Kurzbeschreibung

Um die Zahl der Asylbewerber zu senken, revidiert der Bundestag den Artikel 16 des Grundgesetzes, was zu einem Ausschluss von Asylbewerbern aus Ländern ohne sichtbare Verfolgung führt, ebenso wie von allen, die durch EU-Mitgliedsstaaten und andere sichere Drittländer einreisen, während sich für den Rest das bürokratische Verfahren vereinfacht.

Legislative Einschränkungen des Asylrechts (1. Juli 1993)

  • Günter Bannas

Quelle

Der Demokratie drohte Gefahr

Zum Inkrafttreten des neuen Asylrechts an diesem 1. Juli

„Die Fraktionen stimmen überein, daß die Zuwanderung nach Deutschland begrenzt und gesteuert werden muß, sowie der Mißbrauch des Asylrechts verhindert und der Schutz tatsächlich politisch Verfolgter gewährleistet werden müssen. Damit soll zugleich ein versöhnendes Signal gesetzt werden, denn Deutschland ist ein weltoffenes tolerantes Land, und das soll so bleiben.“ Mit diesen Formulierungen wurde das Einigungspapier von CDU/CSU, SPD und FDP zur Asylpolitik eingeleitet, das Anfang Dezember vergangenen Jahres nach nächtelangen Verhandlungen verabredet worden war. An diesem Donnerstag tritt das später verabschiedete Gesetzespaket in Kraft.

Die seit Beginn der achtziger Jahre geführte Debatte über die Notwendigkeit einer Grundgesetzänderung hatte lange hin und her gewogt. Die steigenden Zahlen der Asylbewerber – zuletzt waren es mehrere hunderttausend im Jahr – überforderten die Kommunen immer stärker. Die Formulierung im Artikel 16 des Grundgesetzes „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“ wurde schon vor der Öffnung der Grenzen in Osteuropa von Ausländern benutzt, die zwar in Not, in den meisten Fällen aber im eigentlichen Sinne des Wortes nicht politisch verfolgt waren. Diese Entwicklung verstärkte sich nach dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes. Mehr als zwei Drittel der Asylbewerber kamen seither aus Europa. In der Koalition wie in der SPD überwog die Auffassung, das deutsche Asylrecht dürfe nicht ein Mittel der europäischen Binnenwanderung bleiben.

Daneben hatte auch der Abschluß des Schengener Abkommens zum Abbau der Grenzkontrollen zwischen Deutschland, den Benelux-Staaten und Frankreich sowie Italien, Spanien und Portugal verfassungsrechtliche Konsequenzen. Als „Ausgleichsmaßnahme“ für den Grenzabbau wurde verabredet, die Staaten sollten ihre – auf den Grundsätzen der Genfer Konvention beruhenden – asylpolitischen Entscheidungen gegenseitig anerkennen. Zwar wurde mit Blick auf das deutsche Grundrecht und die daraus abgeleiteten Verfahrensrechte eine nationale Vorbehaltsklausel in das Abkommen eingefügt. Doch stellte die CDU/CSU-Fraktion klar, sie werde das Abkommen nicht ratifizieren, wenn eine Grundgesetzänderung nicht die volle Teilhabe an der Zuständigkeitsregelung zwischen den europäischen Staaten ermögliche. Es war die Sorge der Union, Deutschland werde zu einem „Reserveland“ für Asylbewerber; damit war gemeint, Deutschland könne Asylbewerber auch dann nicht ohne weiteres abschieben, wenn deren Antrag zuvor in einem Mitgliedstaat des Schengener Abkommens abgelehnt worden sei.

