Kurzbeschreibung

Im Spätsommer und Herbst 1989 flohen DDR-Bürger in Massen über die ungarische Grenze in den Westen. Unter denjenigen, die in der DDR geblieben waren, steigerte sich die Kritik an Partei- und Staatsführung, was zu Unmutsäußerungen in Form öffentlicher Demonstrationen führte. Die Atmosphäre lief den geplanten Feierlichkeiten zum 40-jährigen Bestehen der DDR am 7. Oktober 1989 zuwider, zumal es an diesem Tag in mehreren ostdeutschen Städten, einschließlich Ost-Berlin, zu friedlichen Demonstrationen kam. Die Proteste wurden sofort gewaltsam unterdrückt und mehr als 1000 DDR-Bürger verhaftet. Im folgenden Bericht beschreibt ein Dresdener Oppositioneller die unerwartete Gewaltanwendung der Polizei gegen eine friedliche Versammlung einfacher Bürger.

Ein Bürgerrechtler beschreibt die Brutalität der Polizei in Dresden (7. Oktober 1989)

  • Steffen Altmann

Quelle

Ich stehe fassungslos vor dem brutalen Vorgehen der Sicherheitskräfte der DDR am Abend des 7. Oktober 1989 im Bereich der Gaststätte „International“ auf der Prager Straße in Dresden und in der darauffolgenden Zeit.

Ich stehe fassungslos vor der erlebten Brachialgewalt vermittels welcher die Polizisten der Bereitschaftspolizei glaubten gegen die absolut friedlich versammelten Bürger vorgehen zu müssen, deren einzigstes Vergehen darin bestand, gegen das Verbot der von der staatlichen Gesetzgebung so bezeichneten Zusammenrottung verstoßen zu haben.

Fassungslos stehe ich vor der erschütternden Konzeptionslosigkeit des Polizeieinsatzes.

War wohl ursprünglich auf die Observierung und Zuführung gewalttätiger Bürger orientiert worden, so wurden nun in vollständiger Ermangelung derselben wahllos Bürger ergriffen und „zugeführt“. Handelte es sich bei meinem Vergehen zunächst um ein durch Neugierde motiviertes Interesse an den Vorgängen am bezeichneten Platz, so erkannte ich dann aber nach dem Betreten des Freiraumes zwischen der Polizei und den Bürgern die wachsende Gefahr in welcher sich beide Seiten befanden.

Eine auf dem Pflaster liegende gebrauchte Kerze nahm ich an mich, zündete sie an, setzte mich auf eine Bank und betete um Gewaltlosigkeit.

Nach Ertönen der Lautsprecherstimme, wonach die Bürger aufgefordert wurden sofort den Platz zu verlassen, da in einer Minute mit der Räumung desselben begonnen würde, stand auch ich auf und ging langsamen Schritts.

Hätte ich auch nur geahnt was jetzt geschehen sollte, wäre ich wohl gerannt.

Offenbar bin ich beobachtet worden. Noch vor Ablauf dieser Minute stürzten zwei in Zivil gekleidete Sicherheitsbeamte mit Gummiknüppel auf mich zu, ergriffen mich, verdrehten meine Arme und rannten mit mir hinter die Linien der Polizei.

Dort wurde ich bereitstehenden Bereitschaftspolizisten übergeben, welche mich alsdann mit Gummiknüppeln auf Schulter und Rücken schlugen und zwar mit dem Hinweis an andere ihrer Polizeikollegen, daß ich eines dieser Schweine sei was man nun hat.

An Bart und Arme haltend brachte man mich zum stationierten Lastkraftwagen.

Unter Schlägen auf Kopf, Schulter, Rücken und Gesäß warf man mich auf die Ladefläche, welche schon von anderen Menschen belegt war. Unter weiteren Schlägen und eines leichteren Hundebisses befahl man mir brüllend den Kopf nach unten zu richten und die Hände in den Nacken zunehmen sowie sich nicht zu rühren.

Innerhalb kurzer Zeit füllte sich das Fahrzeug vollends, so daß bei Abfahrt desselben zwei bis drei Menschenlagen eingestapelt waren.

Wenn einer von den „Zugeführten“ glaubte Schmerzen bekannt geben zu müssen, dann bewegten sich auch sofort ein oder zwei Polizeibeamte auf den Leibern zu dem dort Jammernden und schlugen auf selbigen so lange ein bis Ruhe oder Ohnmacht eintrat.

Dabei machte man wohl keinen Unterschied zwischen Mann und Frau.

In einem der Dresdener Objekte der Bereitschaftspolizei angekommen, wurde man vom LKW gerissen und geschlagen – vor allen diejenigen, welchen die Beine eingeschlafen waren und zwangsläufig stürzten.

Unter Gebrüll und vereinzelten Schlägen wurde man in LKW-Garagen getrieben.

Dort hatte man unter entwürdigenden Behandlungsmethoden ungefähr zwei Stunden auszuharren – breitbeinig und Hände im Nacken.

Alsdann wurden in einer den Sicherheitskräften adäquat erscheinenden Form die Festgenommenen in Unterkunftsräume getrieben.

Ich darf nicht unerwähnt lassen, daß die Benutzung der Toilette erlaubt werden konnte und ein Kessel mit Tee bereit stand.

Nach weiteren zwei Stunden erschienen Beamte des Strafvollzuges, ketteten jeweils zwei Männer mit Handschellen zusammen, stießen sie in bereitstehende Gefangenentransportfahrzeuge und fuhren die Festgenommenen in die Strafvollzugsanstalt Bautzen.

Bei der Einlieferung bzw. beim Begehen der Treppe in ein Obergeschoß – es war die alte Bautzner Gefängniskirche – wurde ich und all die anderen Festgenommenen im Rahmen eines so empfundenen Spießrutenlaufes erneut geschlagen. Allerdings letztmalig – zumindest was mich betraf.

Über das traurige und entmutigende Erleben im Gefängnis lasse ich mich im Rahmen dieses Berichtes nicht aus. Vielleicht nur so viel, daß alle in größeren Räumen des Sockelgeschosses eines Gefängnisflügels untergebrachten Gefangenen bzw. Festgenommenen das gleiche Schicksal hatten und niemand so recht wußte, weshalb er im Gefängnis saß.

Am Sonntagnachmittag wurde ich zum ersten Verhör gebracht. Am Sonntagabend fand das zweite Verhör statt und man eröffnete mir, daß gegen mich ein Ermittlungsverfahren wegen Zusammenrottung eingeleitet worden sei. In der Nacht vom Sonntag zum Montag erklärte mir der Haftrichter, daß für mich ein Haftbefehl vorliegt.

Am darauffolgenden Mittwoch fand gegen mich ein sogenanntes Gerichtsschnellverfahren statt.

Der Staatsanwalt beantragte für den „Christlichen Bürger Steffen Altmann“ – so die von mir derart verstandene Bezeichnung – eine Haftstrafe in Höhe von 14 Tagen.

Das Urteil des „Hohen Gerichtes“ lautete allerdings auf Einstellung des Ermittlungsverfahrens.

Am Donnerstag nachmittag wurde ich aus der Strafvollzugsanstalt Bautzen entlassen.

Seit Freitag, den 13.10.89 bin ich wegen traumatisch bedingten Kopfschmerz zunächst bis zum 27.10.1989 krank geschrieben.

Dresden, am 18.10.1989

Steffen Altmann, 48 Jahre

Quelle: Steffen Altmann, „Fünf Tage im Oktober“ (18. Oktober 1989), Stadtmuseum Dresden.