Kurzbeschreibung
Diese Gemälde Anton von Werners (1843–1915) wurde 1894 vollendet und
im selben Jahr von der Nationalgalerie in Berlin gekauft
(erstaunlicherweise war es das erste Bild Werners, das die
Nationalgalerie erwarb). Die Skizze, auf der sein Gemälde basierte, war
jedoch 24 Jahre zuvor angefertigt worden, nämlich am 24. Oktober 1870,
als der Künstler den preußischen Generalstabschef Helmuth von Moltke
(1800–1891) und sein Gefolge durch das besetzte Frankreich begleitete.
Das fertige Werk zeigt deutsche Truppen bei der Einquartierung im
Château de Brunoy außerhalb von Paris im Deutsch-Französischen Krieg.
Zwar dokumentiert Werner jedes Detail der Szene und des Schauplatzes –
bis hin zur unsachgemäß reparierten Stiefelsohle rechts. Doch sein
Hauptziel ist die Betonung des Gegensatzes zwischen den energischen,
rotbackigen Truppen mit ihren praktischen, dreckigen Stiefeln und dem
luxuriösen, unmännlichen Innenraum, den sie als zeitweilige Unterkunft
requiriert haben. Dieser Kontrast wird nicht zuletzt durch Werners
Farbpalette vermittelt – die Soldaten, in blauen Uniformen mit roten
Paspeln, sind in dunklen Primärfarben ausgeführt und heben sich somit ab
von dem in Pastellfarben überfluteten Interieur, das vom warmen Gelb
vergoldeter Oberflächen beherrscht wird. Werner scheint eine deutsche
Kulturüberlegenheit gegenüber den Franzosen nahe zu legen.
Beispielsweise haben die Soldaten nicht nach uraltem Brauch die
verfügbaren Möbel klein gehauen, um ein Feuer zu machen und sich am
Feind zu rächen; stattdessen haben sie sich die Zeit genommen, Holz auf
dem Gelände der Villa zu sammeln, das durch das Fenster hinten zu sehen
ist. Und während die Soldaten verdreckt und zerknittert aussehen, sind
sie nicht unbedingt grobschlächtig. Tatsächlich verfügen sie über genug
solide deutsche Bildung, um Klavier zu spielen und in einem spontanen
Konzert ein Lied anzustimmen. (Werners Notizen zufolge sangen sie Franz
Schuberts Vertonung von Heinrich Heines Gedicht „Das Meer erglänzte weit
hinaus“, das, wie er hinzufügte, damals bei allen Militärkapellen sehr
beliebt war). Diese Geschichtsstunde wäre an den deutschen Betrachtern
des Gemäldes von 1894 nicht verloren gewesen. Nichtsdestoweniger wäre es
falsch, Werners politische Einstellung als illiberal oder chauvinistisch
darzustellen. Er brauchte den Feind nicht verachtenswert erscheinen
lassen: Außer der Concierge der Villa und ihrer Tochter, die
augenscheinlich keine der Härten erleiden mussten, die zur selben Zeit
der Pariser Bevölkerung zugefügt wurden, sind die Franzosen einfach von
der Bildfläche verschwunden. Die gutmütige Stimmung ist noch verstärkt
durch die kunstvolle Uhr und Vasen auf dem Kaminsims – allein ihr
Vorhandensein legt nahe, dass keine Plünderungen durch die
Besatzungstruppen stattfanden. Diese Motiventscheidungen machen das
Gemälde noch dramatischer und gekünstelter, sie untergraben dessen
scheinbar objektive Virtuosität. Welche Schlussfolgerungen lassen sich
daraus ziehen? Einerseits mag allein die Tatsache, dass ein
patriotisches Gemälde dieser Art in den 1890er Jahren eine solche
Beliebtheit erlangte, darauf hindeuten, dass bis zur Jahrhundertwende
der von Friedrich Nietzsche nach 1871
so vehement kritisierte Chauvinismus sich zu etwas entwickelt hatte,
was, wenn auch nicht großzügiger gegenüber der französischen Opferrolle
oder entschuldigend hinsichtlich deutscher Brutalität, so doch zumindest
harmloser war. Bezeichnenderweise fanden zeitgenössische Betrachter,
wenn sie Werners Darstellung der Soldaten kommentierten, die respektlos
auf den Möbeln eines großartigen französischen Châteaus lümmelten,
diesen Aspekt eher amüsant, nicht beleidigend. Andererseits mag eine
solche öffentliche Reaktion auch die philisterhafte Selbstgefälligkeit
widerspiegeln, die Nietzsche ebenfalls als charakteristisch für die
deutsche Gesellschaft nach der Reichsgründung identifizierte.