Kurzbeschreibung

Am 15. Januar 1990 drangen weitere Einzelheiten über die Arbeit des DDR-Staatssicherheitsdienstes an die Öffentlichkeit. Daraufhin stürmten am frühen Abend mehrere Tausend Berliner im Zuge einer durch das Neue Forum organisierten Demonstration die Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS; im Volksmund kurz: Stasi) in der Ost-Berliner Normannenstraße, um die Vernichtung von Akten zu verhindern und die Auflösung der Stasi einzufordern. Die diensthabenden Offiziere des MfS leisteten keinen Widerstand, hatten jedoch seit Ende November 1989 bereits zahlreiche Akten ausgelagert oder vernichtet. Auch in anderen Städten der DDR haben Bürger/innen erfolgreich Stasi-Akten gerettet und so einen wichtigen Beitrag zur späteren Archivierung und Einsichtnahme dieser Dokumente geleistet.

Sturm auf die Stasi-Zentrale (15. Januar 1990)

Quelle

/Sprecher: Die Zentrale des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes in Ost-Berlin ist heute von einer aufgebrachten Menschenmenge gestürmt worden. Zehntausende drangen am Nachmittag in das Gebäude ein und richteten schwere Verwüstungen an. Vorübergehend spitzte sich die Lage so sehr zu, dass das laufende Programm des DDR Fernsehens unterbrochen wurde, um einen Aufruf der Regierung zur Besonnenheit auszustrahlen.
Inzwischen scheint sich die Situation wieder entspannt zu haben, nachdem Ministerpräsident Modrow an Ort und Stelle zu den Demonstranten sprach. Horst Hano berichtet. 
/Reporter: Kurz nach fünf wurde das Tor aufgebrochen, die Zentrale des Staatssicherheitsdienstes, das Zentrum der flächendeckenden Überwachung und Bespitzelung, wurde gestürmt.
"Stasi raus!", "Stasi in die Produktion!", riefen die Demonstranten. Und jetzt kommt das Volk. Für die noch verbliebenen Mitarbeiter der Staatssicherheit war heute der letzte Arbeitstag, bis nachmittags um drei hatten alle das Gebäude verlassen.
Keine Gewalt, forderten die Bürgerkomitees, Veranstalter der Demonstration vor der Stasi Zentrale.
Doch die Menge war nicht mehr zu halten. Fensterscheiben gingen zu Bruch, Türen wurden eingetreten, die Räume der verhassten Geheimpolizei wurden geöffnet und durchwühlt. An die wichtigen Akten, die Aufschluss geben können über die wahre Arbeit der Stasi, kam die Menge nicht heran, sie waren, soweit noch vorhanden, in gemeinsamer Arbeit von der Militärstaatsanwaltschaft und der Volkspolizei schon seit Anfang Dezember in Sicherheit gebracht worden, so jedenfalls die offizielle Auskunft.
/Sprecher: Ab morgen, so der Plan, den die Regierung akzeptiert hat, werden Bürgerkomitees, Volkspolizei und die Militärstaatsanwaltschaft hier beginnen, gemeinsam die Geschichte des Ministeriums für Staatssicherheit aufzuarbeiten. Der Aufruf der DDR-Regierung zur Besonnenheit wurde mehrmals in das laufende Fernsehprogramm eingeblendet. Hier ein Ausschnitt. 
/Sprecher im DDR-Fernsehen: Die Demokratie, die sich gerade beginnt zu entwickeln, ist in höchster Gefahr. Die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik ruft alle Bürger auf, in dieser schweren Stunde Ruhe und Besonnenheit zu bewahren und staatsbürgerliches Bewusstsein zu beweisen. Die Regierung setzt ihr ganzes Vertrauen in die Verantwortung der Bürger gegenüber unserem Gemeinwesen.
/Sprecher: Wegen des Sturms auf das Stasi-Gebäude wurden die Gespräche am Runden Tisch abgebrochen. Die Regierung hatte am Vormittag den Vertretern der Parteien und Bürgerbewegungen einen Einblick in den Sicherheitsapparat der alten Staats- und Parteiführung gegeben. Danach war die DDR immer mehr zu einem Überwachungsstaat ausgebaut worden. Nach den Angaben der Regierung hatte der Stasi zuletzt 85.000 hauptamtliche Mitarbeiter und 109.000 Spitzel beschäftigt. Der Sicherheitsdienst sei mit 124.000 Pistolen und Revolvern und mehr als 76.000 Maschinenpistolen ausgerüstet gewesen. Der Etat des Sicherheitsministeriums habe im vergangenen Jahr 3,6 Milliarden Mark betragen.
Zu den heutigen Gesprächen am Runden Tisch Manfred Dziemballa. 
/Reporter: Die Überraschung des Tages: Ministerpräsident Hans Modrow. Er kam heute zum runden Tisch und machte Punkte. Der DDR-Bevölkerung präsentierte er sich einmal mehr als Politiker, der zum Wohl des Landes regiert und nicht im Interesse einer, seiner Partei, der SED.
Sein Appell: Es lohnt sich, in der DDR zu bleiben. Und an den runden Tisch gewandt:
/Modrow: Es ist mein besonderes Anliegen, dass die Regierung mit Ihrer Unterstützung handlungsfähig bleibt.
/Reporter: Konkrete Vorschläge erwartet Modrow für sein geplantes Treffen mit Bundeskanzler Kohl. Zahlreiche Mitglieder des Runden Tisches konnten dem Ministerpräsidenten ihren Respekt nicht versagen. Der als zögerlich geltende Politiker, heute hat er versucht, das Heft erneut in die Hand zu nehmen. Das Thema der alten Staatssicherheit überließ Modrow dann weitgehend seinem Regierungsbeauftragten Sauer. Was die DDR-Bevölkerung, aber auch die Journalisten hier zu hören bekamen, überstieg fast das Maß des Vorstellbaren, lässt nur noch die Deutung zu: Die DDR kam im November nur knapp an einem Blutbad vorbei. 
/Sauer: Mit wachsender Instabilität der DDR wurde eine Perfektionierung der Überwachungsmechanismen des Amtes für Staatssicherheit angestrebt und verwirklicht. Der ehemalige Minister forderte, den wachsenden Einfluss sogenannter Andersdenkender zurückzudrängen. Deshalb wurde, man muss es so sagen, eine totale flächendeckende Überwachungsarbeit angestrebt.
/Reporter: Mitglieder von Bürgerkomitees meinten nach dem Bericht, auch heute seien nicht alle Fakten auf den Tisch gekommen, zum Beispiel die Verflechtung der Staatssicherheit mit der SED.

Quelle: Tagesschau vom 15. Januar 1990. tagesschau.de
https://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-ts-49344.html

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