Das asylpolitische Gesetzespaket besteht im wesentlichen aus drei Teilen: Der Grundgesetzänderung, Veränderungen im Asylverfahrensrecht und – was die Gewährung von Sozialhilfe an Asylbewerber angeht – im Sozialrecht. Hinzu kommen Vereinbarungen, die die Einbürgerung von Ausländern erleichtern sollen; Ermessenentscheidungen der Verwaltung werden durch Rechtsansprüche ersetzt. Bürgerkriegsflüchtlinge erhalten einen eigenen Rechtsstatus. Diese Gesetzesänderungen sollten der SPD die Zustimmung zu dem Paket insgesamt erleichtern; zu den Forderungen der SPD hatte gehört, über die Asylpolitik hinaus müßten auch andere Fragen der Zuwanderung geregelt werden. Die – freilich auch in der SPD nicht unumstrittene – Forderung nach einem Zuwanderungsgesetz wurde von der Union abgelehnt. Sozialhilfe soll den zumeist in Gemeinschaftsunterkünften untergebrachten Asylbewerbern künftig vor allem in Form von Sachleistungen gewährt werden.

Die wesentlichen Veränderungen im Asylverfahrensgesetz finden sich auch in der neuen Grundgesetzformulierung (Artikel 16a) wieder. Dieser wird mit der bisherigen Formulierung „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“ eingeleitet. Sodann werden die Ausnahmen aufgeführt. Auf das Asylrecht könne sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedsstaat der EG oder „aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist“. Diese „sichere Drittstaaten“ genannten Länder wurden, nach einem ebenfalls ins Grundgesetz eingefügten Hinweis, durch Gesetz bestimmt. Es sind Finnland, Norwegen, Schweden, Polen, die Tschechische Republik, Österreich und die Schweiz. Aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen Asylbewerber, die über diese Staaten nach Deutschland einreisen, können „unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf“ vollzogen werden. Dahinter steht die Auffassung, solche Asylbewerber benötigten nicht mehr deutsche Hilfe, weil sie anderswo Schutz vor Verfolgung gefunden hätten. Mit Polen wurde ein Hilfsabkommen geschlossen, um zusätzliche Belastungen für das Land auszugleichen.

„Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet“, heißt es im Grundgesetz weiter. Diese „sicheren Herkunftsländer“ sind Polen, Ungarn, die Tschechische und die Slowakische Republik, Rumänien, Bulgarien, Gambia, Ghana und Senegal. Doch haben Asylbewerber aus diesen Ländern in einem verkürzten Verfahren die Möglichkeit, darzulegen, sie seien entgegen der Vermutung politisch verfolgt. Die „Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen“ wird in diesen und anderen offensichtlich unbegründeten Fällen vom Gericht nur ausgesetzt, „wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen“.

Die Führungen von Union und SPD betrachteten zuletzt die tatsächliche Entwicklung der Zuwanderung und die sie begleitende asylpolitische Debatte als Belastung des innenpolitischen Klimas. Der Demokratie drohe Gefahr. Ein Wort von Herbert Wehner, gesprochen im SPD-Parteivorstand im Jahr 1982, wurde in diesen Wochen gern zitiert. Die demokratischen Parteien, hatte der damalige SPD-Fraktionsvorsitzende gesagt, würden hinweggefegt werden, wenn es nicht gelinge, das Problem zu lösen. Das Aufkommen der Republikaner und Gewalttaten gegen Ausländer galten in den Parteien als Vorboten einer solchen Entwicklung, der die Parteien vorbeugen wollten. Die in Wellenbewegungen sich wiederholenden Debatten über die Asylpolitik hatten keiner der Parteien genutzt, nicht der Union, die der SPD Schuld an den Zuwanderungszahlen gab, und nicht der SPD, die den Wunsch der CDU/CSU nach einer Grundgesetzänderung als Beweis für deren Ausländerfeindlichkeit bezeichnete. Derlei Debatten wurden nun beendet. Die weitgehend einvernehmliche Verabschiedung des asylpolitischen Gesetzespakets entzog diesen Teil der Ausländerpolitik dem parteipolitischen Streit.

Quelle: Günter Bannas, „Der Demokratie drohte Gefahr“, Frankfurter Allgemeine Zeitung,

1. Juli 1993.