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Euro. Und nun? Das Drama von Brüssel und die Zukunft des Euro
Die Währungsunion bringt viel Streit und neue Stärke
Vergessen wir Monsieur Trichet und Mijnheer Duisenberg, reden wir von Europa: Europa gedeiht. Das ist einem Staatsmann zu verdanken, der zum zweiten Mal Historisches vollbringt. Helmut Kohl, der Kanzler der deutschen Vereinigung und der europäischen Einigung, wird im Herbst wohl abgewählt. Wie die Stimmung ist im Lande, nützen ihm die jahrelange Arbeit am Euro und der Erfolg vom Sonntag rein gar nichts im Kampf um seine Wiederwahl. Weil er sich nicht ganz durchgesetzt hat, steht Kohl als Verlierer da.
Als Verlierer der Europäischen Union sehen sich viele Deutsche. Der Wechsel von der Mark zum Euro ist für sie ein Opfer, kein Gewinn. Manche empfinden ihn als Machtverlust. Bisher hatte die Deutsche Bundesbank das Sagen, sie bestimmte letztlich über das Geld und die Zinsen der Nachbarländer. Sie machte europäische Wirtschaftspolitik. Das ist leider vorbei, denken die verkappten Nationalisten – als ob es kein Ausfluß deutscher Vormacht wäre, daß nun ganz Westeuropa eine Währungsordnung und eine Notenbank nach deutschem Muster akzeptiert hat.
Auffällig, wie die Grundstimmung in der Bundesrepublik umgeschlagen ist. Die öffentliche Meinung wendete sich Ende der achtziger Jahre. Vorher: Da konnte es mit der europäischen Einigung nicht schnell genug gehen; es hagelte Kritik, wenn in Brüssel oder im Rat der Staats- und Regierungschefs Fortschritte ausblieben. Nachher: Da ging alles zu schnell – gemach, gemach, die Währungsunion schieben wir am besten auf die lange Bank!
Die europäische Einigung ist kein willkommenes Wagnis mehr. Deutschland fürchtet die Risiken. In der Nachkriegszeit sah es lange die Chancen, den Nutzen. Europa bot jenen eine Ersatzidentität, die nicht mehr stolz waren, deutsch zu sein. Die Gemeinschaft gab Rückhalt im Kalten Krieg. Ihre Agrarpolitik half der deutschen Landwirtschaft enorm. Und der gemeinsame Markt beflügelte die Industrie, die sich neu entfaltete.
Brüssel gewinnt mehr Macht und mehr Feinde
Letzteres bleibt und kittet, gut die Hälfte der Ausfuhren aus der Bundesrepublik geht in die Europäische Union. Aber sonst? Seit der Wiedervereinigung ist Deutschland selbstbewußter. Der Ostblock ist geborsten. Brüssel muß und will die Subventionen an die Bauern kürzen. Überhaupt Brüssel: Wer mehr Macht gewinnt, hat mehr Feinde. Wer eigenmächtig wird, hat noch mehr Feinde.
Mehr Demokratie wagen, das bleibt eine Hauptaufgabe der EU nach ihrer Entscheidung für den Euro: das letzte europäische Wagnis, das fast allen Deutschen einleuchtet. Alles andere, was in Europa ansteht, bringt dem deutschen Bürger nur mittelbar, langfristig und vorerst ziemlich abstrakt Vorteile.
Natürlich ist es im Interesse der Bundesrepublik, daß sich die EU nach Osten erweitert und dort für Stabilität sorgt. Aber das wird Geld kosten, zum Beispiel jenes Geld aus Brüssel, das die Landwirte und viele andere Empfänger von Zuschüssen beanspruchen.
Die EU-Staaten müssen ihre Außenpolitik besser abstimmen, keine Frage. Der Bürger schämt sich (ein bißchen), wenn Europa zuschaut, wie der Serbe Milosevic wieder einmal wütet. Aber es ist so bequem, den Amerikanern Vortritt zu lassen. Schön, daß auch britisches und französisches Militär bereitsteht und deutsche Soldaten die Nachhut bilden.
