Die rein organisatorische Belastung ist auch nicht zu unterschätzen. Es fehlt selbst bei der im Lager 69 bestehenden Antifa an genauen Richtlinien und festen Arbeitsmethoden. Ihre Unterlagen beschaffen sie sich nur aus den Zeitungen. Der Durchschnitts-Landser setzt außerdem der Antifa – ähnlich wie einst dem „Freien Deutschland“ als vermeintlich russischer Instanz – einen gewissen innerlichen Widerstand entgegen.
Dem wäre nur durch von außen hineingeschickte – mit dementsprechenden Dokumenten ausgerüstete – Genossen zu begegnen. Wobei natürlich die praktische Unterstützung der Antifa keineswegs als nicht notwendig betrachtet werden soll.
Die Genossen da drinnen brauchen sie mehr denn jeden anderen Ortes. Mit einigen Gratiszeitungen ist noch gar nichts getan. Ein spezielles Referentenmaterial wäre das mindeste und was man als erstes für sie tun könnte.
Weiteres wird sich aus der Zusammenarbeit ergeben.
Die Partei am Ort ist nicht in der Lage, eine derartige Aufgabe zu erfüllen. Die Parteigenossen sind durch genannte materielle Bedingungen auch stark beeinflusst.
Es erhebt sich überhaupt die Frage, ob die KPD allein diesem Problem zuleibe gehen kann, oder alle vier antifaschistischen Parteien gemeinsam vorgehen sollen. Da sich auch Frauen und Mädchen – im gleichen verhungerten, elenden Zustand – unter den Ankommenden befinden, ergibt sich eine neue, zusätzliche Aufgabe für den zentralen Frauenausschuss.
Die bisher von mir geleistete Arbeit war rein organisatorischer Art. Es wurde nur erstrebt, den Abtransport in einigermaßen geordnete Bahnen zu lenken und besonders ein Berühren von Gross-Berlin durch die heimwärts Ziehenden zu vermeiden.
Diesbezügliche weitere Verbesserungsvorschläge sind der Zentralverwaltung für Umsiedler unterbreitet.
Für die politische Arbeit wäre eine Art Begrüßungsschrift (kostenlos!) nach dem Betreten der Heimat von allergrößter Wichtigkeit. Der Lagerkommandant (zuständig für sämtliche Entlassungen in Ffo.) Major Aljoschin, deutete an, dass es sich um eine Million und mehr Mann handeln könnte, die im Laufe von ungefähr einem Jahr eintreffen würden.
Das Druckmaterial brauchte nicht einmalig zur Verteilung gelangen, außerdem könnte sie in Form so aufgemacht werden, dass sie zum Weitergeben anreizt. Bei selbständiger finanzieller Drucklegungsmöglichkeit der Begrüßungsschrift sollte man auf die sicher sehr gern geleisteten Unterschriften anderer politischer Richtungen außer SPD ebenso gern verzichten.
Die Landser sind an sich sehr nachrichtenhungrig und besonders an genauen Angaben über die Verhältnisse in Deutschland interessiert. Bei gutem Zusammenspiel aller Stellen könnte man dabei auch Anweisungen für den Heimweg einflechten.
Alle meine Ansprachen wurden mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgt und die Appelle zur Mitarbeit am Wiederaufbau mit lauter Zustimmung bejaht.
Reine Parteireden mussten aus Zeitmangel unterbleiben, da, wie gesagt, mein Hauptaugenmerk auf die geschlossene Abfahrt zum Zielbahnhof Brandenburg/H. gerichtet war.
Für uns Kommunisten kann aber das Fernbleiben von Groß-Berlin keine Lösung des Problems darstellen.
Bis zur Rückkehr des letzten Kriegsgefangenen müsste ein Apparat geschaffen werden, der sich nur mit dieser Frage beschäftigt. Bei der festgestellten Einstellung vieler Landser ist diese Arbeit noch vordringlicher wie die in den Gewerkschaften.
In diesem Zusammenhang verweise ich auf den vor Monaten gemachten Vorschlag betreffs des Austausches deutscher Kriegsgefangener gegen ehemalige Pg’s, den heute andere Parteien politisch vorteilhaft für sich verwenden, ohne dementsprechende Arbeit zu leisten.
Wir müssen die lautesten Rufer sein bei der in weiten Teilen des Volkes Anklang findenden Parole:
TAUSCHT DIE KRIEGSGEFANGENEN GEGEN PG’s AUS !
Dass diese Parole die Aufspaltung der Nazis verhindert, ist kein Gegenargument. Reale politische Tatsache ist doch nun mal, dass Deutschland Reparationen in Form von Arbeitskräften wird leisten müssen. Also wenn, dann aktive Nazis. Bei Ausarbeitung von festen Richtlinien wäre die Gewähr gegeben, dass sich diese Aktion nicht in eine politisch unkluge Verfolgungswelle verwandelt. So mancher Streit bei der Rückkehr alter Betriebsführer fände aber so eine einfache, schnelle Lösung.
Dies alles sind nur Ideen eines Einzelnen. Die mit den Kriegsgefangenen zusammenhängenden Probleme und Arbeiten sind aberso [sic] gewaltig, dass sie nur von vielen bewältigt werden können.
Die besten Kräfte müssen dafür freigestellt werden. Die Partei darf nicht weiter tatenlos zusehen und Nichtwissen ist fortan keine Entschuldigung mehr.
EINE MILLION ANTIBOLSCHEWISTEN SIND IM ANMARSCH
Sie gilt es ideologisch zu gewinnen.
Karl Lewke
Berlin 034
Frankfurter Allee 333.
Berlin, den 2. Dezember 1945
Quelle: Schreiben Karl Lewkes an das Zentralkomitee der SED (2. Dezember 1945), BA-SAPMO, DY 30/ IV2/ II/ 211, 3–7.