Das organisierte Verbrechen ist zweifellos eine Gefahr, die Europäer müssen gemeinsam handeln. Aber ist das nicht ein Schritt zum Superstaat? Und warum entfallen die Kontrollen an den Grenzen?
Gewiß, das Europa des Binnenmarkts und des Euro hat sich wenig um das Soziale gekümmert. Aber welche handfesten Vorteile bringt die vielbeschworene Sozialunion, wo doch deutsche Arbeitnehmer nach wie vor bessergestellt sind als die meisten Europäer? Muß am Ende Deutschland wieder zahlen?
Dies sind die Fragen, die sich die Menschen stellen. Die EU hat Erfolg, trotzdem ist die Stimmung schlecht – nicht nur bei den Deutschen. Der europäische Gedanke hat Mühe mit dem Zeitgeist des dreifachen „Jeder für sich“: Unter den Staaten und Regionen herrscht „Standortwettbewerb“. Unter ihrem großen Banner verkündigen Neoliberale die Tugend des Egoismus. Unter dem Druck der neuen Rechten drängt krasser Nationalismus wieder vor.
Und da kommt der Euro. Er fügt EU-Mitglieder noch fester zusammen, die weniger solidarisch sind als zuvor. Er verlangt Disziplin auch von jenen Ländern, zumal Deutschland und Frankreich, die bislang größere Reformen gescheut und eine schwierige Strecke vor sich haben. Er bindet Regierungen, von denen einige wankelmütig sind: Gerade die halbherzigen Reformer ernten am meisten Protest; und in mehreren europäischen Staaten verändert sich die Parteienlandschaft von Grund auf, was die Berechenbarkeit der Politik mindert.
Jetzt werden Reformen noch dringlicher
Doch die Währungsunion macht jeden für jeden haftbar. Stabilitätspakt hin, Stabilitätspakt her, die Teilnehmer werden in jedem Fall füreinander einstehen müssen. Daraus kann viel Streit erwachsen, namentlich zwischen den Staaten, die ihre Hausaufgaben machen, und den anderen, die Problemfälle werden. Das ist die Kehrseite der neuen Münze. Die bessere Seite des Euro, die mit den Sternen: Weil jeder ungern für andere die Zeche zahlt, wird im Euro-Klub eine strenge „soziale Kontrolle“ herrschen – beim ersten Anzeichen, daß ein Land die übrigen gefährdet, wird es heftig in die Pflicht genommen. Der Zwang zu Reformen, die dem Alten Kontinent frische Kraft verleihen und in neuerungswilligen Volkswirtschaften wie Spanien, den Niederlanden oder Großbritannien Abertausende von Arbeitsplätzen schaffen, wird nicht nachlassen.
Wenn es gut geht, ist der Dollar nicht länger die alleinige Weltwährung und findet Europa zurück zur Dynamik, just zu dem Zeitpunkt, da die amerikanische Wirtschaft an Schwung zu verlieren scheint.
Das ist der große Gegensatz: Der Euro beschert Europa neue Stärke nach außen und Spannungen im Innern: unter den europäischen Ländern und innerhalb der Länder, die sich am meisten anpassen müssen – unter Gefahr eines weiteren Zulaufs zu Nationalisten und Europagegnern in den Verliererstaaten. Denn es wird Verlierer geben.
Der Erfolg des großen Vorhabens hängt davon ab, ob im Euro-Klub genügend reformorientierte Länder zusammenfinden und den Ton angeben. Wenn die Arbeitslosigkeit zu sinken beginnt, steigt das Ansehen der Europäischen Union. Im Aufschwung wird die „Baustelle Europa“ ihren Bauherren, den Europäern, besser gefallen. Bei Erfolg werden sie mehr Sinn haben für die heiklen Bau- und Umbauprojekte, die nach dem Euro anstehen.
Quelle: Roger de Weck, „Euro. Und nun? Das Drama von Brüssel und die Zukunft des Euro. Die Währungsunion bringt viel Streit und neue Stärke“, Die Zeit, Nr. 20, 7. Mai 1998.